SG Osnabrück, Teilurteil vom 26.06.2015 - S 33 AS 916/14
Fundstelle
openJur 2015, 11917
  • Rkr:
Tenor

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine erklärte Aufrechnung.

Die Klägerin steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Auf einen Widerspruch half der Beklagte ab und entschied, die notwendigen Kosten der Klägerin zu erstatten (Bescheid vom 3. Juli 2014). Darauf übersandte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Kostennote über einen Betrag von 380,80 Euro. Mit Schreiben vom 15. Juli 2014 teilte der Beklagte mit, dass eine im Einzelnen aufgeschlüsselte Gesamtforderung in Höhe von 612,93 Euro gegen die Klägerin bestehe. Der Kostenerstattungsanspruch werde deswegen gegen diese Forderungen aufgerechnet und eine Auszahlung des Kostenerstattungsanspruchs erfolge deswegen nicht. Die Klägerin legte hiergegen am 23. Juli 2014 Widerspruch ein. Diesen wies der Beklagte als unzulässig zurück. Die Aufrechnungserklärung sei kein Verwaltungsakt und der Widerspruch sei schon unstatthaft.

Die Klägerin hat am 17. Oktober 2014 Klage erhoben.

Sie beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2014 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2014 aufzuheben, soweit eine Aufrechnung erfolgt ist und hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von dem Kostenerstattungsanspruch der Rechtsanwälte Seidler und Kollegen vom 9. Juli 2014 in Höhe von 380,80 Euro freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Anfechtungsklage sei unstatthaft. Der Leistungsantrag sei ebenfalls unzulässig.

Die Beteiligten haben ihre Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit einverstanden waren (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Kammer konnte weiterhin nach § 202 SGG i. V. m. § 280 ZPO bzw. § 130 Abs. 2 SGG über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil entscheiden (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage, Vor § 51, Rn. 21; § 130, Rn. 8).

Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Frage der statthaften Klageart kann nicht offen bleiben. Es gilt der Grundsatz des Vorrangs der Zulässigkeitsprüfung vor der Begründetheitsprüfung. Auch darf über den Hilfsantrag erst und nur dann entschieden werden, wenn über den Hauptantrag entschieden wurde und dieser abgewiesen wurde.

Die Anfechtungsklage ist statthaft, weil die Erklärung der Aufrechnung im Schreiben vom 15. Juli 2014 ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X ist. Es handelt sich um eine hoheitliche Entscheidung einer Behörde zur Regelung des Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Außenwirkung.

Insbesondere liegt eine hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor.

Sofern der Beklagte auf die Entscheidungen des LSG Hessen (Urteil vom 29. Oktober 2012 – L 9 AS 601/10 –, juris) und des SG Detmold (Urteil vom 02. Oktober 2014 – S 18 AS 555/14 – juris) verweist, vermag dies nicht zu überzeugen.

Entgegen dem SG Detmold kommt es nicht darauf an, ob eine Erklärung als Verwaltungsakt bezeichnet wurde (SG Detmold, Urteil vom 02. Oktober 2014 – S 18 AS 555/14 –, juris). Das LSG Hessen und das SG Detmold setzen sich nicht mit den Begriffsmerkmalen des § 31 SGB X auseinander.

Die dort in Bezug genommen Urteile des BVerwG und des BFH überzeugen nicht. Das BVerwG (Urteil vom 27. Oktober 1982 – 3 C 6/82 –, BVerwGE 66, 218-224) hat ausgeführt, dass es sich bei einer Aufrechnung nicht um eine hoheitliche Entscheidung handele (dort, Rn. 19 zitiert nach juris). Vielmehr sei die Aufrechnung wie die Bezahlung einer Schuld als Realakt zu betrachten, der überdies wie ein möglicher Aufrechnungsvertrag auf der Ebene der Gleichordnung angesiedelt sei. Der BFH hat unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerwG ausgeführt, dass der Aufrechnungserklärung kein hoheitlicher (anordnender) Charakter innewohne und wie im BGB sonst auch von der Gleichordnung der Beteiligten auszugehen sei (BFH, Urteil vom 02. April 1987 – VII R 148/83 –, BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536, zitiert n. juris, Rn. 13 f.).

Dass die Aufrechnung ein Realakt ist, ist schon im Zivilrecht unzutreffend. Dort ist die Aufrechnung als Rechtsgeschäft ausgestaltet (§ 388 BGB). Dies gilt umso mehr im Verwaltungsrecht. Denn bei der Erklärung der Aufrechnung ist Ermessen auszuüben (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 21. September 2005, Az.: L 13 R 4215/03, juris, Rn. 27).

Unzutreffend ist auch, dass sich der Beklagte und die Klägerin auf der Ebene der Gleichordnung bewegen. Der Beklagte wollte mit der Erklärung vom 15. Juli 2014 einseitig den zuvor mit Bescheid vom 3. Juli 2014 begründeten Anspruch der Klägerin (subjektives Recht) wieder zu Fall bringen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1988 – 7 RAr 51/86 –, SozR 1200 § 54 Nr. 13, BSGE 64, 17-23 zit. nach juris, Rn. 28). Statt ihre Forderungen zu vollstrecken (unstreitig eine hoheitliche Maßnahme), konnte sie auf die Aufrechnung zurückgreifen (vgl. Greiser, in: Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 43, Rn. 17). Wenig überzeugend ist der Verweis des BVerwG auf die Möglichkeit des Aufrechnungsvertrages. Nach § 53 Abs. 1 S. 2 SGB X kann eine Behörde statt einen Verwaltungsakt zu erlassen auch einen Vertrag mit dem Betroffenen schließen. Ein Handeln auf der Ebene der Gleichordnung liegt nur dann vor, wenn sich beide Beteiligte auch tatsächlich auf diese Ebene begeben.

Die übrigen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Maßnahme stammt von einer Behörde im Sinne von § 1 Abs. 2 SGB X, hat Außenwirkung und ist auf eine Rechtsfolge im Einzelfall gerichtet, nämlich das Erlöschen der Forderung der Klägerin in Höhe von 380,80 Euro durch Erfüllung (§§ 362, 389 BGB in entsprechender Anwendung).

Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen. Die Rechtsprechung des BSG ist uneinheitlich (siehe Nachweise bei Greiser, a. a. O., Rn. 11).

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