VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.07.2015 - 10 L 1295/15
Fundstelle
openJur 2015, 14586
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 30. Januar 2015 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen auf deren Antrag die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von zwei Windenergieanlagen (WEA). Sie sollen in der Gemarkung I. jenseits jeder zusammenhängenden Bebauung entstehen. Die Gesamthöhe der Anlagen beträgt rund 179 (WEA 1) sowie 149 (WEA 2) Meter. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Der Genehmigungsbescheid wurde öffentlich bekanntgemacht mit dem Hinweis, dass er nunmehr mit Ablauf des 4. März 2015 auch gegenüber Dritten als zugestellt gelte; Widerspruch könne noch bis zum Ablauf des 7. April 2015 eingelegt werden.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Wohnhauses im Abstand von mehr als 400, aber weniger als 500 Metern zur nähergelegenen WEA 2. Gegen die Genehmigung legte er mit anwaltlichem Schreiben vom 7. April 2015 Widerspruch ein, das per Fax noch am selben Tag beim Antragsgegner einging. Am gleichen Tag hat er das Gericht angerufen.

Der Antragsteller hält die Genehmigung aus verschiedenen Gründen für rechtswidrig. Unter anderem macht er eine optisch bedrängende Wirkung insbesondere der WEA 2 geltend und bemängelt, dass im schalltechnischen Gutachten für die auf sein Grundstück auftreffenden Geräuschimmissionen nicht der Richtwert für ein reines Wohngebiet, sondern derjenige für Außenbereich zugrundegelegt worden sei.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen.

Antragsgegner und Beigeladene treten seinem Vorbringen entgegen und beantragen sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch einen Ortstermin des Berichterstatters; für das Ergebnis wird auf das Protokoll vom 26. Juni 2015 verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

Er ist zulässig. Da infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers (vgl. § 110 Abs. 3 JustG NRW) entfallen ist, kann dieser bei Gericht deren Wiederherstellung begehren (§§ 80 Abs. 5, 80a VwGO).

Der Antrag ist auch begründet.

In formeller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu beanstanden (§ 80 Abs. 3 VwGO), insbesondere enthält sie den notwendigen Bezug zum Einzelfall. Es kommt daher für den Ausgang des Verfahrens auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an, die sich vorrangig an den Erfolgsaussichten der Hauptsache, also des Widerspruchs und sich eines etwa anschließenden Klageverfahrens, zu orientieren hat. Die Abwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus, da die genannten Rechtsbehelfe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werden. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ist anzunehmen, dass die im Streit befindliche Genehmigung rechtswidrig ist und Rechte des Antragstellers verletzt.

Von dem Vorhaben dürfen keine schädlichen Umwelteinwirkungen auf das Grundstück des Antragstellers ausgehen (§§ 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1, 6 Abs. 1 BImSchG). Insbesondere müssen die Richtwerte für die Geräuschimmissionen eingehalten werden. Daran dürfte es hier fehlen. Das zu dieser Frage eingeholte schalltechnische Gutachten der X. H. GmbH (Beiakte H. 8 unter Punkt 10.3) kommt für den Immissionspunkt U (Grundstück des Antragstellers) zu einer prognostizierten Gesamtbelastung für den Nachtbetrieb von 39 dB. Damit wären zwar die Richtwerte der TA Lärm für gemischt nutzbare Bereiche, der auch für den Außenbereich herangezogen werden kann (45 dB), sowie für das allgemeine Wohngebiet (40 dB) eingehalten, nicht aber derjenige für ein reines Wohngebiet von 35 dB. Die Ergebnisse der Ortsbesichtigung, die der Berichterstatter der Kammer anhand der dabei gefertigten Lichtbilder sowie der in den Akten befindlichen Pläne vermittelt hat, sprechen dafür, dass das Grundstück des Antragstellers im reinen Wohngebiet gelegen ist.

Die Kammer folgt nicht der von Antragsgegner und Beigeladenen vertretenen Ansicht, das Grundstück des Antragstellers liege im Außenbereich (§ 35 BauGB). Sie nimmt vielmehr an, dass der Straßenzug H1. , wo der Antragsteller wohnt, Teil des im Zusammenhang bebauten Ortsteils I. ist. Zwar liegt zwischen dem Ortsteil, soweit er durch Ortsschild ausgewiesen ist und unstreitig eine Innenbereichslage darstellt, und der Straße H1. die vielbefahrene W.----straße , die eine deutliche Zäsur in der Örtlichkeit bildet. Sie vermittelt indessen nicht den Eindruck, dass zu ihren beiden Seiten jeweils eine andere Art von Baugebiet beginnt. An ihrer Abzweigung zum H1. hin trifft der Blick des Betrachters vielmehr allseits auf Wohnbebauung; die Wohnnutzung nördlich der W.----straße setzt sich zu ihrer südlichen Seite hin fort (Lichtbilder 23-26). Die W.----straße trennt insoweit nicht, sondern verbindet die verschiedenen Wohnlagen, die von ihr erschlossen werden.

Nimmt daher der H1. an dem Bebauungszusammenhang des Ortsteils I. teil, so bedarf es keiner Entscheidung, ob die Wohnbebauung am H1. für sich genommen die Voraussetzungen eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils erfüllen würde. Dies könnte wegen der vergleichsweise geringen Zahl von etwa 20 Wohngebäuden zweifelhaft erscheinen. Die Kammer neigt allerdings dazu, auch diese Frage zu bejahen. Die Wohnhäuser am H1. sind nicht unorganisch oder unregelmäßig in die Landschaft gestellt, wie es für eine Splittersiedlung im Außenbereich charakteristisch wäre. Sie sind vielmehr Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur, die auch städtebauliches Gewicht hat. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass bei etwa 20 Wohngebäuden stets ein Ortsteil zu verneinen wäre, besteht nicht.

Vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 34 Rdnr. 16 m. Nachw. der Rspr.

Der danach dem Innenbereich (§ 34 BauGB) zuzurechnende Straßenzug H1. hat diesen Charakter allerdings nur, soweit die Gebäude unmittelbar an dieser Straße liegen oder höchstens - wie im Falle des Antragstellers - Bebauung "in zweiter Reihe" vorliegt, die über eine Stichstraße erschlossen wird. Die im Ortstermin aufgesuchten Nutzungen wie der von der W.----straße aus erschlossene Elektrobetrieb H1. 8h und die über die Q.------straße zu erreichenden landwirtschaftlichen Hofstellen einschließlich der Pferdekoppel des Nachbarn des Antragstellers, Herrn L. , nehmen an dem Bebauungszusammenhang nicht teil. Sie sind nicht nur von der Bebauung an der Straße H1. deutlich abgesetzt, sondern auch infolge dichten Bewuchses und wegen eines Geländeversprungs von dieser Straße aus nicht ohne weiteres sichtbar (Lichtbilder 8 und 12). Jenseits der Straße erstreckt sich nach Westen und Osten somit der Außenbereich; er beginnt zudem südlich hinter dem letzten Wohnhaus (H1. 34).

Für den Gebietscharakter der näheren Umgebung des Grundstücks des Antragstellers ist darauf abzustellen, ob deren Eigenart einem der in der BauNVO bezeichneten Baugebiete entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB). Dies ist der Fall. Es liegt ein reines Wohngebiet vor, da in dem Straßenzug H1. , soweit er nach dem Vorstehenden als Innenbereich anzusehen ist, ausschließlich Wohnnutzung besteht (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 BauNVO). Die auf der anderen Seite der W.----straße liegenden Grundstücke prägen das Grundstück des Antragstellers nicht und bleiben daher außer Betracht.

Die Kammer hat erwogen, ob sich der Antragsteller wegen der Nähe seiner Wohnlage zum umgebenden Außenbereich einen Zuschlag zum Immissionsrichtwert gefallen lassen muss. Eine generalisierende Wertung dahin, dass in Randlagen zum Außenbereich zusätzliche Lärmbelastungen in Höhe von 5 dB oder mehr regelmäßig hinzunehmen sind, ist allerdings nicht zulässig. Maßgeblich ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der gegebenen Vorbelastung und der Schutzwürdigkeit des Gebiets.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 CN 3.12 -, BVerwGE 147, 206 = juris, Rdnr. 27; Beschluss vom 12. Januar 2015 - 4 BN 18.14 -, ZfBR 2015, 271 = juris, Rdnr. 23.

Angesichts des baulichen Zusammenhangs mit dem Ortsteil I. und der deutlichen Abschirmung des Straßenzuges H1. zu den umgebenden landwirtschaftlichen und Gewerbebetrieben erscheint hier allenfalls ein maßvoller Zuschlag von etwa 2 dB angebracht. An der (voraussichtlichen) Rechtswidrigkeit der Genehmigung würde ein solcher Zuschlag nichts ändern. Er würde nicht dazu führen, dass der Antragsteller einen nächtlichen Geräuschpegel von 39 dB oder sogar, wie nach der Nebenbestimmung Nr. 5 maximal zulässig, von 45 dB hinzunehmen hätte.

Die nach allem wahrscheinlich gegebene Überschreitung des nächtlichen Lärmimmissionsrichtwerts ist nicht nur objektiv rechtswidrig, sondern verletzt gerade auch subjektive Rechte des Antragstellers als Eigentümer des Wohngrundstücks H1. 30.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.

Für den Streitwert hat sich die Kammer mangels Anhaltspunkten für eine bezifferbare Wertminderung des Grundstücks des Antragstellers an den Nrn. 19.2 und 2.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert und den dort angegebenen Wert von 15.000,- Euro für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert.

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