ArbG Aachen, Urteil vom 25.09.2007 - 3 Ca 1542/07
Fundstelle
openJur 2015, 22101
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 2 Sa 1411/07

1. Einzelfall zur Anwendung eines tariflichen Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen.

2. Der Verkauf einzelner Maschinen nach China ist kein Betriebsübergang.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf 7.800,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der heute 51-jährige Kläger war seit dem 06.02.1984 zunächst bei der F/.. & D.. L. im Werk in I.-P. beschäftigt. Neben der Zentrale in X. betrieb sie Werke in F. und P..

Am 05.12.2002 wurde zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie, dem AGV Nordostchemie sowie der IG BCE ein auf die F/.. & D.. L. bezogener Verbandstarifvertrag geschlossen, in dem es auszugsweise wie folgt heißt:

"Präambel

Zur Sicherung der Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit sowie zur angemessenen Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg wird für die Mitarbeiter der F/.. & D.. L. (...) vereinbart:

(...)

§ 2 - Beschäftigungssicherung

Zur Sicherung der Beschäftigung verzichtet F. bis zum 31.12.2005 auf betriebsbedingte Entlassungen. Von den drei Produktionsstandorten werden unbeschadet personeller Anpassungen als Folge von Produktivitätsfortschritten bis zum 31.12.2012 Verlagerungen in andere Staaten mit Ausnahme der Spulerei, wobei die Spulerei im Werk F. nicht vor dem 31.12.2004 verlagert werden darf, nicht vorgenommen."

Wegen des vollständigen Wortlauts wird auf die zur Akte gereichte Kopie Blatt 7 ff. d. Akte Bezug genommen.

In der Folgezeit wurde eine Reduzierung der tariflichen Entgelte um etwa 10 Prozent des bisherigen Tariflohns zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart. Diese wurde bezogen auf den Kläger in der Folgezeit auch umgesetzt.

Im Juni 2006 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines Betriebsübergangs von der F/.. & D.. L. auf die Beklagte über, welche das I. Werk der F/.. & D.. L. übernommen hatte. Im Betrieb der Beklagen wurden mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt, der Kläger zu einem Durchschnittslohn von zuletzt 2.600.- Euro.

Im Oktober 2006 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Sozialplan betreffend die bevorstehende Stilllegung des I. Werkes.

Die Beklagte teilte sämtlichen Arbeitnehmern mit, dass das Werk bis voraussichtlich zum 30.09.2007 geschlossen werde und sämtliche Arbeitsverhältnisse betriebsbedingt gekündigt werden müssten. Maschinen der Beklagten wurden an eine chinesische Firma verkauft. Zum Zwecke der Errichtung der Anlagen in China würden einzelne Arbeitnehmer noch über den 30.09.2007 hinaus beschäftigt und vor Ort in China eingesetzt.

Mit Schreiben vom 29.03.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.09.2007 wegen Betriebsstilllegung.

Mit seiner am 19.04.2007 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangen und der Beklagten am 26.04.2007 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung.

Der Kläger vertritt den Standpunkt, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere sei sein Arbeitsplatz nicht entfallen, da er davon aus gehe, dass das I. Werk nicht bereits zum 30.09.2007 geschlossen werde. einige Mitarbeiter hätten geäußert, dass man ihre Dienste bis März 2008 in Anspruch nehmen werde.

Weiter rügt der Kläger, die streitgegenständliche Kündigung verstoße gegen die Beschäftigungssicherung aus dem Tarifvertrag von 2002, da letztlich die Produktion der Beklagten von I. nach China verlagert werde.

Zudem rügt er die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung im Vorfeld der streitgegenständlichen Kündigung.

Er ist darüber hinaus der Ansicht, es hätte eine Sozialauswahl mit den vorübergehend in China beschäftigten Mitarbeitern stattfinden müssen. So sei er vergleichbar mit den Mitarbeitern N/. und D.. Im Rahmen einer Sozialauswahl hätte der Kläger aufgrund besserer Sozialdaten weiter beschäftigt werden müssen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 21.03.2007 aufgelöst wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die ausgesprochene Kündigung für sozial gerechtfertigt. Sie behauptet, am 26.01.2007 die unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben, den Betrieb mit Wirkung zum 30.09.2007 vollständig stillzulegen. Infolgedessen würde Beschäftigungsbedarf für sämtliche Arbeitnehmer künftig entfallen. Lediglich für einzelne konkret aufgeführte Mitarbeiter, mit denen der Kläger unstreitig nicht vergleichbar sei, bestünde nach dem 30.09.2007 noch vorübergehender Beschäftigungsbedarf in China. Diese Mitarbeiter hatten sich zuvor bereit erklärt, in China zu arbeiten. Eine Produktionsverlagerung nach China finde nicht statt, es würden lediglich einzelne Maschinen an ein chinesisches Unternehmen verkauft.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.03.2007 mit Ablauf des 30.09.2007 beendet.

1. Die Beklagte beruft sich zurecht auf betriebliche Gründe, die die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen. Auch liegen keine anderen Unwirksamkeitsgründe vor.

a) Der Kläger genießt nach der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sowie

nach der Größe des Betriebes der Beklagten den Schutz des Kündigungs-

schutzgesetzes. Auch hat er innerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 KSchG die

Klage beim Arbeitsgericht eingereicht.

b) Gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ist eine Kündigung dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist. Das ist dann der Fall, wenn sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetriebliche Umsetzung das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (BAG Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 522/98, NZA 1999, 1095). Die betrieblichen Erfordernisse können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Beruft sich der Arbeitgeber auf eine Unternehmerentscheidung, so ist von den Arbeitsgerichten nachzuprüfen, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis im behaupteten Umfang entfallen ist.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers liegen diese Voraussetzungen im vorliegenden Rechtsstreit vor: Die vollständige Betriebsstilllegung stellt geradezu den klassischen betriebsbedingten Kündigungsgrund dar, der einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer für die Zukunft entgegensteht.

Die Beklagte hat - soweit besteht zwischen den Parteien kein Streit - die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, ihren Betrieb zum 30.09.2007 vollständig stillzulegen. Darüber hinaus hat diese unternehmerische Entscheidung bereits konkret greifbare Formen in Richtung Umsetzung angenommen: Eine Vielzahl von Kündigungen wurde zum 30.09.2007 ausgesprochen, bis auf 5 waren sämtliche Maschinen schon im September abgebaut.

Zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Geschäftsbetrieb der Beklagten über den 30.09.2007 nicht aufrecht erhalten wird aufgrund der getroffenen unternehmerischen Entscheidung der Betriebsstilllegung. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, wie der Geschäftsbetrieb künftig ohne Maschinen und Arbeitnehmer über den 30.09.2007 hinaus fortgesetzt werden sollte. Dem steht auch nicht der pauschale Einwand des Klägers entgegen, einige Mitarbeiter hätten geäußert, dass man ihre Dienste bis März 2008 in Anspruch nehmen würde.

Auch die Sozialauswahl ist ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Die Sozialauswahl ist zu beschränken auf die tatsächlich und rechtlich miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer desselben Betriebes.

Unterstellt, die vom Kläger benannten Mitarbeiter N/. und H. sind im I. Betrieb der Beklagten tätig, ist die Sozialauswahl ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Kläger erhebt hier keine konkrete Rüge der Sozialauswahl. Die über dem 30.09.2007 hinaus beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten sind nach vom Kläger nicht substantiiert bestrittenem Vortrag der Beklagten mit dem Kläger nicht vergleichbar. Im übrigen werden die Mitarbeiter nach dem 30.09.2007 auch nicht mehr in I., sondern in China tätig. Der Kläger hat weder schriftsätzlich noch im Kammertermin ausdrücklich erklärt, in China tätig werden zu wollen.

Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf anderweitigen freien Arbeitsplätzen im Unternehmen waren infolge der Betriebsstilllegung ebenfalls nicht ersichtlich.

2. Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam.

a) Die Kündigung verstößt nicht gegen § 2 des Tarifvertrages vom 5.12.2002.

§ 2 des Tarifvertrages sieht unter der Rubrik "Beschäftigungssicherung" zunächst einen generellen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31.12.2005 vor/.iergegen wurde erkennbar nicht verstoßen, denn die hier streitgegenständliche Kündigung erfolgte in 2007, also deutlich nach dem 31.12.2005.

Zum anderen sieht § 2 des Tarifvertrages vor, dass bis zum 31.12.2012 die drei Produktionsstandorte nicht in andere Staaten verlagert werden dürfen, wobei als Ausnahmen hiervon die personellen Anpassungen aufgrund von Produktivitätsfortschritten als auch Verlagerungen der Spulereien der drei Produktionsstätten ausdrücklich aufgeführt sind.

Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerseite hat nicht hinreichend dargelegt, dass ein Verstoß gegen § 2 Satz 2 des Tarifvertrages vom 05.12.2002 vorliegt. Es ist nicht ersichtlich, dass eine über die nach dem Tarifvertrag ausdrücklich zulässige Verlagerung der Spulerei hinausgehende Verlagerung der Produktion in einen anderen Staat erfolgen würde. Fest steht lediglich, dass das Werk in P. geschlossen und insofern betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. In diesem Zusammenhang werden Maschinen nach China verkauft werden. Dies stellt jedoch noch keine Verlagerung der Produktion ins Ausland dar. Der Tarifvertrag vom 05.12.2002 untersagt weder den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen nach dem 31.12.2005 noch die vollständige Betriebsstilllegung einzelner Produktionsstätten. Der Verkauf einzelner Maschinen an ein chinesisches Unternehmen infolge Betriebsstillegung im Inland stellt noch keine Produktionsverlagerung ins Ausland dar. Substantiierter Vortrag des Klägers, weshalb es sich vorliegend gerade um eine nach § 2 des angeführten Tarifvertrages unzulässige Produktionsverlagerung ins Ausland handeln solle, erfolgt nicht.

b) Die streitgegenständliche Kündigung war auch nicht nach § 102 BetrVG rechtsunwirksam. Auf die allgemeine Rüge des Klägers hat die Beklagte den Verlauf und den Inhalt der Anhörung im einzelnen dargelegt. Da der Kläger in der Folgezeit dieser Darstellung nicht entgegen getreten ist, gilt der Beklagtenvortrag insoweit als zugestanden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG zulasten des Klägers als unterlegener Partei.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde entsprechend § 3 ZPO, § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG auf drei Bruttomonatsgehälter festgesetzt.