Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.07.2015 - 2 ZB 14.30473
Fundstelle
openJur 2015, 13300
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nrn. 1 und 3 AsylVfG) nicht vorliegen.

1. Der Tatbestand der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nichtrevisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. Bergmann in Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 78 AsylVfG Rn. 11 ff.). Gemessen daran haben die Kläger keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert.

a) Die Kläger halten es für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob das Verwaltungsgericht bei konkreten Anhaltspunkten für eine im Inland überprüfbare Unrichtigkeit eines im Asylverfahren vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefertigten Anhörungsprotokolls im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet ist, die vorgetragene Unrichtigkeit zu überprüfen, oder ob das Verwaltungsgericht auch in diesem Fall ohne weitere Überprüfung von einer zutreffenden Wiedergabe des Inhalts der Anhörung in dem gefertigten Protokoll ausgehen kann.

Die so formulierte Frage ist eine Frage des Einzelfalls und somit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Das Erstgericht hat sich damit ausführlich befasst. Insbesondere haben die Kläger am Ende ihrer Anhörungen beim Bundesamt vom 25. Oktober 2012 ausdrücklich bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe und ihnen ihre Angaben rückübersetzt worden seien. Es wäre an den Klägern gewesen, im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt eventuelle Unstimmigkeiten aufzuklären. Insofern ist die Einschätzung des Erstgerichts (UA S. 8 f.) nicht zu beanstanden.

b) Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob das Verwaltungsgericht einen Beweisantrag, der gerade dazu dient, die Glaubhaftigkeit eines klägerischen Vortrags zu belegen, der in Widerspruch zu den im asylrechtlichen Anhörungsprotokoll enthaltenen Aussagen steht, zulässigerweise gerade mit der Begründung ablehnen kann, dass das Vorbringen des betreffenden Klägers widersprüchlich sei.

Der aufgeworfenen Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Beweisantrag mangels Entscheidungsrelevanz abgelehnt werden kann, wenn die Schilderung des Verfolgungsschicksals durch den Kläger in wesentlichen Punkten ersichtlich unzutreffend ist oder an unlösbaren Widersprüchen leidet (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89NVwZ-RR 1990, 379). Ob diese Voraussetzungen vorliegen ist eine Frage des Einzelfalls und nicht verallgemeinerungsfähig.

c) Die Kläger halten es für eine grundsätzliche Frage,

ob aserbaidschanischen Staatsangehörigen, die vom Ausland aus längere Zeit und in erheblichem Umfang regierungskritische Blogs bzw. Facebook-Seiten betreiben, bei einer erzwungenen Rückkehr nach Aserbaidschan eine asylrechtlich relevante Verfolgungsgefahr droht.

Auch diese Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts könnten regimekritische Journalisten unter gewissen Umständen ins Verfolgungsvisier der aserbaidschanischen Staatsorgane geraten. Ob den aserbaidschanischen Staatsangehörigen wegen des in der Frage formulierten Umstands bei einer Rückkehr eine solche Gefahr droht, ist eine Frage des Einzelfalls.

2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.

a) Die Kläger sehen einen Verfahrensmangel darin, dass das Verwaltungsgericht in seinem angegriffenen Urteil Angaben zur vom Kläger betriebenen Facebook-Seite zugrunde lege, die zu keinem Zeitpunkt ins Verfahren eingeführt worden seien, und zu denen dem Kläger auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei. Es erkläre auf S. 18 oben, die vom Kläger betriebene oppositionelle Facebook-Seite habe bis zum 24. Oktober 2014 ausschließlich aus geteilten Beiträgen ohne eigene Kommentierung bestanden und an diesem Tag auch nur 26 „gefällt mir“-Angaben aufgewiesen. Weiter sei auch der Name des Klägers auf der Seite nicht genannt worden.

Eine das Recht auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10NVwZ 2011, 372 Rn. 4). Aus dem Grundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich aber keine allgemeine Hinweispflicht auf die beabsichtigte Beweiswürdigung und Entscheidung (BVerfG, B.v. 15.5.1984 –1 BvR 967/83BVerfGE 67, 90/95). Ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (BVerfG, B.v. 29.5.1991 –1 BvR 1383/90BVerfGE 84, 188/190). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn das Gericht die Annahme der Unstimmigkeit der Verfolgungsgeschichte, etwa wegen Widersprüchlichkeit bzw. Steigerung des Vorbringens, auf einen im Verfahren nicht erörterten sachlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Verfahren eine Wendung gegeben hat, mit der der Kläger unter den gegebenen Umständen nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, B.v. 28.12.1999 – 9 B 467.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).

Richtig ist, dass das Erstgericht seine Begründung, das Betreiben der Facebook-Seite habe bis zum 24. Oktober 2014 ausschließlich aus geteilten Beiträgen ohne eigene Kommentierung bestanden und an diesem Tag nur 26 „gefällt mir“-Angaben aufgewiesen, nicht in das Verfahren eingeführt hat. Auch erscheint es nicht sinnvoll, dass ein Richter selbst auf Facebook-Seiten recherchiert, die angeblich von ausländischen Sicherheitsbehörden überwacht werden. Jedoch hat das Verwaltungsgericht damit dem Verfahren nicht eine Wendung gegeben, mit der die Kläger unter den gegebenen Umständen nicht zurechnen brauchten. Mit Schriftsatz vom 30. September 2014 haben die Kläger dargelegt, dass der Kläger seit Mai des Jahres 2014 erneut auch von Deutschland aus oppositionell-publizistisch tätig sei. Er betreibe insoweit die Facebook-Seite „Aserbaidschan ohne Diktatur“ unter einer Internetadresse. Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2014 wiesen sie darauf hin, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ habe bestätigt, dass der Kläger insbesondere auch im Hinblick auf die Fortsetzung seiner oppositionellen journalistischen Arbeit über Facebook bei einer erzwungenen Rückkehr nach Aserbaidschan weitere Repressalien von Seiten des aserbaidschanischen Staates befürchten müsste. Beigelegt wurde eine Stellungnahme der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ vom 9. Oktober 2014, der zufolge zu befürchten sei, dass der Kläger wegen seiner journalistischen Arbeit und der Veröffentlichung regierungskritischer Beiträge auf seiner Facebook-Seite im Fall einer Rückkehr weiteren Repressalien von Seiten der aserbaidschanischen Sicherheitsorgane ausgesetzt wäre. Beigefügt waren dem Schriftsatz weiter zwei Ausdrucke. Der erste, „..., .../...“ umfasste 34 Seiten, der zweite, derselben Facebook-Seite, umfasste 18 Seiten. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 27. Oktober 2014 wurden die Facebook-Aktivitäten des Klägers thematisiert (Niederschrift vom 27.10.2014 S. 10 f.). Vor diesem Hintergrund mussten die Kläger damit rechnen, dass das Gericht sein Urteil auch auf die von den Klägern kritisierten Informationen stützt. Damit wird dem Prozess keine Wendung gegeben, mit der die Kläger nicht zu rechnen brauchten.

Im Übrigen muss dem geltend gemachten Verfahrensfehler nicht weiter nachgegangen werden, weil die angefochtene Entscheidung jedenfalls nicht auf ihm beruhen kann. Das Urteil enthält diesbezüglich eine Haupt- und eine Hilfsbegründung, von denen nur die Hilfsbegründung mit der Verfahrensrüge angegriffen wurde (vgl. zur nicht gerügten Mehrfachbegründung Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 124 Rn. 100). Das Erstgericht leitet die von den Klägern thematisierte Begründung mit den Worten „unabhängig davon“ ein. Ist eine zweite Begründung zwar entscheidungstragend, beruht das Urteil aber auf einer weiteren selbstständig tragenden, nicht gerügten Begründung, scheidet eine Zulassung der Berufung aus. So verhält es sich hier. Denn das Verwaltungsgericht setzt sich in seiner Hauptbegründung damit auseinander, wieso es keine stichhaltigen Anhaltspunkte für einen Nachfluchttatbestand im Sinn von § 28 AsylVfG erkennt (UA S. 17 unten). Diese Begründung wird von den Klägern nicht angegriffen.

Zudem enthält die Entscheidung hinsichtlich der Frage des Nachfluchttatbestands im Sinn von § 28 AsylVfG auch noch die weitere Begründung, es sei nicht ersichtlich, wie die aserbaidschanischen Behörden auf die Urheberschaft gerade des Klägers für die Inhalte dieser Facebook-Seite schließen sollten. Ein Name werde auf der Seite nicht genannt. Einziges Indiz könne allenfalls die URL der Facebook-Seite sein, welche den Bestandteil „...“ enthalte. Wie allerdings die aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden dieses Kürzel spezifisch gerade der Person des Klägers zurechnen können sollten, bleibe unerfindlich. Auch diese Alternativbegründung wird von den Klägern nicht angegriffen.

b) Die Kläger rügen, dass das Erstgericht einen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt habe. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag der Kläger,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger zu 1 am 8. Dezember 2011 in Shirvan verhaftet und mehrere Stunden auf der Polizeistation in der Ismayilovstraße 1 festgehalten und misshandelt wurde, wird die Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts beantragt,“

abgelehnt. Das Vorbringen der Kläger ist dem Erstgericht zufolge unsubstantiiert und teilweise widersprüchlich. Die Aufklärungspflicht des Gerichts finde ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen der Kläger keinen tatsächlichen Anlass zur weiteren Sachverhaltsaufklärung biete. Die Gründe für eine Verfolgung seien nicht in schlüssiger Form vorgetragen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2004 (Kammer) – 2 BvR 779/04EuGRZ 2004, 656). Damit soll sichergestellt werden, dass die Gerichtsentscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in einer unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Verfahrensbeteiligten haben (vgl. BVerfG, B.v. 27.2.1980 - 1 BvR 277/78 - BVerfGE 53, 219/222). Die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, besteht allerdings nicht, soweit das Vorbringen aus Gründen des formellen und materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66BVerfGE 22, 267/273; BayVerfGH, E.v. 30.3.1995 – Vf. 40-VI-94BayVBl 1996, 121). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt auch nicht vor jeder aus Sicht eines Beteiligten sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrags (vgl. BVerwG, B.v. 7.10.1987 – 9 BvR 639/87 - NJW 1988, 722). Holt das Gericht einen beantragten Beweis nicht ein, so liegt hierin grundsätzlich nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die Ablehnung aus Gründen erfolgt, die im Prozessrecht keine Stütze finden, wenn also ein Beweisantrag aus den angegebenen Gründen schlechthin nicht abgelehnt werden darf. Eine tragfähige Stütze im Prozessrecht findet die Ablehnung eines Beweisantrags im Verwaltungsprozess regelmäßig dann, wenn der Beweisantrag entweder unzulässig ist oder die Gründe, auf die sich das Verwaltungsgericht im Beschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO stützt, nach einfachem Verfahrensrecht die Zurückweisung des Beweisantrags rechtfertigen. Allerdings gelten im Asylrechtsstreit wegen der Verfahrensabhängigkeit des Asylgrundrechts (Art. 16a GG) erhöhte Anforderungen, was im Einzelfall zu einer Einschränkung des durch gesetzliche Vorschriften über die Behandlung von Beweisanträgen eingeräumten richterlichen Ermessens führen kann (vgl. BVerfG, B.v. 22.1.1999 (Kammer) – 2 BvR 86/97 – juris).

Gemessen daran liegt der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht vor. Denn die Begründung der Ablehnung des Beweisantrags ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ablehnung des Beweisantrags findet im Prozessrecht eine Stütze. Eine Beweiserhebung kann wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt werden. Ein Sonderfall einer Ablehnung eines an sich beachtlichen und für sich genommen substantiierten Beweisantrags mangels Entscheidungsrelevanz liegt vor, wenn die Schilderung des Verfolgungsschicksals durch die Kläger in wesentlichen Punkten ersichtlich unzutreffend ist oder an unlösbaren Widersprüchen leidet (vgl. BVerwG, B. v. 26.10.1989 a.a.O.). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Erstgericht im Einzelnen darlegt (UA S. 14 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).