SG Osnabrück, Urteil vom 10.03.2015 - S 31 AS 41/14
Fundstelle
openJur 2015, 11899
  • Rkr:
Tenor

1. Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 8. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2013 wird abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 15. Oktober 2013 bis zum 28. Februar 2014 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - unter Berücksichtigung des Alleinerziehungszuschlages nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II für H. zu bewilligen.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Alleinerziehungszuschlages für ihre 1999 geborene Tochter H.

Die Klägerin ist 1979 geboren und bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, zusammen mit ihrer Tochter I. und einer weiteren, 2013 geborenen Tochter J. Im März 2013 heiratet die Klägerin den russischen Staatsbürger K. Dieser übersiedelt in die Bundesrepublik Deutschland und zieht am 15. Oktober 2013 in die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin ein. Nachdem die Klägerin dies dem Beklagten mitgeteilt hat, ändert dieser die laufende Leistungsbewilligung (Bescheid vom 22. August 2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 9., 11. und 11. September 2013) ab und bewilligt der Klägerin, ihren beiden Töchtern und ihrem Ehemann L. mit Änderungsbescheid vom 8. November 2013 Leistungen für die Zeit vom 15. Oktober 2013 bis Februar 2014. Der Beklagte berücksichtigt dabei das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Ehemann der Klägerin. Gleichzeitig bewilligt er den bisherigen Alleinerziehungszuschlag für die Tochter A. nicht mehr fort.

Dagegen legt die Klägerin am 19. November 2013 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2013 zurück gewiesen hat.

Die Klägerin hat daraufhin am 14. Januar 2014 Klage zum Sozialgericht Osnabrück erhoben. Sie macht darin geltend, dass ihr Ehemann sich an der Erziehung ihrer vor der Eheschließung geborenen Tochter A. ausdrücklich nicht beteilige. Dieser lehne es ab, für seine Stieftochter aufzukommen oder sich um sie auch nur zu kümmern. Ihr sei daher insofern ein Alleinerziehungszuschlag nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II zu bewilligen.

Der Klägervertreter beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Alleinerziehungszuschlag für die 1999 geborene Tochter I. für die Zeit vom 15. Oktober 2013 bis zum 28. Februar 2014 zu bewilligen.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagtenvertreterin beantragt überdies,

die Berufung zuzulassen.

Es sei weiterhin überwiegend nicht wahrscheinlich, dass sich der Ehemann der Klägerin nicht an der Erziehung und Pflege von H. beteilige. Dies sei schlechterdings nicht denkbar, da die Klägerin und ihr Ehemann noch weitere Kinder hätten.

Das Gericht konnte den Zeugen K. nicht befragen, weil dieser nach der Zeugenladung seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland beendet hat. Die Klägerin hat daraufhin eine schriftliche Erklärung des Zeugen M. vorgelegt, die sie selbst übersetzt hat. Ferner hat das Gericht die Klägerin in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört.

Wegen der weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Berücksichtigung eines Zuschlages in Höhe von 12 % monatlich nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II für ihre 1999 geborene Tochter H. Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 8. November 2013 war insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Nach § 21 Abs. 3 SGB II ist bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf anzuerkennen. Dieser beläuft sich entweder auf 36% des maßgeblichen Regelbedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben (Nr. 1), oder auf 12% des Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach Nr. 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60% des maßgeblichen Regelbedarfs (Nr. 2).

Für die Klägerin liegen die Voraussetzungen eines Regelbedarfs nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II vor, da ihre 1999 geborene Tochter H. das 7. Lebensjahr vollendet hat. Die weitere Tochter J. und der erst 2015 geborene Sohn N. sind dabei nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin insofern Alleinerziehung nicht geltend macht.

18Zur Überzeugung der Kammer steht dabei fest, dass die Klägerin allein für Pflege und Erziehung der Tochter H. sorgt bzw. gesorgt hat. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich erläutert, dass sie wesentliche Teile der Haushaltsführung erledigt habe und insbesondere ihre Tochter I. daneben zum Schwimmen und zur Nachhilfe gefahren habe. Das die Frau den Haushalt erledige, sei in russischen Familien üblich. Hinzu komme, dass ihr Mann kein deutsch gesprochen habe und ihre Tochter nur wenig russisch. Sie habe dann immer zwischen beiden dolmetschen müssen. Die Kammer hält die Ausführungen der Klägerin nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung für glaubwürdig.

Sie wird nämlich bestätigt durch die Erklärung des Ehemannes vom 26. Februar 2015.

Darüber hinaus - und dies ist für die Kammer entscheidend - spricht letztlich auch das Verhalten des Ehemannes im zeitlichen Zusammenhang mit dem Versuch der Zeugenladung durch das Gericht dafür, dass der Ehemann der Klägerin keinerlei Verantwortung im Zusammenhang mit der Kindererziehung übernommen hat, weder für sein Stiefkind noch für seine leiblichen Kinder. Denn die Klägerin ist im Januar 2015 Mutter des weiteren Kindes O. geworden, das nunmehr auch Teil der Bedarfsgemeinschaft ist. Gleichwohl hat der Zeuge M. der Klägerin am 24. Februar 2015 mitgeteilt, dass er bereits zum 1. März 2015 wieder zurück nach Russland wolle, allein mit der unter Berücksichtigung der Umstände insgesamt nicht mehr nachvollziehbaren Begründung, er fühle sich in Deutschland nicht wohl. Gerade dieses Verhalten, die Klägerin mit ihrer nunmehr 16-jährigen Tochter und den beiden weiteren 1,5 Jahre alten und 6 Wochen alten Kindern zurückzulassen, lässt ein in erheblichem Maße eigensüchtiges Verhalten erkennen, dass es zumindest plausibel macht, dass er sich an der Erziehung der Tochter H. nicht beteiligt hat, zumal diese auch nicht seine leibliche Tochter ist.

Vor diesem Hintergrund hält die Kammer die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung für glaubwürdig.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung ist nicht zuzulassen. Da streitgegenständlich lediglich ein Betrag von bis 46,- Euro monatlich für 4,5 Monate des restlichen Bewilligungszeitraumes ist, wird der Berufungswert von mehr als 750 Euro gemäß § 144 SGG nicht erreicht. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit ist nicht zu erkennen, da es wesentlich um die tatsächlichen Sachverhaltsfeststellungen und Bewertungen geht.

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