BGH, Urteil vom 09.12.2010 - 5 StR 405/10
Fundstelle
openJur 2011, 13346
  • Rkr:
Tenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 10. Mai 2010 werden verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs (Fall 1) und versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Hausfriedensbruch (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt, ihn im Übrigen vom Vorwurf der Vergewaltigung im Fall 3 der Urteilsgründe freigesprochen. Die mit der allgemeinen Sachrüge gegen den Freispruch betreffend Fall 3 der Urteilsgründe geführte Revision der Nebenklage bleibt ohne Erfolg; Gleiches gilt für die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der - insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten - die unterbliebene Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall 2 der Urteilsgründe gerügt wird.

Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Von einer Verurteilung des Angeklagten auch wegen Vergewaltigung der Nebenklägerin im Fall 2 der Urteilsgründe hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgesehen; insoweit vermochte sie nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Tatsituation fehlerhaft bewertete und den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin in der Annahme vollzog, diese verkehre freiwillig mit ihm.

1. Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung stellt die Strafkammer wesentlich auf die nach dem widerrechtlichen Eindringen in die Wohnung der Nebenklägerin, seiner langjährigen früheren Lebensgefährtin, objektiv eingetretene "Entspannung der Situation" ab (UA S. 26). Zwar hatte der Angeklagte der Nebenklägerin zunächst den Einsatz des mitgeführten Elektroschockgeräts für den Fall verweigerten Geschlechtsverkehrs angedroht und ihre Hände mit Klebeband gefesselt. Auf Wunsch der Nebenklägerin begab er sich allerdings anschließend zunächst zum Duschen ins Badezimmer und schilderte ihr währenddessen seine Gefühle wegen der kurz zuvor von der Nebenklägerin vollzogenen Trennung (UA S. 28). Anschließend tranken beide gemeinsam in der Küche bei ausführlicher Unterhaltung Kaffee (UA S. 26). Zu einem späteren, zeitlich nicht näher festgestellten Zeitpunkt begaben sie sich ins Schlafzimmer. Dort vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin zunächst den Analverkehr. Er brach ihn auf ihren Wunsch hin ab, weil sie diesen als schmerzhaft empfunden hatte, "fasste sie an und masturbierte" und vollzog sodann den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr (UA S. 14). Anschließend entschuldigte er sich für den Einsatz des Klebebandes, kochte erneut Kaffee und beide unterhielten sich, bis der Angeklagte die Wohnung verließ und Zigaretten sowie eine Schachtel Schokoladenherzen für die Nebenklägerin kaufte.

Der psychiatrische Sachverständige, dessen Beurteilung die Strafkammer gefolgt ist, hat zur Persönlichkeitsstruktur ausgeführt, dass "kognitive Verzerrungen" wegen der "narzisstischen und dissozialen Anteile" der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten "sehr wahrscheinlich" aufträten; es sei möglich, dass er "den gewaltsamen Beginn der konkreten Situation nach dem Eindringen in die Wohnung" wegen der "eingetretenen Entspannung" nicht mehr berücksichtigt habe und davon ausgegangen sei, dass die Nebenklägerin freiwillig mit ihm den Geschlechtsverkehr vollziehe (UA S. 28).

2. Nachvollziehbar hat die Strafkammer das sich dynamisch entwickelnde Tatgeschehen verbunden mit der langjährigen, sexuellen Täter-Opfer-Beziehung mit Blick auf eine mögliche Verkennung der Tatsituation gewürdigt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1988 - 1 StR 179/88; vgl. auch Schorsch, Sexualstraftäter S. 214 f.). Die Besonderheiten im Tatbild hat die Strafkammer überdies in eine Gesamtschau mit der festgestellten kombinierten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten eingestellt. Ohne Rechtsfehler hat sie dieser bereits im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite und nicht erst bei der Frage der Schuldfähigkeit besondere Bedeutung beigemessen (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - 4 StR 553/90, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 8).

Die Strafkammer überspannt dabei ersichtlich nicht die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung. In plausibler Weise hat sie bei ihrer Würdigung auf die das Tatgeschehen prägenden Umstände sowie das zwischen beiden übliche und früher einverständlich praktizierte Sexualverhalten abgestellt.

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