LG Arnsberg, Urteil vom 05.12.2012 - 5 O 17/10
Fundstelle
openJur 2015, 21762
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 26 U 6/13
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit ihrer Geburt am 02.04.2009 in der von der Beklagten zu 1. betriebenen Klinik geltend. Sie nimmt die Klinik, die Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, die an der Geburt beteiligte Ärztin und die an der Geburt beteiligte Hebamme in Anspruch.

Die am 02.04.2009 im Hause der Beklagten zu 1. geborene Klägerin ist das zweite Kind ihrer Mutter D K. Deren erstes Kind war am 01.04.2004 ebenfalls in der beklagten Klinik geboren worden. In den Behandlungsunterlagen wird diese Geburt wie folgt beschrieben:

"Spontanpartus aus II. d. a. HHL nach 3 x Mc Roberts."

Im Mutterpass bezüglich der Geburt der Klägerin befinden sich u.a. folgende Eintragungen:

Zu vorangegangenen Schwangerschaften ist eingetragen "2004 Spontanpartus 3385 g T stadt"

Hinsichtlich der 32jährigen Mutter der Klägerin ist bei einer Körpergröße von 165 cm ein Gewicht vor Schwangerschaftsbeginn von 85 kg eingetragen.

Die Mutter der Klägerin suchte die beklagte Klinik im Zusammenhang mit der Schwangerschaft mit der Klägerin erstmalig am 26.01.2009 auf. Hier fand ein Gespräch mit dem Oberarzt D1 und der Hebamme G statt, dessen Einzelheiten streitig sind.

In der Folgezeit suchte die Mutter der Klägerin die beklagte Klinik wegen Akkupunkturbehandlungen auf.

Am 02.04.2009, dem Tag der Geburt, begab sich die Mutter der Klägerin gegen 07:50 Uhr in stationäre Behandlung der beklagten Klinik.

Gegen 17.24 Uhr wurde eine PDA angelegt.

Um 20.38 Uhr zeigte sich der Muttermund erstmals vollständig, Kopf in Beckenendlage. Zur Unterstützung der Wehentätigkeit wurde der bereits um 19.50 Uhr angelegte Wehentropf langsam bis auf 80 ml/h gesteigert. Gegen 21.25 Uhr wurde eine mediane Episiotomie, also ein Dammschnitt, angelegt. Um 21.26 Uhr erfolgte die langsame Kopfgeburt. Anschließend wurde der Wehentropf abgeschaltet und ein dreimaliges McRoberts-Manöver und anschließend ein sog. Rubin-Manöver durchgeführt. Um 21.28 Uhr erfolgte die vollständige Geburt.

Der Bericht über die Entbindung enthält unter "Mißbildungen" die Eintragung: "äußerlich keine! re. Arm Schonhaltung!"

Die am 05.04.2009 im Rahmen der Entlassung aus der stationären Behandlung durchgeführte Vorsorgeuntersuchung U2 enthält unter "Sonstige Bemerkungen" die Eintragung "obere Plexuslähmung rechts nach Schulterdystokie" (Bl. 22 GA).

Die Klägerin behauptet, sie habe bei der Geburt eine obere Plexusparese des rechten Armes erlitten.

Die Beklagte habe ihre Mutter pflichtwidrig nicht über das Risiko einer Schulterdystokie aufgeklärt, weil sie pflichtwidrig prädisponierende Faktoren unberücksichtigt gelassen habe und aus diesem Grund nicht zu einer Sektio, also einem Kaiserschnitt, geraten habe, den sie bei ordnungsgemäßer Belehrung gewählt hätte. Anlass zu einer Schnittentbindung habe insbesondere bestanden, weil im Mutterpass die Risikonummern 10 und 21 eingetragen seien, die für Adipositas und Komplikationen bei vorausgegangenen Entbindungen stehen.

Insbesondere habe sie eine Schnittentbindung nicht vehement abgelehnt.

Unter der Geburt seien von den Beklagten zu 3) und 4) durch falsche Manualhilfe unnötig schädigende Traktions- und Kompressionseinwirkungen auf den Nervus Brachialis der Klägerin ausgeübt worden. Im Rahmen des Dammschnittes sei zu wenig geschnitten worden und damit der Geburtskanal unnötig verengt gelassen worden. Die Braunüle für den Wehentropf sei fehlerhaft gesetzt worden, weshalb nicht die gewünschte Wirkung erzielt worden sei.

Es handle sich um eine Verletzung der Plexuswurzeln C5 und C 6. Im Alter von zweieinhalb Monaten seien kaum aktive Schulterbewegungen und auch keine Bizepsfunktion vorhanden gewesen. Nach Krankengymnastik habe die passive Außenrotationsfähigkeit bei etwa 20 % gelegen, eine aktive Außenrotation sei nicht möglich gewesen. Im Rahmen einer Operation vom 22.02.2010 sei im G1-Hospital B, Dr. C, eine Nervenverlagerung durchgeführt worden. Die künftige Entwicklung sei nicht sicher absehbar.

Mit Schriftsatz vom 27.11.2012 hat die Klägerin die Klage auf den niedergelassenen Gynäkologen der Mutter der Klägerin und den privat liquidierenden Geburtshelfer der Mutter der Klägerin im Rahmen der Entbindung der Schwester der Klägerin erweitert. Insoweit hat die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.12.2012 abgetrennt.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein der Höhe nach in das Ermessen der Kammer gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000,- €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich seit dem 02.04.2009 zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen materiellen und, soweit nicht vorhersehbar, immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass der am 02.04.2009 unter der Geburt erlittenen oberen Plexusparese rechts zu erstatten, soweit ein öffentlichrechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, mit der Mutter der Klägerin sei - auch weil diese als Physiotherapeutin über medizinisches Grundwissen verfüge und gezielt gefragt habe - ausführlichst über die Geburtsplanung gesprochen worden. Herr D1 habe auch darauf hingewiesen, dass zwar keinerlei Risikofaktoren vorhanden seien, sich jedoch aus den Krankenunterlagen der ersten Entbindung ergebe, dass es wohl den Beginn einer Schulterdystokie gegeben habe und deshalb darauf hinzuweisen sei, dass eine Prädisposition bei der Klägerin bestehe und über eine Schnittentbindung nachzudenken sei. Die Mutter der Klägerin habe dann eine Schnittentbindung mit der Begründung abgelehnt, dass bei der ersten Entbindung alles gutgegangen sei und sie deshalb erneut eine Spontanentbindung wünsche. Jedenfalls hätte die Mutter der Klägerin in jedem Fall eine Spontanentbindung gewünscht.

Soweit die Klägerin auf die Angabe von Risikonummern im Mutterpass hinweise, handle es sich um einen nachträglich durch die beklagte Klinik angebrachten Aufkleber. Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Beklagten zum Ablauf der Entbindung wird auf die Klageerwiderung vom 26.07.2010 (Bl. 116 ff. GA) Bezug genommen.

Die behaupteten Folgen bestreiten die Beklagten mit Nichtwissen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen U vom 18.03.2011 (Bl. 117 ff. GA), das dieser unter dem 25.05.2012 ergänzt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2012 erläutert hat. Zudem hat die Kammer die Eltern der Klägerin hinsichtlich des aktuellen Gesundheitszustandes angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hatte in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Kammer hat den Rechtsstreit gem. § 145 Abs. 1 ZPO abgetrennt, soweit die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 27.11.2012 erweitert hat. Es liegt eine Klagehäufung sowohl in subjektiver als auch in objektiver Hinsicht vor. In objektiver Hinsicht handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände, weil den weiteren Beklagten zeitlich frühere und andere Fehler vorgeworfen werden. Im Rahmen des gem. § 145 Abs. 1 ZPO eröffneten Ermessens hat die Kammer sich für eine Abtrennung entschieden, weil der Rechtsstreit hinsichtlich der bisherigen Beklagten entscheidungsreif ist. Allein der Umstand, dass sich die behaupteten Fehler der Personen, auf die die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 27.11.2012 erweitert hat, in der Sache nicht ausgewirkt haben können, nachdem das Vorliegen des Geburtsberichts der früheren Entbindung im Rahmen des Gesprächs vom 26.01.2009 bereits im Juni 2011 unstreitig geworden ist - insoweit wird auf die Ausführungen unter unten II.2.b) Bezug genommen - führte nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar folgt daraus, dass sich ohne eine Abtrennung der Rechtsstreit nur um den mit der Zustellung an die weiteren Beklagten, deren Stellungnahme und die Neuterminierung verbundenen Zeitraum verlängert hätte. Aus Sicht der Kammer rechtfertigt jedoch bereits dieser Zeitraum die vorgenommene Trennung.

II.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 278 BGB bzw. 823, 831 BGB, weil keine Behandlungsfehler vorliegen und die Klägerin nicht bewiesen hat, dass ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf den von ihr behaupteten Aufklärungsfehler zurückzuführen sind.

1.

Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen U in beiden Gutachten und in deren Erläuterung im Rahmen der öffentlichen Sitzung der Kammer vom 05.12.2012, denen sich die Kammer aus eigener Überzeugung anschließt, ist die Entbindung selbst vollständig regelkonform erfolgt. Insbesondere sei das McRoberts-Manöver leitliniengerecht durchgeführt worden. Die Episiotomie sei nicht unzureichend durchgeführt worden, weil es sich bei der Schulterdystokie nicht um eine Enge im Weichteilbereich, sondern im knöchernen Bereich des Beckens handle und keine Anhaltspunkte für eine fehlerhaft angelegte PDA vorhanden seien. Nach Erkennen der Schulterdystokie habe eine Schnittentbindung wegen des Geburtsfortschritts keine Alternative mehr dargestellt. Der Sachverständige hat die durchgeführten Maßnahmen als besonders zügig beschrieben.

2.

Demgegenüber würde - die Richtigkeit des Vortrages der Klägerin unterstellt - ein Aufklärungsfehler vorliegen, wenn die Mutter der Klägerin im Vorfeld der Entbindung nicht über die mit einer Schulterdystokie verbundenen Risiken und die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt worden wäre.

a)

Ein Patient ist über eine echte Behandlungsalternative zu unterrichten, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt zwar in einer normalen Entbindungssituation, bei der die Möglichkeit einer Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen. Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt (BGH, Urteil vom 17.05.2011, Az. VI ZR 69/10, NJW-RR 2011, 1173, Tz. 10 m.w.N.).

b)

Danach bestand hier unter Berücksichtigung der Erläuterungen des Sachverständigen U eine Verpflichtung zur Aufklärung der Mutter der Klägerin.

Zwar ergibt sich aus dem Original des Mutterpasses, dass es sich bei den Risikonummern 10 und 21 wie von Beklagtenseite vorgetragen um einen nachträglich angebrachten Aufkleber handelt, der nur nach der Geburt angebracht worden sein kann, weil er die Daten der Geburt der Klägerin enthält. Gleichwohl bestand aufgrund der tatsächlich bekannten Umstände eine Aufklärungspflicht. Denn im Rahmen des Beratungsgespräches vom 26.01.2009 lag der Bericht über die Geburt der Schwester der Klägerin vom 01.04.2004 vor. Dieser Umstand ist im Laufe des Rechtsstreits unstreitig geworden. Die Beklagten haben dies mit Schriftsatz vom 14.06.2011 (Bl. 204 GA) ausdrücklich vorgetragen. Die Klägerin hat sich dieses Vorbringen zumindest hilfsweise zu Eigen gemacht, indem sie mit Schriftsatz vom 20.07.2012 (Bl. 292 ff. GA) die ergänzende Befragung des Sachverständigen unter der Prämisse angekündigt hat, dass die Unterlagen der früheren Entbindung im Rahmen des Beratungsgespräches vorgelegen haben.

Der Sachverständige U hat auch insoweit überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass wegen des Vorliegens einer Schulterdystokie bei der Geburt der Schwester der Klägerin die Verpflichtung bestand, auf die Risiken einer Schulterdystokie und die Möglichkeit eines Kaiserschnitts hinzuweisen. Eine Notwendigkeit, einen Kaiserschnitt nahezulegen, habe hingegen nicht bestanden. Weil eine Sektio ihrerseits nicht unproblematisch sei und es im Rahmen der früheren Geburt tatsächlich nicht zu Schwierigkeiten gekommen sei, seien hier gute Gründe für die vaginale Entbindung vorhanden gewesen. Die Geburt selbst sei eine Hochrisikosituation, innerhalb derer eine Schulterdystokie eine behebbare geburtshilfliche Situation darstelle.

3.

Es bedurfte jedoch keiner Klärung der Frage, ob die beklagte Klinik entsprechend ihrem Vortrag der sie treffenden Aufklärungspflicht nachgekommen ist. Denn der Klägerin ist der Beweis, dass die Plexuslähmung auf die Geburt selbst zurückzuführen ist und nicht bereits eine vorgeburtliche Schädigung vorliegt, nicht gelungen.

Die Beweislast für die Kausalität einer unzureichenden Aufklärung für den Eintritt eines Gesundheitsschadens trifft ebenso wie beim Behandlungsfehler die Klägerin als Patientin (BGH, Urteil vom 01.10.1985, Az. VI ZR 19/84, NJW 1986, 1541). Diesen Beweis hat die Klägerin nicht zu führen vermocht. Der Sachverständige U hat ausgeführt, dass der Beweis des Zusammenhangs von Plexusverletzungen mit einer Schulterdystokie problematisch sei, weil auch Plexusverletzungen ohne Schulterdystokie bekannt seien. Nur etwa die Hälfte der Plexusverletzungen seien auf Schulterdystokien oder ein - hier nicht vorliegendes - zu forsches Geburtsmanagement zurückzuführen. Hinsichtlich der anderen Hälfte müsse von anlagebedingten Plexusverletzungen ausgegangen werden. Zudem könnten auch ungünstige Lagerungspositionen des Kindes auf dem knöchernen Becken der Mutter während der Schwangerschaft zu Plexusverletzungen führen. Hier sei der Grund der Plexusverletzung nicht mehr feststellbar. Die unterschiedlichen Ursachen einer Plexusverletzung führten klinisch nach der Geburt nicht zu Unterschieden. Eine zeitliche Einordung der Entstehung der Schädigung sei allenfalls möglich, wenn innerhalb der ersten Lebensstunden eine EMG-Untersuchung durchgeführt werde. Eine Verpflichtung zur Durchführung einer solchen Untersuchung habe jedoch nicht bestanden. Insbesondere seien keine gynäkologischen Leitlinien vorhanden, die eine solche Untersuchung vorschrieben.

Zu Gunsten der Klägerin greifen auch keine Beweiserleichterungen ein. Im Unterschied zu groben Behandlungsfehlern führen - unabhängig von dem Gewicht des hier behaupteten Aufklärungsfehlers - grobe Aufklärungsfehler nicht zur Umkehr der Beweislast. Jede Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung macht die Einwilligung des Patienten unwirksam und der Eingriff bleibt mangels Rechtfertigung rechtswidrig. Dies gilt für einen groben ebenso wie für einen einfachen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Risikoaufklärung. Die Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung stellt keinen Behandlungsfehler dar und ist mithin auch nicht der Figur des groben Behandlungsfehlers zugänglich (OLG Oldenburg, Urteil vom 06.02.2008, Az. 5 U 30/07, NJOZ 2008, 2481, 2482).

Die Klage war daher abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.