LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.2015 - L 6 VG 1832/12
Fundstelle
openJur 2015, 11707
  • Rkr:

1. Die Beiziehung der Akten Dritter oder die Einholung von Behördenauskünften über Dritte bedarf der Einwilligung des Dritten nach § 4a BDSG, sie ist nicht durch die Aufklärungspflicht des Vorsitzenden nach § 106 Abs. 3 SGG umfasst, vielmehr ist insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht ebenso zu beachten wie die ärztliche Schweigepflicht.

2. Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt, nicht hingegen wenn die Aussagetüchtigkeit ärztlicherseits bestätigt wird.

3. Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge nicht grundsätzlich als "rechtswidrig" eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigen.

4. Eine psychische Gesundheitsstörung kann dann nicht gesichert auf die vorgetragenen Schädigungen zurückgeführt werden, wenn eine erhebliche familiäre Vorbelastung besteht, weiterhin langjähriger Drogenmissbrauch, Halluzinationen durch exzessives Meditieren, eine schillernde Aussteigervergangenheit sowie eine spätestens 1997 gescheiterte Berufsbiografie mit wechselnden Tätigkeitsfeldern (insbesondere im künstlerischen und sozialen Bereich) vorliegen, die ebenfalls bei der Ausprägung psychischer Erkrankungen eine maßgebende Rolle gespielt haben können.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. März 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Schädigung bis zum 17. Lebensjahr in der Familie der Klägerin nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) streitig.

Die am ... März 1965 geborene Klägerin wuchs als dritte von insgesamt vier Geschwistern einer deutsch-dänischen Ehe in Hamburg auf, wo sie acht Jahre die Schule besuchte. Ihre Kindheit empfand sie aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter, die zeitlebens ständig Psychopharmaka einnehmen musste, als traumatisierend (vgl. zum Folgenden: Anamnese des Gutachtens des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B.). Sie verzog dann knapp sechzehnjährig nach Nürnberg, lebte dort drei Monate in einer anarchistischen Kommune, anschließend auf einer Schaffarm und zog schließlich nach Dänemark, wo sie ihr Abitur nachholte. Danach absolvierte sie in Deutschland eine dreijährige Ausbildung zur Holzbildhauerin, hielt sich anschließend ein Jahr in Indien auf, kehrte nach Amsterdam zu einem Kunststudium zurück, wo sie eigenen Angaben zufolge erstmals für drei Jahre Drogen konsumierte, versuchte es dann in Portugal mit „Kost und Logis“, von dort ging sie nach Norwegen ohne sich zu stabilisieren und kehrte schließlich im September 1995 nach Hamburg zurück, wo sie u. a. als Altenpflegerin tätig war. Seit 1997 ist sie als erwerbsunfähig frühberentet. Mit Bescheid vom 4. Juli 2005 stellte der Beklagte die Schwerbehinderteneigenschaft seit 21. Februar 2005 aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen Persönlichkeitsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) fest.

Vom 23. August bis 10. Oktober 1996 musste sie sich erstmalig in stationäre psychiatrische Behandlung begeben, nachdem sie im Rahmen eines Yoga- und Meditationsseminars von insgesamt drei Wochen optische, zum Teil auch akustische Halluzinationen bekam. Damals beschrieb sie ihren Vater als sehr autoritär, impulsiv und nahezu gewalttätig, die Mutter als leidend, mitfühlend und in der Opferrolle verhaftet. Frühkindliche Entwicklung und Pubertät seien durch die strenge Erziehung sowie die Eheschwierigkeiten der Eltern geprägt gewesen. Ausweislich des Entlassungsberichts über die stationäre Behandlung in der Universitätsklinik E. litt die Klägerin an einer akuten psychotischen und mittelgradigen depressiven Episode. Eine weitere stationäre Behandlung schloss sich vom 5. Februar bis 6. August 1997 in der Fachklinik H. in B. an, wo ein Zustand nach einer akuten psychotischen Episode bei rezidivierend depressiver Störung auf dem Boden einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. Sie berichtete, dass sie an ihre Kindheit bis zum fünften Lebensjahr kaum Erinnerungen habe, die Atmosphäre im Elternhaus sei sehr gewaltsam gewesen, sie sei täglich mit dem Kochlöffel geschlagen worden, wenn sie nicht das gegessen habe, was auf dem Tisch gestanden habe, sie sei vom Vater häufig geprügelt und auch eingesperrt worden, der auch ihre Mutter lebensbedrohlich gewürgt habe, worauf diese den Vater verlassen habe.

Im Rentenverfahren diagnostizierte Dr. B. eine latente dekompensierte schizophrene Psychose. Die Einnahme von Neuroleptika sei zu empfehlen, die Klägerin sei derzeit nicht in der Lage, eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit zu leisten. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. S. sah am 11. Juli 2000 eine chronische undifferenzierte Schizophrenie mit beginnender Defektsymptomatik. Die Klägerin habe sich in wallenden Hippie-Gewändern mit etwas bizarr wirkendem äußerem Erscheinungsbild gezeigt, in der Familie seien zahlreiche psychische Auffälligkeiten bekannt (beide Großeltern mütterlicherseits seien durch Suizid aus dem Leben geschieden, auch ihre Mutter habe wegen Depressionen mehrere Suizidversuche unternommen, ebenso ihre beiden Schwestern).

In der Klinik für Psychosomatische Medizin, wo sich die Klägerin zur weiteren Stabilisierung aufhielt (Aufenthalt vom 5. August bis 11. November 2003 in G.), wurde erstmalig eine PTBS diagnostiziert. Die Klägerin gab zu ihrer Biographie an, sie habe ihre Kindheit vorwiegend einsam, traurig und angstvoll erlebt. Sie sei selbst von der Gewalttätigkeit des Vaters verschont geblieben, ihre Schwestern seien aber häufig geschlagen worden. Ihre Mutter habe ihren Kindern oft mit abendlichen Strafen des Vaters gedroht, zu ihr habe ein sehr ambivalentes Verhältnis bestanden.

Am 21. Januar 2005 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG, die sie mit einer schweren Traumatisierung ab der frühesten Kindheit für die Zeit von 1965 bis 1981 begründete. Seit dem Säuglingsalter habe ihr leiblicher Vater massive Gewalt ausgeübt, er habe ihren Körper geschlagen, insbesondere den Kopf gegen die Wand, später sie auch getreten, insbesondere in die Genitalien, und sexuelle Überschreitungen vorgenommen. Sie leide deswegen an einer chronischen PTBS und erhalte seit Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zog der Beklagte die ärztlichen Befunde des Universitäts-Krankenhauses H. und die Unterlagen des Rentenversicherungsträgers, der damaligen BfA Berlin, bei und lehnte nach deren Auswertung mit Bescheid vom 17. Juni 2005 den Antrag mit der Begründung ab, die ärztlichen Befunde bestätigten das Vorliegen schwerer psychischer Störungen, ohne konkrete Hinweise auf mögliche Ursachen zu geben, so dass nicht festgestellt werden könne, ob die Klägerin die geschilderten Gewalttaten auch tatsächlich erlebt habe. Es bestehe die bloße Möglichkeit, dass die von ihr geschilderten Angriffe so stattgefunden hätten, dies sei jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei in ihrem Leben und ihrer persönlichen Integrität bedroht worden, auch ihre beiden Schwestern seien durch die Gewalttätigkeiten betroffen gewesen. Sie befinde sich seitdem in ständiger Therapie. Sie habe damals von Jugendämtern nichts gewusst und eine Schule besucht, deren Schulleiter selber sexuell übergriffig gewesen sei. Auf Nachfrage seitens des Beklagten gab die Klägerin an, konkreteste Erinnerung sei die an die letzte Gewalttat ihres Vaters von 1982, als er sie wiederholt mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen und auch in den Bauch getreten habe. Sie habe dabei keine größeren Verletzungen außer Nasenbluten erlitten, sie sei allein mit ihrem Vater im Zimmer gewesen. Kurze Zeit später habe sie ihr Elternhaus verlassen. Initiatorin für die Gewalttätigkeiten sei ihre Mutter gewesen, die ihren Vater aufgefordert habe, ihr die Leviten zu lesen. Ferner sei sie im Alter zwischen sechs und sieben Jahren von ihrem Vater in der Badewanne während des Badens unter Wasser gedrückt worden. Schließlich sei er im Keller, als sie fünf bis sechs Jahre alt gewesen sei, übergriffig geworden. Die Schilderung belaste sie psychisch. Ihr Vater habe dabei seinen Unterbauch und sein Geschlechtsteil in ihren Rücken gedrückt, welches für sie so bedrohlich gewesen sei, dass sich ihr Bewusstsein in eine andere Ecke des Raumes geflüchtet habe und schließlich ganz verschwunden sei. Sie wisse nicht, was damals passiert sei. Sie habe sich deswegen zunächst nicht in Behandlung begeben und habe seit sieben Jahren keinen Kontakt mehr mit der Familie.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2006 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Klägerin selbst habe in der Klinik für Psychosomatische Medizin 2003 berichtet, dass sie von den Gewalttätigkeiten ihres Vaters verschont gewesen sei, und noch 2006 bestätigt, dass ihre Mutter nie Zeugin von Gewalttätigkeiten gewesen sei und es auch keine sichtbaren Verletzungen gegeben habe. Die Angaben der Klägerin seien insgesamt nicht konstant und widersprüchlich, es gebe auch keine Zeugen zu den maßgeblichen Taten und auf eine Befragung der Familienmitglieder könne verzichtet werden, da diese nach eigenen Angaben von den Taten nichts mitbekommen hätten.

Hiergegen hat die Klägerin am 9. November 2006 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und bestritten, jemals angegeben zu haben, von den Gewalttätigkeiten ihres Vaters verschont geblieben zu sein. Sie sei diesen lediglich weniger ausgesetzt gewesen als ihre beiden älteren Schwestern.

Sie habe ihrer Mutter von dem letzten Gewalterlebnis 1981 am darauffolgenden Tag berichtet. Da dieser Vorfall der Anlass für ihre Flucht aus dem Elternhaus eine Woche später gewesen sei, könne sich ihre Mutter hieran sicherlich erinnern.

Die Klägerin hat den Entlassungsbericht der Klinik S., wo sie vom 15. August bis zum 10. November 2005 in stationärer psychosomatischer Behandlung war, vorgelegt, wo ebenfalls eine chronisch-komplexe PTBS, aber auch eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden ist. Danach hat die Klägerin berichtet, sie habe in ihrer Familie um die Erfüllung der elementarsten Bedürfnisse kämpfen müssen und sei wiederholt in lebensbedrohliche Situationen gekommen. Sie habe selbst im Alter von fünf Jahren einen Suizidversuch unternommen. In ihrer Familie habe bei Geldmangel eine Gewaltatmosphäre geherrscht. Sie sei seit 1997 erwerbsunfähig. Die Klägerin hat ferner ein Schreiben der Psychosomatischen Klinik G. vom 14. Dezember 2006 vorgelegt, wonach der behandelnde Psychiater Dr. R. auf den Vorwurf an die Klägerin unglaubwürdig zu sein, ausgeführt hat, der in der Biographie dokumentierte Satz: „sie sei verschont worden von der Gewalttätigkeit des Vaters“ müsse psychodynamisch verstanden werden, denn es könne in keinster Weise davon gesprochen werden, dass die Klägerin von der Gewalttätigkeit des Vaters tatsächlich verschont worden wäre. Nach der im vorgelegten Entlassungsbericht der Kliniken H. (stationäre Behandlung vom 29. August bis 19. September 2006) wiedergegebenen Anamnese sei die Klägerin mit körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch groß geworden, sie habe die Arbeit mit inneren Anteilen zur Aufdeckung biographischen Materials genutzt.

Der Beklagte ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, dass über den Zeitraum vom 8. bis 17. Lebensjahr (1972 bis 1982) nichts belegt sei. Die Klägerin trage nichts Konkretes für diese lange Zeitspanne vor, so dass nach wie vor wegen unzureichender Angaben, widersprüchlicher Aussagen und fehlender Aussagekonstanz nicht glaubhaft sei, dass sie Opfer von Gewalttaten gewesen sei.

Hierauf hat die Klägerin das Ruhen des Verfahrens beantragt, da sie plane, den 1999 abgebrochenen Kontakt mit ihrer Familie wieder aufzunehmen. Das mit Beschluss vom 18. Dezember 2007 zum Ruhen gebrachte Verfahren ist auf das Schreiben der Klägerin vom 21. August 2008 fortgeführt und eine mündliche Verhandlung am 21. Januar 2009 durchgeführt worden. Die Anfrage des SG an die Mutter der Klägerin zum Einverständnis bezüglich weiterer Nachforschungen und Beiziehung von Akten ist mit dem nicht unterschriebenen Vermerk: „Ich weiß nichts davon“ zurückgesendet worden. Telefonisch hat der Ehemann der Mutter am 20. Mai 2009 mitgeteilt, sie seien nicht bereit, irgendwelche Fragen zu beantworten und wollten nichts damit zu tun haben. Die daraufhin von der Klägerin als Zeugen benannten Geschwister haben jeweils mitgeteilt, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Der von der Klägerin des Weiteren als Zeuge benannte ehemalige Schwager, der in Dänemark wohnhafte P. P., hat mit Schreiben vom 9. März 2010 ausgeführt, dass er von der Klägerin in der Zeit von 1992 bis 1995 und später 2009 in einigen langen Telefonaten über die Zeit von 1965 bis 1982 in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Klägerin habe ihm von der sehr dominanten Rolle ihres Vaters mit einer ausgeprägten Jähzornigkeit berichtet, die sich in Gewalttätigkeiten gegenüber seinen Kindern und seiner Ehefrau geäußert habe, die er schon wegen geringster Vergehen oder einfach nur aus einer Laune heraus körperlich misshandelt habe. Ca. 1995 habe die Klägerin in einem Brief über vorgenommene sexuelle Praktiken berichtet, nämlich dass sie sich in einer Kellerwerkstatt auf den väterlichen Schoß habe setzen müssen und dabei sein erigiertes Geschlechtsteil gespürt habe, während er an ihr herumgefummelt habe. Sein Schwiegervater habe auch einmal seinen Enkel geohrfeigt und an den Ohren gezogen. Auf Nachfrage hat P. P. ausgeführt, dass seine Ex-Ehefrau ihm einmal von Vorkommnissen berichtet habe, dass auch die Klägerin geschlagen worden sei, sexuelle Annäherungen des Vaters seien ihm gegenüber durch kein weiteres Familienmitglied erwähnt worden. Die Gründe der Klägerin für das frühzeitige Verlassen des Elternhauses seien ihm nicht bekannt.

Das Frauenhaus in F. hat fernmündlich mitgeteilt, dass sich die Mutter der Klägerin vom 2. bis 4. und vom 26. bis 27. Februar 1985 dort aufgehalten habe, aber keinerlei Unterlagen mehr darüber vorlägen. Das SG hat ferner - trotz fehlendem Einverständnis - die Scheidungsakte beigezogen, wonach es nach dem - bestrittenen - Vortrag der Mutter im Vorfeld der Trennung der Eltern zu Tätlichkeiten bis zum Würgen der Mutter im März 1985 gekommen sein soll.

Nachdem die Sachverständige Dr. K. mitgeteilt hat, dass sie das seitens des SG von Amts wegen in Auftrag gegebene Gutachten aus gesundheitlichen Gründen nicht erstatten könne, hat das SG die Klägerin persönlich im weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung befragt. Sie hat angegeben, die sexuellen Übergriffe als Kind gravierender empfunden zu haben als die Gewalthandlungen. Als ihr Vater sie in der Badewanne untergetaucht habe, habe er sie auch unten gewaschen. Dies habe weh getan. Auf Nachfragen hat die Klägerin ergänzt, es sei nicht zu einem Geschlechtsverkehr gekommen, ihr Vater habe ihr aber in der Badewanne den Finger in die Scheide gesteckt. Schließlich hat die Klägerin dargelegt, anlässlich einer Übernachtung im Alter von etwa 23 Jahren bei ihrem Vater habe dieser seinen Penis in ihren Mund geschoben, weiter sei nichts passiert, er habe wohl Angst gehabt, dass sie aufwache. Wegen der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom 14. März 2012 verwiesen.

Mit Urteil vom gleichen Tag, dem Beklagten zugestellt am 4. April 2012, hat das SG die Bescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die Schädigung der Klägerin bis zum 17. Lebensjahr in der Familie nach dem OEG anzuerkennen. Die Klägerin sei von ihrem Vater körperlich misshandelt worden, der auch sexuell übergriffig gewesen sei. Es sei hinreichend nachgewiesen, dass ihr Vater innerhalb der Familie generell zur Ausübung von Gewalt in erheblichem Umfang geneigt habe, welches sich aus der schriftlichen Zeugenaussage des P. P. als Wahrnehmung vom Hörensagen ergebe, der ferner berichtet habe, der Vater habe auch seinen eigenen Sohn an den Ohren gezogen und ihm eine Ohrfeige gegeben. Ferner seien aus der Scheidungsakte andeutungsweise Gewaltübergriffe auf die Mutter zu entnehmen. Schließlich sei ihre Mutter auch im Frauenhaus gewesen, welches sich aus einer dort vorliegenden Karteikarte, die jedoch keine weiteren Informationen enthalte, ergebe. Dies sei ein hartes Indiz und Beweismittel dafür, dass es zu erheblichen Übergriffen und Gewalthandlungen im interfamiliären Bereich gekommen sei. Vor diesem Hintergrund erschienen die Angaben der Klägerin glaubhaft. Die Nichtkonsistenz ihrer Aussagen beruhe darauf, dass sie psychisch krank sei und von ihr daher eine schlüssige und konsistente Argumentation nur eingeschränkt erwartet werden könne. Dies ergebe sich auch aus dem Schreibens der Psychosomatischen Klinik G.. Außerdem spreche mehr dafür als dagegen, dass ein grundsätzlich zu heftigen Gewaltausbrüchen neigender Vater diese Gewalt prinzipiell gegen alle Familienmitglieder richte. Eine Sonderrolle könne allenfalls der jüngste Bruder der Klägerin gespielt haben. Weiter habe die Klägerin glaubhaft geschildert, dass sie von dem Vater erstmalig im Alter zwischen fünf oder sechs Jahren missbraucht worden sei. Dass sie keine genaue Erinnerung an das Geschehen habe, sei darin begründet, dass es zu einer „Abspaltung“ gekommen sei. Ferner sei sie beim Baden fast erstickt worden und es sei auch zu weiteren sexuellen Handlungen in der Badewanne gekommen. Die Klägerin habe insoweit von einem Hoppereiter- bzw. „Fall in den Graben-Spiel“ berichtet, ohne hier weitere konkrete Angaben machen zu können. Somit sei das Gericht davon überzeugt, dass zu der Gewalt auch eine sexuelle Missbrauchskomponente gekommen sei. Das Schlagen des Kopfes gegen eine Wand sei als Züchtigungsmittel außerhalb jeglicher Diskussion ebenso wie das Treten in den Unterleib gewesen, so dass die Handlungen auch nicht durch das Züchtigungsrecht gedeckt seien.

Hiergegen hat der Beklagte am 30. April 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass bei der Klägerin zwar psychische Gesundheitsstörungen vorgelegen hätten. Das Klageverfahren habe aber keinen Nachweis für die behaupteten Taten erbringen können, denn P. P. sei nur Zeuge vom Hörensagen. Auch der selbst wahrgenommene Vorfall des einmaligen Ohrfeigens eines Enkels sei kein Indiz dafür, dass die Klägerin massiv misshandelt worden sei. Aus den Scheidungsakten könne allenfalls eine „prinzipielle Gewalttätigkeit“ hergeleitet werden. Die Befragung der Geschwister und der Mutter sei an der Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht gescheitert. Die Wertung des SG, dass die Erinnerungslücken mit einer Abspaltung zu erklären seien, sei rein spekulativ und könne ohne Beteiligung eines ärztlichen Sachverständigen nicht vorgenommen werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die nunmehr durch eine dritte Rechtsanwältin vertretene Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ihre Schädigung durch die familiären Verhältnisse evident und auf die Gewalttätigkeiten des Vaters zurückzuführen sei. Zum Auszug sei es gekommen, nachdem ihr Vater sie mehrfach mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen und in den Unterleib getreten habe, welches eine erhebliche Rohheit und Nachhaltigkeit darstelle. Auch an ihren Schilderungen bezüglich der Vorfälle im Keller und in der Badewanne bestünden keine Zweifel. Sie habe damals Erstickungsängste und damit Todesangst erlitten, wobei es dem Vater offensichtlich darum gegangen sei, seine Überlegenheit und Macht gegenüber dem Kind zu demonstrieren. Ein derartiger Zusammenhang sei insbesondere bei Gewalttaten mit sexuellem Bezug verbreitet. Ihre Glaubwürdigkeit werde auch nicht durch die Tatsache der Erinnerungslücke bei dem Vorfall im Keller in Zweifel gezogen, vielmehr sei die Abspaltung, etwa in Form einer dissoziativen Amnesie nach traumatisierenden Erlebnissen - vor allem in Fällen sexuellen Missbrauchs - eine durchaus verbreitete Erscheinung. Ihre Aussage werde durch die Wahrnehmung vom Hörensagen des Zeugen P. überzeugend bestätigt. Der Beklagte verkenne, dass eine Gewaltanwendung gegenüber einem dreijährigen Kind eine massive Misshandlung und Kindeswohlgefährdung darstelle. Auch der wiederholte kurzzeitige Aufenthalt ihrer Mutter im Frauenhaus sei im Bereich der häuslichen Gewalt ein typisches Phänomen.

Die vom Senat mit der Erstattung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragte Sachverständige, die Dipl.-Psych. T., hat über die telefonische Ankündigung der Klägerin berichtet, zu dem bereits terminierten Explorationsgespräch Herrn H., der sie ansonsten bei beruflichen Maßnahmen begleite, mitzubringen, weil sie damit rechne, dissoziative Zustände zu haben, und ein Dritter als Zeuge für die Gesprächsinhalte erforderlich sei. Die ihr von Seiten der Sachverständigen in Aussicht gestellte Tonbandaufzeichnung genüge ihr nicht. Eine Begutachtung könne zum jetzigen Zeitpunkt daher nicht erfolgen, da zunächst eine psychiatrische Abklärung des derzeitigen Gesundheitszustandes der Klägerin erforderlich sei.

Hierauf hat die Klägerin ein Attest ihrer damals behandelnden Psychologin S. vom 25. April 2013 vorgelegt, wonach keinerlei Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Aussagefähigkeit der Klägerin bestünden, die von ihr 25 Stunden mit Besserung der Symptomatik (PTBS und dissoziative Störung) behandelt worden sei. Die Erkrankung habe sich auf dem Hintergrund langjähriger Gewaltanwendung seitens des leiblichen Vaters (häufiges mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, in den Unterleib treten und sexueller Missbrauch) entwickelt, sie sei außerdem von einem Onkel sexuell missbraucht worden.

Die Klägerin hat des Weiteren zwei Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden, die vom Senat als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen worden sind. Dipl.-Psych. S. hat ergänzend mitgeteilt, sie habe die Klägerin vom 17. Mai 2011 bis 11. Mai 2012 verhaltenstherapeutisch behandelt, dann habe sich die Klägerin entschieden, nach Freiburg zu ziehen, da sie dort eine Kunstschule besuchen wolle. Sie sei krankheitseinsichtig, sehr gut über ihre Krankheit informiert und arbeite sehr engagiert mit, könne sich an bestimmte trauma-assoziierte Ereignisse krankheitsbedingt nur bruchstückhaft erinnern. Die Psychiaterin N., bei der die Klägerin vom 21. November 2007 bis 22. Oktober 2008 in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung stand, hat eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert und angegeben, viele Trigger-Reize (Zigarettenrauch, Enge in öffentlichen Verkehrsmitteln) lösten Flashbacks aus, es lägen keine Hinweise für mnestische oder kognitive Störungen oder Wahrnehmungsstörungen vor. Die Klägerin sei im Kontakt vorsichtig und misstrauisch, rücke in jeder Stunde den Stuhl weit weg und wische ihn mit einem Tempo ab, bevor sie sich setze. Sie hat ferner verschiedene Entlassungsberichte, u. a. der M.-Klinik über die stationäre Behandlung vom 20. Dezember 2007 bis 10. Januar 2008 beigefügt, wonach die Klägerin die Behandlung als „respektlos und unehrlich“ erlebt und das Zimmer verlassen habe, sobald sie in irgendeiner Form Grenzen gesetzt bekommen habe. Sie habe auf dreimal wöchentlichen 50-Minuten-Einzelgesprächen bestanden und niemanden in ihr einzelbewohntes Doppelzimmer gelassen, in welchem sie zuvor eigenmächtig die Möbel umgestellt habe. Den Vorschlag, unter diesen Umständen besser entlassen zu werden, habe sie als abgeschoben werden empfunden und indirekt mit Suizidalität gedroht, aber die Aufnahme in einer akut-psychiatrischen Klinik zur Krisenintervention ebenfalls strikt abgelehnt. Es habe sich im Gesamtverhalten eine Beziehungsgestaltung auf Borderline-Niveau gezeigt. Sie habe sich aber interessanterweise, nachdem sie jeweils den anderen „den Kopf gewaschen“ habe, am Familienbrett oder der Traumalandkarte im Einzelgespräch zur Mitarbeit bereit gezeigt und zweimal die Traumagruppe besucht. Sie habe zunehmend über wiederholte Erinnerungen an sexuelle Missbrauchserlebnisse in der Kindheit durch den Vater und den Onkel berichtet. Die Behandlung habe wegen des Verhaltens der Klägerin abgebrochen werden müssen.

Da sich Dipl.-Psych. T. trotz der ihr zur Kenntnis gebrachten, weiteren ärztlichen Stellungnahme geweigert hat, ohne Heranziehung eines psychiatrischen Sachverständigen das aussagepsychologische Gutachten zu erstatten, hat der Senat sie von der Erstattung des Gutachtens entbunden und sodann Dr. C. mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Die Klägerin hat hierauf über die Lebenshilfe B. ein Schreiben vorgelegt, wonach für sie Termine in Freiburg und Region wesentlich einfacher zu realisieren seien. Nachdem der Senat die Begutachtung aufrechterhalten hat, hat die Klägerin ein Attest ihrer Hausärztin Dr. P. vorgelegt, wonach sie aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht fähig sei, den Termin wahrzunehmen. Nachdem der Begutachtungstermin dennoch aufrechterhalten worden ist, hat die Klägerin ein weiteres Attest der Dipl.-Psych. S. vorgelegt, wonach die Klägerin am neuen Wohnort noch keinen Psychotherapeuten gefunden habe und sich nicht in der Lage sehe, den Termin ohne Begleitperson wahrzunehmen. Sie sei in ihrem Zustand nicht in der Lage, sicher ein Kfz über mehrere 100 km zu führen oder die Strecke alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Der Senat hat den Gutachtensauftrag in Anbetracht dessen, dass die Psychologin die Klägerin das letzte Mal vor über zwei Jahren gesehen hat, aufrechterhalten, die Klägerin ist aber dennoch zu der Begutachtung nicht erschienen und die Sachverständige hat dargelegt, dass sie sich zu einer Begutachtung nach Aktenlage außerstande sehe.

Die Klägerin hat das Mandatsverhältnis zu ihrer damaligen Bevollmächtigten beendet, nachdem diese ihr zu der Wahrnehmung des Gutachtenstermins geraten hatte. Der Senat hat ihr mit Beschluss vom 12. Januar 2015 ihre neue Rechtsanwältin unter Beschränkung ihres Gebührenanspruchs auf die von der vorherigen Bevollmächtigten nicht geltend gemachten Gebühren beigeordnet und zugleich die Beiordnung der alten Bevollmächtigten aufgehoben.

Der Senat hat schließlich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Die Klägerin kann in zulässiger Weise mit ihrer Klage lediglich die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1 OEG, nicht aber die Gewährung von konkreten Versorgungsleistungen (z. B. Heilbehandlung, Beschädigtenrente) begehren. Denn der Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Juni 2005 ihren Antrag der abgelehnt, weil die anspruchsbegründenden Tatsachen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i. S. des § 1 OEG nicht nachgewiesen sind. Über etwaige Versorgungsansprüche, die die Klägerin zu keinem Zeitpunkt konkret beantragt hatte, hat der Beklagte nicht entschieden, sodass für eine klagweise Geltendmachung kein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

Das Urteil des SG begegnet bereits aus formalen Gründen rechtlichen Bedenken. Denn eine pauschale Feststellung einer Schädigung bis zum 17. Lebensjahr in der Familie der Klägerin, wie sie das SG ohne genaue Feststellung der jeweiligen schädigenden Ereignisse wie deren konkreter zeitlicher Eingrenzung vorgenommen hat, ist für den Anspruch auf Opferentschädigung nicht ausreichend (so bereits Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 - L 10 VE 39/10 - zit. nach Juris - und Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VG 2808/10).

Die Klägerin hat auch materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2006 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin geschilderten Angriffe durch ihren Vater so stattgefunden und auch zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R).

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht, vielmehr belegen die ersten frühen Entlassungsberichte, dass die Klägerin ihr Umfeld nur als gewaltsam geschildert hat und sie von ihrem Vater nicht geprügelt wurde. Sie hat auch zu keinem Zeitpunkt Strafanzeige gegen ihren anscheinend noch lebenden Vater erstattet (vgl. auch „Protokoll“ vom 28. September 2012), sondern war eigenen Angaben zufolge bis sieben Jahre vor dem streitgegenständlichen Antrag noch im Kontakt mit ihrer Familie, war sogar dabei im Alter von 23 Jahren einem weiteren angeblich massiven Übergriff des wieder verheirateten Vaters, nämlich einem Oralverkehr während sie schlief, ausgesetzt, dem sie aber selbst im Gerichtsverfahren keine Bedeutung eingeräumt hat. Unmittelbare Zeugen für die von ihr geschilderten Taten gibt es nach Auskunft der Klägerin nicht, sämtliche benannten Familienangehörige haben die Aussage verweigert; der ehemalige Schwager P. ist nur ein Zeuge vom Hörensagen, dessen Erkenntnisse allein auf Erzählungen der Klägerin beruhen.

Soweit sich das SG für seine Entscheidung auf die beigezogenen und in Kopie zu den SG-Akten genommenen Scheidungsakten der Mutter der Klägerin, die Karteikarte des Frauenhauses Flensburg wie deren telefonische Auskunft gestützt hat, so liegt insoweit ein Beweisverwertungsverbot vor, denn die Mutter hat ausdrücklich der Beiziehung dieser Unterlagen nicht zugestimmt, so dass das SG den Sozialdatenschutz missachtet hat (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 5b). Nach § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sind nämlich die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten, d.h. Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener) im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat. An dieser Einwilligung der Mutter der Klägerin nach § 4a Abs. 1 BDSG fehlt es, auch ist die Beiziehung der Akten Dritter nicht von der Aufklärungspflicht des Vorsitzenden nach § 106 Abs. 3 SGG umfasst. Insbesondere handelt es sich nicht um die Einholung von Auskünften im Sinne der Nr. 3, die förmlich im SGG nicht beschränkt ist, nämlich einer Äußerung einer Zeugin oder einer Amtsperson, zumal es auch insoweit keine Pflicht zur Auskunftserteilung gibt (Bayerisches LSG, Urteil vom 6. April 1962 - L 7/S 13/60), vielmehr ein Zeugnisverweigerungsrecht ebenso zu beachten ist wie die ärztliche Schweigepflicht.

Dessen ungeachtet können mögliche Gewalttätigkeiten gegenüber der Mutter der Klägerin im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der dann erfolgten Scheidung nicht Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Tochter selber Opfer der väterlichen Gewalt, die nicht mehr durch das elterliche Züchtigungsrecht gedeckt ist (dazu siehe unten), geworden ist. Denn das SG hat nicht das Naheliegende beachtet, nämlich dass es sich bei der Trennung eines Ehepaares um eine Situation mit besonderem Konfliktpotential, also einen Ausnahmezustand gehandelt hat, außerdem der Vater die Taten mitnichten eingeräumt, es sich also um reinen Parteivortrag im Scheidungsverfahren gehandelt hat. Gleiches gilt insoweit, als der Enkel vom Großvater einmal als Strafe eine Ohrfeige bekommen haben soll, wobei einiges dafür sprechen dürfte, dass es sich um eine maßvolle Züchtigung gehandelt hat. Dieser einmalige Vorfall belegt noch nicht, dass der Vater gegenüber der Klägerin die Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechts so weit wie für die Feststellung eines Anspruchs nach dem OEG erforderlich überschritten hat.

Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).

Diese besondere Beweiserleichterung ist auch im Falle der Klägerin zu beachten. Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.

Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 17/02 - zit. nach Juris).

Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 17. Lebensjahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe durch ihren Vater geworden ist. An der Aussagetüchtigkeit der Klägerin besteht nach der überzeugenden Einschätzung von Dipl.-Psych. S. kein Zweifel, was auch durch den Eindruck in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, zumal neuere Erkenntnisse zur Aussagetüchtigkeit der Klägerin nicht vorliegen. Der Senat konnte deswegen nach Anhörung der Klägerin entscheiden, ohne das zunächst in Auftrag gegebene Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Klägerin von Amts wegen bei einem anderen, von der Klägerin gewünschten Sachverständigen einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 584/11 - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4/12 B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung.

Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (Hessisches LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 30/10 - zit. nach Juris). Auch sind allein aus einer Diagnose, wie dies die Klägerin zuletzt vorgetragen hat, keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 26/07- zit. nach Juris.

Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung i. S. des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vor. Nach dem neuen § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht 2012, § 1 OEG RdNr. 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20).

Dies zu Grunde gelegt hält es der Senat nur für gut möglich, dass die Klägerin von ihrem Vater mehrfach gezüchtigt worden ist, was er insbesondere den ersten stationären Entlassungsberichten entnimmt, in denen von einer strengen Erziehung, die nahezu gewaltsam war, bzw. von einem Prügeln die Rede ist. Das Schlagen eines Kindes kann in seiner Gesamtheit - zumindest bis zum November 2000 - aber nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllen (vgl. zum Folgenden Urteile des Senats vom 18. Dezember 2014 a.a.O. und LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 – a.a.O.). Ohne Zweifel stellt zwar die körperliche Züchtigung eines Kindes durch Schläge eine gewaltsame, auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung dar. Diese gewaltsame Einwirkung müsste dabei aber auch in feindseliger Willensrichtung geschehen und rechtswidrig gewesen sein. Sowohl für die Frage der feindseligen Willensrichtung als auch der Rechtswidrigkeit kommt vorliegend zum Tragen, dass körperliche Züchtigungen bis zur Abschaffung des sog. elterlichen Züchtigungsrechts im Rahmen der Neufassung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB (Abschaffung durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000, BGBl. I, S. 1477) nicht per se rechtswidrig gewesen sind.

Maßgeblich für die vorliegende rechtliche Bewertung ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18), der erkennende Senat ist daher an diese, bis November 2000 bestehende Rechtslage gebunden und hat sie bei seiner Beurteilung eines bis zu diesem Zeitpunkt geschehenen Angriffs heranzuziehen.

Zum Zeitpunkt der vorliegend angeschuldigten Taten verblieb Eltern wie Erziehungsberechtigten bei der Erziehung von Kindern nach der damaligen Rechtslage (und Gesellschaftsauffassung) eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung. Sogar die Verwendung von Schlaggegenständen erfüllte nach den damaligen Maßstäben nicht zwingend das Merkmal einer verbotenen und damit ggfs. als Körperverletzung strafbaren Erziehungsmaßnahme. Zu Erziehungszwecken erlaubte Schläge von strafbaren Körperverletzungen abzugrenzen, erforderte vielmehr eine Würdigung der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigte. So urteilte der BGH im Jahr 1952, dass Eltern, die ihre sechzehnjährige „sittlich verdorbene“ Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestraften, nicht das elterliche Züchtigungsrecht überschritten (BGH, Urteil vom 25. September 1952 - 3 StR 742/51 - NJW 1953, 1440). 1957 führte der BGH aus, dass Ohrfeigen und Rohrstockschläge eines Lehrers nicht strafbar seien, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt sei und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis halte (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957 - 2 StR 458/56 - BGHSt 11, 241). Und noch im Jahr 1986 sah der BGH nicht per se das elterliche Züchtigungsrecht als überschritten an, als Eltern ihr Kind mit einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel geschlagen hatten, wobei jeweils rote Striemen entstanden waren. Vielmehr forderte der BGH auch in diesem Fall eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und erkannte ausdrücklich, dass allein die Verwendung eines Schlaggegenstandes noch nicht das Merkmal der „entwürdigenden Erziehungsmaßnahme“ erfülle (BGH, Beschluss vom 25. November 1986 - 4 StR 605/86 - NStZ 1987, 173). Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge deshalb nicht grundsätzlich als „rechtswidrig“ eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigen.

Ausgehend hiervon können die von dem Senat als gut möglich von der Klägerin geschilderten Vorgänge von wiederholten Schlägen nicht den Tatbestand einer rechtswidrigen Körperverletzung erfüllen. Sie hat zwar für den Senat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass es sich um wiederholte körperliche Bestrafungen durch ihren Vater auf Veranlassung ihrer Mutter gehandelt hat, diese haben aber nicht die Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechts überschritten, selbst wenn die Schläge mit einem Kochlöffel erfolgt sein sollten. Dass es sich insoweit um - nach heutigem Verständnis nicht gerechtfertigte - Erziehungsmaßnahmen und nicht um willkürliche Gewalttaten handelte, hat die Klägerin selbst eingeräumt.

Soweit die Klägerin darüber hinaus behauptet hat, ihr Vater habe sie einmalig in der Badewanne unter Wasser gedrückt und sie mehrfach in die Genitalien getreten bzw. ihren Kopf gegen die Wand geschlagen hat, hält der Senat dies nicht für gut möglich. Dagegen spricht nicht nur, dass die bei einem mehrfachen Schlagen gegen die Wand zu erwartenden Verletzungen im Gesicht wie zum Beispiel Schwellungen oder Platzwunden niemand bemerkt hat, die Klägerin selbst nur von Nasenbluten berichtete, das aber keiner gesehen haben soll, obwohl gerade die Mutter auf ihre Bestrafung gedrungen haben soll. Widersprüchlich ist das Vorbringen der Klägerin auch insoweit, als sie ihren Vater zunächst nur als autoritär und streng, aber nicht eigentlich gewalttätig geschildert hat, insbesondere was eine mögliche Überschreitung des Züchtigungsrechts anbelangt, was der Senat insbesondere dem ersten Entlassungsbericht aus dem Jahr 1996 entnimmt. Diese erste Behandlung stand als einzige nicht im Zusammenhang mit irgendwelchen sozialen Leistungen, sondern fand anlassbezogen wegen der Halluzinationen nach Meditation statt. Ihr kommt deswegen ein erhöhter Beweiswert zu, weil die Klägerin noch gänzlich unbeeinflusst durch Therapien war und nicht zielgerichtet Angaben gemacht hat. Selbst 2003 hat die Klägerin noch eingeräumt, dass sie selbst von den Gewalttätigkeiten ihres Vaters verschont geblieben ist, wenngleich der behandelnde Arzt diese Aussage später relativiert und in einen „psychodynamischen“ Zusammenhang gestellt hat.

Hinsichtlich der erstmals im Widerspruchs- bzw. Gerichtsverfahren konkret geschilderten sexuellen Übergriffe im Kellerraum und in der Badewanne hält der Senat das Tatgeschehen ebenfalls nicht für gut möglich. Die ersten Schilderungen von Übergriffen erfolgten erst im Rahmen der Traumatherapie und sind deshalb mit Vorsicht zu betrachten, weil die Aussage der Klägerin damit erst zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befand. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (zu diesem Aspekt vgl. auch Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2010 - L 10 VG 12/08 - zit. nach Juris). Des Weiteren hat die Klägerin im Verlauf des Verfahrens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignisse immer neue Episoden geschildert und auch immer neue Personen belastet, so ihren Schulleiter und ihren Onkel. Schließlich sind ihre Schilderungen äußerst vage, wenig präzise und eher allgemein gehalten. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe sehr allgemein bleibender Handlungstypologien wie das Hoppe-Hoppe-Reiter-Spiel oder Übergriffe in der Badewanne. Zweitens sind bereits nach der Einlassung der Klägerin ihre Erinnerungen an die Zeiträume der behaupteten Missbrauchserlebnisse lückenhaft. Sie ist sich darüber auch bewusst und spricht in diesem Zusammenhang von „Abspaltung“. Damit meint sie offensichtlich, dass für sie bestimmte Gedächtnisinhalte nicht verfügbar sind. Sind aber nur Teile des Gedächtnisinhaltes überhaupt verfügbar, so lässt sich allein auf diese Fragmente gestützt ein zuverlässiges Bild der realen Erlebnisse der Klägerin nicht gewinnen. Diese Unsicherheit wird weiter dadurch gesteigert, dass anhand der Schilderungen der Klägerin erkennbar ist, dass sie auch Angaben zu Umständen macht, an die sie sich nicht erinnert, so zum Beispiel einen angeblichen Suizid versuchen im Alter von fünf Jahren, obwohl sie zuvor eingeräumt hatte, an Ereignisse frühester Kindheit bis zum Alter von fünf Jahren keinerlei Erinnerung mehr zu haben, was der Senat dem Entlassungsbericht der Fachklinik H. 1997 entnimmt.

Schließlich ist bei der ohne Zweifel schwer psychisch erkrankten Klägerin keine gesicherte Diagnostik erfolgt und damit auch die Feststellung einer konkreten Gesundheitsschädigung kaum möglich. Zuletzt ist nur noch von einer PTBS (ICD-10 F43.1) die Rede, für deren Vorliegen es aber schon an dem erforderlichen A-Kriterium, nämlich des Erlebens einer lebensbedrohlichen oder vergleichbaren Situation, auf die jeder mit Verzweiflung reagieren würde, fehlt. Noch 2009 wurde eine schizotype Störung (ICD-10 F21) als Hauptdiagnose beschrieben, sie hatte damals auch nur von Schlägern berichtet (Entlassungsbericht des Universitätsklinikums C. G. C. vom 30. April 2009). Andererseits wurde eine Depression (ICD-10 F32), später insbesondere im Rentenverfahren eine Schizophrenie (ICD-10 F20), an der auch ihre Schwester erkrankt sein soll, diagnostiziert, die frühen ärztlichen Behandlungen gehen von akuten psychotischen Episoden (ICD-10 F23) aus.

Selbst wenn eine psychische Gesundheitsstörung gesichert festgestellt werden könnte, so kann diese nicht überwiegend wahrscheinlich auf die vorgetragenen Schädigungen zurückgeführt werden. Insoweit ist nämlich zu beachten, dass bei der Klägerin eine erhebliche familiäre Vorbelastung besteht, worauf bereits Dr. S. hingewiesen hat, denn die gesamte Familie der Klägerin ist suizidgefährdet, was der Senat dem Gutachten von Dr. B. entnimmt. Weiter liegt ein langjähriger Drogenmissbrauch, auch wenn die Klägerin einen entsprechenden Konsum bisher nur für drei Jahre eingeräumt hat, Halluzinationen durch exzessives Meditieren, eine schillernde Aussteigervergangenheit und eine spätestens 1997 gescheiterte Berufsbiografie mit wechselnden Tätigkeitsfeldern (insbesondere im künstlerischen und sozialen Bereich) vor, die ebenfalls bei der Ausprägung psychischer Erkrankungen eine maßgebende Rolle gespielt haben können, was der Senat aber letztlich dahingestellt lassen kann.

Das Urteil des SG ist daher auf die Berufung des Beklagten aufzuheben, wobei die Kostenfolge auf § 193 SGG beruht.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.