OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.12.2014 - 23 U 80/14
Fundstelle
openJur 2015, 12366
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.03.2014 - Aktenzeichen 2-21 O 389/13 - wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.03.2014 - Aktenzeichen 2-21 O 389/13 - ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung, welche die Kläger aufgrund der vorzeitigen Ablösung eines Immobiliendarlehens an die Beklagte entrichtet haben.

Wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Ergänzung bedürfen, Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, ein etwaiges Widerrufsrecht der Kläger sei zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs jedenfalls verwirkt gewesen. Verwirkung setze voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht habe, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (Zeitmoment), und der Berechtigte sich darauf habe einrichten dürfen und eingerichtet habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Umstandsmoment). Das Zeitmoment liege hier vor, da bis zur Ausübung des Widerrufsrechts mehr als 6 Jahre seit der Belehrung über das Widerrufsrecht vergangen seien. Auf die Frage, ob die Kläger Kenntnis vom Fortbestehen des Widerrufsrechts gehabt haben, komme es nicht an. Die Beklagte habe nach der vollständigen Rückzahlung der Darlehensvaluta nicht mehr mit einem Widerruf des Darlehensvertrags rechnen müssen. Sie habe vielmehr auf den Bestand der beiderseitigen Vertragserfüllung vertrauen dürfen.

Dieses Ergebnis werde durch die besonderen Umstände des Einzelfalls und die Abwägung der jeweiligen Interessen bestätigt. Da die Kläger eine Widerrufsbelehrung erhalten hätten, seien sie weniger schutzwürdig als wenn ihnen die Widerrufsbelehrung nicht zur Verfügung gestellt worden wäre. Selbst wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft sein sollte, sei den Klägern klar gewesen, dass das Widerrufsrecht befristet sei. Bei Ausübung des Widerrufsrechts 6 Jahre nach der Belehrung müsse von einem erheblichen Vertrauenstatbestand ausgegangen werden. Im Übrigen seien die Kläger auch deshalb weniger schutzwürdig, da sie das Darlehen bereits vollständig zurückgeführt hätten. Ihr Interesse bestehe ausschließlich darin, die bereits entrichtete Vorfälligkeitsentschädigung zurückzuverlangen, obwohl sie durch die vorzeitige Ablösung des Darlehens den Anspruch der Beklagten auf Zahlung dieser Entschädigung selbst herbeigeführt hätten.

Europäisches Recht stehe der Annahme der Verwirkung des Widerrufsrechts nicht entgegen.

Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung. Sie machen geltend, im Falle einer unterlassenen bzw. nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung komme die Verwirkung des Widerrufsrechts schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Im Übrigen könne auch deshalb keine Verwirkung angenommen werden, da die Verwirkung voraussetze, dass der Anspruchsberechtigte Kenntnis vom Bestehen des Rechts habe. Die Kläger hätten jedoch erst 2013 erfahren, dass sie zum Widerruf ihrer Vertragserklärung berechtigt seien. Des Weiteren könne nicht angenommen werden, dass hier die Voraussetzungen der Verwirkung erfüllt seien. Zunächst müsse berücksichtigt werden, dass zwischen der Rückzahlung des Darlehens und der Ausübung des Widerrufsrechts nur ein Jahr vergangen sei. Der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung sei daher noch nicht verjährt. Vor Eintritt der Verjährung sei von Verwirkung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen auszugehen. Zudem habe die Ablösung des Darlehens nicht dazu geführt, dass sich die Beklagte auf die Nichtausübung des Widerrufsrechts eingerichtet habe. Eine konkrete Vermögensdisposition habe die Beklagte nicht getroffen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.03.2014, Az.: 2-21 O 389/13, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 30.312,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2013 sowie weitere 2.256,24 € an Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, das Landgericht habe zu Recht die Einwendung der Verwirkung bejaht. Nach der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags und der einvernehmlichen Schließung der Konten habe die Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass der Vertrag dem Grunde nach von den Klägern nicht mehr infrage gestellt werde. Es sei zu berücksichtigen, dass die vorzeitige Auflösung und Abrechnung des Darlehensvertrags auf Wunsch der Kläger erfolgt sei. Entgegen der Ansicht der Kläger fehle es auch nicht an der erforderlichen Vermögensdisposition. Die Beklagte sei als Aktiengesellschaft organisiert und auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Jeder buchhalterisch abgewickelte Vorgang gehe daher mit einer Vermögensdisposition einher. Dies gelte namentlich dann, wenn die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung durch einen Darlehensnehmer bilanziell wirksam als Gewinn gebucht werde. In diesem Fall würden die erlangten Gelder für weitere Geschäfte genutzt, worin eine Vermögensdisposition zu sehen sei. In diesem Sinne habe auch das OLG Düsseldorf entschieden. Das OLG Düsseldorf habe erkannt, dass nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass eine Bank bei Abwicklung des Darlehensvertrags mit den Leistungen des Darlehensnehmers disponiere.

Darüber hinaus komme es auf die Frage der Verwirkung nicht entscheidungserheblich an, da die Frist für den Widerruf des streitgegenständlichen Darlehensvertrags zwei Wochen nach Zugang der von den Klägern unterschriebenen Vertragsurkunde bei der Beklagten, mithin im Februar 2007 abgelaufen sei. Die Beklagte könne sich im Hinblick auf die Ingangsetzung der Frist auf die Gesetzlichkeitsvermutung aus § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, da das Landgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.

1. Das erstinstanzliche Urteil leidet nicht an einem unverzichtbaren und deshalb in der Berufungsinstanz gem. § 529 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigenden Verkündungsmangel, auch wenn sich die vor der Verkündung schriftlich niederzulegende Urteilsformel nicht, insbesondere nicht als Anlage zum Sitzungsprotokoll, bei den Gerichtsakten befindet (vgl. zur Unverzichtbarkeit von Verkündungsmängeln RG v. 10.07.1931, Az. II 502/30, RGZ 133, 215 [218]). Nach § 311 Abs. 2 ZPO wird das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel verkündet, wobei das Verlesen durch eine Bezugnahme auf die Urteilsformel ersetzt werden kann, wenn bei der Verkündung von den Parteien niemand erschienen ist. Die Verkündung ist sowohl im Falle des Verlesens des Tenors als auch im Falle der Bezugnahme nur dann ordnungsgemäß, wenn das Gericht den Tenor zuvor schriftlich niedergelegt hat (BGH v. 16.10.1984, Az. VI ZR 205/83, Juris Rdnr. 15). Fehlt es daran, liegt keine wirksame Verkündung vor. Allerdings erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils nach § 160 Nr. 7 ZPO in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, d.h. auf der Grundlage einer schriftlich fixierten und unterschriebenen Urteilsformel verkündet worden ist (BGH a.a.O. Rdnr. 16; BAG v. 16.05.2002, Az. 8 AZR 412/01, Juris Rdnr. 23). Da das Landgericht die Verkündung unter Wiedergabe des Tenors protokolliert hat, ist davon auszugehen, dass die Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ordnungsgemäß war.

2. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von € 30.312,52. Der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung steht den Klägern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Der von den Klägern erklärte Widerruf ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung ist nämlich schon deshalb unwirksam, weil die Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 S. 2 BGB in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung (Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB) zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs bereits abgelaufen war. Die Frist hat gem. § 355 Abs. 2 BGB mit der Zurverfügungstellung eines Exemplars des am 30.01.2007 unterzeichneten Darlehensvertrages und der Widerrufsbelehrung begonnen.

Zwar ist die Belehrung fehlerhaft, da ein Verbraucher durch die in einer Widerrufsbelehrung verwendete Formulierung "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" nicht richtig über den nach § 355 Abs. 2 BGB a. F. maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist belehrt wird (vgl. BGH v. 15.08.2012, VIII ZR 378/11 - Juris Tz. 9; v. 01.03.2012, III ZR 83/11 - Juris Tz. 15; v. 02.02.2011, VIII ZR 103/10 - Juris Tz. 14). Allerdings kann sich die Beklagte auf § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung in Verbindung mit der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV berufen. Nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. gilt die Belehrung als den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB a. F. genügend, wenn das Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. in Textform verwandt wird. Die Gesetzlichkeitsfiktion greift auch dann ein, wenn das Muster fehlerhaft ist und den gesetzlichen Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB a. F. an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht genügt (BGH v. 18.03.2014, II ZR 109/13 - Juris Tz. 15). Es reicht aber nicht aus, dass die Belehrung hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist - wie hier - mit der entsprechenden Formulierung des Musters für die Widerrufsbelehrung übereinstimmt. Die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV besteht nur dann, wenn ein Formular verwendet wird, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. vollständig entspricht (vgl. BGH v. 18.03.2014, II ZR 109/13 - Juris Tz. 15; v. 01.12.2010, VIII ZR 82/10 - Juris Tz. 15). Greift der Unternehmer in den Mustertext selbst ein, kann er sich schon deshalb unabhängig vom konkreten Umfang der Änderung auf eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht mehr berufen (BGH v. 01.03.2012, III ZR 83/11 - Juris Tz. 17). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Veränderungen wesentlich sind oder sich negativ auf Verständlichkeit der Belehrung auswirken. Maßgeblich ist allein, ob der Unternehmer den Text der Musterbelehrung bei der Abfassung der Widerrufsbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH v. 18.03.2014, II ZR 109/13 - Juris Tz. 18). Geringfügige Anpassungen, wie etwa diejenige der Formulierung des Fristbeginns an das Gesetz (vgl. hierzu BGH v. 20.11.2012, II ZR 264/10 - Juris Tz. 6), bleiben allerdings möglich.

Hier entspricht die gewählte Widerrufsbelehrung in Wortwahl, Satzbau und Gestaltung der Musterbelehrung. Die Beklagte hat lediglich an wenigen Stellen statt der in der Musterbelehrung eigentlich vorgesehenen Anredeform („Sie können…“) eine persönliche Form aus Sicht des Unterzeichnenden („Ich kann/wir können“) gewählt und den Text auf diese Weise insoweit nur geringfügig grammatikalisch angepasst. Außerdem hat sie das Zahlwort „zwei“ durch die Zahl „2“ ersetzt. Eine inhaltliche Textbearbeitung, wie sie bei einer Änderung der Wortwahl oder des Satzbaus stattfindet, liegt darin jeweils nicht (vgl. Senat v. 04.08.2014, 23 U 255/13; Senat v. 07.07.2014, 23 U 172/13 - Juris Tz. 48). Entgegen der Auffassung der Kläger besteht nicht die Gefahr, dass die Widerrufsbelehrung dahingehend verstanden werden konnte, dass nur eine gemeinschaftliche Berechtigung zum Widerruf bestehe. Denn auch die Musterbelehrung wäre nach dem Verständnis der Kläger mit dieser nach Überzeugung des Senats nicht bestehenden Gefahr verbunden, da diese ebenfalls nicht danach differenziert, ob mehrere Verbraucher beteiligt sind. Das von den Klägern zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29.12.2011 (6 U 79/11) befasst sich nicht mit der streitgegenständlichen Formulierung, sondern betraf mehrere sachliche Abweichungen gegenüber der Musterbelehrung. Solche liegen hier aus den vorgenannten Gründen nicht vor.

Die Beklagte hat auch nicht inhaltlich in den Mustertext eingegriffen, weil sie auf den besonderen Hinweis Ziff. 8 des Musters verzichtet hat. Entgegen der Auffassung der Kläger war der im Falle eines Widerrufsrecht für einen Fernabsatzvertrag über Finanzdienstleistungen nach § 312d Abs. 1 BGB aufzunehmende Hinweis hier entbehrlich, weil den Klägern insofern kein Widerrufsrecht zustand. Nach § 312d Abs. 5 BGB in der bis zum 03.08.2009 geltenden Fassung besteht das Widerrufsrecht nicht bei solchen Fernabsatzverträgen, bei denen dem Verbraucher bereits auf Grund des §§ 495, 499 bis 507 BGB ein Widerrufs- oder Rückgaberecht zusteht. Dies ist hier jedoch der Fall. Das Recht der Kläger auf Widerruf ihrer Vertragserklärung folgt aus § 495 Abs. 1 BGB a. F.

Auf die vom Landgericht bejahte Frage, ob dem geltend gemachten Anspruch der Einwand der Verwirkung entgegensteht, kommt es damit nicht an.

3. Mangels Hauptforderung haben die Kläger gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB noch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.256,24 aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.