LG Saarbrücken, Urteil vom 23.01.2015 - 13 S 199/14
Fundstelle
openJur 2015, 23032
  • Rkr:

Lässt der Geschädigte sein unfallbeschädigtes Fahrzeug nach den Vorgaben eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens reparieren, darf er im Regelfall auf das von ihm eingeholte Gutachten vertrauen, auch wenn ihm der Schädiger vor Reparaturbeginn ein Gegengutachten zugeleitet hat, das eine wirtschaftlichere Reparaturweise aufzeigt.

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 10.10.2014 - Az. 27 C 596/13 (13) - dahin abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger weitere 1.591,91 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von weiteren 173,27 jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21.3.2013 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24.12.2012 in ... ereignet hat und für den die Beklagten einstandspflichtig sind. Dabei wurde das zum Unfallzeitpunkt zwei Jahre alte Fahrzeug Ford Focus des Klägers beschädigt. Ein am 31.12.2012 beauftragtes Schadensgutachten des Sachverständigen ... kam - unter Einschluss der (teilweisen) Erneuerung des hinteren Seitenteils - zu Reparaturkosten von 3.736,43 Euro brutto zzgl. einer Wertminderung von 450,- Euro. Die zweitbeklagte Haftpflichtversicherung beauftragte am 15.1.2013 ihrerseits eine Schadensbegutachtung durch den Sachverständigen ... (Car Expert), der lediglich eine Instandsetzung der hinteren Seitenwand für erforderlich hielt und Reparaturkosten von 2.893,04 Euro brutto zzgl. einer Wertminderung von 350,- Euro prognostizierte.

Ab dem 25.2.2013 ließ der Kläger sein Fahrzeug in einer Fachwerkstatt (Ford Central Garage) reparieren. Der Werkstatt lagen sowohl das Gutachten ... als auch das Gutachten ... vor. Die Reparaturkosten wurden mit 5.306,88 Euro berechnet, wobei u.a. die Kosten für einen vergeblichen Instandsetzungsversuch der Seitenwand sowie die Auswechslung der Seitenwand in Rechnung gestellt wurden. Die Zweitbeklagte hat die Reparaturkosten lediglich in Höhe von 2.893,04 Euro ausgeglichen. Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Berufung von Belang - den Differenzbetrag von 2.413,84 Euro geltend gemacht.

Die Beklagten sind dem entgegengetreten und haben die Auffassung vertreten, die von ihnen gezahlten Reparaturkosten deckten den unfallursächlich erforderlichen Reparaturaufwand vollständig ab.

Das Amtsgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch ... restliche Reparaturkosten von 821,93 Euro zugesprochen. Zur Begründung hat das Erstgericht ausgeführt, die unfallbedingt erforderlichen Reparaturkosten seien ausweislich der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen mit lediglich 3.714,91 Euro anzusetzen. Insbesondere die Erneuerung der hinteren Seitenwand sei objektiv nicht erforderlich gewesen, was auch vom Kläger hätte berücksichtigt werden müssen, weil ihm durch das Gutachten ... vor der Beauftragung der Reparatur eine günstigere Reparaturmöglichkeit aufgezeigt worden sei. Ferner sei die Erneuerung der Stoßfängerleiste mangels erkennbarer Beschädigung nicht ersatzfähig gewesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen abgewiesenen Klageantrag hinsichtlich der Reparaturkosten nebst abgewiesenen Anwaltskosten weiter.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch Erfolg.

1. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte den zur Herstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Schädiger danach die Aufwendungen zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (vgl. BGHZ 155, 1; BGHZ 160, 377, 383 f.). Dabei wird der "erforderliche" Herstellungsaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63 182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.). Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGHZ 63, 182 ff.). Denn bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (vgl. BGHZ 155, 1 ff.; BGHZ 132, 373, 376). Der Schaden ist deshalb subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63 182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.). Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug - wie hier - reparieren, so sind die durch eine Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056 f.; BGHZ 63, 182 ff.). Diese "tatsächlichen" Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des "erforderlichen" Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten - etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist - unangemessen sind (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2003, 481 ff. mwN., OLG Köln, OLGR Köln 1992, 126 f.; Kammerurteil v. 16.12.2011 - 13 S 128/11, Juris).

2. Nach diesen Erwägungen, von denen auch das Erstgericht dem Grundsatz nach ausgegangen ist, sind die hier geltend gemachten Reparaturaufwendungen des Klägers als erforderlich anzusehen.

a) Das von dem Kläger eingeholte Gutachten des Sachverständigen ... hat eine Reparatur einschließlich der Erneuerung der linken Seitenwand aus technischer Sicht als geboten und den damit verbundenen Aufwand im Wesentlichen entsprechend dem späteren tatsächlichen, durch Vorlage einer Reparaturkostenrechnung belegten Kostenanfall als notwendig bewertet. Unter diesen Umständen darf, wie die Kammer bereits entschieden hat (Urt. v. 16.12.2011 aaO), ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch an der Stelle des Klägers die Eingehung dieser Aufwendungen grundsätzlich für erforderlich halten.

b) Das im vorliegenden Fall von der Beklagten in Auftrag gegebene Gegengutachten des Sachverständigen ... vermag die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht des Geschädigten hier nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar ist das Gutachten hinsichtlich der Instandsetzung der linken Seitenwand vom gerichtlichen Sachverständigen bestätigt worden. Die Bewertung der mit dem Gegengutachten erhobenen Einwendungen erforderte indes erheblichen technischen Sachverstand, über den der geschädigte Laie nicht ohne weiteres verfügt (Kammerurteil v. 16.12.2011 aaO). Vorliegend kommt hinzu, dass ausweislich der Rechnung die Werkstatt des Klägers den erfolglosen Versuch unternommen haben will, eine Instandsetzung vorzunehmen. Dass der Kläger angesichts dessen hätte erkennen können, dass nicht der Austausch, sondern lediglich die Instandsetzung zur Reparatur erforderlich gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Soweit im Übrigen der erfolglose Ausbesserungsversuch auf eine unsachgemäße Behandlung durch die Werkstatt des Klägers hinweisen mag, spiegeln die dadurch entstandenen Mehraufwendungen das sog. Werkstattrisiko wider, das gerade nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tragen hat (BGHZ 63, 182 f. unter I 2 b).

c) Der Kläger hat vorliegend auch nicht gegen die ihn nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB treffende Schadensminderungspflicht verstoßen. Danach kann der Geschädigte zwar solche Mehrkosten nicht ersetzt verlangen, die durch sein Verschulden bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt entstehen (vgl. BGHZ 115, 364, BGHZ 63, 182, 185). Ein Verschulden des Klägers bei der Auswahl seiner Reparaturwerkstatt ist hier allerdings nicht feststellbar. Insbesondere wäre der Kläger - anders als dies das Erstgericht offenbar annehmen will - nicht gehalten gewesen, nach einer von ihm behaupteten Erklärung seiner Werkstatt, die Instandsetzung des hinteren Seitenteils sei nicht ausreichend, auf der Instandsetzung zu bestehen oder notfalls eine andere Werkstatt zu konsultieren. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Zweifel an der fachlichen Qualifikation seiner Werkstatt hätte haben müssen, sind nämlich nicht erkennbar. Zum einen handelt es sich um eine autorisierte Markenwerkstatt der Fahrzeugmarke des Klägers, was für den Laien bereits für sich ein Qualitätskriterium darstellt. Zum anderen entsprach der von der Werkstatt letztlich durchgeführte Reparaturweg den Vorgaben des vom Kläger eingeschalteten Sachverständigen ... Da auch insoweit keine Umstände ersichtlich sind, wonach der Kläger Zweifel an der Unabhängigkeit oder an der Qualifikation des von ihm ausgewählten Sachverständigen hätte haben müssen, durfte er auf die übereinstimmende Bewertung "seines" Sachverständigen und "seiner" Werkstatt vertrauen.

d) Soweit das Erstgericht Abzüge für die Erneuerung der Stoßfängerleiste vorgenommen hat, sind diese ebenfalls nicht gerechtfertigt. Zwar sah das Gutachten ... eine entsprechende Erneuerung vor, was nach überzeugender Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen nicht erforderlich war. Dass die Werkstatt des Klägers indes eine solche Erneuerung durchgeführt hätte, ergibt sich weder aus der Rechnung der Werkstatt (s. Gutachten ... S. 106) noch aus den sonstigen Umständen. Im Übrigen haben weder der Kläger noch die Beklagten dies behauptet.

e) Dem Kläger steht damit ein Anspruch auf die restlichen Reparaturkosten zu in Höhe von

f)

Reparaturrechnung5.306,88 €./. vorgerichtlich gezahlte2.893,04 €./. erstinstanzlich ausgeurteilte    821,93 €Verbleibend1.591,91 €

g) Daneben kann er auf der Grundlage des auf Bl. 4 der Akte berechneten Teil des Gesamtschadens, der klagweise geltend gemacht worden ist (3.008,84 Euro) und der bis auf die Schadenspauschale (25 Euro statt 30 Euro) vollständig von den Beklagten zu ersetzen war, vorgerichtliche Anwaltskosten auf der Grundlage eines Streitwerts von 3.003,84 Euro in Höhe von 359,50 € (Berechnung Bl. 4 d.A.) geltend machen, so dass abzüglich der erstinstanzlichen Ausurteilung von 186,23 € noch ein Betrag von 173,27 € zugunsten des Klägers offensteht.

III.

Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286, 288 BGB, die Kostenentscheidung auf § 92 Abs. 2 ZPO, da die Zuvielforderung des Klägers insgesamt lediglich 5 Euro betrug. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und sie keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).