Hessisches LAG, Urteil vom 17.10.2014 - 10 Sa 816/14
Fundstelle
openJur 2015, 10861
  • Rkr:

1. Im Arbeitsrecht findet § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV grundsätzlich keine Anwendung (vgl. BAG 17. März 2010 - 5 AZR 301/09).

2. Für das Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft gelten keine Besonderheiten, die eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen. Die Tarifvertragsparteien haben in § 18 Abs. 4 Buchst. a VTV bestimmt, dass der steuerrechtliche Bruttolohnbegriff zur Anwendung kommt.

3. Die ULAK ist daher nicht berechtigt, bei der Berechnung des Sozialkassenbeitrags von Bruttolohnsummen auszugehen, die unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf fiktive Bruttolöhne hochgerechnet worden sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. April 2014 - 6 Ca 1778/12 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Zahlung von Beiträgen gemäß dem Sozialkassentarifvertrag des Baugewerbes verpflichtet ist.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft. Nach näherer tariflicher Maßgabe zieht er die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ein.

Die Beklagte betrieb in den Jahren 2007 bis 2010 einen Betrieb, in dem überwiegend Trocken- und Montagebauarbeiten erbracht wurden. Hauptauftraggeberin war die Firma A. . Der Ehemann der Beklagten, Herr B., führte Aufsicht auf den Baustellen. Auf diesen Baustellen wurden polnische Staatsangehörige, die über nur schlechte Deutschkenntnisse verfügten, eingesetzt. Schriftliche Verträge wurden mit den polnischen Staatsangehörigen nicht abgeschlossen.

Im Rahmen von Ermittlungen des Hauptzollamts C. zur Bekämpfung von Schwarzarbeit bestand der Verdacht, die Beklagte beschäftige illegal polnische Arbeitnehmer. Das Hauptzollamt kam ausweislich des zur Akte gereichten Schlussberichts vom 6. Juli 2011 nach Befragung des Ehemanns der Beklagten zu dem Ergebnis, dass in Wirklichkeit mit den polnischen Staatsangehörigen ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Wegen der Einzelheiten des Berichts des Hauptzollamts wird verwiesen auf Blatt 49 bis 53 d.A.

Das Amtsgerichts D. verurteilte den Ehemann wegen des Vorenthaltens von Beiträgen zur Sozialversicherung in 49 Fällen am 22. August 2012 (Az.: 5231 Js 872/11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, die Beklagte wurde verwarnt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass die Beklagte die polnischen Arbeitnehmer E., F., G., H., I., J., K., L. und M. nicht zur Sozialversicherung angemeldet habe. Das Urteil, welches mittlerweile rechtskräftig ist, beruhte auf geständigen Einlassungen der beiden Angeklagten. Hinsichtlich der sonstigen Einzelheiten des Strafurteils wird Bezug genommen auf Blatt 46 bis 48 d.A.

Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) hat der Kläger eine Beitragsforderung für den Zeitraum Dezember 2007 bis März 2010 in Höhe von insgesamt 98.545,92 Euro geltend gemacht. Er berechnete die Forderung in der Weise, dass er zunächst von dem „Barlohn“ ausging, den die polnischen Staatsangehörigen erhielten. Sodann wurde dieser Betrag unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf einen fiktiven Bruttolohn hochgerechnet. Hinsichtlich der zugrunde gelegten „Barlöhne“ und der Hochrechnung durch die Deutsche Rentenversicherung (kurz: DRV) wird Bezug genommen auf Blatt 90 bis 102 d.A.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, an ihn Sozialkassenbeiträge für die polnischen Staatsangehörigen abzuführen. Es handele sich in Wirklichkeit um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer der Beklagten. Sie verfügten über keine Geschäftsräume und seien aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse nicht in der Lage gewesen, als Selbständige am Markt aufzutreten. Die Beklagte und ihr Ehemann hätten sämtliche Aufträge besorgt, die Einteilung auf den Baustellen vorgenommen und den Tagesablauf vorgegeben. Die polnischen Staatsangehörigen hätten keine weiteren Auftraggeber gehabt und seien von der Beklagten persönlich abhängig gewesen.

Er hat ferner die Auffassung vertreten, dass er berechtigt sei, die von der DRV ermittelten Bruttolöhne der Berechnung des Sozialkassenbeitrags zugrunde zu legen.

Am 17. April 2013 ist ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil ergangen, welches der Beklagten am 24. April 2013 zugestellt worden ist. Am 30. April 2013 hat sie hiergegen Einspruch eingelegt.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 17. April 2013 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass die polnischen Staatsangehörigen in einem Arbeitsverhältnis zu ihr gestanden hätten. Diese seien als selbständige Subunternehmer anzusehen. Sie seien nicht weisungsunterworfen oder in ihre betriebliche Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen. Die Auftraggeberin, die Firma A., habe von ihr bzw. ihrem Ehemann die Vorlage von Gewerbeanmeldungen, Unbedenklichkeitsbescheinigungen, Nachweisen über bestehenden Krankenversicherungsschutz sowie der Anmeldung beim Finanzamt hinsichtlich der Subunternehmer verlangt. Die polnischen Staatsangehörigen hätten die Möglichkeit gehabt, auf die mündlichen Verträge mit der Beklagten Einfluss zu nehmen; der Rahmen sei hier aber schon durch die Verträge der Beklagten mit der Firma A. vorgegeben gewesen. Das Arbeitsmaterial sei von der Hauptauftraggeberin gestellt worden. Diese habe über die betrieblichen Abläufe bestimmt und die Subunternehmer, auch ohne Wissen der Beklagten, auch an anderen Baustellen eingesetzt. Alle Subunternehmer verfügten über eigenes Werkzeug. Eigene Büroräume der Subunternehmer seien nicht erforderlich gewesen. Sie hat schließlich gemeint, die strafrechtliche Verurteilung stelle kein Präjudiz für dieses Verfahren dar. Die Verurteilung sei allein aus taktischen Gründen akzeptiert worden.

Mit Urteil vom 2. April 2014 hat das Arbeitsgericht Wiesbaden der Klage teilweise, nämlich in Höhe von 40.267,36 Euro, stattgegeben und das Versäumnisurteil in dieser Höhe aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der Verurteilung im Strafprozess davon auszugehen sei, dass in Wirklichkeit mit den polnischen Staatsangehörigen Arbeitsverhältnisse bestanden hätten. Allerdings sei die Höhe der Forderung fehlerhaft ermittelt worden. Der Kläger sei nicht berechtigt, eine Hochrechnung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorzunehmen. Die Vorschrift finde im Arbeitsrecht keine Anwendung. Grundlage der Berechnung des Sozialkassenbeitrags könnten demnach nur die ausgezahlten Barlöhne sein, die bereits als Bruttolohn zu behandeln seien. Die Addition dieser Bruttolöhne multipliziert mit dem jeweils gültigen Sozialkassenprozentsatz ergebe die ausgeurteilten 40.267,36 Euro. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils erster Instanz wird verwiesen auf Blatt 107 bis 120 d.A.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 11. Juni 2014 zugestellt worden. Der Kläger hat hiergegen am 20. Juni 2014 Berufung bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingefegt, die er mit Schriftsatz vom 11. August 2014, der am gleichen Tag bei Gericht einging, begründet hat.

Der Kläger vertritt in der Berufungsinstanz die Auffassung, dass er berechtigt sei, im Falle illegaler Beschäftigung einen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochgerechneten Bruttolohn zugrunde zu legen. Er meint, die Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urt. 17. März 2010 - 5 AZR 301/09) sei nicht einschlägig. Der Fall habe einen individualrechtlichen Sachverhalt betroffen und sei nicht auf die hier zu entscheidende Frage, wie die Berechnung des Lohns im Falle von illegaler Beschäftigung im Sozialkassenverfahren vorzunehmen sei, zu übertragen. Es gehöre auch zu den Aufgaben des Klägers, Schwarzarbeit mit zu bekämpfen. Die Argumente, die zugunsten der Sozialversicherung eine Hochrechnung rechtfertigten, würden auch für den Kläger gelten. Durch seine Tätigkeit, die Bauarbeitgeber gleichmäßig zur Zahlung des Sozialkassenbeitrags heranzuziehen, würde er auch Wettbewerbsverzerrungen entgegen wirken.

Der Kläger stellt den Antrag,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. April 2014 - 6 Ca 1778/12 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 58.278,56 Euro zu zahlen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, der Kläger sei nicht berechtigt, sich auf § 14 Abs. 2 SGB IV zu stützen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet bei der Berechnung des Sozialkassenbeitrags im Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft keine Anwendung.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist vom Wert her statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Buchst, b ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt (§§ 519, 520 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ArbGG) sowie innerhalb der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ArbGG).

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, die sich das Berufungsgericht nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen macht, die Klage in Höhe von 58.278,56 Euro abgewiesen. Der Kläger ist nicht berechtigt, im Falle von illegaler Beschäftigung den Sozialkassenbeitrag in der Weise zu ermitteln, dass er nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV den ermittelten Lohn auf einen fiktiven Bruttolohn hochrechnet. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen kein anderes Ergebnis.

1. Da die Beklagte nicht in Berufung gegangen ist, steht rechtskräftig fest, dass sie verpflichtet ist, an den Kläger Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum Dezember 2007 bis März 2010 in Höhe von 40.267,36 Euro zu zahlen. Die zwischen den Parteien vor allem in erster Instanz umstrittene Frage, ob die polnischen Staatsangehörigen mit der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis standen oder ob sie freie Subunternehmer gewesen sind, braucht in der Berufungsinstanz nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht Einiges dafür, dass das Arbeitsgericht auch insoweit zutreffend angenommen hat, es lägen jeweils Arbeitsverhältnisse vor. Angesichts der geständigen Einlassung im Strafprozess, der Einführung des Urteils auch in dieses Verfahren durch den Kläger und der dadurch bedingten erhöhten Last des Bestreitens nach § 138 Abs. 2 ZPO des Bauarbeitgebers sowie den unstreitigen Umständen, dass die polnischen Angehörigen schlecht deutsch sprechen konnten und jeweils ein „mündlicher“ Vertrag mit der Beklagten abgesprochen war, sprach letztlich alles dafür, dass in Wirklichkeit eine abhängige Beschäftigung vorlag. Diese Frage kann letztlich aber dahin gestellt bleiben, denn die Klage ist, soweit das Arbeitsgericht diese abgewiesen hat, jedenfalls fehlerhaft berechnet und damit unschlüssig.

282. Die Klage ist in Höhe von 58.278,56 Euro unschlüssig. Denn der Kläger ist - anders als die DRV - nicht berechtigt, unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV eine Hochrechnung vorzunehmen. Diese Vorschrift findet im Arbeitsrecht keine Anwendung, es gilt vielmehr der steuerrechtliche Bruttolohnbegriff. Besonderheiten des Sozialkassenverfahrens gebieten keine abweichende Beurteilung.

a) Streiten die Parteien über die Höhe der Beitragsschuld, so obliegt der Urlaubskasse auch dafür die Darlegungs- und Beweislast, dass ihr ein höherer Anspruch zusteht, als er sich aus der vom Arbeitgeber erteilten Beitragsmeldung ergibt (vgl. BAG 14. Dezember 2011 - 10 AZR 517/10 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 338). Ist die Höhe der Beitragsschuld im Streit, muss die Urlaubskasse deshalb konkrete Tatsachen dafür vortragen, dass über die gemeldete Beitragsschuld hinaus weitere Beiträge zu entrichten sind. Dies gilt entsprechend, falls im Streit steht, ob der Urlaubskasse überhaupt ein Sozialkassenbeitrag zusteht, weil der Bauarbeitgeber in Wirklichkeit Arbeitnehmer und nicht freie Subunternehmer beschäftigte. Auf einen substantiierten Tatsachenvortrag der Kasse hat sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Erklärt er sich nicht, gilt die Behauptung der Kasse nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Erklärt sich der Arbeitgeber, so obliegt ihm regelmäßig die Last des substantiierten Bestreitens, weil die Urlaubskasse außerhalb des Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber diese kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind. Es gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 14. Dezember 2011 - 10 AZR 517/10 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 338).

Steht fest, dass die gemeldeten Beiträge zu niedrig sind, kann die tatsächliche Beitragsschuld nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden. Eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ist auch zulässig, wenn die Höhe von Urlaubskassenbeiträgen streitig ist. Die in § 287 ZPO geregelte Beweiserleichterung mindert die Darlegungslast der Partei für die Höhe des geltend gemachten Anspruchs (vgl. BAG 14. Dezember 2011 - 10 AZR 517/10 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr 338).

Diese Grundsätze, die aufgestellt worden sind, um zu vermeiden, dass der Kläger als „nicht wissende“ Partei in seiner Darlegungslast überfordert wird, sind aber nicht dahingehend zu verstehen, dass er berechtigt wäre, Berechnungen der DRV ungeprüft zu übernehmen. Steht fest, dass die DRV eine Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorgenommen hat, stellt es eine Rechtsfrage dar, ob § 14 Abs. 2 SGB IV zu Gunsten des Klägers auch im Sozialkassenverfahren Anwendung findet oder nicht. Rechtsanwendung und Schwierigkeiten der Darlegung im Prozess sind unterschiedliche Kategorien. Eine rechtswidrige Schätzung gestattet auch § 287 Abs. 2 ZPO nicht. Die Frage, ob § 14 Abs. 2 SGB IV auch im Sozialkassenverfahren Anwendung findet, kann deshalb nicht mit Hinweis auf die Schwierigkeiten bei der Sozialkasse, die tatsächlichen Bruttolöhne zu ermitteln, offen bleiben.

b) Die Klage der N. hätte auch dann Erfolg, wenn zugrunde gelegt werden könnte, dass zwischen der Beklagten und den polnischen Staatsangehörigen eine Nettolohnvereinbarung geschlossen worden ist. Da die Nettolohnvereinbarung die Ausnahme darstellt, ist derjenige, der sich hierauf beruft, darlegungs- und beweispflichtig. Hier hat der Kläger indes nicht einmal behauptet, dass eine Nettolohnvereinbarung jeweils getroffen worden sei.

c) Die Klage könnte deshalb nur dann in voller Höhe Erfolg haben, wenn die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV eingreifen würde. Die Vorschrift bestimmt, dass ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart gilt, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Diese Vorschrift ist bei der Berechnung des Sozialkassenbeitrags aber nicht heranzuziehen. Für das Sozialkassenverfahren gilt der steuerrechtliche Bruttolohnbegriff und nicht der sozialrechtliche Bruttolohnbegriff. Hierfür spricht der Wortlaut des Tarifvertrags, Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sowie die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

aa) Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV geregelte Fiktion einer Nettoentgeltvereinbarung ausschließlich der Berechnung der nachzufordernden Gesamtsozialversicherungsbeiträge diene und keine arbeitsrechtliche Bedeutung habe (vgl. BAG 17. März 2010 - 5 AZR 301/09 - NZA 2010, 881). Das Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sei vom steuerrechtlichen Arbeitslohn (vgl. § 19 EStG) zu unterscheiden (vgl. BAG 17. März 2010 - 5 AZR 301/09 - NZA 2010, 881). Im Arbeitsrecht gelte grundsätzlich der steuerrechtliche Bruttolohnbegriff. Eine § 14 Abs. 2 SGB IV entsprechende Regelung finde sich im Einkommenssteuerrecht nicht (vgl. auch BGH 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - NJW 2009, 528). Diese Rechtsprechung wurde ausdrücklich noch einmal bestätigt (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/11 - Rn. 22. ff., NZA 2012, 145). Das bedeutet, dass bei einer Schwarzgeldabrede der Arbeitnehmer, etwa im Rahmen eines Annahmeverzugsprozesses, nur denjenigen Betrag beanspruchen kann, den er in der Vergangenheit tatsächlich auch bar erhalten hat, ohne dass eine Hochrechnung dieses Betrags auf einen höheren Bruttolohn erfolgen darf. Der Fünfte Senat ist auch Befürchtungen entgegen getreten, mit einer solchen Sichtweise könnten Anreize zu Schwarzarbeit für den Arbeitgeber gesetzt werden. Neben der drohenden Strafbarkeit (§ 266a StGB) müsse der Arbeitgeber die Nachentrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenwärtigen, in der Regel ohne (volle) Rückgriffsmöglichkeit auf den Arbeitnehmer, vgl. §§ 28e Abs. 1 Satz 1, 28g Satz 3 SGB IV (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/11 - Rn. 24, NZA 2012, 145). Dieser Sichtweise hat sich auch die Literatur ganz überwiegend angeschlossen (vgl. ErfK/Preis 14. Aufl. § 611 BGB Rn. 475; Schaub/Linck 15. Aufl. § 42 Rn. 25; Kania in Küttner Personalbauch 21. Aufl. Stichwort Schwarzarbeit Rn. 3; DFL/Weigand 6. Aufl. Vor § 1 SchwArbG Rn. 5; Werner in jurisPK 2. Aufl. § 14 SGB IV Rn. 315).

Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer vollumfänglich an. Sie führt zu angemessenen Ergebnissen, auch wenn der Arbeitnehmer an dem Risiko der Aufdeckung der Schwarzarbeit beteiligt wird. Dies erscheint deshalb nicht als sachwidrig, weil er in der Regel durch die Schwarzgeldabrede ebenfalls profitiert, indem er einen höheren Lohn bar ausgezahlt bekommt, den der Arbeitgeber bei offizieller Behandlung des Arbeitsverhältnisses nicht bereit wäre, auszubezahlen.

Etwas anderes kann im Einzelfall nur dann gelten, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Nettolohnvereinbarung getroffen haben. In diesem Fall wäre der Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen angehalten, den Sozialversicherungsbeitrag und die Lohnsteuer zusätzlich zu dem vereinbarten Betrag abzuführen. Hiervon kann aber, wie oben dargelegt, nicht ausgegangen werden.

bb) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Bereich des Arbeitsrechts nicht gilt, ist uneingeschränkt auf die Berechnung des Sozialkassenbeitrags zu übertragen.

38(1) Dies gebietet bereits der VTV selbst. Bei der Wortlautinterpretation ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien eine klare Regelung getroffen haben, was sie unter „Bruttolohn“ im Sinne des VTV verstanden wissen wollten. Die Tarifvertragsparteien haben in § 18 Abs. 4 Buchst. a VTV geregelt, dass für die Berechnung des Sozialkassenbeitrags der im Steuerrecht zugrunde zu legende Bruttoarbeitslohn maßgeblich ist. Damit ist für das Sozialkassenverfahren der steuerrechtliche, nicht der sozialversicherungsrechtliche Bruttolohnbegriff zugrunde zu legen. Hieran ist der Kläger als Einzugsstelle des Sozialkassenbeitrags gebunden. Er ist nicht berechtigt, von dem Tarifvertrag abzuweichen und ggf. selbst Analogien aufzustellen. Es wäre ggf. Sache der Tarifvertragsparteien selbst, den Tarifvertrag dahin gehend zu ändern, dass im Falle von illegaler Beschäftigung die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Sozialkassenverfahren Anwendung finden soll.

(2) Auch systematische Erwägungen sprechen dafür, dass für die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im vorliegenden Fall kein Raum ist. Es handelt sich hierbei um eine Vorschrift aus dem Bereich der gemeinsamen Vorschriften für die gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung. § 1 Abs. 1 SGB IV bestimmt den Anwendungsbereich des Gesetzes in eindeutiger Art und Weise. Auf die Rechtsbeziehungen des Klägers findet das Gesetz keine (unmittelbare) Anwendung, der Kläger ist keine gesetzliche Versicherung, sondern eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien.

(3) Auch eine teleologische Auslegung des § 14 SGB IV schließt es aus, die Bestimmung im Rahmen der Berechnung des Sozialkassenbeitrags (§ 18 VTV) - ggf. analog - anzuwenden. Die Vorschrift ist im August 2002 mit dem „Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit“ vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787) in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes war es, Schaden von der Volkswirtschaft, vor allem den öffentlichen Haushalten einschließlich derjenigen der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung fernzuhalten sowie Wettbewerbsverzerrungen zwischen legaler und illegaler Arbeit zu verhindern (vgl. ausführlich BSG 9. November 2011 - B 12 R 18/09 R - BeckRS 2012, 67100). Der Gesetzgeber wollte durch diese Regelung der Sozialversicherung und dem Fiskus Steuern und Beiträge sichern, die Vorschrift dient damit auch der Sicherung des Beitragsaufkommen der Sozialversicherung (vgl. Schaub/Linck 15. Aufl. § 42 Rn. 25). Mit der Fiktion einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung sollten ferner die in der Praxis bestehenden Feststellungsschwierigkeiten bzgl. des Übernahmewillens zur Tragung von Steuern und der Arbeitnehmeranteile beim Arbeitgeber beseitigt werden. Der Norm kommt schließlich auch ein Sanktionscharakter (so ausdrücklich BGH 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - Rn. 15, NJW 2009, 528) sowie eine Abschreckungsfunktion zu.

Diese Gesetzeszwecke treffen nicht im gleichen Maße auf die Urlaubskasse zu. Allenfalls der Gedanke, Feststellungsschwierigkeiten bei illegalen Arbeitsverhältnissen zu vermeiden, könnte auch zugunsten der N. fruchtbar gemacht werden.

42Der Sanktionsgedanke hingegen passt erkennbar nicht zu dem tariflichen Sozialkassenverfahren. In § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung sind Stellen aufgeführt, denen aus Sicht des Gesetzgebers besondere Prüfaufgaben zur Bekämpfung von Schwarzarbeit zustehen sollen. Der Kläger ist hierbei nicht genannt. Nach § 8 Ziff. 15.1 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) hat der Kläger insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der Urlaubsvergütung zu sichern. Seit dem 1. Januar 2010 ist er nach § 3 Abs. 3 VTV die für den gesamten Sozialkassenbeitrag zuständige Einzugsstelle. Die Urlaubskasse ist - anders als die Sozialversicherungsstellen - keine hoheitliche Einrichtung, so dass es fernliegt, den Gedanken ordnungspolitischer Prävention oder Sanktion durch eine nachträgliche fiktive Hochrechnung der Löhne hier anzubringen. Die (volkswirtschaftliche) Bekämpfung von Schwarzarbeit ist nicht primäre Aufgabe der Tarifvertragsparteien und nicht primäres Ziel des Sozialkassenverfahrens, sondern der Arbeitnehmerschutz. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Berufungsbegründung. Zwar ist sicher zutreffend, dass die N. verpflichtet ist, gerade in Fällen der illegalen Beschäftigung Bauarbeitgeber, die sich dem Sozialkassenverfahren entziehen wollen, zur vollen Beitragszahlung heranzuziehen. Hier geht es aber (nur) um einen zivilrechtlichen Streit, nicht um Sanktion für vorangegangenes schädliches Verhalten der Bauarbeitgeber.

Die Vorschrift dient dazu, dass Beitragsaufkommen der Sozialversicherung zu sichern, sie dient aber nicht dazu, dass Beitragsaufkommen des Klägers als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu sichern.

Das Bundessozialgericht hat zudem betont, dass bei der „Hochrechnung“ auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt die Gefahr bestünde, dass als Beitragsbemessungsgrundlage ein Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werde, das in überhaupt keinem angemessenen Verhältnis mehr zum wirtschaftlichen Wert der erbrachten Arbeitsleistung stünde (vgl. BSG 9. November 2011 - B 12 R 18/09 R - BeckRS 2012, 67100). Nach dieser Rechtsprechung ist § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV daher auch einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift nur dann eingreift, wenn der Pflichtenverstoß des Arbeitgebers von einem subjektiven Element in Form eines (mindestens bedingten) Vorsatzes getragen worden ist. Die Gefahr, dass mit der fiktiven Hochrechnung Bruttolöhne errechnet werden, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben, besteht auch hier. Konkret besteht das Risiko, dass die N. einen Sozialkassenbeitrag einfordert, den sie niemals erhalten hätte, wäre das Arbeitsverhältnis vom Bauarbeitgeber ordnungsgemäß angemeldet und abgewickelt worden.

cc) Dem hier gefundenen Ergebnis kann nicht entgegen gehalten werden, dass § 14 Abs. 2 SGB IV auch im Strafrecht Anwendung gefunden hat. Der Bundesgerichtshof hat zwar in der Entscheidung vom 2. Dezember 2008 (BGH - 1 StR 416/08 - NJW 2009, 528) ausführlich begründet, weshalb § 14 SGB IV auch im Rahmen der Strafzumessung zur Geltung komme. Dabei hat er insbesondere aber darauf abgestellt, dass der Straftatbestand des § 266a StGB sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet sei und es daher konsequent erscheine, im Rahmen der Strafzumessung den sozialrechtlichen Bruttoentgeltbegriff heranzuziehen. Dieser Gedanke ist aber auf das Sozialkassenverfahren nicht zu übertragen.

dd) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstandpunkt eingenommen hat, es müsse bei der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Falle von „Schwarzarbeit“ danach differenziert werden, ob ausgehend von Rechnungsbeträgen nach der 2/3-Methode eine Schätzung des Lohnanteils erfolgte (vgl. BGH 10. November 2009 - 1 StR 283/09 - Rn. 14, NStZ 2010, 635) oder ob Personen wie Arbeitnehmer gearbeitet haben, dieses Verhältnis aber nicht offiziell als Arbeitsverhältnis sozial- und steuerrechtlich korrekt behandelt wurde und deshalb der tatsächlich zugeflossene „Lohn“ Grundlage der Berechnung des Sozialkassenbeitrags ist, kann dem nicht gefolgt werden. Beide Konstellationen sind insofern vergleichbar, als Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tatsächlich gearbeitet haben und die zutreffende Lohnhöhe verschleiert werden sollte, um Kosten (Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und ggf. Sozialkassenbeiträge) zu sparen. Die Konstellation in dem Fall des Fünften Senats von 2011 war mit dem hier vorliegenden Sachverhalt insoweit vergleichbar, als hier wie dort eine Zusammenarbeit mit einer Person gegeben war, die offiziell als freier Mitarbeiter - in dem hier vorliegenden Fall als Subunternehmer - gestaltet wurde, in Wirklichkeit aber ein abhängiges Arbeitsverhältnis vorlag (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/11 - NZA 2012, 145). Eine Schätzung anhand von Rechnungen ist auch im Fall des Bundesarbeitsgerichts nicht erfolgt, gleichwohl hat es die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV abgelehnt.

ee) Die Kammer verkennt nicht, dass mit dem hier gefundenen Ergebnis der Einzug des Sozialkassenbeitrags im Falle von Schwarzarbeit für den Kläger erschwert wird. Gerichtsbekanntermaßen erhält der Kläger häufig von den Hauptzollämtern und insbesondere von der DRV nur solche Bruttolohnsummen mitgeteilt, die bereits nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV fiktiv auf einen Bruttolohn hochgerechnet worden sind. Es ist dem Kläger aber auch nicht unmöglich oder unzumutbar, in diesen Fällen auf eine andere Art und Weise den für die Berechnung des Sozialkassenbeitrags zutreffenden Bruttolohn zu ermitteln.

Dem Kläger stünde die Möglichkeit offen, bei der DRV die Berechnungsgrundlagen anzufordern und die vorgenommene Hochrechnung wieder herauszurechnen. Alternativ kann, falls Rechnungsbeträge bekannt sind, die Bruttolohnsumme nach der 2/3-Methode geschätzt werden oder, falls Stundenaufschreibungen vorhanden sind, anhand der tatsächlich angefallenen Arbeitszeit der Mindestlohn errechnet werden.

III. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.