ArbG Essen, Urteil vom 17.07.2014 - 5 Ca 590/14
Fundstelle
openJur 2015, 21860
  • Rkr:

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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf EUR 8.796,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung.

Der am 09.11.1980 geborene Kläger war seit dem 15.01.2012 im Betrieb der Beklagten als kaufmännischer Mitarbeiter im Bereich Anlagen/Bauleistungen/Rohrleitungstechnik/Verfahrenstechnik zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 2932 € tätig.

§ 11 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vom 16.12.2011 (Bl. 3 ff. dA.) enthält eine Bezugnahmeklausel, nach welcher unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit des Mitarbeiters die jeweils für die Gesellschaft kraft eigenen Abschlusses, kraft Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband oder kraft Allgemeinverbindlichkeit anwendbaren Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Dies sind nach den weiteren Ausführungen in § 11 Abs. 1 des Arbeitsvertrages der von der Arbeitgebervereinigung Energiewirtschaftlicher Unternehmen e.V. (im Folgenden: AVE) abgeschlossene Mantel-, Entgeltrahmen- und Entgelttarifvertrag.

Der zwischen den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 16.12.2011 (Bl. 3 ff dA.) sah zunächst eine Befristung für den Zeitraum 15.01.2012 bis zum 31.12.2013 vor, wobei die Parteien in § 9 Abs. 1 des Arbeitsvertrages eine Zeitbefristung gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG iVm. Ziffer 2.3.1. des von der AVE abgeschlossenen Manteltarifvertrages vereinbarten.

Am 11.12.2013 bzw. 16.12.2013 (Bl. 49 dA.) vereinbarten die Parteien in Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 16.12.2011 eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.03.2014, wobei wiederum auf § 14 Abs. 2 TzBfG iVm. Ziffer 2.3.1 des von der AVE abgeschlossenen Manteltarifvertrages Bezug genommen wurde.

Ziffer 2.3.1 des MTV, der am 01.03.2012 zwischen der AVE und der IG BCE für die E.ON Service GmbH und die Beklagte als Mitglieder der Tarifgruppe "Dienstleistung" abgeschlossen wurde, bestimmt folgendes:

"Höchstzulässige Befristungsdauer und Anzahl der Verlängerung

Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer ist auch die höchstens fünfmalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig."

Mit bei Gericht am 27.02.2014 eingegangener, der Beklagten am 06.03.2014 zugestellter Klage, macht der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung geltend.

Der Kläger ist der Ansicht, die von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Erhöhung der zulässigen Höchstdauer der Befristung von zwei auf fünf Jahre sei unzulässig. Hierdurch würden Arbeitnehmerrechte unzulässig beeinträchtigt. Insbesondere sei nicht zu erkennen, weshalb in der Energiewirtschaft eine besondere Notwendigkeit für Befristungen ohne sachlichen Grund bestehe. Hinzu komme, dass der Manteltarifvertrag konkret nicht aufgrund beidseitiger Verbandszugehörigkeit, sondern lediglich aufgrund vertraglicher Vereinbarung zur Anwendung gelange. Insoweit unterliege er einer AGB-Kontrolle.

Der Kläger beantragt,

-festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung im Arbeitsvertrag vom 11.12.2013 zum 31.03.2014 beendet ist.

Die Beklagte beantragt,

-die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Verlängerung der gesetzlichen Höchstdauer der Befristung durch die Regelung in Ziffer 2.3.1. des MTV sei, da sie sich im Rahmen der gesetzlichen Tariföffnungsklausel des § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG bewege, wirksam..

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Befristungskontrollklage ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Die Befristung ist nicht bereits nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig, da die in § 14 Abs. 2 S. 1 normierte gesetzliche Höchstdauer überschritten ist. Nach dieser Bestimmung ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Diese gesetzliche Höchstdauer von zwei Jahren ist im konkreten Fall, da das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bereits am 15.01.2012 begann und über den 15.01.2014 fortgesetzt wurde, überschritten.

2.

Die streitbefangene Befristung ist aber gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 und Satz 4 TzBfG iVm. Ziffer 2.3.1 MTV zwischen AVE und IG BCE vom 01.03.2012 wirksam.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren (§ 14 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 TzBfG). Nach § 22 Abs. 1 TzBfG kann außer in den Fällen des § 12 Abs. 3, § 13 Abs. 4 und § 14 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 von den Vorschriften des TzBfG nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden (BAG v. 15.08.2012 - 7 AZR 184/11 - NZA 2013, 45 ff.).

Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 TzBfG, unter denen nach § 22 Abs. 1 TzBfG zu Ungunsten des Arbeitnehmers von der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG bestimmten Frist für einen nach § 14 Abs. 2 TzBfG sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag abgewichen werden kann, liegen im Streitfall vor.

Ziffer 2.3.1 des MTV trifft eine Festlegung iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Die Tarifbestimmung modifiziert die Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer einer ohne Sachgrund vereinbarten Befristung. Die den Tarifvertragsparteien mit § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffnete Möglichkeit, die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung oder beide Umstände abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festzulegen, ist zwar nach dem Gesetzeswortlaut weder hinsichtlich der Höchstdauer noch der Anzahl der Verlängerungen eingeschränkt. Dennoch ist sie nicht völlig unbegrenzt. Vielmehr gebieten systematischer Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck des TzBfG, aber auch verfassungs- und unionsrechtliche Gründe eine immanente Beschränkung der durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffneten Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien (BAG v. 15.08.2012, a. a. O.).

Nach Auffassung der Kammer ist diese Modifizierung der Anzahl der Verlängerungen und der Höchstdauer von der gesetzlichen Tariföffnungsklausel des § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG gedeckt und es bedarf keiner Entscheidung, wo die Grenzen der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien liegen. Bislang wurde - soweit ersichtlich - lediglich entschieden, ob eine tarifvertraglich vorgesehene Höchstdauer der Befristung ohne Sachgrund iHv. 42 Monaten und einer höchstens viermaligen Verlängerung zulässig ist. Die konkret zu beurteilende tarifvertragliche Regelung sieht zwar eine Höchstdauer von 60 Monaten und damit gegenüber der vom BAG zu beurteilenden tarifvertraglichen Regelung um weitere 30 % vor. Gleichwohl ist die Kammer der Auffassung, dass auch die Festlegung der zulässigen Höchstdauer von 60 Monaten für die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes weder nach der Systematik und dem Zweck des TzBfG noch aus verfassungs- oder unionsrechtlichen Gründen bedenklich ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, dass der Manteltarifvertrag nicht unmittelbar und zwingend gilt. Für die Anwendbarkeit des MTV genügt die arbeitsvertragliche Bezugnahme, die im konkreten Fall in § 9 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vom 16.12.2011 enthalten ist. Kraft dieser vertraglichen Vereinbarung findet der Tarifvertrag und damit auch die gegenüber der gesetzlichen Regelung in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG erweiterte Befristungsmöglichkeit unstreitig Anwendung.

Entgegen der Auffassung des Klägers unterliegt die Regelung in Ziffer 2.3.1 des MTV - obwohl der Tarifvertrag lediglich kraft Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet - auch keiner AGB-Kontrolle. Die §§ 307 Abs. 1, Abs. 2, 308 und 309 BGB finden keine Anwendung. Tarifverträge stehen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB gleich. Für eine Inhaltskontrolle ist deshalb kein Raum, weil es sich um eine Globalverweisung handelt, mithin ein gesamter Tarifvertrag in Bezug genommen wird. Demgegenüber ist die Inhaltskontrolle nur für von Rechtsvorschriften - und damit auch von Tarifverträgen - abweichende Regelungen eröffnet, so dass dann, wenn einzelvertraglich ein Tarifvertrag in den Vertrag einbezogen wird, für eine Inhaltskontrolle kein Raum ist (beispielhaft für viele: BAG v. 27.07.2005 - 7 AZR 486/04 - NZA 2006, 40 ff.). Dies gilt auch für Haustarifverträge (BAG v. 26.04.2006 - 5 AZR 403/05 - NZA 2006, 845 ff.)

Nach alledem war die Klage abzuweisen. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat aufgrund der Befristung mit Wirkung zum 31.03.2014 geendet.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

III.

Der Streitwert ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO im Urteil festzusetzen. Die Festsetzung orientiert sich an der in § 42 GKG zum Ausdruck kommenden Wertung, dass eine Bestandsschutzklage mit einem Viertelbruttojahresgehalt zu bewerten ist.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Ludwig-Erhard-Allee 21

40227 Düsseldorf

Fax: 0211 7770-2199

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

- gez. Dr. Hagedorn -