LG Aachen, Urteil vom 06.06.2014 - 9 O 77/14
Fundstelle
openJur 2015, 17062
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten u.a. Erstattung von Versicherungsprämien.

Die Parteien waren verbunden durch eine fondsgebundene Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Den Vertrag mit der Nummer XXXXXXXX schlossen die Parteien aufgrund des Antrags des Klägers vom 13.08.1999 mit Wirkung zum 01.08.1999. Vertragsablauf sollte der 31.07.2029 sein. Der Versicherungsschein trägt das Datum des 31.08.1999. Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger bereits mit dem Antragsformular die Versicherungsbedingungen und Produktinformationen ausgehändigt worden waren.

Am Ende des dreiseitigen Antragsformulars findet sich unmittelbar über der Unterschrift der Versicherungsnehmerin ein Kasten, der Formulartext enthält. Überschrieben ist dieser Textteil mit den Worten "Wichtige Hinweise ", die Fettdruck ausgeführt sind. Der zweite, von einem Rahmen umgebene Absatz des Formulartextes lautet:

"Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten bzw. ihm widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung bzw. des Widerspruch (§ 6 AVB)."

§ 6 der AVB enthält folgenden Text:

"§ 6 Können Sie vom Versicherungsvertrag zurücktreten oder ihm widersprechen?

(1) Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach dem Empfang des Versicherungsscheins uns gegenüber von diesem Vertrag schriftlich zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. In jedem Fall erlischt Ihr Rücktrittsrecht einen Monat nach Zahlung des ersten Beitrags. Sofern Sie allerdings bei der Antragstellung die im folgenden Absatz genannten Versicherungsunterlagen nicht vollständig erhalten haben, steht Ihnen anstelle des Rücktrittsrechts das nachfolgende Widerspruchsrecht zu.

(2) Haben wir Ihnen bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) unterlassen, so können Sie dem Vertrag uns gegenüber schriftlich widersprechen. Die Frist zur Ausübung Ihres Widerspruchsrechts beträgt 14 Tage und beginnt erst mit dem Zeitpunkt, zu dem Sie von uns Ihren Versicherungsschein und die genannten Unterlagen vollständig erhalten haben. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. In jedem Fall erlischt das Recht zum Widerspruch ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags.

..."

Das Schreiben der Beklagten vom 31.08.1999, mit dem dem Kläger der Versicherungsschein übersandt wurde, enthält auf der zweiten Seite folgenden Text:

"Widerspruchsrecht

Wie Ihnen bereits aufgrund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruch."

Der Beitrag zur Versicherung betrug monatlich 150,00 DM. Die Versicherungssumme war mit 52.035 DM vereinbart.

Nach Aufnahme der Beitragszahlung widersprach der Kläger den von der Beklagten angebotenen Dynamiknachträgen aus den Jahren 2000, 2001, 2003, 2004, 2006 und 2009.

Mit Anwaltsschreiben vom 15.02.2010 ließ der Kläger das Widerspruchsrecht ausüben und hilfsweise die Kündigung des Vertrages erklären. Die Beklagte akzeptierte die Kündigung und zahlte an den Kläger 8.642,01 € aus. Hierbei handelte es sich um den Rückkaufswert nebst Überschussbeteiligung und Anteil an den Bewertungsreserven unter Abzug der Kapitalertragsteuer.

Mit Schreiben vom 18.07.2011 übten die Prozessbevollmächtigten des Klägers das Widerspruchsrecht erneut aus und forderten nunmehr u.a. die verzinsliche Rückzahlung aller vom Kläger gezahlten Prämien.

Der Kläger ist der Ansicht, das Widerspruchsrecht sei nicht verfristet. Die Widerspruchsfrist sei mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht in Gang gesetzt worden. Die erteilten Belehrungen seien irreführen. § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F., demzufolge das Widerspruchsrecht selbst bei gänzlich fehlender Belehrung einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlösche, sei europarechtswidrig. Der Kläger weist insofern darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof dies in dem durch den Bundesgerichtshof angestoßenen Vorlageverfahren C-209/12 durch das vom 19.12.2013 nunmehr festgestellt habe.

Der Kläger stützt sein Klagebegehren auch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Information über das Widerspruchsrecht.

Der Kläger erstrebt die Rückzahlung sämtlicher Prämien nebst einer effektiven Verzinsung von 6,9997%. Sie berechnet ihre Forderung wie folgt:

Summe der eingezahlten Beiträge

10.835,45 €

Rückkaufswert

8.642,01 €

Differenz

2.193,44 €

Zinsen/Nutzung auf alle Prämien

5.773,59 €

Klageforderung

7.967,02 €

Der Kläger rügt außerdem eine fehlerhafte Berechnung des Rückkaufswertes. Zur Durchführung der ihrer Ansicht nach richtigen Berechnung und Auszahlung des zutreffenden Betrages verlangt er im Wege der Stufenklage Auskunft über diverse Berechnungsparameter.

Der Kläger, der im Mahnbescheid Abgabe des Rechtsstreits an das Landgericht Aachen beantragt hatte, verlangt nach Durchführung des Mahnverfahrens Abgabe des Rechtsstreits an das Landgericht Dresden und beantragt

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.967,02 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.03.2014 (Rechtshängigkeit) zu zahlen

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 808,24 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.01.2014 (Rechtshängigkeit) zu zahlen,

hilfsweise

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen

a) über das zum Zeitpunkt der Kündigung am 15.02.2010 vorhandene Deckungskapital/fondsvermögen ohne Verrechnung von Abschlusskosten

b) über die Höhe der abgezogenen Stornokosten;

4. die Beklagte zu verurteilen, die von ihr erteilten Auskünfte durch die Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen und gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides statt zu versichern;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihm einen weitergehenden Rückkaufswert in einer nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2010 zu zahlen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum Hauptantrag vertritt die Beklagte die Ansicht, der Kläger habe das Widerspruchsrecht verspätet ausgeübt. Sie beruft sich insofern auch auf Verwirkung. Zu der hilfsweise erhobenen Stufenklage beruft sich die Beklagte angesichts der Auszahlung des Rückkaufswert im Jahr 2010 auf Verjährung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Parteivorbringens zur Tatsachen- und Rechtslage wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Aachen ist örtlich zuständig. Der Kläger hat mit der Optierung im Mahnbescheid für das Landgericht Aachen ihr Wahlrecht nach § 35 ZPO ausgeübt.

II.

Die Klage ist aber nicht begründet.

A Zum Hauptantrag

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf verzinste Prämienrückerstattung gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., 818 Abs. 1 BGB.

a) Angesichts der Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.12.2013 zu § 5 a VVG (C 209/12) ausgesprochen hat, dass europäisches Richtlinienrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Rücktrittsrecht (Widerspruchsrecht) spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer (überhaupt) nicht über das Recht zum Rücktritt (Widerspruch) belehrt worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass der Ausübung des Widerspruchsrecht durch den Kläger jedenfalls nicht die Verfristungsregelung des § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. entgegensteht.

b) Jedenfalls ist die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Kläger unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) treuwidrig und daher unwirksam.

Das Widerspruchsrecht des Klägers war jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Ausübung verwirkt. Verwirkung der Ausübung eines Rechts tritt ein, wenn der Berechtigte es über einen längeren Zeitraum hindurch nicht geltend gemacht hat (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich hierauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, weil er nach dem Verhalten des Berechtigten annehmen konnte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde (sog. Umstandsmoment) (vgl. BGHZ 84, 280, 281, Grünberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Auflage , § 242 Rn. 87). Die Rechtsfolge der Verwirkung, die Hinderung des Gläubigers, ein Recht auszuüben, rechtfertigt sich aus dem begründeten Vertrauen des Schuldners, er werde vom Gläubiger nicht mehr in Anspruch genommen. Ein solcher Vertrauenstatbestand zu Gunsten des Beklagten ist hier begründet worden.

Die zeitliche Komponente des Verwirkungstatbestandes ist erfüllt. Der Kläger hat dem im August 1999 geschlossenen erstmals mit Schreiben im Februar 2010 und damit mehr als 9 Jahre nach der Vertragsbegründung widersprochen.

Auch die Umstände der Vertragshandhabung rechtfertigen die Annahme einer Verwirkung des Widerspruchsrechts. Der Kläger hat durch seine konsequente Ausgestaltung des Versicherungsvertrages dessen Bestand bestätigt. Dies kommt in der ständigen Anpassung der Prämienzahlungspflicht an die eigene wirtschaftliche Situation zum Ausdruck. So hat der Kläger im Bewusstsein der Vertragswirksamkeit der bedingungsgemäßen Dynamikanpassung mehrfach, aber nicht durchgehend widersprochen und so zum Ausdruck, dass er den Vertrag als lebendigen Bestandteil seiner Vermögensplanung behandelt weiß wollte.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, er habe mangels hinreichender Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht in zumutbarer Weise von der Möglichkeit, ein solches Gestaltungsrecht ausüben, Kenntnis nehmen können. Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass der Kläger jedenfalls im Antragsformular und in den AVB über das versicherungsvertragliche Widerspruchsrecht belehrt worden ist, wenn auch diese Belehrung inhaltlich prägnanter hätte ausfallen können. Bei nur halbwegs sorgfältiger Lektüre war bereits die im Antragsformular besonders aufgezeigte Belehrungspassage schon aufgrund des "Fettdrucks" besonders gut erkennbar und nicht zu übersehen. Darüber hinaus ist der Kläger auch in den Versicherungsbedingungen und im Policenbegleitschreiben auf die Existenz eines Widerspruchsrecht aufmerksam gemacht worden. Im Übrigen setzt die Rechtswirkung der Verwirkung nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht voraus, dass der vom Schuldner in Anspruch genommene Vertrauenstatbestand vom Gläubiger schuldhaft, das heißt in einer im vorwerfbaren Weise gesetzt worden ist. Ausreichend ist, dass der Gläubiger das beim Schuldner entstandener Vertrauen durch sein Verhalten veranlasst hat, der Schuldner also gerade aufgrund des Verhaltens des Gläubigers annehmen durfte, dieser werde von einem ihm zu Gebote stehenden Recht keinen Gebrauch mehr machen. Das war hier der Fall. Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger hinreichend Gelegenheit hatte, die Existenz eines Widerspruchsrechts zu Kenntnis zu nehmen und bei Zweifeln am Inhalt oder an der Ausübung bei der Beklagten Nachfrage zu halten.

2. Ein Anspruch des Klägers auf Prämienrückzahlung ergibt sich auch nicht als Schadensersatzforderung gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB. Qualifiziert man die Ausübung des Widerrufsrechts ungeachtet einer möglicherweise unzureichenden Belehrung über Art und Weise der Ausübung aus den oben genannten Gründen als Verstoß gegen Treu und Glauben, so kann eine fehlerhafte Belehrung auch nicht Grundlage eines auf die verzinste Rückzahlung des Prämienkapitals gerichteten Schadensersatzbegehrens sein. Im Übrigen ist ein Schadensersatzanspruch nach Ablauf der 10-jährigen Frist gemäß Art 229 § 6 Abs. 4 EGBGB, 199 Abs. 4 BGB verjährt.

3. Mangels Hauptanspruchs steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung weiterer Zinsen als Nebenforderung der Ansprüche auf Prämienrückforderung zu.

4. Mangels vorgerichtlich zu Recht geltend gemachten Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

B Zum Hilfsantrag (Stufenklage)

Das Auskunftsbegehren ist insgesamt zurückzuweisen, weil der Kläger unter keinen Umständen mehr einen weitergehenden Anspruch auf Zahlung eines weiteren Rückkaufswertes mehr hat. Ob sich die Beklagte zu Recht auf Verjährung beruft, kann dahin stehen. Möglicherweise wurde die reguläre dreijährige Verjährungsfrist durch die Zustellung des noch am 30.12.2013 beantragten und schon am 03.01.2014 zugestellten Mahnbescheides unterbrochen. Das Gericht kann aber angesichts des an die Kläger ausgezahlten Betrages, der rund 80% der Summe der einzahlten Prämien entspricht, ausschließen, dass unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, derzufolge bereits die Hälfte der eingezahlten Prämien das Rückkaufsinteresse des Versicherungsnehmers befriedigt, ein höherer Rückkaufswert als der ausgezahlt e geschuldet ist.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sowie auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

IV.

Der Streitwert wird auf 7.967,02 € festgesetzt.

als Einzelrichter