OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2011 - 12 W 456/11
Fundstelle
openJur 2011, 13784
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 OH 10088/10

1. Ein rechtliches Interesse als Voraussetzung der Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens (§ 485 Abs. 2 ZPO) besteht nicht, wenn klar auf der Hand liegt, dass der Anspruch, dessen der Antragsteller sich berühmt, nicht bestehen kann. In einem derartigen Fall steht fest, dass das Ergebnis des Beweisverfahrens in einem sich etwa anschließenden Prozess keine Bedeutung hat und damit die Beweiserhebung unnütz wäre.

2. § 839a BGB statuiert eine Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für Schäden, die einem Verfahrensbeteiligten auf Grundlage eines unrichtigen Gutachtens des Sachverständigen durch eine gerichtliche Entscheidung entstehen. Eine solche gerichtliche Entscheidung liegt nicht vor, wenn die Parteien unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens des Sachverständigen das gerichtliche Verfahren durch Prozessvergleich beenden. Die Motivation für den Vergleichsschluss spielt insoweit keine Rolle.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 03.02.2011 (Az. 1 OH 10088/10) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat im selbständigen Beweisverfahren die Beweiserhebung über Schäden eines Motorrads sowie deren Unfallbedingtheit beantragt.

Die Antragstellerin hatte dieses Motorrad 2006 an O. K. veräußert, dieser wiederum hat es 2007 an B. W. weiterverkauft. In einem Rechtsstreit zwischen diesen Personen wurde - nach vorausgegangenem selbständigen Beweisverfahren (Amtsgericht Erlangen 6 H 39/07), in welchem der Antragsgegner, ein Kfz-Sachverständiger, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden war (Anlage A2) sowie nach Erstattung dieses Gutachtens (Anlage A3) - der Verkäufer O. K. zur Rückabwicklung des 2007 mit B. W. geschlossenen Kaufvertrages verurteilt (Landgericht Nürnberg-Fürth, 1 O 8155/08 - Anlage A4 - sowie Oberlandesgericht Nürnberg, 5 U 620/09 - Anlage A5). In diesen Gerichtsverfahren hatte O. K. der Antragstellerin den Streit verkündet; diese war auf seiner Seite dem Rechtsstreit beigetreten.

Nach Rückabwicklung des Kaufvertrags zwischen B. W. und O. K. verklagte Letzterer die Antragstellerin auf Rückabwicklung des 2006 geschlossenen Kaufvertrags (Landgericht Bückeburg, 2 O 138/09 - Anlage A6 - sowie Oberlandesgericht Celle, 7 U 55/10). Dieses Verfahren endete mit Vergleich, durch den sich die Antragstellerin - dortige Beklagte - zur Rückzahlung des an O. K. gezahlten Kaufpreises und zur Rücknahme des Motorrads verpflichtete (Anlage A7).

Die Antragstellerin beabsichtigt, den Antragsgegner auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, da dieser ein falsches Gutachten erstattet habe. Im Vorgriff hierauf hat sie unter dem 10.12.2010 den Antrag gestellt, im selbständigen Beweisverfahren über das (Nicht)Vorliegen von Schäden des Motorrads sowie deren Unfallbedingtheit Beweis zu erheben.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Beschluss vom 03.02.2011 (Az. 1 OH 10088/10) den Antrag mangels rechtlichen Interesses hieran zurückgewiesen, da ein Schadensersatzanspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner nach § 839a BGB bereits aus Rechtsgründen nicht in Betracht komme.

Gegen diesen, ihr am 10.02.2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.02.2011 per Telefax und am 28.02.2011 im Original eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das Landgericht mit Beschluss vom 01.03.2011 nicht abgeholfen hat.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die beantragte Beweiserhebung zu Recht abgelehnt.

1. Das rechtliche Interesse als Voraussetzung der Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens (§ 485 Abs. 2 ZPO) ist zwar weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. An einem rechtlichen Interesse fehlt es allerdings jedenfalls dann, wenn klar auf der Hand liegt, dass der Anspruch, dessen der Antragsteller sich berühmt, nicht bestehen kann. In einem derartigen Fall steht fest, dass das Ergebnis des Beweisverfahrens in einem sich etwa anschließenden Prozess keine Bedeutung hat und damit die Beweiserhebung unnütz wäre (BGH, Beschluss vom 26.10.2009 - VI ZB 53/08, MDR 2010, 39; Beschluss vom 28.07.2006 - III ZB 14/06, MDR 2007, 290; Beschluss vom 16.09.2004 - III ZB 33/04, NJW 2004, 3488).

2. Ein derartiges rechtliches Interesse leitet die Antragstellerin hier aus der von ihr behaupteten groben Fehlerhaftigkeit des im selbständigen Beweisverfahren Amtsgericht Erlangen 6 H 39/07 eingeholten, ihr ungünstigen Sachverständigengutachtens her. Die Begutachtung in einem erneuten selbständigen Beweisverfahren soll daher der Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Antragsgegner als seinerzeitigen Sachverständigen nach § 839a BGB dienen.

a) Aufgrund dieser Bestimmung ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger, der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch die gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. § 839a BGB erfordert somit einen zweiaktigen Geschehensablauf, nämlich zum einen ein unrichtiges Gutachten, das Eingang in eine unrichtige gerichtliche Entscheidung gefunden hat, zum anderen diese unrichtige gerichtliche Entscheidung, die ihrerseits den Schaden herbeiführt (BGH, Beschluss vom 28.07.2006 - III ZB 14/06, MDR 2007, 290; Urteil vom 09.03.2006 - III ZR 143/05, BGHZ 166, 313).

b) Soweit die Beschwerde thematisiert, die Antragstellerin sei - im Hinblick auf die im Vorprozess ihr gegenüber erfolgte Streitverkündung und ihren daraufhin erfolgten Streitbeitritt - als „Verfahrensbeteiligte“ im Sinne des § 839a BGB anzusehen, kann dies dahinstehen.

c) Jedenfalls ist der von der Antragstellerin behauptete Schaden (die Verpflichtung der Antragstellerin zur Rückzahlung des an O. K. gezahlten Kaufpreises und zur Rücknahme des Motorrads) nicht durch eine unrichtige gerichtliche Entscheidung herbeigeführt worden, sondern durch den von der Antragstellerin mit ihrem damaligen Prozessgegner O. K. vor dem Oberlandesgericht Celle geschlossenen Prozessvergleich (Anlage A7).

Ein derartiger Vergleich stellt, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, keine -gerichtliche Entscheidung- im Sinne des § 839a BGB dar. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig ergibt (Bundestags-Drucksache 14/7752, Seite 28), sollten nach dem Willen des Gesetzgebers von der Ersatzpflicht des § 839a BGB Fälle anderweitiger, nicht durch gerichtliche Entscheidung erfolgter Erledigung ausgeschlossen sein, namentlich die Fallkonstellation, „dass sich die Parteien unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens vergleichen“. Dazu wird ausgeführt, im Falle eines solchen Vergleichs „wäre der Nachweis, dass dieses Gutachten auf die Motivation der Parteien eingewirkt hat, nur schwer zu erbringen“ (Bundestags-Drucksache 14/7752, Seite 28). In diesem Fall nehmen die betroffenen Parteien von ihrem bisherigen Rechtsschutzbegehren Abstand und verzichten auf eine streitige Gerichtsentscheidung. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, einen derartigen Vergleich als gerichtliche Streitentscheidung zu betrachten (BGH, Urteil vom 09.03.2006 - III ZR 143/05, BGHZ 166, 313; Wagner in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. § 839a Rn. 20 m.w.N.; Palandt/Sprau, BGB 70. Aufl. § 839a Rn. 4; Staudinger/Wurm, BGB Neubearb. 2007 § 839a Rn. 19; Wagner, NJW 2002, 2049, 2062f.).

Keine Rolle spielt insoweit, aus welchen Motiven es zum Vergleichsschluss gekommen ist. Selbst wenn, wie die Beschwerde vorträgt, das Oberlandesgericht Celle infolge der Bindungswirkung der gegenüber der Antragstellerin erfolgten Streitverkündung (§§ 74 Abs. 3, 68 ZPO) von einer Haftung der Antragstellerin als seinerzeitiger Beklagter ausgegangen wäre und eine entsprechende Rechtsauffassung geäußert hätte, würde dies keine andere Beurteilung rechtfertigen. Zudem ist die Motivation der Prozessparteien für den Vergleichsschluss wie auch die Ursächlichkeit des Gutachtens hierfür regelmäßig nur schwer nachzuweisen. Auf die diesbezüglichen, vom Senat geteilten Ausführungen des Landgerichts wird verwiesen.

In Anbetracht des ausdrücklichen Willens des Gesetzgebers (siehe oben) ist auch eine analoge Anwendung des § 839a BGB ausgeschlossen (Wagner in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. § 839a Rn. 20 m.w.N.). Da der Gesetzgeber nicht nur den Prozessvergleich bewusst aus § 839a ausgeklammert hat, sondern darüber hinaus die Sachverständigenhaftung in § 839a BGB im Anschluss an die Amtshaftung einer abschließenden Sonderregelung zuführen wollte (vgl. Bundestags-Drucksache 14/7752, Seite 28), kommt auch ein Rückgriff auf allgemeine Haftungstatbestände des Deliktsrechts nicht in Betracht; § 839a BGB stellt eine abschließende Sonderregelung der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen dar.

Für eine Haftung des gerichtlichen Sachverständigen im Falle eines - unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens des Sachverständigen geschlossenen - Prozessvergleichs bestünde zudem kein Anlass, da ein solcher Vergleich anders als die meisten Gerichtsentscheidungen nicht in Rechtskraft erwächst, sondern gemäß § 779 Abs. 1 BGB und darüber hinaus nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) beseitigt oder modifiziert werden kann, wenn sich herausstellt, dass die Parteien bei Vergleichsschluss von falschen Annahmen ausgegangen sind. Soweit sich nach diesen Regeln die Durchführung des Vergleichs vermeiden bzw. seine Rückabwicklung gewährleisten lässt, besteht kein Anlass, den Sachverständigen in die Haftung zu nehmen und den Parteien damit de facto dasjenige zu garantieren, was sie voneinander beanspruchen könnten, wenn das Gutachten richtig gewesen wäre (vgl. Wagner in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. § 839a Rn. 20 m.w.N.; Wagner, NJW 2002, 2049, 2062f.).

3. Da somit eindeutig feststeht, dass die von der Antragstellerin behaupteten Schadensersatzansprüche gegen den Antragsgegner (wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 839a BGB, der als einzige Anspruchsgrundlage in Betracht kommt) nicht gegeben sind, fehlt es für ein der Vorbereitung der gerichtlichen Geltendmachung dieser Ansprüche dienendes selbständiges Beweisverfahren am rechtlichen Interesse.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, so dass die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen war.