OLG Celle, Beschluss vom 20.01.2011 - 8 U 250/10
Fundstelle
openJur 2011, 13514
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 20 O 304/09

Aus der Nachrangigkeit der Prozesskostenhilfe sowie aus § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO selbst ergibt sich, dass vor der versuchten Inanspruchnahme staatlicher Mittel der Insolvenzverwalter versuchen muss, die Finanzierung der Prozessführung durch die wirtschaftlich Beteiligten zu betreiben, soweit die Kosten nicht aus der Masse aufgebracht werden können.

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 26. November 2010 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter/Treuhänder (§ 313 InsO) über das Vermögen des Streithelfers. Vor dem Landgericht hat er - erfolglos - einen Zahlungsanspruch in Höhe von 7.833,30 € nebst Zinsen geltend gemacht. Bei dem Betrag handelt es sich um den Rückkaufswert einer Lebensversicherung, für die zwischen dem Streithelfer und der Beklagten im Jahr 2004 gemäß § 165 Abs. 3 VVG a. F. ein „unwiderruflicher Verwertungsverzicht“ (Anlage K 6, Bl. 25) vereinbart worden war. Mit seinem Antrag vom 26. November 2010 hat der Kläger Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt. Die von ihm ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrages sei nicht gemäß § 165 Abs. 3 VVG a. F. ausgeschlossen, die Verwertungsverzichtsvereinbarung anfechtbar. Die Voraussetzungen einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO seien gegeben.

II.

1. Richtig ist, dass für den Kläger als Insolvenzverwalter § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO und nicht Nr. 2 gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005, IX ZB 224/04). Nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen, Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Der Senat geht davon aus, dass nicht erwiesen ist, dass den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten die Kostenaufbringung nicht zuzumuten ist. Ob die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden können, kann demgegenüber dahinstehen.

Für die Frage, ob nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten ist, die Kosten für den beabsichtigten Rechtsstreit des Insolvenzverwalters aufzubringen, ist eine wertende Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009, III ZB 15/09). Bei dieser wertenden Abwägung sind insbesondere eine zu erwartende Quotenverbesserung im Fall des Obsiegens, das Prozess und Vollstreckungsrisiko und die Gläubigerstruktur zu berücksichtigen (ebenda). Die Beurteilung unterliegt der tatrichterlichen Würdigung.

a) Aus der Nachrangigkeit der Prozesskostenhilfe sowie aus § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO selbst ergibt sich ohne weiteres, dass vor der versuchten Inanspruchnahme staatlicher Mittel der Insolvenzverwalter versuchen muss, die Finanzierung der Prozessführung durch die wirtschaftlich Beteiligten zu betreiben, soweit die Kosten nicht aus der Masse aufgebracht werden können. Für ein entsprechendes Tätigwerden ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Kläger hat nicht behauptet, die Gläubiger - im Wesentlichen handelt es sich nur um zwei - davon unterrichtet zu haben, dass die Kosten für die Führung dieses Rechtsstreits aus der Masse nicht bestritten werden könnten, und dass - jedenfalls möglicherweise - auch die Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht gegeben sein könnten. Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Insolvenzverwalter den Versuch unternommen hätte, die Kosten von den wirtschaftlich Beteiligten zu erlangen. Gleichermaßen ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend - ausnahmsweise - dem Kläger unzumutbar gewesen sein könnte. Ganz im Gegenteil ergibt sich aus der ungewöhnlich übersichtlichen Gläubigerstruktur, dass es dem Kläger mit sehr geringem Aufwand möglich war, den Versuch zu unternehmen, die Prozesskosten bei den Gläubigern einzutreiben (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 25. November 2010, VII ZB 71/08). Der Senat sieht auch keinen Anlass, sich mit Ausführungen zum mutmaßlichen Interesse zu begnügen, anstatt zu erfahren, wie die betroffenen Gläubiger selbst sich zur Frage der Kostenaufbringung stellen. Prozesskostenhilfe kann schon deswegen nicht bewilligt werden.

b) Überdies ist vorliegend, ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme, nicht ersichtlich, dass den Gläubigern die Kostenbeteiligung nicht zumutbar ist. Zumutbar ist sie denjenigen Gläubigern, welche die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für die der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskosten und Vollstreckungsrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung voraussichtlich deutlich größer sein wird. Eine standardisierte Betrachtung kann dabei nicht stattfinden, es ist vielmehr auf den Einzelfall abzustellen. Dieser ist vorliegend dadurch charakterisiert, dass es lediglich zwei Großgläubiger gibt. Das Prozessrisiko schätzt der Kläger selbst als relativ niedrig ein. Ein nennenswertes Vollstreckungsrisiko besteht nicht, bei der Beklagten handelt es sich um eine LebensversicherungsAktiengesellschaft. Was die Verbesserung der Quote angeht, bestehen feste Grenzen nicht und können schon wegen der Unsicherheit in der notwendigerweise anzustellenden Prognose, die auch vorliegend nicht frei von Bedenken ist (auch die Zinsen auf die Forderung sind bei der freien Masse nicht berücksichtigt), nicht bestehen. Dass die Kostenaufbringungspflicht der Gläubiger nicht von festen Quoten abhängig ist, entspricht der Rechtsprechung, auch der des OLG Celle (11 W 9/04, Beschluss vom 5. Februar 2004, OLGReport 2004, 282. 3 W 19/05, Beschluss vom 18, Februar 2005). Der BGH hat zuletzt eine Quote von 13 % bis 14 % für ausreichend erachtet anzunehmen, die Kostenbeteiligung sei den Gläubigern zumutbar (Beschluss vom 25. November 2010, VII ZB 71/08).

Der Senat kann nicht erkennen, warum es für einen der beiden Großgläubiger nicht zumutbar sein soll, den auf ihn entfallenden Anteil der Prozesskosten aufzubringen. Die Möglichkeit, dass ein Gläubiger, obwohl ihm der Betrag zuzumuten ist, diesen nicht leistet, kann dabei nicht dazu führen, dass für den anderen Gläubiger die Aufbringung deswegen unzumutbar wird (ebenda).

Auch wenn einzuräumen ist, dass dem Insolvenzverfahren und der Rechtsverfolgung durch den Insolvenzverwalter in diesem Rahmen ein eigenständiges schutzwürdiges Interesse beikommt, ist es nicht Sinn und Zweck des § 116 ZPO, dass der Insolvenzverwalter auf Kosten des Steuerzahlers Prozesse führt, die die am Ausgang des Rechtsstreits und des Insolvenzverfahrens unmittelbar wirtschaftlich Beteiligten selbst finanzieren könnten.

Es gibt auch keine generelle Freistellung der öffentlichen Hand von den Kosten, auch nicht aufgrund der Kostenfreiheit gemäß § 2 Abs. 1 GKG, der Bund und Länder in den dort genannten Verfahren von der Zahlung der Gerichtskosten befreit (BGHZ 138, 188 = NJW 1998, 1868. OLG Celle, Beschluss vom 2. September 2008, 4 W 66/08). Dort verweist der BGH auch darauf, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe durch § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht zur Regel und die Nichtgewährung zur Ausnahme gemacht worden wäre. Aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Stellung im Gesamtzusammenhang des Prozesskostenhilferechts ergebe sich vielmehr eindeutig, dass die allgemeinen Grundsätze dieses Rechtsgebietes auch für Parteien kraft Amtes gelten. Zu diesen Grundsätzen gehöre die Regel, dass jede Partei ihre Aufwendungen für die Prozessführung grundsätzlich selbst zu tragen habe und Prozesskostenhilfe nur erhalte, wenn sie die dafür geltenden besonderen Voraussetzungen darlege und ggf. glaubhaft mache. § 116 Satz 1 Nr. 1, 2. Hs. ZPO enthalte keinerlei davon abweichende Regelung.

2. Eine nähere Prüfung der Erfolgsaussichten hat der Senat nicht vorgenommen. Die Vorschrift des § 165 Abs. 3 VVG a. F. (jetzt § 168 Abs. 3 VVG) ist erst mit Wirkung zum 1. Januar 2005 ins Gesetz eingefügt worden. Zu der damit ersichtlich erstmals eingeführten Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer dahingehend, dass eine Verwertung des Versicherungsvertrages vor dem Eintritt in den Ruhestand unwiderruflich ausgeschlossen werden kann, ist dem Senat Rechtsprechung im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters für den Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers nicht bekannt. Hinweisen möchte der Senat aber darauf, dass die vom Kläger vertretene Ansicht schwerlich mit der gesetzgeberischen Intention vereinbar scheint. So ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung betreffend den Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung (BTDrs. 16/886) ausdrücklich von einer ´Einschränkung der Insolvenzanfechung´ und einer ´Rücknahme des Anfechtungsrechts´ die Rede.

III.

Wegen der Kostenentscheidung wird auf § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO verwiesen.