ArbG Bielefeld, Urteil vom 15.09.2010 - 4 Ca 1609/08
Fundstelle
openJur 2016, 4805
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert wird auf 20.160,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Mit der am 18.06.2008 erhobenen Klage macht die Klägerin Ansprüche auf Verschaffung einer Zusatzversorgung geltend.

Die 1956 geborene Klägerin steht seit dem 15.02.1988 als Ärztin im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten, die die städtischen Kliniken in C betreibt.

Die Einzelheiten der Arbeitsbedingungen sind in den schriftlichen Arbeitsverträgen vom 28.01.1988 und 20.11.1988 niedergelegt.

§ 6 der Arbeitsverträge hat folgenden Wortlaut:

Der Arzt wird nach Maßgabe des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 04.11.1966 in der jeweiligen Fassung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zusätzlich versichert.

Vor Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der Beklagten war die Klägerin im Ev. Krankenhaus St. K X e.V. tätig und hatte sich auf eigenen Antrag von der Zusatzversorgung bei der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse (KZVK) Rheinland-Westfalen-Lippe befreien lassen. Von der genannten Zusatzversorgungskasse erhielt die Klägerin unter dem 05.03.1985 folgendes Schreiben:

Befreiung von der Zusatzversorgungspflicht

Sehr geehrte Frau Dr. T,

wir bestätigen den Eingang Ihres Antrages vom 18.12.1984 und befreien Sie gemäß § 81 Abs. 6 unserer Satzung von der Zusatzversicherungspflicht über den 01.01.1985 hinaus.

Diese Befreiung ist endgültig.

Eine Durchschrift dieser Bestätigung haben wir Ihrem Arbeitgeber zugesandt.

Die Befreiung von der Zusatzversorgungspflicht wirkt auf das gesamte System der öffentlichen und kirchlichen Zusatzversorgungseinrichtungen.

Den Bescheid vom 05.03.1985 legte die Klägerin der Beklagten aus Anlass der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages vom 28.01.1988 vor.

In der von der Klägerin unterzeichneten "Erklärung von Ärzten zur Alters und Hinterbliebenenversorgung" vom 03.01.1988 heißt es:

Ich bin früher von der Versicherungspflicht zur VBL oder einer anderen Zusatzversorgungskasse bereits befreit worden und zwar ab 01.12.1983

von Zusatzversorgungskasse: Kirchliche Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen

Arbeitgeber im Zeitpunkt der Befreiung: Ev. St. K X

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Bescheid der KZVK Rheinland-Westfalen vom 05.03.1985 sich nur auf die Zusatzversorgung gemäß Satzung der KZVK beziehe; keinesfalls habe sie daraus den Schluss ziehen können, dass die Beklagte als neuer Arbeitgeber für sie keine zusätzliche Versicherung bei der VBL abschließen könne.

Die Klägerin behauptet, dass sie anlässlich der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages die Sachbearbeiterin des Personalamtes darauf hingewiesen habe, dass sie sich bei ihrem vorherigen Arbeitgeber von der Zusatzversorgungspflicht habe befreien und die hierfür vorgesehenen Arbeitgeberbeiträge in eine Lebensversicherung habe einzahlen lassen. Sie habe explizit die Möglichkeit angesprochen, dies bei der Beklagten ebenso zu handhaben. Die Sachbearbeiterin habe darauf erklärt, dass dies bei der Beklagten nicht möglich sei, man habe ja die VBL, bei der auch die Klägerin versichert werde. Mit dieser Auskunft habe sich die Klägerin zufrieden gegeben, zumal sie anschließend das Formular "Erklärung von Ärzten" mit der Bitte erhalten habe, dieses auszufüllen, damit eine Anmeldung bei der VBL erfolgen könne. Der Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt verdeutlicht worden, dass aufgrund der KZVK-Befreiung keine Anmeldung bei der VBL erfolgen könne; vielmehr sei genau der gegenteilige Eindruck erweckt worden.

Die Beklagte habe es schuldhaft unterlassen, die Klägerin jedenfalls nach Eingang der "Erklärung von Ärzten" auf die Folgen der Befreiung von der Zusatzversorgungspflicht hinzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Versorgung zu verschaffen, die ihr zustünde, wenn sie seit dem 15.02.1988 bei der Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder entsprechend ihrer jeweiligen Vergütung versichert worden wäre.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass sich die Klägerin auf eigene Initiative von der Zusatzversorgungspflicht habe befreien lassen mit der Folge, dass dies auch für die Zukunft bindend sei. Dementsprechend seien ausweislich der Entgeltabrechnung der Klägerin zu keinem Zeitpunkt Arbeitnehmerbeiträge zur Zusatzversorgung abgebucht worden. Die Klägerin habe daher ein höheres monatliches Nettoeinkommen erhalten.

Aufgrund der Erklärung der Klägerin vom 30.01.1988 sei die Personalstelle davon ausgegangen, dass eine Versicherungspflicht nicht vorliege. Die klaren Vorgaben in der "Erklärung von Ärzten" seien im Beratungsgespräch thematisiert worden.

Im Übrigen beruft sich die Beklagte auf Verwirkung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin C1. Auf das im Sitzungsprotokoll vom 15.09.2010 niedergelegte Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin kann die begehrte Feststellung nicht verlangen.

Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung.

Ein sich möglicherweise au § 311a BGB i.V.m. § 6 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages ist verwirkt.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zugewartet hat (Zeitmoment) und der Schuldner deswegen annehmen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, er sich darauf eingerichtet hat und ihm die gegenwärtige Erfüllung des Rechts oder Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment; vgl. etwa BAG 30.01.1991 ? 7 AZR 497/89 ? BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu I 2 der Gründe).

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat. Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (vgl. BAG 25.04.2001 ? 5 AZR 497/99 ? AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 46 = EzA BGB § 242 Verwirkung Nr. 1).

a) Das für die Annahme der Verwirkung erforderliche Zeitmoment ist gegeben. Denn die Klägerin hat mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche seit Abschluss des Arbeitsvertrages nahezu 20 Jahre zugewartet.

Dass zu ihren Gunsten eine Zusatzversorgung nicht abgeschlossen war, hätte die Klägerin ohne Weiteres daran erkennen können, dass eine Abführung der Arbeitnehmerbeteiligung an der Zusatzversorgung in der Vergangenheit unterblieben ist. Insoweit wäre nach Auffassung der Kammer von der Klägerin eine besondere Sorgfalt zu erwarten gewesen. Denn die Klägerin hat sich auf eigene Initiative von der Zusatzversorgungspflicht befreien lassen. Es war daher ihre Obliegenheit, sich im Einzelnen darüber kundig zu machen, welche Konsequenzen mit der Befreiung von der Zusatzversorgungspflicht verbunden waren. Die Klägerin hätte daher wissen müssen, dass eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung bei der Zusatzversorgung des Bundes und der Länder nicht mehr möglich war.

Dass seitens der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages eine gegenteilige Information erfolgt ist, konnte die Klägerin nicht beweisen.

Die zu den klägerischen Behauptungen vernommene Zeugin C1 hat diese Angaben nicht bestätigt.

Die Zeugin hat ihre Aussage ruhig sicher und in sich widerspruchsfrei gemacht. Für die Kammer waren keine Gesichtspunkte erkennbar, die Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage hätten begründen können.

Die Zeugin hatte zwar keine konkrete Erinnerung an das mit der Klägerin geführte Gespräch, ihr war jedoch bewusst, dass die Abmeldung von der Zusatzversorgungspflicht endgültig ist. Es ist daher für die Kammer nicht erkennbar, weshalb sie der Klägerin eine anderslautende Auskunft erteilt haben sollte.

b) Auch das Umstandsmoment ist gegeben. Denn die Beklagte konnte aufgrund des von der Klägerin bei Abschluss des Arbeitsvertrages vorgelegten Bescheides der KZVK vom 05.03.1985 davon ausgehen, dass der Klägerin die Konsequenzen der Befreiung von der Zusatzversorgungspflicht bekannt waren. Die Beklagte hat auf diesen Umstand vertraut und in der Folgezeit über einen Zeitraum von 20 Jahren weder Arbeitgeber- noch Arbeitnehmeranteile zur Zusatzversorgung abgeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Streitwert wurde in Höhe von 80% des 36-fachen Wertes des monatlichen Zusatzversorgungsanspruches festgesetzt, der mit ca. 700,- € angegeben wurde.