VG Darmstadt, Urteil vom 13.05.2015 - 1 K 491/13.DA
Fundstelle
openJur 2015, 12374
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 11.02.2013 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 18.03.2013 werden aufgehoben. Das beklagte Land wird verpflichtet, die im Rahmen der durchgeführten prophylaktischen Brustoperation entstandenen Kosten als beihilfefähig anzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens hat das beklagte Land zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin, eine 1975 geborene, bei dem Finanzamt A-Stadt tätige Beamtin, begehrt im Rahmen der Beihilfe die anteilige Erstattung der Aufwendungen einer prophylaktischen Brustoperation mit Implantatrekonstruktion aufgrund einer BRCA-2-Genmutation.

Sie stammt aus einer Familie mit erheblicher Vorbelastung für Brust- und Eierstockkrebs. Nachdem bereits zwei Verwandte der Klägerin in direkter mütterlicher Linie an Brustkrebs erkrankten, unterzog sich die Klägerin einer molekulargenetischen Untersuchung, die ergab, dass sie – ebenso wie bereits ihre Mutter – an einer BRCA-2-Genmutation leidet.

Bei diesem Krebsdispositions-Syndrom besteht für die betroffenen Frauen ein deutlich erhöhtes Risiko, an Brust- oder auch an Eierstockkrebs zu erkranken. Das Brustkrebsrisiko liegt in derartigen Fällen lebenslang bei rund 80 %, das Eierstockkrebsrisiko bei rund 30 %. Dieses Risiko ist im Vergleich zum Risiko der Allgemeinbevölkerung mit einem lebenslangen Brustkrebsrisiko von ca. 10 % und einem lebenslangen Eierstockkrebsrisiko von ca. 2 % insoweit erheblich erhöht. Die Klägerin ist als Hochrisikopatientin eingestuft und in ein entsprechendes Programm mit humangenetischer Beratung aufgenommen.

Am 28.01.2013 wandte sich die Klägerin an die Beihilfestelle bei dem Regierungspräsidium Kassel und bat um Mitteilung, ob im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung eine Kostenzusage für eine beabsichtigte beidseitige Brustoperation, hier in Form einer vorbeugenden Entfernung der Brust (Mastektomie) mit gleichzeitiger Rekonstruktion, erteilt werden könne.

Das Regierungspräsidium Kassel beschied die Klägerin unter dem 11.02.2013 dahingehend, dass die Kosten einer so genannten prophylaktischen Operation bei der Klägerin als „gesunder BRCA-2-Gen-Trägerin“ nicht beihilfefähig seien. Mangels krankhaften Befundes würden die Voraussetzungen des § 6 der Hessischen Beihilfenverordnung nicht vorliegen.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 19.02.2013 Widerspruch. Sie trug vor, sie sei zwar nicht an Krebs erkrankt, wolle aber gerade dieses mit dem geplanten Eingriff verhindern. Da in ihrer Familie vermehrt Brustkrebs vorkomme, sei bei ihr als BRCA-2-Gen-Trägerin eine hohe Erkrankungswahrscheinlichkeit aufgrund der Familienanamnese anzunehmen. Den Betroffenen werde gerade in solchen Fällen medizinisch eine beidseitige Entfernung des kompletten Brustdrüsengewebes empfohlen. Es handele sich dabei nicht um einen ästhetischen, sondern um einen medizinisch notwendigen Eingriff.

Mit Widerspruchbescheid vom 18.03.2013 wies das Regierungspräsidium Kassel den Widerspruch zurück und führte dabei im Wesentlichen aus, es handele sich um eine prophylaktische Maßnahme. Das genetisch bedingte Krebsrisiko habe sich bei der Klägerin als gesunder BRCA-2-Trägerin nicht verwirklicht. Daher sei eine Krankheit im Sinne der Hessischen Beihilfenverordnung nicht anzunehmen.

Ebenso biete § 10 der Hessischen Beihilfenverordnung keine Grundlage zur Kostenerstattung, denn dort seien nur Aufwendungen bei Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen vorgesehen. Prophylaktische Brustoperationen seien dagegen nicht erfasst.

Am 18.04.2013 hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Klage vor dem erkennenden Gericht erhoben.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, bereits das Vorhandensein einer krankheitsassoziierten Mutation sei als Krankheit im Sinne der Hessischen Beihilfenverordnung anzusehen. Schon die genetische Veränderung durch das BRCA-2-Gen begründe einen regelwidrigen, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichenden Zustand, mithin eine Krankheit. Diese gelte insbesondere im Hinblick auf das deutlich erhöhte Risiko einer möglichen Brustkrebserkrankung.Aufgrund dessen sei die Entfernung der Brustdrüsen und des Brustgewebes nicht als präventive bzw. prophylaktische Maßnahme zu werten, sondern sei alleine eine dem Erkrankungsrisiko angepasste Therapie bei genetischer Prädisposition, die bei vollständiger Mastektomie das Erkrankungsrisiko erheblich senke.

Außerdem werde derzeit ein strukturiertes Konzept für die Einordnung prophylaktischer Operationen erarbeitet. Ziel sei es, „gesunde Kranke“ mit Kranken im Sinne des Sozialgesetzbuches gleichzustellen. Diese gesetzgeberische Absicht müsse auch bei der Auslegung der Beihilfenverordnung berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 11.02.2013 und den Widerspruchsbescheid der Beklagtenseite vom 18.03.2013 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, die im Rahmen der prophylaktischen Brustoperation mit Implantatrekonstruktion entstandenen Kosten als beihilfefähig anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land vertieft die Ausführungen des Widerspruchsbescheides. Es sei unstreitig, dass bei der Klägerin die krankheitsauslösende Mutation des BRCA-2-Gens vorliege, auch werde deren Ausführungen zu den gesundheitlichen Risiken nicht entgegengetreten. Eine Rechtsgrundlage für die beihilferechtliche Berücksichtigung der in Rede stehenden Aufwendungen existiere jedoch nicht. Eine beabsichtigte Gesetzesänderung sei nicht bekannt. Selbst wenn aber künftig eine entsprechende Regelung im Sozialgesetzbuch aufgenommen werden sollte, änderte dies hier nichts. Ein Anspruch des Beihilfeberechtigten auf Gleichbehandlung mit einem gesetzlich Krankenversicherten bestehe nicht, da beide Systeme unterschiedlich aufgebaut seien, ein Vergleich der beiden Systeme verbiete sich demzufolge.

Im weiteren Verlauf dieses gerichtlichen Verfahrens hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie die Operation zwischenzeitlich habe durchführen lassen. Das beklagte Land habe auch die Beihilfefähigkeit weiterer in diesem Zusammenhang entstandener Aufwendungen abgelehnt. Es sei angeregt worden, das diesbezügliche Widerspruchsverfahren zunächst ruhen zu lassen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, denjenigen des vorgelegten Hefters Behördenvorgänge sowie die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und in der Sache auch begründet.

Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung des klägerischen Begehrens sind die Vorschriften der Hessischen Beihilfenverordnung (HBeihVO).

Beihilfefähig sind gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 HBeihVO nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften Aufwendungen dann, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 und Nr. 6 HBeihVO sind die Aufwendungen für ärztliche Leistungen sowie für stationäre Krankenhausleistungen beihilfefähig, wenn sie „aus Anlass einer Krankheit“ entstanden sind.

Mit dem beklagten Land ist davon auszugehen, dass alleine das Vorhandensein des BRCA-2-Gens keine Krankheit der Klägerin im hier maßgeblichen beihilferechtlichen Sinne darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 04.11.2008 – 2 B 19/08 –, abgedruckt bei juris) ist unter Krankheit im beihilferechtlichen Sinne ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Zustand des Körpers oder des Geistes zu verstehen, der der ärztlichen Behandlung bedarf, wobei eine Krankheit aber nur dann vorliegt, wenn der Betroffene in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt ist oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt. Mithin muss ein objektiv fassbarer regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes oder beider zugleich vorliegen, der durch eine Heilbehandlung behoben, gebessert, gelindert oder mindestens vor einer Verschlimmerung bewahrt werden soll (vgl. hierzu auch Nitze, Hessische Beihilfenverordnung, Kommentar, Randnummer 2 der Erläuterungen zu § 6 Abs. 1).

24Hiervon ausgehend kann der Umstand, dass die Klägerin Trägerin des BRCA-2-Gens ist, nicht als Krankheit im Sinne des § 6 HBeihVO bezeichnet werden. Zwar kann der Klägerin darin gefolgt werden, dass die Existenz dieses Gens in ihrem Körper einen regelwidrigen Zustand darstellt. Dieses Gen als solches stellt jedoch keine Beeinträchtigung einer Körperfunktion der Klägerin dar; auch geht es vorliegend nicht darum, durch ärztliche Behandlung dieses Gen zu beseitigen beziehungsweise lindernd oder aber eine Verschlimmerung vermeidend auf das Gen einzuwirken. Die Besonderheit des Falles liegt vielmehr darin, dass durch eine prophylaktische Brustoperation einer Krebserkrankung vorgebeugt werden soll, deren Ausbruch bei der Klägerin wegen des Vorhandenseins des BRCA-2-Gens mit Blick auf ihre familiäre Vorbelastung nach medizinischen Kenntnissen als sehr wahrscheinlich bezeichnet werden muss. Aber auch nach einer solchen Operation bleibt die Klägerin Trägerin des BRCA-2-Gens, von der Behandlung einer Krankheit im beihilferechtlichen Sinne kann demzufolge nicht gesprochen werden.

Die Beihilfefähigkeit der in Rede stehenden Aufwendungen ergibt sich auch nicht aus § 10 HBeiHVO. Dort ist bestimmt, dass aus Anlass von Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten bei Frauen ab dem 20. Lebensjahr Aufwendungen für jährlich eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen nach Maßgabe der einschlägigen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen beihilfefähig sind. Abzustellen ist demzufolge auf die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krebserkrankungen (Krebsfrüherkennungs-Richtlinie)“ in der Fassung vom 18.06.2009 (Bundesanzeiger 2009, Nr. 148a), zuletzt geändert am 24.07.2014 (Bundesanzeiger AT 31.12.2014 B4). Diese Richtlinie führt die prophylaktische Brustoperation nicht als Früherkennungsmaßnahme auf, denn eine solche Operation ist nicht rein diagnostischer Natur (zu diesem Kriterium der Maßnahmen der Früherkennung siehe BSG, Urteil vom 22.01.1981 – 8/8a RK 17/79 –, abgedruckt bei juris).

Hieraus ergibt sich, dass die Klägerin ihren Anspruch nicht auf die Vorschriften der Hessischen Beihilfenverordnung stützen kann. In § 1 Abs. 1 HBeihVO ist – soweit hier von Belang – bestimmt, dass diese Verordnung die Gewährung von Beihilfen in Krankheitsfällen und für Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten regelt; die Beihilfen ergänzen bei Beamten, Richtern und Versorgungsempfängern die aus den laufenden Bezügen zu bestreitende Eigenvorsorge. Folglich sind die Regelungen der Beihilfenverordnung grundsätzlich als abschließend zu verstehen, auf darüber hinausgehende beihilfemäßige Leistungen besteht regelmäßig kein Anspruch.

27Allerdings ist zu bedenken, dass die Gewährung von Beihilfen ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn hat. In dem verfassungsrechtlich durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbereich der Fürsorgepflicht hat der Dienstherr dafür Sorge zu tragen, dass der Beamte im Krankheitsfall nicht mit unzumutbaren Kosten oder Risiken belastet bleibt (so BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 – 2 BvF 3/88 –, abgedruckt bei juris). Jedoch gebietet die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht keine lückenlose Erstattung aller Kosten, die durch die Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung nicht gedeckt sind (BVerwG, Urteil vom 28.05.2008 – 2 C 24/07 –; Beschluss vom 18.01.2013 – 5 B 44/12 –, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen, abgedruckt bei juris). Grundsätzlich können bestimmte Leistungen von der Beihilfe ausgeschlossen werden, solange dadurch der Maßstab des medizinisch Gebotenen nicht unterschritten wird. Nicht ausgeschlossen werden darf eine Leistung aber dann, wenn der absehbare Erfolg einer Maßnahme von existenzieller Bedeutung ist (BVerwG, Urteil vom 31.01.2002 – 2 C 1/01 –, abgedruckt bei juris).

Einfachgesetzlich hat die vorstehend erörterte Fürsorgepflicht ihren Niederschlag in § 45 BeamtStG, § 80 HBG sowie in den Vorschriften der auf der Grundlage der Ermächtigung in § 80 Abs. 5 HBG erlassenen Hessischen Beihilfenverordnung gefunden. Wie insbesondere die Regelung des § 80 Abs. 3 HBG zeigt („Beihilfen werden in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen, für Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge, zur Früherkennung von Krankheiten, bei Schutzimpfungen, nicht rechtswidrigen Sterilisationen und nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen gewährt“), handelt es sich bei den Bestimmungen der Hessischen Beihilfenverordnung um eine insoweit grundsätzlich abschließende Konkretisierung der Fürsorgepflicht mit der Folge, dass ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 45 BeamtStG mit dem Ziel der Erweiterung der durch die Spezialvorschriften der Hessischen Beihilfenverordnung begrenzten Ansprüche regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 – 2 C 39/99 –, abgedruckt bei juris).

Ausnahmsweise allerdings kann ein Rückgriff auf die Fürsorgepflicht dann in Betracht kommen, wenn der in Rede stehende Sachverhalt in der Hessischen Beihilfenverordnung nicht geregelt ist, aber gleichzeitig die Feststellung zu treffen ist, dass die Fürsorgepflicht eine entsprechende Regelung gebietet und keine Zweifel daran bestehen können, dass der Verordnungsgeber – wäre ihm das fürsorgepflichtwidrige Fehlen der Regelung bewusst – die Aufwendungen für die konkret im Streit stehende Maßnahme (hier: prophylaktische Brustoperation) als beihilfefähig geregelt hätte (vgl. hierzu Nitze a.a.O. Einleitung Randnummer 6). Fürsorgepflichtwidrig kann das Unterlassen einer entsprechenden Regelung namentlich dann sein, wenn die Versagung der Beihilfefähigkeit bestimmter Aufwendungen dem Gebot gleichmäßiger Fürsorgegewährung zuwiderläuft (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 02.07.1970 – II C 101.67 –, abgedruckt in ZBR 1971, S. 23).

Wie oben bereits dargestellt, sind in § 10 Abs. 1 Nr. 3 HBeihVO in Bezug auf Krebserkrankungen bei Frauen ab dem 20. Lebensjahr die Aufwendungen für jährlich eine Untersuchung zur Früherkennung als beihilfefähig anerkannt. Dem liegt ersichtlich die Erwägung zugrunde, dass bei Krebserkrankungen, die nach Herz-Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland darstellen, gerade wegen des sehr oft tödlichen Verlaufs der Erkrankung einerseits und der Tatsache, dass sich die Erkrankung oft nur langsam von der symptomlosen Frühphase zu einem Stadium mit klinischen Beschwerden entwickelt, andererseits in besonderer Weise Veranlassung besteht, bereits vor Ausbruch der Erkrankung Aufwendungen für mögliche ärztliche Maßnahmen, die dem denkbaren späteren Ausbruch entgegenwirken oder aber die Folgen der Erkrankung lindern können, als beihilfefähig anzuerkennen. Das derzeit geltende hessische Beihilfesystem stellt sich demzufolge so dar, dass ausdrücklich in Bezug auf Krebserkrankungen eine Beihilfe auch dann gewährt wird, wenn es – ohne dass bereits eine Erkrankung vorliegt – um Maßnahmen der Früherkennung respektive der Vorsorge geht. Kommt es später zu einem Ausbruch der Erkrankung, sind die dann zur Behandlung erforderlichen Aufwendungen nach Maßgabe der §§ 5, 6 HBeihVO fraglos beihilfefähig. Aufwendungen der hier in Rede stehenden Art, die im Zusammenhang mit einer ärztlichen Intervention zur Erhaltung der Gesundheit in einem dazwischen liegenden Stadium entstehen, also jenseits der Früherkennungsmaßnahmen und vor Beginn der Behandlung einer zum Ausbruch gekommenen Krebserkrankung, sind gegenwärtig nach hessischem Beihilferecht von der Erstattung ausgenommen. Hierin ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts ein systemischer Mangel zu sehen, denn ein sachlicher Grund dafür, in diesem „Zwischenstadium“ anfallende Aufwendungen, die nach medizinischen Erkenntnissen geeignet sind, das Erkrankungsrisiko drastisch zu reduzieren, ist nicht ersichtlich. Bei dieser Bewertung verkennt das Gericht nicht, dass es grundsätzlich nicht angängig ist, die Beihilfefähigkeit jedweder Vorsorgemaßnahme mit der Begründung zu fordern, dadurch könnten ansonsten zu erwartende und in der Behandlung wesentlich teurere Erkrankungen verhindert bzw. deren Ausbruch hinausgezögert werden. Die Besonderheit der hier zu erörternden Problematik liegt darin, dass es um die Gefahr der Erkrankung an Brustkrebs geht. Bei der Klägerin liegt – dies wird auch seitens des beklagten Landes nicht in Abrede gestellt – wegen der Mutation und der familiären Disposition die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, bei etwa 80 %, es sinkt bei einer vollständigen Mastektomie auf unter 2%.

Bei diesen Gegebenheiten und angesichts des häufig tödlichen Verlaufs einer Krebserkrankung begründet die nicht gleichmäßige Fürsorgegewährung in dem hier maßgeblichen Kontext eine eklatante Verletzung der Fürsorgepflicht, sie wird in ihrem Wesenskern betroffen. Dabei steht nach Auffassung des Gerichts nicht alleine die Frage der Zumutbarkeit der Kostentragung für die betroffene Beamtin im Vordergrund. Bedeutsam ist vielmehr auch, dass unter den beschriebenen Umständen eine Beamtin, der Fürsorge zu gewähren der Dienstherr in besonderer Weise verpflichtet ist, vor der Entscheidung steht, ob sie dem mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Ausbruch der Krebserkrankung tatenlos entgegenblickt oder aber sich für eine Operation entscheidet, die zweifellos tiefgreifende Auswirkungen für das künftige Leben der Beamtin hat. In diesem Zusammenhang darf die Frage der Kostenlast nicht von entscheidender Bedeutung sein; dem Kerngehalt der Fürsorgepflicht entspricht es nach Auffassung des erkennenden Gerichts, die Beamtin bei der zu treffenden Entscheidung wegen deren existenziellen Auswirkungen von finanziellen Erwägungen freizustellen.

Demzufolge waren die angegriffenen Bescheide des Regierungspräsidiums Kassel aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das beklagte Land war zu verpflichten, die im Rahmen der prophylaktischen Brustoperation entstandenen Kosten als beihilfefähig anzuerkennen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), wobei nach Auffassung des Gerichts die Kosten der Implantatrekonstruktion derart eng mit den Operationskosten verbunden und jedenfalls im beihilferechtlichen Sinne einer differenzierenden Betrachtungsweise nicht zugänglich sind, dass es diesbezüglich keines besonderen Verpflichtungsausspruchs durch das Gericht bedarf.

Als unterlegener Beteiligter hat das beklagte Land die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.

Beschluss

Der Streitwert wird endgültig auf 8.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 3 GKG festgesetzt.

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