VG Bayreuth, Urteil vom 22.07.2015 - B 4 K 14.223
Fundstelle
openJur 2015, 13433
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 31. März 2014 verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung, die Versagung eines Aufenthaltstitels, die Abschiebungsandrohung und die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen.

Der am ...1985 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 09.10.2004 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und nahm an der Universität ... zum Wintersemester 2004/2005 das Studium im Fach Germanistik auf. Im folgenden Wintersemester wechselte er zum Studiengang Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Religion. Im März 2007 brach er sein Studium ab.

Am ...2007 heiratete der Kläger die deutsche Staatsangehörige S. J. M. (geb. ...). Der Kläger und seine Ehefrau sind Eltern eines am ...2012 geborenen Sohnes und einer am ...2014 geborenen Tochter. Ende 2009 hielten sich der Kläger und seine Ehefrau ca. ein halbes Jahr lang in Ägypten auf. Der Kläger hat nach eigenen Angaben seine Ehefrau begleitet, die an einer Universität in Kairo Deutschunterricht erteilt hat.

Der Kläger war seit 03.03.2005 regelmäßig im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen. Die am 15.07.2009 auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis galt bis zum 15.07.2012.

Am 29.05.2012 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Ab 2007 hat der Kläger seinen Lebensunterhalt zum Teil aus einer Vergütung bestritten, die er für seine Tätigkeit für das Islamische Zentrum B... (...-Moschee e.V.) erhalten hat. Er war dort als Vorbeter, Arabisch- und Koranlehrer beschäftigt und auch für die Kinderbetreuung verantwortlich. Das Islamische Zentrum B... e. V. (IZB) fungiert als Trägerverein der ...-Moschee in B...

Im Rahmen des Verfahrens zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis führte das Ausländeramt am 29.05.2012 eine Sicherheitsbefragung des Klägers durch. Dabei gab er an, Kontakt zu Mitgliedern der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) gehabt zu haben. Am 07.08.2012 und 22.11.2012 führte die Regierung von Mittelfranken, Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern, Sicherheitsgespräche zur Klärung von Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt und zur Klärung des Vorliegens von Ausweisungsgründen mit dem Kläger durch. Auf die Niederschriften (Blatt 7 bis 25, bzw. 53 bis 76 der Beiakte II) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 22.11.2013 gab der Beklagte dem Kläger Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Auf die Stellungnahme seines Bevollmächtigten vom 28.01.2014 wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 31.03.2014 hat der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1) und seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. 2). Für den Fall, dass der Kläger seiner Ausreisepflicht nicht spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides nachkomme, wurde ihm die Abschiebung nach Marokko oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. 3). Die Wirkungen der Ausweisung wurden auf die Dauer von fünf Jahren ab der Ausreise befristet (Nr. 4). Schließlich wurde sein Aufenthalt auf das Gemeindegebiet der Stadt Hammelburg beschränkt (Nr. 5) und ihm aufgegeben, binnen zwei Tagen nach Zustellung des Bescheides sich in der dortigen Gemeinschaftsunterkunft einzufinden (Nr. 6). Des Weiteren wurde der Kläger verpflichtet, sich täglich bei der zuständigen Polizeiinspektion in Hammelburg zu melden (Nr. 7) und mit sofortiger Wirkung internetfähige Geräte oder Kommunikationsmittel aller Art nicht mehr zu nutzen (Nr. 8). Die sofortige Vollziehbarkeit der Auflagen unter den Ziffern 1, 5, 6, 7 und 8 wurde angeordnet (Nr. 9). Für den Fall des Verstoßes gegen die Wohnsitznahme in Hammelburg setzte der Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR fest (Nr. 10) und drohte die Anwendung unmittelbaren Zwangs an, falls er der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Hammelburg nicht Folge leiste (Nr. 11). Für den Fall eines Verstoßes gegen die Meldeverpflichtung und gegen die Verpflichtung, internetfähige Geräte künftig nicht mehr zu nutzen, wurden Zwangsgelder in Höhe von jeweils 100,00 EUR angedroht (Nrn. 12 und 13).

Zur Begründung des Bescheides wird im Wesentlichen ausgeführt:

Die Ausweisung des Klägers beruhe auf § 54 Nr. 5a AufenthG, da er als salafistischer Prediger die freiheitlich demokratische Grundordnung in aggressiv-kämpferischer Weise gefährde. Seine Aussagen und guten Kontakte in die deutschlandweit agierende salafistische Szene belegten, dass er selbst ein aktiver Vertreter des Salafismus sei. Er rufe im Rahmen seiner Tätigkeit als Imam der ...-Moschee B... aktiv zu Spenden und auch für den Kampf in Somalia und Syrien auf. Dies zeigten seine Äußerungen in der Freitagspredigt vom 19.10.2012. Er spreche sein Publikum nicht nur über die Freitagspredigten an, sondern erreiche potentielle Zuhörer auch über einige auf der Homepage des IZB als video-online verfügbare Predigten. Diese fielen jedoch betont gemäßigt aus und könnten seine tatsächlichen Ansichten nicht widerspiegeln. Gerade in seiner Funktion als Imam verbreite er die extremistische Ideologie des Salafismus in der ...Moschee. Er sei Gründungsmitglied und seit 2007 erster Vorsitzender. Bei den Vortragsveranstaltungen im ersten Halbjahr 2011 seien mehrere namhafte Salafisten aufgetreten, wie etwa die deutschlandweit bekannten P... V..., M...G... und A...H...C... Zwar seien in der Satzung des IZB keine extremistischen Zielsetzungen zu entnehmen, doch solle das Vereinsvermögen im Falle einer Auflösung einem salafistischen Verein zufließen. In der offen zugänglichen Bibliothek des IZB seien salafistisch orientierte Bücher und Informationsmaterialien vorhanden. Er habe M...C... bei einer Freitagspredigt in dessen Moschee in Braunschweig vertreten. P... V...habe die Spendensammlung des Klägers für die Finanzierung der neuen Moschee unterstützt. Am 30.04.2011 habe B... M... I... B... zusammen mit A...H... C... einen Vortrag im IZB Bayreuth gehalten. B... sei als Hassprediger einzuordnen. Der Kläger spreche von einer Freundschaft mit dem Hohen Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland, dem salafistischen Dachverband. Die Aussagen des Klägers in den Sicherheitsgesprächen bestätigen seine Überzeugung der salafistischen Ideologie. Zwar lehne er die Bezeichnung „Salafist“ ab, bezeichne sich eher als konsequenten Muslim, habe sich aber auch für die Einführung der Scharia in ihrer Gesamtheit ausgesprochen und eine Einschränkung etwa hinsichtlich körperlicher Strafen oder Handabhacken unterlassen. Auch seine Einstellung gegenüber Frauen entspreche salafistischen Überzeugungen. Der Vater einer Muslima müsse ihrer Heirat zustimmen. Für eine Konvertitin müsse dies ein Schutzherr, ein Wali, tun. Nach Ansicht des Klägers solle ein Wali staatlich anerkannt werden. Dass der Kläger in den Sicherheitsgesprächen gemäßigte Positionen vertreten habe, sei taktisch motiviert. Der Kläger sei mit anderen Moscheegemeinden vernetzt, z.B. mit der Moschee in W..., wo er regelmäßig Auftritte habe. Der Kläger verfüge über einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er eine deutsche Ehefrau und ein deutsches Kind habe. Seine Ausweisung sei jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl aus generalpräventiven als auch aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Bei der Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger seit fast neun Jahren im Bundesgebiet aufhalte und über familiäre Bindungen verfüge. Diese Umstände seien jedoch gegenüber dem öffentlichen Interesse nachrangig. Es liege auch keine unbillige Härte vor, da die dem Kläger zumutbare Trennung von Frau und Kind allein seinem persönlichen Verhalten zuzuschreiben sei. Die Entscheidung stehe auch im Einklang mit Art. 8 EMRK und Art. 20, 21 AEUV. Angesichts der vom Kläger ausgehenden Gefährdung könne ein weiterer Aufenthalt in Deutschland auch nicht geduldet werden. Die Religions- und Glaubensfreiheit sowie die Meinungsfreiheit seien durch die Entscheidung nicht verletzt. Die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei zu versagen, da der Erteilung der Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5 a AufenthG entgegenstehe. Die Wirkungen der Ausweisung seien unter Abwägung aller Aspekte für die Dauer von fünf Jahren ab Ausreise zu befristen. Die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen beruhe auf § 54a AufenthG. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da das öffentliche Interesse und die Sicherheit der Allgemeinheit dies im Rahmen der Gefahrenabwehr erforderten. Nach dem Sicherheitsgespräch habe er seine Aktivitäten von B...in die Oberpfalz ausgedehnt.

Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 01.04.2014 zugestellt.

Mit Telefax vom 03.04.2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und zuletzt beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 31.03.2014 zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern.

Gleichzeitig hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.

Zur Klagebegründung wird ausgeführt, der Kläger sei kein „Salafist“, erst recht kein dschihadistischer Salafist. Die Ausführungen des Beklagten zum Salafismus offenbarten eine völlig einseitige und voreingenommene Sichtweise einer breiten Strömung des Islam. Soweit der Beklagte meine, mit Zitaten aus religiösen Schriften, für deren Verbreitung der Kläger angeblich verantwortlich sein solle, belegen zu können, dass der Kläger als angeblicher Salafist die Scharia und Gewalt gegen Frauen propagiere und den Dschihad verbreite, bedürfe es einer sachgerechten Interpretation von Passagen aus religiösen Schriften unter verfassungsrechtlichen Maßstäben im Hinblick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit. Die Ehefrau des Klägers sei an der Universität ... immatrikuliert und arbeite an ihrer Masterarbeit. Ihr langjähriges Studium stehe im Widerspruch zur Behauptung des Beklagten, der Kläger missachte das Recht der Frau auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Schließlich bestehe bei einer drohenden Abschiebung nach Marokko für den Kläger die Gefahr einer politischen Verfolgung.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.04.2014 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Klageerwiderung wird vorgetragen, die Gefährdung sei nach wie vor gegenwärtig. Er sei der Erste Vorstand des Trägervereins und deren Imam, so dass er maßgeblichen Einfluss auf die Aktivitäten der Moschee und auf die dort verbreitete Lehre des Islam habe. Darüber hinaus habe der Kläger seine Aktivitäten und die Vortragstätigkeit auch seit der Anhörung zu den beabsichtigten Maßnahmen nochmals intensiviert und auch regional über B...hinaus ausgedehnt. Damit gehe eine gesteigerte Gefahr der Radikalisierung anderer, noch nicht gefestigter Moslime einher. Der Kläger habe beim Aufbau von Moscheen in der Oberpfalz (W..., S...) eine zentrale Rolle gespielt und halte dort regelmäßig Seminare ab. Es bestehe nach wie vor die konkrete Gefahr, dass aufgrund seiner Multiplikatorwirkung andere Moslime zu Gewalttaten motiviert würden.

Mit Schriftsatz vom 14.04.2014 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend aus, zwar setze der Kläger seine Tätigkeit als Imam fort, allerdings schon seit längerer Zeit nicht mehr in der ...-Moschee. Vielmehr halte er Freitagsgebete nur noch in der Moschee in S... Der Beklagte nenne keine konkreten Belege für eine Gewaltbejahung, einen Aufruf zur Teilnahme am Dschihad, die Einführung der Scharia in Deutschland und Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber Frauen. Vielmehr werde ausschließlich aus dem Missionieren für den Islam eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung abgeleitet. Dies stelle eine schwerwiegende Verletzung des Grundrechts auf freie Religionsausübung dar. Der Kläger habe weder zu A... N... noch zu S... L... einen persönlichen Kontakt gehabt. Der Kontakt zu P... V... sei oberflächlicher Art gewesen und im Rahmen des Spendenaufrufs der ...-Moschee im Jahr 2009 wieder hergestellt worden. Der letzte Kontakt habe im Rahmen eines Vortrags in der ...-Moschee Anfang 2011 bestanden. Der Kläger habe einmal als Freitagsprediger in der Braunschweiger Moschee den dortigen Imam C... vertreten. Auch damals sei es vorrangig um den Spendenaufruf gegangen. Zu diesem Zweck seien auch andere Moscheen und deren Vertreter angesprochen worden, die nach den Informationen des Klägers auch vom Beklagten nicht als salafistisch eingestuft würden. Von regelmäßigen Auftritten in W... könne keine Rede sein, der Kläger habe nur zwei bis drei Mal in ca. zwei Jahren Vorträge dort gehalten. Er sei seit Juli 2013 nicht mehr in der ...-Moschee in B... beschäftigt und halte seit ca. sechs Monaten nur äußerst selten Predigten dort. Seit März 2014 arbeite er vielmehr für die Moschee in S... Jedoch beschränke sich seine Tätigkeit dort überwiegend auf das Halten der Freitagspredigt. In B... würden zurzeit lediglich viele der Gebete von ihm geleitet, vor allem auch deshalb, weil er in der Wohnung über der Moschee lebe. Der Kläger verwende das Internet schon seit Jahren nicht mehr, um Videos von Predigten zu verbreiten. Alle Videos des Klägers, bis auf ein einziges vom Mai 2012, stammten spätestens vom Jahr 2011. Ansonsten befänden sich auf der Webseite der ...Moschee nur informative Angaben, wie Adresse, Kontodaten, Fotos, ein Gästebuch und Ähnliches.

Die dem Kläger vorgeworfene Freitagspredigt vom 19.10.2012 sei inhaltlich unvollständig, zum Teil falsch und insgesamt tendenziös und zum Nachteil des Klägers interpretiert worden. Das Thema der Predigt sei ein Aufruf zum Opferdienst im Monat Dhul Hijjah gewesen. Hauptziel der Predigt habe es sein sollen, die Zuhörer dazu aufzurufen, ein Opfertier zu schächten. Der Vorwurf, dass sich der Spendenaufruf auch auf Spenden für militärische Zwecke mit der Möglichkeit, den Dschihad durchzuführen, bezogen habe, sei an keiner Stelle explizit wiederzufinden. Der Spendenaufruf in der Predigt habe sich ausschließlich auf humanitäre Zwecke bezogen.

Ergänzend legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 13.04.2014 vor sowie eine islamwissenschaftliche Stellungnahme zur Freitagspredigt vom 19.10.2012 von Prof. ..., vom 12.04.2014 und 19.05.2014.

Am 20.05.2014 führte das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes einen Erörterungstermin durch, auf dessen Niederschrift verwiesen wird.

Mit Beschluss vom 20.05.2014 ordnete das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage an. Auf die Gründe des Beschlusses im Verfahren B 4 S 14.222 wird Bezug genommen.

Am 09.01.2015 reiste der Kläger mit seiner Ehefrau und den Kindern zu einem Besuch seiner Eltern nach Marokko aus. Daraufhin verweigerte ihm der Beklagte die Wiedereinreise nach Deutschland unter Hinweis auf die Sperrwirkung der Ausweisung. Dem Antrag auf Erteilung eines Visums stimmte er nicht zu. Das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angerufene Verwaltungsgericht Berlin verpflichtete schließlich die Bundesrepublik Deutschland mit Beschluss vom 13.02.2015, dem Kläger vorläufig ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen. Im März 2015 reiste der Kläger wieder nach Deutschland ein.

Mit Schriftsatz vom 22.04.2015 trug der Beklagte zur Klageerwiderung ergänzend vor, der Kläger habe seinen Aktionsradius ausgeweitet. Dies sei durch vielfältige Aktivitäten (Predigten, Unterricht, Vorträge) in W... und S... belegt. Daneben lägen weitere Betätigungen in den virtuellen sozialen Netzwerken vor. Exemplarisch sei ein Auszug aus seinem Facebook-Account enthalten, der vielfältige Verbindungen ins salafistische Milieu belege. Es gebe zwischenzeitlich auch Nachweise dafür, dass sich durch die Eigenschaft des Klägers als anerkannte religiöse Kapazität in den regionalen salafistischen Kreisen tatsächlich bereits mehrere seiner Anhänger für eine Teilnahme an den kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien hätten inspirieren lassen. So habe A. K... in einem Sicherheitsgespräch vom 20.01.2015 angegeben, der Vater der Brüdern D..., zwei Dschihadisten aus der Oberpfalz, betrachte den Einfluss des Klägers als maßgeblich verantwortlich dafür, dass seine Söhne am Bürgerkrieg in Syrien auf Seiten einer dschihadistischen terroristischen Organisation teilnähmen. Die Rolle des Klägers im salafistischen Spektrum der Oberpfalz lasse sich auch aus den Erkenntnismitteilungen des Polizeipräsidiums Oberpfalz vom 18.03.2015 und des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 17.03.2015 zum Fall E. K... entnehmen. Diese Fälle machten deutlich, dass sehr wohl eine konkrete Einflussnahme – zumindest auch – durch den Kläger stattfinde bzw. stattgefunden habe. Konkret dürfe dies im Fall des bereits in Syrien ums Leben gekommenen M. C... angenommen werden. Dies ergebe sich aus der Zeugenvernehmung des Vaters D... Dieser habe angegeben, dass beim Radikalisierungsprozess seiner Söhne, deren Mutter und des M. C... der Kläger als Imam und spirituelle Kapazität eine entscheidende Rolle gespielt habe. Zudem werde in der Vernehmung erwähnt, dass „Freunde aus Bayreuth“ Unterstützungsgelder für die Oberpfälzer Mujaheddin-Brüder gesammelt hätten und dass diese Gelder weitergeleitet wurden.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte mit Schriftsatz vom 13.05.2015 mit, dass der Kläger mit seiner Familie mittlerweile nach Baden-Württemberg verzogen sei. Der Kläger habe in S... nur bis Dezember 2014 die Freitagspredigten gehalten. Dies stelle allenfalls eine Verlagerung und keine Ausweitung seiner Betätigung dar, da inzwischen die Predigten in B... von einem anderen Imam gehalten worden seien. Seit der Rückkehr nach Deutschland im März 2015 habe er nur noch unregelmäßig in B... gepredigt, bis er Ende April mit seiner Familie umgezogen sei. In W... sei er in letzter Zeit nur selten und nur als Teilnehmer an Feierlichkeiten gewesen. Seit Oktober 2013 habe es keine weiteren Betätigungen in den sozialen Netzwerken gegeben, davor nur sporadisch über seine Ehefrau, die die Accounts verwaltet und nur im Rahmen des Spendenaufrufs verwandt habe. Die Nachweise dafür, dass mehrere Anhänger des Klägers sich zu einer Teilnahme an den kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien hätten inspirieren lassen, seien abwegig. In dem Sicherheitsgespräch habe A. K... im Gegenteil geäußert, dass „die Bayreuther eher zurückhaltend“ gewesen seien. Der Kläger habe vielmehr versucht die beiden Brüder, die sich offenbar entschlossen hatten, im Bürgerkrieg in Syrien auf Seiten einer dschihadistischen Organisation zu kämpfen, telefonisch davon abzuhalten. Er habe versucht ihnen zu vermitteln, dass ihr Vorhaben aus der Sicht des Islam nicht korrekt sei und der Wunsch der Eltern respektiert und geehrt werden solle. In Diskussionen und Gesprächen habe der Kläger immer wieder betont, dass die aktive Teilnahme an dschihadistischen Kämpfen in Syrien nicht mit den Grundsätzen des Islam vereinbar sei. Hierfür sei er in der gesamten Gemeinde der Muslime bekannt. Hinsichtlich des M. C... habe der Kläger nur gewusst, dass dieser zum Studium nach Ägypten habe gehen wollen. Auch davon habe ihm der Kläger wegen der dortigen Unruhen abgeraten. Von der Ausreise des C... habe er erst im Nachhinein von dessen Vater erfahren. Es könne dem Verfassungsschutz nicht verborgen geblieben sein, dass der Kläger in S... und B... in zwei Predigten sich klar gegen salafistischen Terrorismus ausgesprochen habe. Der Kläger habe weder zum eigenen Facebook-Account noch zu dem der ...-Moschee einen Zugang. Seine Ehefrau verwalte die Accounts und kenne die Passwörter. Beide Accounts seien anlässlich des Spendenaufrufs im Jahr 2009/2010 eröffnet worden, um möglichst viele Menschen auf die Spendenaktion aufmerksam zu machen. Daraus erkläre sich auch, weshalb beide Accounts über jeweils fast 1000 Freunde verfügten. Es gebe auch Vernetzungen zu Muslimen, die eindeutig nicht dem salafistischen Spektrum zuzuordnen seien. Außerdem sei das schon über 5 Jahre her. Seit über 1,5 Jahren hätten er und seine Ehefrau sich nicht ein einziges Mal mehr eingeloggt. Die in der Akte befindlichen Screenshots könnten nicht aktuell sein, da dort Personen aufgelistet seien, die schon längst ihre Accounts gelöscht hätten.

Mit Schriftsatz vom 22.06.2015 teilte der Beklagte mit, dass er mit Einverständnis der nunmehr örtlich zuständigen Ausländerbehörde des Landratsamtes Heilbronn das gerichtliche Verfahren gegen den Ausweisungsbescheid fortführen werde. Der Kläger bewege sich mit seinen Aktivitäten nicht im Schutzbereich der Art. 2 und Art. 4 GG, vielmehr führten seine Aktivitäten zu Spenden und Radikalisierungen von jungen Menschen, die zwischenzeitlich in die Kampfgebiete Syriens gereist seien. Der Kläger räume auch ein, dass Gespräche mit den Brüdern D... stattgefunden hätten. Der Umstand, dass die beiden nachweislich ausgereist seien und sich den Kampftruppen in Syrien angeschlossen hätten, sowie die Aussage ihres Vaters gegenüber der Polizei ließen die Einlassung des Klägers unglaubwürdig erscheinen.

Die Klägerseite äußerte sich in einem Schriftsatz vom 20.07.2015 noch zu den Gründen für den Umzug nach Baden-Württemberg.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behördenakten, die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 31.03.2015 ist rechtwidrig und daher aufzuheben, denn er verletzt den Kläger in seinen Rechten. Darüber hinaus war der Beklagte zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

a. Der Beklagte ist hinsichtlich der von dem Kläger erhobenen Anfechtungs- und Bescheidungsklage nach wie vor passiv legitimiert. Da der Kläger nach der Klageerhebung von B... nach T... verzogen ist, ist nunmehr für ihn nach dem hierfür einschlägigen Landesrecht Baden-Württembergs grundsätzlich das Landratsamt Heilbronn zuständig. Diese Körperschaft hat jedoch gegenüber dem Beklagten ihre Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens nach § 3 Abs. 3 der insoweit übereinstimmenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Baden-Württemberg und Bayern erklärt. Die weitere Fortführung des Verwaltungsverfahrens durch den Beklagten dient auch unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens. Der Anwendbarkeit der genannten Vorschrift auf den vorliegenden Fall steht nicht entgegen, dass die Änderung der die behördliche Zuständigkeit begründenden Umstände erst während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingetreten ist. Bei einem Verpflichtungsbegehren findet das Verwaltungsverfahren nämlich erst dann seinen Abschluss, wenn über das Begehren unanfechtbar entschieden worden ist (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 24.5.1995 - 1 C 7/04 -, NVwZ 1995, 1131 m.w.N.). Die Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten nach der genannten Vorschrift bedeutet, dass sich seine Zuständigkeit für den Kläger bis zur endgültigen, unanfechtbaren Entscheidung gewissermaßen „verlängert“, so dass sie auch jetzt noch zu einer den Kläger betreffenden erneuten Sachentscheidung verpflichtet werden kann (s. BVerwG, a.a.O.). Da die entsprechenden länderrechtlichen Regelungen sachlich identisch sind und insofern einem auch in § 3 Abs. 3 BVwVfG zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgrundsatz entsprechen, ist die Tatsache, dass es sich hier um einen länderübergreifenden Zuständigkeitswechsel handelt, für die zuständigkeitsverlängernde Wirkung der Zustimmungserklärung ohne rechtliche Bedeutung (vgl. VGH Mannheim vom 27.06.2007, Az. 13 S 1663/06, juris Rn. 15).

b. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtswidrig, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG, auf den die Ausweisung gestützt ist, nicht vorliegen.

Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Die freiheitlich demokratische Grundordnung wird durch Verhaltensweisen des Ausländers gefährdet, die auf eine grundlegende Umformung der verfassungsmäßigen Ordnung gerichtet sind und die Grundprinzipien des Grundgesetzes missachten. Zu diesen Grundprinzipien zählen die Achtung vor den gesetzlich konkretisierten Menschenrechten, die Volkssouveränität, Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien sowie das Recht auf die Bildung und Ausübung einer Opposition. Die freiheitlich demokratische Grundordnung muss durch Handlungen des Ausländers gefährdet werden. Erforderlich ist hierfür eine nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts (vgl. Hailbronner, Ausländerecht, § 54 Rdnr. 38 m.w.N.)

In dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat die Kammer nicht die Überzeugung gewonnen, dass die vom Kläger im Rahmen seiner Religionsausübung in der Vergangenheit gezeigten und auch künftig zu erwartenden Verhaltensweisen auf eine grundlegende Umformung oder Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind bzw. dass er durch sein Verhalten auch nur die rechtsstaatliche Ordnung missachtet.

Der persönliche Eindruck, den der Kläger im Erörterungstermin vom 20.05.2014 und in der mündlichen Verhandlung am 22.07.2015 hinterlassen hat, deckt sich mit dem Eindruck, der bereits aus dem Aktenstudium, insbesondere aus den Niederschriften der Sicherheitsgespräche vom 07.08. und 22.11.2012 gewonnen wurde. Der Kläger gibt offen und freimütig Auskunft zu allen Fragen. Seine Aussagen in den Sicherheitsgesprächen und in den gerichtlichen Anhörungen sind detailreich, anschaulich und frei von Widersprüchen, weshalb die Kammer sie als glaubhaft ansieht.

Der Kläger bezeichnet sich selbst als „konsequenten Muslim“, der nach den Geboten des Islam in seiner ursprünglichen Form lebt. Den Begriff „Salafist“ lehnt er für sich ab, weil darunter in der Öffentlichkeit ein gewaltbereiter Islamist verstanden wird und das nicht seiner Persönlichkeit entspricht.

Als „Salafismus“ bezeichnet man eine Strömung des Islam, die sich strikt an der Lebensweise der „frommen Altvorderen“ (arab. Al-salaf al-salih) orientiert. Gemeint sind die drei dem Propheten nachfolgenden Generationen, die den Islam noch ohne verfremdende Einflüsse auf der Basis von Koran und Sunna gelebt haben (vgl. Steinberg, Der nahe und der ferne Feind, München 2005, S. 16 ff.).

Der Salafismus lässt sich in drei Strömungen einteilen, deren Grenzen aber fließend sind.

Der puristische Salafismus versucht, jegliche westlichen und anderen Einflüsse aus der Ideologie fernzuhalten. Politische Aktivität oder die Macht in einem Staat zu übernehmen, planen Puristen nicht.

Der politische Salafismus beinhaltet die Forderung nach Einführung der Scharia und einem gottgefälligen Leben, verbunden mit einer politischen Agenda. Teile dieses Spektrums rechtfertigen unter bestimmten Bedingungen die politisch motivierte Gewalt.

Der dschihadistische Salafismus sieht im militärischen Dschihad die einzige Möglichkeit, die Einheit des Islam wieder herzustellen und die Muslime zum „wahren Glauben“ zurückzuführen. Daher wird Gewalt gegen alle „Feinde des Islam“ und gegen Ungläubige propagiert (vgl. Entscheiderbrief 6/2013 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, m.w.N.).

Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid und im Fortgang des gerichtlichen Verfahrens keine tragfähigen Tatsachen benannt, aus denen hervorgeht, dass der Kläger eine „aggressiv-kämpferische Haltung“ im Sinne des gewaltbereit-politischen oder dschihadistischen Salafismus gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland einnimmt und durch seine Predigtinhalte bzw. sonstigen religiösen Äußerungen verbreitet.

aa) Die vom Beklagten aus der Freitagspredigt vom 19.10.2012 gezogene Schlussfolgerung, der Kläger habe darin nicht nur zu Geldspenden für ein Opfertier, sondern auch zur Unterstützung des militärischen Kampfes gegen die Regime in Syrien und Somalia aufgerufen, überzeugt nicht. Dies hat das Gericht bereits in dem Beschluss vom 20.05.2014 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auf den verwiesen wird, ausführlich dargelegt. Der Beklagte hat dazu seither keine neuen Argumente vorgetragen und auch keine weiteren, zwischenzeitlich gehaltenen Predigten, Vorträge oder Gebete benannt, in denen der Kläger verfassungsfeindliche Inhalte verbreitet hätte.

Ab Herbst 2013 war der Kläger nicht mehr als Imam der ...Moschee ... tätig, weil die Gemeinde aus finanziellen Gründen einen ehrenamtlichen Prediger mit der Aufgabe betraut hat. Von Dezember 2013 bis Dezember 2014 hat der Kläger als Imam in der neu gegründeten Moschee in S... gepredigt. Unabhängig davon, ob der Kläger dadurch seinen Aktionsradius ausgeweitet oder nur verlagert hat, bedürfte es auch hier konkreter Tatsachen für verfassungswidrige Aktivitäten des Klägers, die weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind. Deshalb erfüllen weder organisatorische Ratschläge, die der Kläger den Verantwortlichen der Islamischen Zentren in Weiden und Schwandorf erteilt hat, noch dort gehaltene Predigten und Unterrichte oder geleitete Gebete den Tatbestand des § 54 Nr. 5a AufenthG.

Seit dem Umzug nach T... ist der Kläger nicht mehr als Imam tätig und besucht als einfacher Gläubiger ohne besondere Funktion die Moschee in Heilbronn. Zwar ist er nach eigenen Angaben noch alleinvertretungsberechtigter Vorstand der ...-Moschee ..., allerdings beruhe dies darauf, dass sich niemand bereitfinde, diese Funktion zu übernehmen, aus Angst in das Blickfeld des Verfassungsschutzes zu geraten.

bb) Soweit dem Kläger Kontakte zu deutschlandweit agierenden Salafisten vorgeworfen werden, ist auch dies nicht ausreichend, um eine Gefährlichkeit des Klägers zu begründen.

Die ins Feld geführten Vorträge der namhaften Salafisten P... V..., M... G... und A... H... C... in der ...-Moschee fanden Anfang 2011 statt, drei Jahre vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids. Laut Kläger sei es ihm damals vorrangig um die Spendenaufrufe für den Erwerb eines Moschee-Gebäudes gegangen. Dass die genannten Personen in ihren Vorträgen in B... verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt haben, wird nicht vorgetragen.

Bloße Teilnahmen an Veranstaltungen, in denen evtl. andere zu Gewaltanwendung aufrufen (z. B. Anwesenheit des Klägers am 05.12.2014 bei einem Vortrag des salafistischen Predigers A... H...B... in Schwandorf), führen ebenfalls nicht zur Annahme einer Gefährdung (VGH BW vom 27.03.1998 – 13 S 1349/96, juris Rn. 37). Erforderlich ist, dass der Ausländer persönlich eine Gefahr für das jeweilige Schutzgut darstellt.

Die vom Beklagten vorgelegten Screenshots des Facebook-Accounts des Klägers und der ...-Moschee, für den er verantwortlich ist, sind nicht zeitlich einzuordnen, da sie nicht mit einem Datum versehen sind. Laut Aussage der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung wurden sie im März 2015 ausgedruckt. Die Ehefrau des Klägers, die nach eigenen Angaben die Accounts betreut, verweist auf ein Aktivitätenprotokoll, wonach die Facebook-Accounts in den letzten eineinhalb Jahren so gut wie gar nicht mehr benutzt wurden und zuvor hauptsächlich im Rahmen der Spendenwerbung. Dieses Protokoll habe sie zwar gespeichert aber nicht ausgedruckt, so dass sie es dem Gericht gegenwärtig nicht vorlegen könne. Letztlich kann dies dahinstehen, denn auch wenn sich in den Freundschaftslisten unter den rund 420 Kontaktadressen mindestens neun Adressen von Salafistischen Predigern oder Vereinen befinden, wie vom Beklagten vorgetragen, zeigt dies nur, dass der Kläger Kontakte zum salafistischen Spektrum hat, beweist aber nicht, dass er selbst verfassungsfeindliche Meinungen verbreitet. Bloße Kontakte – wann auch immer sie stattfanden – führen ebenso wenig wie bloße Veranstaltungsteilnahmen zur Annahme einer Gefährlichkeit des Klägers selbst.

cc) Der Vorwurf des Beklagten, der Kläger habe junge Salafisten aus Weiden dazu inspiriert, sich am dschihadistischen Kampf in Syrien zu beteiligen, ist weder aus den vorgelegten Unterlagen nachweisbar, noch hat sich dies nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Anhörung des Klägers bewahrheitet.

Der Kläger räumt ein, dass er die Brüder D... aus Weiden schon als Jugendliche von ca. 15 bis 17 Jahren in der B... Moschee kennengelernt hat. Auch als in Weiden ein eigenes Islamisches Zentrum und eine Moschee gegründet wurden, habe er sie bei Besuchen im Kreis der Großfamilie K...dort getroffen. Von der Ausreise der Brüder habe er erst nachträglich erfahren. Als er einmal in Weiden in dem kleinen Islam-Shop gewesen sei, sei ein aufgebrachter Mann auf ihn losgegangen mit den Worten: „Was hast du mit meinen Kindern gemacht?“ Er habe ihm ein Mobiltelefon in die Hand gedrückt mit der Aufforderung, mit seinen Söhnen zu sprechen. Erst am Telefon habe er gemerkt, dass sich der Gesprächspartner nicht in Deutschland befand. Den jungen Mann habe er dann gefragt, wieso er das gemacht und den Willen der Eltern nicht respektiert habe. Konfrontiert mit der polizeilichen Aussage des Vaters D... vom 27.02.2015 (Bl. 757 ff. Beiakte III), wonach der Kläger mit seiner salafistischen Gesinnung die Söhne beeinflusst habe und an deren Ausreise schuld sei, gibt der Kläger an, er könne es sich nur so erklären, dass der Vater einen Schuldigen brauche, um nicht nach seiner eigenen Verantwortung suchen zu müssen. Wenn er vorher um Rat gefragt worden wäre, hätte er versucht, die beiden Brüder von ihrem Vorhaben abzubringen. Die anschauliche und glaubhafte Schilderung des Klägers wird durch den Inhalt der genannten polizeilichen Vernehmung des Vaters D... nicht widerlegt, denn die gibt nur dessen persönliche Meinung wieder, ohne dass konkrete Tatsachen für eine Einflussnahme des Klägers benannt werden. Bestätigt wird dies durch die Aussage des A... K..., Cousin der Brüder D..., in dessen Sicherheitsgespräch vom 20.01.2015. Er berichtet, dass der Vater der Brüder den Kläger und die „Bayreuther“ beschuldige, weil sie so salafistisch seien, und fügt hinzu: „Dabei sind die eher zurückhaltend.“ (Beiakte III, Niederschrift vom 20.01.2015, Seite 19). Der Kläger gibt zu, er kenne sowohl A... K... als auch E... K... von Besuchen in Weiden, habe aber von deren Reisen nach Syrien nichts gewusst. Mit der Zeit sei ihm die Situation in Weiden immer unüberschaubarer geworden, weshalb er sich mehr und mehr zurückgezogen habe.

Was den in Syrien ums Leben gekommenen M... C... betrifft, erklärt der Kläger ebenfalls, dass er ihn gekannt, 2010 sogar getraut, aber erst nachträglich von dessen Ausreise und Tod erfahren habe. Ihm gegenüber habe M... 2010 nur von einem beabsichtigten Studium in Ägypten gesprochen. Davon habe er ihm wegen der damaligen Unruhen abgeraten. C... habe damals in Nürnberg gewohnt. Erst als dessen Vater ihn gebeten habe, mit der trauernden Mutter zu sprechen, habe er erfahren, dass M... in Syrien umgekommen sei. Auch dieser Aussage des Klägers hat die Beklagtenseite nichts Konkretes entgegenzusetzen.

Der Kläger betont ausdrücklich, dass er mehrfach in Predigten und Gesprächen klar gemacht habe, er sei dagegen, nach Syrien zu gehen und zu kämpfen. Deswegen sei er wohl von daran interessierten oder dazu entschlossenen Personen auch nicht mehr angesprochen worden. Wenn in seiner Moschee jemand vorgehabt hätte, nach Syrien zu gehen, hätte er versucht, ihn durch intensive Gespräche davon abzubringen. Wenn dies nichts genutzt hätte, hätte er ihm Hausverbot erteilt, damit nicht andere Moscheemitglieder mit diesen Gedanken infiziert würden und wenn er befürchtet hätte, dass jemand eine Gefahr darstelle, sei es in Deutschland oder im Ausland, hätte er kein Problem damit gehabt, die Polizei einzuschalten.

Nach alledem kann die Kammer nicht erkennen, dass der Kläger durch Verbreitung salafistischen Gedankenguts dazu beigetragen hat, dass junge Muslime radikalisiert und zum Kampf in Syrien animiert wurden. Einer Zeugenvernehmung der Eltern des A... K..., des Vaters der Brüder D... und des E... K... – wie vom Klägervertreter hilfsweise beantragt – bedarf es nicht.

Auch für die Behauptung, in „Bayreuth“ seien Unterstützungsgelder für die Brüder D... gesammelt und weitergeleitet worden, gibt es keinerlei Nachweis, schon gar nicht, dass dies mit Wissen und Wollen des Klägers geschehen ist.

dd) Der Kläger hat sowohl bei den Sicherheitsgesprächen als auch vor Gericht betont, dass er die deutschen Gesetze und die staatliche Ordnung respektiere und dies auch anderen vermittele.

So bekennt er sich klar zur Scharia, erklärt aber gleichzeitig, dass man das annehmen müsse, was in dem jeweiligen Land vorgegeben sei. Er wisse die Demokratie hier zu schätzen. Dass müsse und könne man nicht ändern. Leuten, die heiraten wollten, rate er zunächst zur standesamtlichen Trauung. Auch Strafen seien etwas Staatliches; dafür brauche man Gerichte. Deshalb praktiziere er die Scharia nur, soweit sie deutschen Gesetzen nicht widerspreche. Leuten, die etwas Anderes forderten, würde er seine Überzeugung klar zu machen versuchen. Wenn jemand etwas Terroristisches vorhätte, würde er das melden. Gewalt lehne er ab (NS vom 07.08.2012, S. 7/8).

In seiner Betätigung als „Wali“, als „Schutzherr“ für zum Islam konvertierte Frauen sieht der Kläger sich als Ratgeber für die Befolgung der Regeln des Islam. Er betont, dass er damit nicht das Gesetz ersetzen wolle, aber die Leute wollten ihre privaten Probleme nicht sofort den Gerichten vortragen. Ein Streben nach einem parallelen Rechtssystem kann dem Kläger damit nicht unterstellt werden.

Es liegen auch keine Tatsachen oder Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der Kläger die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder den Gleichbehandlungsgrundsatz öffentlich missachtet. Es ist im Gegenteil bemerkenswert, dass der Kläger kein Problem damit hat, dass seine Ehefrau, die ein Masterstudium absolviert hat, nun an ihrer Promotion arbeitet. Sein Sohn besuchte in B... einen evangelischen und besucht nun in T... einen städtischen Kindergarten. Zum Bekanntenkreis seiner Familie gehören auch Nicht-Muslime. Wenn die Notwendigkeit gegeben sei, habe er gegen die medizinische Behandlung seiner Frau durch einen männlichen Arzt nichts einzuwenden. In Heilbronn strebe er die Ausbildung zum Heilpraktiker an, sobald das streitgegenständliche Verfahren abgeschlossen sei. Als Heilpraktiker würde er auch Nicht-Muslime und – falls notwendig – auch Frauen behandeln.

Selbst wenn man in Betracht zieht, dass sich der Kläger in einem Verfahren, das sein Bleiberecht in Deutschland zum Gegenstand hat, mit der gebotenen Vorsicht äußern wird, kann ihm kein rein taktisches Verhalten unterstellt werden, solange keine gegenteiligen Tatsachen vorgelegt werden können.

Damit ist nach den gegenwärtigen Erkenntnissen nicht ersichtlich, dass eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung von dem Kläger ausgeht. Seine vormalige Tätigkeit als Prediger und Missionierender in B... und in verschiedenen Städten der Oberpfalz hielt sich im Rahmen seiner Grundrechte aus Art. 2 und 4 GG. Welche religiösen Aktivitäten er künftig entfalten wird, wird sich erweisen. Prognostisch ist aber nicht zu erwarten, dass er verfassungswidrige Inhalte propagieren wird.

Da somit der Tatbestand des § 54 Nr. 5a AufenthG nicht erfüllt ist, ist die Ausweisung rechtswidrig; die Nrn. 1 und 4 (Befristung der Wirkungen der Ausweisung) sind aufzuheben.

c. Schließlich hat die Klage auch hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis Erfolg. Die Ablehnung ist tragend auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gestützt. Da ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5a AufenthG nach den vorstehenden Ausführungen nicht vorliegt (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG), sind anderweitige zwingende Ablehnungsgründe nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Kläger einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG als personensorgeberechtigter Elternteil seiner beiden minderjährigen deutschen Kinder. Für diese Aufenthaltserlaubnis ist es abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unschädlich, dass der Kläger derzeit öffentliche Leistungen bezieht (§ 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bleibt der Beklagte trotz Wohnsitzverlagerung des Klägers nach Baden-Württemberg zuständig (siehe oben a.).

d. Mit der Aufhebung der Ausweisungsentscheidung sind auch die Überwachungsmaßnahmen nach § 54a Abs. 1 AufenthG (Nrn. 5 bis 13 des Bescheids) hinfällig und aufzuheben.

e. Da der Beklagte verpflichtet wurde, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, liegt keine Ausreisepflicht des Klägers vor; die Abschiebungsandrohung (Nr. 3 des Bescheids) ist rechtswidrig.

Somit ist der Klage in vollem Umfang statt zu geben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.