SG Hannover, Urteil vom 22.01.2015 - S 70 AS 5581/14
Fundstelle
openJur 2015, 8686
  • Rkr:
Tenor

Die Bescheide vom 10.07. und 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 05.12.2014 werden abgeändert. Der Klägerin werden die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe gewährt.

Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin, sind vom Beklagten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe.

Die Klägerin bezieht vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II.

Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 30. April 2014 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2014. Ausweislich der anliegenden Berechnungsbögen berücksichtigte der Beklagte die Kosten der Unterkunft mit einer Grundmiete in Höhe von 395,85 Euro und Nebenkosten in Höhe von 88,00 Euro. Ferner ist hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Juni bis zum 30. September 2014 an Wasserkosten ein Betrag in Höhe von 32,00 Euro monatlich berücksichtigt.

Aufgrund der Kostensenkungsaufforderung des Beklagten suchte die Klägerin sich eine neue Wohnung.

Am 1. Juli 2014 bezog die Klägerin eine Wohnung unter der Wohnanschrift E. in Hannover. Ausweislich des Mietvertrages vom 3. April 2014 weist die Wohnung zwei Räume und eine Wohnfläche von 46,59 Quadratmetern auf. Der Mietzins der Wohnung belief sich auf 303,00 Euro zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 80,00 Euro und einer Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 60,00 Euro.

Aufgrund des Umzugs erließ der Beklagte den streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 10. Juli 2014. Ausweislich des anliegenden Berechnungsbogens berücksichtigte der Beklagte dabei die Grundmiete lediglich teilweise in Höhe von 284,00 Euro, die Kosten der Heizung in tatsächlicher Höhe von 60,00 Euro und die Nebenkosten in tatsächlicher Höhe von 80,00 Euro.

Mit Änderungsbescheid vom 15. Juli 2014 berücksichtigte der Beklagte das Einkommen aus Erwerbstätigkeit der Klägerin aus dem Monat Juni 2014 endgültig.

Ein weiterer Änderungsbescheid erging unter dem 15. Juli 2014 da die Klägerin ihr Warmwasser nicht dezentral erzeuge.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31. Juli 2014 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 10. Juli 2014 Widerspruch ein. Die Kosten der Unterkunft seien in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Darüber hinaus werde geprüft, ob die Klägerin einen Bedarf dezentraler Warmwasserzubereitung habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2014 wies der Beklagte den vorbenannten Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem zum 1. Juli 2014 ohne Zustimmung des JobCenters Region Hannover in die Wohnung E. in Hannover, deren Bedarf für Unterkunft mit 383,00 Euro über der Mietobergrenze von 364,00 Euro für eine Person in Hannover lägen, würden zu Recht lediglich die Bedarfe für Unterkunft in genannter Höhe anerkannt.

Die vom Beklagten im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angewandten Höchstwerte für Kosten der Unterkunft ergeben sich aus dem Endbericht „Festlegung der Angemessenheitsgrenzen gem. SGB II und SGB XII für die 21 Kommunen der Region Hannover auf Basis der 21 qualifizierten Mietspiegel 2013“ aus dem September 2013 (im Folgenden: Endbericht SGB II). Hinsichtlich der Methodik der Konzepterstellung wird auf diesen Bericht Bezug genommen. Hinsichtlich der Erstellung des Mietspiegels 2013 wird auf den Methodenbericht „Mietspiegel 2013 für die Region Hannover Qualifizierte Mietspiegel für 21 Kommunen“ (im Folgenden: Methodenbericht Mietspiegel 2013) aus dem Mai 2013 Bezug genommen.

Mit der am 10. Dezember 2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich fort.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren seien, zumal sich der Mietspiegel der Region Hannover als rechtswidrig erweise.

Die Klägerin beantragt daher,

die Änderungsbescheide vom 10.07. und 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2014 wiederum in der Fassung des Änderungsbescheids vom 05.12.2014 abzuändern und den Klägern die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2014 Wohnraum zu einer Miete in Höhe von bis zu 364,00 Euro und einer Quadratmeterzahl bis zu 50 m² in ausreichendem Maße zur Verfügung gestanden habe. Zum Nachweis überreicht er die Tabelle „Verfügbarer Wohnraum Angebote“.

Der Beklagte ist ferner der Ansicht, dass seine Mietwerterhebung 2013 in rechtmäßiger Art und Weise zu Stande gekommen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll, die Prozessakte und die Verwaltungsakte.

Gründe

I.

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist auch begründet. Die Bescheide vom 10. und 15. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 5. Dezember 2014 erweisen sich als rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gewährung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe von 383,00 Euro monatlich zu.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Die Angemessenheitsprüfung hat unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien zu erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip fordert die Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit der Begrenzung (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, juris). Zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze ist daher auf einer ersten Stufe eine abstrakte und auf einer zweiten Stufe eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 132/10 R – juris, Rn. 17; Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 19, juris).

II.

Vor der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erweist sich die SGB-II/XII-Mietwerterhebung für die Landeshauptstadt Hannover 2013 als nicht rechtmäßig. Der Mietwerterhebung liegt einerseits kein schlüssiges Konzept zu Grunde. Andererseits sind zu dem als angemessen gesetzten Mietpreis nicht in ausreichendem Umfang Wohnungen auf dem Angebotsmietmarkt abstrakt verfügbar.

1. Nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 22. September 2009, Az. B 4 AS 18/09 R, vom 17. Dezember 2009, Az. B 4 AS 27/09 R, vom 19. Oktober 2010, Az. B 4 AS 50/10 R, vom 20. Dezember 2011, Az. B 4 AS 19/11 R, und vom 13. September 2013, Az. B 4 AS 77/12 R, ist ein Konzept ein planmäßiges Vorgehen im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenn auch Orts- und zeitbedingte Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgebenden Raum. Von der Schlüssigkeit eines Konzepts ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auszugehen, sofern die folgenden Mindestvoraussetzungen erfüllt sind:

-Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen,-es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße,-Angaben über den Beobachtungszeitraum,-Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),-Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten-Validität der Datenerhebung,-Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und-Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).a. Die Datenerhebung ist ausschließlich in diesem genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum erfolgt.

aa. Der Raum muss insgesamt betrachtet einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellen (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R -, juris).

Angesichts der guten infrastrukturellen Anbindung aller Stadtteile, insbesondere an das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel, handelt es sich bei der Landeshauptstadt Hannover es sich um einen Vergleichsraum.

bb. Die Grenzen des Vergleichsraumes sind insbesondere danach abzustecken, ob es sich um einen ausreichend großen Raum (nicht bloße Orts- oder Stadtteile/-bezirke) der Wohnbebauung aufgrund räumlicher Nähe, mit zusammenhängender Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit handelt (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 22, juris).

Der Beklagte hat daher zu Recht die beiden Datensätze des Mietspiegels 2013 „normale Wohnlage“ und „gute Wohnlage“ in eine vergleichsraumbezogene Datenbasis zurückgeführt. Damit ist der erste Schritt zur Vorbeugung einer Ghettobildung in Teilen des Vergleichsraums geschafft.

cc. Die Rückführung ist insbesondere unter Beachtung des tatsächlichen Verhältnisses der beiden Datensätze auf dem hannoverschen Mietmarkt erfolgt und erweist sich damit als repräsentativ (dazu sogleich unter II, 1, b, bb, (2.).

b. Sowohl die statistischen Voraussetzungen als die Verständlichkeit der Methodik sind gegeben.

aa. Die Definition des Gegenstands der Beobachtung (Vollerhebung des Mietmarkts unter Bereinigung der Mietspiegeldaten von Wohnlageeinstufungen und Ausstattungsmerkmalen), die Angaben über den Beobachtungszeitraum und die Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Bestandmietwerte aus 4 Jahren vor dem Stichtag des Mietspiegels 2013 am 01. April 2012) sind dem Gericht nachvollziehbar.

bb. Die eingezogenen Daten sind repräsentativ. Die verschiedenen Datensätze des Mietspiegels 2013 sind unter Beachtung der des tatsächlichen Verhältnisses der jeweiligen Datensätze auf dem hannoverschen Mietmarkt wieder in die Sondererhebung 2013 zurückgeflossen.

Als Repräsentativität versteht die Eigenschaft von Erhebungen, dass diese Aussagen über eine Grundgesamtheit zulassen.

(1.) Die Datenvollerhebung im gesamten Vergleichsraum in Form einer Zufallsstichprobe stellt dies im statistischen Sinne grundsätzlich sicher.

(2.) Die anschließend im Rahmen der Mietwerterhebung vorgenommene Gewichtung der einzelnen Mietwerte konnte das Gericht aufgrund der Methodenberichten zum Mietspiegel und Mietwerterhebung zunächst nicht durchweg nachvollziehen (so bereits: Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 07. Juli 2014, Az. S 45 AS 2869/14 ER).

Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2014 hat der Beklagte die ergänzende Stellungnahme der Region Hannover und der F+B GmbH vom 18. Dezember 2014 vorgelegt. Dort sind die bei der Gewichtung der Erhebungsdaten im Mietspiegel Hannover angewandten Faktoren nachvollziehbar dargestellt worden.

(a.) Nunmehr ist der Gewichtungsfaktor „Vermietertyp“ nachvollziehbar. Da der Anteil des Mietwohnungsbestands der Großvermieter in der Grundgesamtheit mit 33.200 Wohnungen rund 13 % betrage und auf die Kleinvermieter mit 218.000 Wohnungen rund 87 % entfielen, die Großvermieter im Gegensatz zu den Kleinvermietern jedoch fast vollständig teilnahmen, erweist sich die Gewichtung auf das tatsächliche Verhältnis als sachgerecht.

(b.) Auch der Gewichtungsfaktor „Wohnlage“ ist nachvollziehbar. Nachdem der Anteile der guten Wohnlage in der Grundgesamtheit bei rund 36 % und der Anteil der normalen Wohnlage bei rund 64 % des Mietwohnungsbestands der Stadt liegt, beide Wohnlagen jedoch in etwa zu gleichen Teilen in der Erhebung mitwirkten, erweist sich eine Gewichtung auf das tatsächliche Verhältnis als sachgerecht.

(3.) Die Repräsentativität der Grundgesamtheit bleibt damit gewahrt.

c. Die Angaben über die gezogenen Schlüsse (hier: Kappungsgrenze) erweisen sich vor dem Tatbestandsmerkmal „Validität der Datenerhebung“ als unzureichend.

Mit Validität wird das argumentative Gewicht einer wissenschaftlichen Aussage, Untersuchung oder Theorie bezeichnet.

Mit der Kappungsgrenze von 33 % der Spanne sämtlicher Mietwerte aus dem Mietspiegel  2013 sind die Leistungsempfänger nach dem SGB II auf weniger das untere Drittel der Mietpreisspanne verwiesen. Dieser Ansatz soll den einfachen Standard abbilden.

Das Konzept des Beklagten weist keine nachvollziehbare Definition einfachen Standards auf (Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 31. März 2014, Az. S 45 AS 143/14 ER, Beschluss vom 07. Juli 2014, Az. S 45 AS 2869/14 ER, Beschluss vom 04. August 2014, Az. S 70 AS 3428/14 ER, Beschluss vom 21 Januar 2015, Az. S 31 AS 5651/14 ER, Urteile vom 22. Januar 2015, Az. S 70 AS 4804/14, S 70 AS 2053/13, S 70 AS 4258/13, S 70 AS 4725/12 und S 70 AS 5581/14; Beschluss vom 30. Januar 2014, Az. S 70 AS 210/15 ER). Die These des Beklagten, dass der einfache Standard durch die Kappungsgrenze am 33%-Perzentil der Mietpreisspanne abgebildet werden könnte, erweist sich insofern als nicht wissenschaftlich fundiert. Weder liegen entsprechende statistische Erfahrungswerte vor, noch ist – als Tatsache des lokalen Mietmarkts – der Anteil des einfachen Standards am hannoverschen Mietmarkt ermittelbar.

Zur Definition des einfachen Standards führt der Beklagte im Endbericht SGB II, S. 12 f., aus:

„Auch wenn es keine statistische Ableitung für die Festlegung des einfachen Wohnungsstandards gibt, so hat sich in vielen Kommunen das 33 % Quantil als Maßstab zur Ermittlung der angemessenen Mietobergrenzen herausgebildet. Daher wird dieser Maßstab auch bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für die 21 Kommunen der Region Hannover angewandt“.

aa. Zunächst weist der Antragsgegner in seinem Definitionsansatz vollkommen richtig darauf hin, dass es  keine statistische Ableitung für die Festlegung des einfachen Wohnungsstandards gibt.

Dies verwundert nicht vor der wesentlichen Unterschiedlichkeit der verschiedenen lokalen Mietmärkte. Insofern betont das Bundessozialgericht, dass das schlüssige Konzept die hinreichende Gewähr dafür bieten soll, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/7b AS 44/06 R - juris, Rn. 16; Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2008 - B 11b AS 41/06 R - juris, Rn. 23; Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, juris, Rn. 24).

bb. Auch genügt allein die Tatsache, dass viele Kommunen das 33%-Quantil für eine sachgerechte Abbildung des einfachen Standards halten, für eine nachvollziehbare Definition nicht (so bereits: Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 21. Januar 2015, S 31 AS 5651/14 ER).

cc. Nachdem die dem 33%-Quantil zu Grunde liegende These nicht durch einen wissenschaftlichen oder allgemeinen Erfahrungssatz verifiziert werden kann, könnten die Tatsachen des lokalen Wohnungsmarkts sie belastbar machen. Insofern ist aber nicht feststellbar, zu welchen Anteilen jeweils Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards in die Datengrundlage eingeflossen sind (so bereits: SG Hannover, Beschluss vom 07. Juli 2014, Az. S 45 AS 2869/14 ER).

Die Kammer schließt sich insoweit dem Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom 03. April 2014 – L 7 AS 786/11 –, an, das seit dem 29. Dezember 2014 rechtskräftig ist (Bundessozialgericht, Beschluss vom 29. Dezember 2014, – B 4 AS 179/14 B –, insbes. Rn. 7 f., juris) Danach liegt bei ohne weitere qualitative Unterscheidung der Mietdaten gesammelten Mietpreisen und der daraus ermittelte Kappungsgrenze von 33 % kein schlüssiges Konzept zur Festsetzung einer angemessenen Mietobergrenze im Sinne des § 22 SGB II vor. Die Kammer hält für die Lösung des vorliegenden Falls insbesondere folgende Erwägungen für bedeutsam:

 „Die zugrundeliegende Annahme, dass Wohnungen einfachen Standards tatsächlich zutreffend abgebildet werden, setzt voraus, dass tatsächlich der gesamte Wohnungsmarkt erfasst wurde, was - wie oben dargelegt - der Senat nicht nachvollziehen kann. Es setzt weiter voraus, dass eine gleichmäßige Durchmischung der Datensätze mit Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards vorliegt. Hierauf können keine Rückschlüsse gezogen werden, weil eine Definition des einfachen Standards gerade unterblieben ist. In Abhängigkeit der jeweiligen - nicht zu identifizierenden - Anteile verschiebt sich dann nämlich der so ermittelte Quadratmeterpreis. Dass die hier gezogene Kappungsgrenze bei 33% der pro Wohnungsgrößenklasse aus den Angebotsmieten ermittelten Werte liegt, setzt voraus, dass eine Verteilung der Wohnungen einfachen, mittleren und gehobenen Standards vorliegt, die genau diese Grenze rechtfertigt.“ (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03. April 2014 – L 7 AS 786/11 –, Rn. 61 f., juris)

„Es ist der unbestreitbare Verdienst des vom Bundessozialgericht zu § 22 SGB II entwickelten „schlüssigen Konzeptes“, dass nicht der nackte Marktpreis sondern eine qualitative Selektion der Mietdaten darüber bestimmt, welche angemessene Wohnung einem SGB II-Bezieher zuzubilligen ist. Sonst bestünde die Gefahr, dass Grundsicherungsträger die Angemessenheitsgrenze allein nach eigenen fiskalischen Interessen bilden könnten, was nicht zwingend das Grundbedürfnis Wohnen als menschenwürdiges Existenzminimum abbilden muss.“ (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03. April 2014 – L 7 AS 786/11 –, Rn. 63, juris)

„Entscheidend ist nunmehr die Beschaffenheit der Wohnung, die auch oberhalb des Quantils von 33% noch einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen kann, falls im Vergleichsraum derartige Unterkünfte in einem größeren Umfang vorhanden sind. So legte der Beklagte die Annahme zugrunde, dass drei Wohnungssegmente (einfach, mittel, gehoben) existieren und über die Kappungsgrenze das Drittel „einfach“ abgebildet werden kann. Unterstellt, was im ländlich geprägten Nordkreis gerade im Hinblick auf das Segment „gehoben“ zu bezweifeln ist und vom Beklagten nicht durch weitere Daten belegt werden konnte, die Wohnungssegmente finden sich in gleicher Verteilung am Wohnungsmarkt, ergibt sich daraus nicht, dass auch seine Sammlung ein Drittel Wohnungen einfachen Standards (und nicht vielleicht 50%, 60% oder 80%) beinhaltet bzw. seine Kappungsgrenze genau dieses Drittel wiedergibt.“ (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03. April 2014 – L 7 AS 786/11 –, Rn. 64, juris)

(1.) Auf tatsächlicher Ebene lässt die Marktbetrachtung einerseits eine Auseinandersetzung mit den Wohnwertmerkmalen und andererseits der lokalen Marktzusammensetzung vermissen.

(a.) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zunächst der Wohnungsstandard zu bestimmten. Dabei ist die Festlegung des unteren Marktsegments zunächst in die Hände der Verwaltung gelegt, denn diese kann am ehesten anhand der regionalen Gegebenheiten entscheiden, welche Wohnungsmerkmale einen einfachen Wohnstandard ausmachen. (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 19, juris).

Die SGB-II/XII-Mietwerterhebung lässt eine Auseinandersetzung mit Wohnwertmerkmalen des § 558 Abs. 2 BGB, die den einfachen Standard ausmachen könnten, nicht erkennen.

(b.) Soweit nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung die Region Hannover der SGB-II/XII-Mietwerterhebung 2013 die Annahme zugrunde legt, dass drei Wohnungssegmente (einfach, mittel, gehoben) existieren und über die Kappungsgrenze das Drittel „einfach“ abgebildet werden kann, so geht die Kammer in Übereinstimmung mit dem Landessozialgericht davon aus, dass es keine Erfahrungswerte gibt, die auf die These 3 gleich großer Wohnungssegmente hindeuten.

Insofern spricht einerseits die bislang nicht gelungene statistische Ableitung eines bundesweit einheitlichen Spannwerts, der den einfachen Standard abbildet, und andererseits die Unterschiedlichkeit der Mietwertkonzepte und der Mietspiegelerhebungen (nach Wohnwertmerkmalen ausdifferenzierte Mietspiegel in Großstädten und Metropolen, wiederum als Tabellenmietspiegel in Berlin oder Regressionsmietspiegel in München, bloß nach Baualtersklassen differenzierende Mietspiegel gerade in ländlichen Regionen) dafür, dass die Mietmärkte lokal unterschiedlich geprägt sind und auch der Anteil des einfachen Standards am lokalen Wohnungsmarkt jeweils unterschiedlichen Umfangs ist.

Auch die Betrachtung der im Mietspiegel 2013 ausgewiesenen 23 Ausstattungsmerkmale und die Einordnung in 4 Preisspannen (Methodenbericht Mietspiegel 2013, S. 4 ff.) oder  Einstufung in die beiden Lagen „normale Wohnlage“ und „gute Wohnlage“ (Qualifizierter Mietspiegel der Landeshauptstadt Hannover 2013, Methodenbericht Mietspiegel 2013, S. 31)  bestätigen nicht die gesehene Dreiteilung des Wohnungsmarkts.

(2.) Schließlich stellt die Kappungsgrenze die zentrale materiell-rechtliche Wertung einer Mietwerterhebung dar. Daher bedarf es einer sorgfältigen Definition des einfachen Standards und einer sorgfältigen Erfassung der Markzusammensetzung.

dd. Die 33%-Kappungsgrenze kann also weder auf einem allgemeinen Erfahrungssatz noch vorliegend auf die tatsächlichen Verhältnisse am Ort gestützt werden.

2. Ferner sind zu dem als angemessen gesetzten Mietpreis nicht in ausreichendem Umfang Wohnungen auf dem Angebotsmietmarkt abstrakt verfügbar.

a. Soweit der Beklagte die abstrakte Angemessenheit anhand des geförderten Wohnungsbestands überprüft hat (Endbericht SGB II, Seite 17 f.), geht es demgegenüber bei dem Verfügbarkeitsnachweis darum, ob der Leistungsempfänger zu dem gebildeten Angemessenheitswert eine Wohnung auf dem freien Mietmarkt finden kann. Der Leistungsempfänger ist nicht bloß auf den sozialen Wohnungsbau verwiesen. Vielmehr ist ihm aufgegeben, sich auf dem gesamten Wohnungsmarkt zu bemühen.

Die Forderung der Region Hannover, dass in jedem Tabellenfeld mindestens, 80 % der aktuellen Sozialwohnungsmieten unterhalb der im ersten Schritt definierten Angemessenheitsgrenzen liegen sollten, hat in der Größenklasse 50 bis 60 m² zu einer Erhöhung des gesetzten Angemessenheitswerts von 515,00 Euro auf 520,00 Euro und der Größenklasse jede weiteren 10 m² nach 85 m² zu einer Erhöhung des gesetzten Angemessenheitswerts von 68,00 Euro auf 81,00 Euro geführt (Endbericht SGB II, Seite 20).

Der Prüfungsschritt wirkt sich bloß zu Gunsten der Leistungsempfänger aus. Da die  subsummierende Rechtssetzung unter den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II  zunächst dem Beklagten oblag und insoweit kein Rechtsfehler zu erkennen ist, soll diese Wertung respektiert werden.

b. Der anschließend vorgenommene Angebotsmietenabgleich stellt die bislang aussagekräftigste Methode der Verfügbarkeitsprüfung (sowohl in abstrakter wie konkreter Hinsicht) dar. Nachdem die Methode sich derzeitigem Stand als die optimale Methode der aktuellen Marktbeobachtung darstellt, ergeben sich jedoch vorliegend einige durchgreifende Einzelprobleme.

aa. Die Setzung der Größenspannen erweist sich hinsichtlich Größenklassen von 60 m² bis 85 m² als rechtsfehlerfrei, im Übrigen jedoch als verfehlt. Auch auf Ebene der Verfügbarkeitsprüfung ist die Produkttheorie zu beachten, zumal innerhalb des Konzepts keine Wertungswidersprüche entstehen sollen.

Eine isoliert betrachtete unangemessene Wohnungsgröße ist dabei unschädlich, es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist, also die zu übernehmende Miete in dem räumlichen Bezirk, der den Vergleichsmaßstab bildet, die angemessene Mietobergrenze nicht überschreitet (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 - B 4 AS 4/13 R -; Bundessozialgericht Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R -, juris, Rn. 19; Bundessozialgericht, Urt. 06. August 2014, B 4 AS 37/13 R, juris, Rn. 22).

Für die Leistungsberechtigten soll die Möglichkeit gewährleistet sein, innerhalb des die Angemessenheit bestimmenden Produkts aus Wohnungsgröße und Ausstattung tatsächlich frei wählen zu können; die Möglichkeiten der Produkttheorie also ausschöpfen zu können. (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 31)

Daher hat das Bundessozialgericht in vorbenannter Entscheidung die Führung des Nachweises abstrakter Verfügbarkeit durch Betrachtung von Wohnungen „um die 50 qm" gebilligt. Eine Beschränkung auf die Wohnungen, die exakt eine Größe von 50 qm aufweisen, würde zu einer zu starken Reduzierung der in die Betrachtung einzubeziehenden Wohnungen führen. (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 32)

Die Kammer hält daher die Betrachtung der Spanne von 10 m² unter der maßgebenden Größe bis 10 m² über der maßgebenden Größe für optimal.

(1.) Die Führung des abstrakten Verfügbarkeitsnachweises an den Spannen 50 bis 60 m², 60 bis 75 m² und 75 bis 85 m² stellt sich gleichwohl als rechtsfehlerfrei dar. Indem der Beklagte lediglich die Spanne bis zur maßgebenden Größenklasse betrachtet hat, hat er die Möglichkeit der Verfügbarkeit lediglich zu seinen Lasten beschränkt. Freilich ist diese Beschränkung geringfügig, da mit steigender Größe die Wahrscheinlichkeit, eine Wohnung noch zum Produktpreis zu finden, stetig sinkt.

(2.) Indem der Beklagte jedoch zum Nachweis der Verfügbarkeit in der Größenklasse 50 m² sämtliche Mietangebote bis 50 m² betrachtet, genügt er nicht den Anforderungen der Produkttheorie. Der jeweilige Leistungsempfänger muss eben nicht jede Wohnung unter 50 m², sondern darf eine Wohnung zum Produkt aus der ihm – abstrakt – zustehenden Größe und dem m²-Preis suchen. Um die Frage nach dem „um die 50 qm“ zu präzisieren, hält die Kammer es für sachgerecht, Wohnungen unter 40 m² nicht zu betrachten.

Damit besitzt der ausgewiesene Verfügbarkeitswert von 42,5 % der Mietangebote aus dem Jahr 2012 keine Aussagekraft.

Ferner weisen die vom Beklagten vorgelegten einzelnen Mietangebotstabellen, insbesondere zwischen 20 und 30 m², diverse Mietangebote aus, die die 20%ige Mietwuchergrenze des § 5 Abs. 2 WiStG überschreiten könnten.

(3.) Hinsichtlich der Größenklassen über 85 m² erweist sich als unrechtmäßig, dass der Verfügbarkeitsnachweis nicht einzeln hinsichtlich der jeweils maßgebenden Größe (95 m², 105 m², 115 m², usw.) geführt worden ist, sondern pauschal alle Wohnungen über 85 m² betrachtet worden sind. Soweit zur Produkttheorie.

Auch vor dem marktbezogenen Argument ist eine gesonderte Überprüfung geboten. Mit steigender Größe dürfte sich eine geringere Verfügbarkeit ergeben, wofür auch der ab 95 m² erneut ansteigende m²-Preis spricht.

bb. Im Übrigen sieht die Kammer keine ausreichende Verfügbarkeit im abstrakten Überprüfungszeitraum.

Nach der Entscheidung des Bundessozialgericht vom 20. Dezember 2011, B 4 AS 19/11 R, Rn. 28 muss im gesamten Vergleichsraum angemessener Wohnraum einfachen Standards in ausreichendem Maße vorhanden sein.

Auf Ebene der abstrakten Verfügbarkeit bietet es sich an, zumindest einen – regelmäßig halbjährigen – Kostensenkungszeitraum (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) zu betrachten.

(1.) Insofern erweist der (Angebots-)Beobachtungzeitraum vom 01. Januar bis zum 31. Dezember 2012 sich als ordnungsgemäß.

(2.) Soweit in den Größenklassen 60 m² und 85 m² 27,9 % und 28 % der Mietangebote zum festgesetzten Angemessenheitswert verfügbar waren, liegt keine ausreichende Verfügbarkeit vor. Da die Leistungsempfänger so auf bloß ¼ der Mietangebote verwiesen sind und sie mit anderen Bewerbern auf dem Nachfragemarkt konkurrieren, liegt keine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Wohnungsfindung vor. Die abstrakte Verfügbarkeitsprüfung soll gerade sicherstellen, dass der Leistungsempfänger eine faire Chance auf dem Wohnungsmarkt hat und daher bei der konkreten Verfügbarkeitsprüfung dementsprechend strenger vorgegangen werden kann.

(3.) Der Verfügbarkeitswert von 36,7 % in der Größenklasse 75 m² erweist sich bereits deshalb als nicht aussagekräftig, weil die Datenbasis nicht ordnungsgemäß ermittelt ist.

(a.) Die Verfügbarkeit von Wohnungen auf dem Angebotsmietmarkt muss so beschaffen sein, dass eine Ghettobildung nicht droht.

Einer Konzentration Leistungsberechtigter auf bestimmte Stadtbezirke, insbesondere besonders „heruntergekommene“ und daher „billige“, ist zu vermeiden (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 29). Dabei muss zum ermittelten Angemessenheitsbetrag nicht in jedem Teil des Vergleichsraums eine Wohnung verfügbar sein. In vorbenannter Entscheidung hat das Bundessozialgericht die Verfügbarkeit in 18 von 26 Stadtbezirken ausreichen lassen.

Demgegenüber weisen die vom Beklagten vorgelegten Angebotsmieten vielfach keine Lagedaten aus und ermöglichen daher keine Feststellungen zur Verteilung über den Vergleichsraum.

(b.) Schließlich sind maklervermittelte Wohnungen nicht aus der Datenbasis ausgeklammert worden. Gerade die erfassten Wohnungsangebote aus dem Internet dürften auch Maklerwohnungen beinhalten. Diese könnten aber nur in die Verfügbarkeit eingestellt werden, soweit die Bereitschaft besteht, die Maklerprovision als Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II zu übernehmen. Für Zeiträume nach dem 01. Januar 2015 könnte aufgrund der Änderungen im Maklerrecht anderes gelten.

III.

Die Kammer konnte aufgrund der vom Beklagten vorgelegten Datengrundlage ein eigenes Mietwertkonzept erstellen.

1. Die vom Beklagten vorgelegte Datengrundlage ist aufgrund ihrer statistisch ordnungsgemäßen Ermittlung verwendbar, insbesondere erweist sie sich als repräsentativ.

2. Es ist nicht bereits auf die Tabellenwerte zu § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10 % abzustellen.

Erst wenn sich nach weiteren Ermittlungen des Grundsicherungsträgers und ggf. des Gerichts erweist, dass sich keine hinreichenden Feststellungen zu den angemessenen Unterkunftskosten mehr treffen lassen, somit ein Ausfall von lokalen Erkenntnismöglichkeiten vorliegt, ist grundsätzlich von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen, die ihrerseits durch die Tabellenwerte zu § 8 bzw § 12 WoGG - jeweils zzgl eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10 % (vgl. Bundessozialgericht Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R -, juris, Rn. 25 ff.) - nach oben begrenzt sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 06. August 2014, B 4 AS 37/13 R, Rn. 22, juris).

a. Dabei gibt es durchaus Gründe für die entsprechende Anwendung der Tabellenwerte.

Die in die Wohngeldstatistik eingeflossenen Mieten sind vielfach Bestandsmieten. Gerade die große Gruppe der Rentnerinnen und Rentner mit Wohngeldbezug lebt zum Teil schon lange in ihren Wohnungen, so dass es sich häufig um relativ niedrige Mieten aus längerfristigen Mietverhältnissen handeln dürfte. Da das Wohngeld eine staatliche Leistung für Geringverdiener ist, bilden die Mieten der Wohngeldempfänger in den Landkreisen und kreisfreien Städten außerdem tendenziell das preiswerte Wohnungsmarktsegment ab. (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Wohngeld in den Städten und Regionen, S. 9)

Die tatsächlichen Mieten der Wohngeldhaushalte zeigen auch die bekannten regionalen Muster (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Wohngeld in den Städten und Regionen, S. 8). Dies verdeutlicht beispielsweise § 12 Abs. 4 Satz 1 WoGG: Das Mietenniveau ist die durchschnittliche prozentuale Abweichung der Quadratmetermieten von Wohnraum in Gemeinden vom Durchschnitt der Quadratmetermieten des Wohnraums im Bundesgebiet. Es liegen daher einerseits eine bundesweite Mietdatenbank und anderseits die lokalen Mietdatenbanken vor, deren arithmetische Mittel sodann in Verhältnis zueinander gesetzt werden.

Das Mietmarktverhalten der Geringverdiener ist gut abgebildet, indem der soziale Wohnungsbau und Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern nicht ausgeklammert sind.

b. Demgegenüber geben die Tabellenstufen die örtlichen Verhältnisse nur bedingt wieder. Die Mietstufen sind bundesweit einheitlich und resultieren aus dem Bundesdurchschnitt der Mietwerte. Lediglich die Zuweisung zu der Mietstufe erfolgt aufgrund des lokalen Durchschnitts.

Als problematisch erweist sich vor der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ferner der unscharfe Beobachtungzeitraum. Einerseits sind die eingeflossenen Bestandsmietwerte nicht auf die letzten 4 Jahre vor maßgebenden Stichtag beschränkt. Dadurch sind auch ältere Werte eingeflossen. Schließlich fließen auch frische Bestandsmieten (die nahe den Angebotsmieten liegen werden) in die Erhebung ein.

c. Diese Probleme könnten nach Anforderung der Datenbanken vom Statistischen Bundesamt durch entsprechende Datenbearbeitung behoben werden. Soweit Mietspiegeldaten vorliegen, bedarf es dem nach der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht.

d. Aufgrund der örtlichen Verhältnisse bedarf es in der Landeshauptstadt keines Sicherheitszuschlags in Höhe von 10 %.

Die Kammer hat vom Beklagten aus der Datenbasis der SGB-II/XII-Mietwerterhebung die arithmetischen Mittelwerte der Größenklassen errechnen lassen.

PersonenAngemessene WohnflächeKM-MittelKNK-MittelSumme/m²ProduktReg.-H.-K. (33 % BM)WoGG   1       50    6,14   1,57   7,71   385,5          364     385     2       60    6,02   1,44   7,46   447,6          429     468     3       75    5,99   1,3     7,29   546,75           520     556     4       85    6,02   1,33   7,35   624,75           589     649     5       95    6,28   1,04   7,32   695,4                  737     6       105     6,14   1,04   7,18   753,9                          6 / 4 / 5 + n10    5,96   1,04   7       70       81    88    Dabei zeigt sich, dass die Werte für eine Person nahezu identisch sind. Bei den Werten für 2 bis 6 Personen liegen die Werte der Wohngeldtabelle wesentlich über den örtlichen Durchschnittswerten. Eine Erklärung könnte sein, dass die Mietspiegel der Region Hannover nur für abgeschlossene frei finanzierte Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern mit mindestens drei Wohneinheiten gelten (Methodenbericht Mietspiegel 2013, S. 2), insbesondere Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern aus der Erhebung ausgeklammert sind.

Der Sicherheitszuschlag in Höhe 10 % entbehrt damit gleichwohl auf dem lokalen Mietmarkt einer Tatsachengrundlage. Einer Unterschreitung des einfachen Standards muss nicht vorgebeugt werden.

2. Die Kammer hat verschiedene Möglichkeiten der eigenen Konzepterstellung erwogen.

a. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass das Bundessozialgericht die geringere Kappungsgrenze „20%“ bestätigt habe (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013, – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 37, juris), muss bedacht werden, dass die Entscheidung auf den Feststellungen zum Mietmarkt in München beruht. Die Mietpreisspanne könnte weiter sein. Es könnte ein breites Luxussegment gegeben sein.

Soweit das Bayrische Landessozialgericht auf die Grenze "20%" zurückgegriffen werden hat, da dies einer Orientierung an den unteren 20 % der Einkommensbezieher entspreche, wäre einmal der Vergleich der so ermittelten Spanne mit den Werten zu § 12 der Wohngeldtabelle interessant. Die Wohngeldstatistik beruht immerhin auf Empirie.

b. Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2014 als Kappungsgrenze das 40%-Perzentil vorschlägt, stehen dem dieselben Bedenken gegenüber wie dem Abstellen auf das 33%-Perzentil.

c. Die Kammer hat insbesondere qualitative Ansätze erwogen.

(1.) Teilweise kann der einfache Standard aufgrund des Baualters abgebildet werden (Sozialgericht Aurich, Urteile vom 07. März 2013, Az. S 35 AS 86/10 und S 35 AS 199/11).

Das Baualter ist regelmäßig ausschlaggebend für die Beschaffenheit einer Wohnung (Methodenbericht Mietspiegel 2013, S. 3). Insbesondere bei Mietspiegeln in ländlichen Regionen ist das Baualter häufig das einzige Wohnwertmerkmal.

Dagegen spricht aber bei Vorliegen besserer Erkenntnisquellen, dass die Reduzierung der Qualitätsabbildung auf ein Wohnwertmerkmal zu einer recht groben Definition führt. Auch ist eine Verfügbarkeitseinschätzung lediglich aufgrund des Wohnungsbestands mit Unsicherheit behaftet.

(2.) Soweit ein Mietspiegel einen differenzierten Katalog von Wohnwertmerkmalen ausweist, sollte als präzisere Definitions- und Marktabbildungsgrundlage darauf abgestellt werden.

Einerseits könnte anhand der für den Mietspiegel erhobenen 23 Ausstattungsmerkmale (Methodenbericht Mietspiegel 2013, S. 4 - 6) eventuell der einfache Standard definiert und anschließend der Anteil der Marktsegmente am freien Mietmarkt der Landeshauptstadt Hannover abgebildet werden. Möglicherweise könnte der einfache Standard auch negativ definiert werden, indem Wohnungen mit gehobenen Wohnwertmerkmalen aus der Betrachtung ausgeklammert werden.

Andererseits ergibt sich ein gehobener Standard regelmäßig erst durch das Zusammentreffen mehrerer Wohnwertmerkmale. Daher könnte die Spanneneinordnung des Mietspiegels 2013 ein Definitionsansatz sein.

Dagegen spricht aber, dass die Wohnwertmerkmale des § 558 Abs. 2 BGB sich wechselseitig beeinflussen. So können etwa gute Lage und schlechte Ausstattung zusammenfallen. Auch schließen die überwiegende Zahl der 23 Ausstattungsmerkmale und der einfache Standard sich nicht unbedingt aus. Eine abschließende Definition der Marktsegmente anhand der Ausstattungsmerkmale und eine darauf beruhende Marktabbildung erweist sich damit als kaum machbar. Dies kann aber dahinstehen, da die vorliegenden Daten eine weitergehende Betrachtung nicht ermöglichen.

dd. In Ermangelung weiterer Erkenntnisquellen stellt die Kammer daher auf den gesamten Wohnungsmarkt ab.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 31, juris, folgt aus der Heranziehung von Werten aus allen Mietverhältnissen zwar - weil er den gesamten Mietmarkt erfasst - in der Tendenz ein höherer Bruttokaltmietpreis, als dies bei Auswertung nur des Teilsegments der Fall wäre, auf das Leistungsberechtigte nach dem SGB II zu verweisen sind. Sofern eine entsprechend differenzierte Datenlage aber nicht vorliegt, also eine Auswertung des Teilsegments mit vernünftigem Aufwand ausscheidet, ist eine solche Vergröberung erforderlich, um mit ausreichender Sicherheit zu gewährleisten, dass in jedem Marktsegment - auch in dem in Bezug zu nehmenden unteren Segment - eine genügende Anzahl an Mietverhältnissen zu diesem Preis vorhanden ist. Dies wirkt sich im Übrigen auch nur zugunsten der Leistungsberechtigten aus.

Dass die erhobenen Daten keine qualitativen Merkmale einfachen Standards aufwiesen, steht der Auswertung und Verwendung dieser Daten nicht entgegen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, Rn. 36)

3. Zur Überzeugung der Kammer kann der einfache Standard dergestalt abgebildet werden, dass die Kappungsgrenze beim Durchschnitt aller in die Mietwerterhebung eingeflossenen Mietwerte gesetzt wird.

a. Bei der Bildung des arithmetischen Mittels muss gewährleistet sein, dass ein einzelner Wert entsprechend seiner tatsächlichen Häufigkeit auf dem Markt in einen grundsicherungsrelevanten Mittelwert einfließt (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. B 14 AS 50/10 R, Leitsatz 2 und Rn. 32; Sozialgericht Aurich, Urteil vom 07. März 2013, Az. S 35 AS 86/10). Die ist aufgrund der repräsentativen Datengrundlage der Fall.

b. Die für Leistungsberechtigte infrage kommende Wohnung muss nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen, ohne gehobenen Wohnstandard aufzuweisen (Bundessozialgericht Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R -; Bundessozialgericht Urteil vom 11. Dezember 2012 - B 4 AS 44/12 R -, juris, Rn. 13; Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R –, juris, Rn. 21)

Aufgrund des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage für ein Gut bildet sich auf einen Markt ein angemessener Preis. Dabei stellt der Durchschnittswert den abstrahierten regelmäßigen Preis auf dem Markt dar. Demgegenüber spiegeln sich bessere Wohnlagen und/oder Wohnungsausstattungen tendenziell in einem höheren und schlechtere Wohnlagen und/oder Wohnungsausstattungen tendenziell in einem niedrigeren Preis wieder. Im Rahmen der Marktwirtschaftlichkeit des Ansatzes darf also davon ausgegangen werden, dass die höherwertigen Wohnungen auch mit einem höheren Preis abgebildet werden. Dementsprechend wird bei Anwendung eines Durchschnittswertes tendenziell der unterhalb dieses Durchschnittswertes liegende Mietmarkt abgebildet. Damit ist den Leistungsempfängern grundsätzlich die untere Hälfte des ermittelten Bestandsmietmarkts zur Verfügung gestellt. (Sozialgericht Aurich, Urteil vom 08. November 2012, Az. S 35 AS 89/12).

Bezogen auf das Arithmetische Mittel und in Ermangelung weiterer lokaler Marktkenntnis stellen die unterdurchschnittlichen Wohnungen den einfachen Standard und die überdurchschnittlichen den Wohnungen den gehobenen Standard dar.

Ferner sind tendenziell die Neuabschluss- und Angebotsmieten höher als die Bestandsmieten, zumal sich Vermieter grundsätzlich in der Mietwucherspanne des § 5 Abs. 2 WiStG bewegen dürfen. Im Fall der Landeshauptstadt Hannover ist es vom Mietspiegel 2011 bis zum Mietspiegel 2013 zu einer Preissteigerung von rund 7 % gekommen. Daher kann für den Gültigkeitszeitraum der SGB-II/XII-Mietwerterhebung 2013 ein entsprechender Preisanstieg prognostiziert werden. Die Gültigkeitsdauer muss in die Setzung der Kappungsgrenze einbezogen werden. Die Leistungsempfänger sind damit gar auf weniger als die untere Hälfte des Mietmarktes verwiesen. Der von der Kammer gewählte Ansatz stellt damit in diesem Sinne Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sicher, dass die Leistungsempfänger im Wesentlichen auf den einfachen Standard verwiesen sind, ohne dass ihnen Teile des einfachen Mietmarkts nicht zugänglich wären.

Schließlich spricht das Zusammenspiel mit der Verfügbarkeitsprüfung für das arithmetische Mittel der Mietspiegeldatenbank.

c. Wird entweder der Durchschnittswert des Mietspiegels angewandt, kann davon ausgegangen werden, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu diesem abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis im örtlichen Vergleichsraum gibt (Bundessozialgericht, Urteil vom 13. April 2011, Az. B 14 AS 106/10 R, juris, Leitsatz)

Die weitere abstrakte Verfügbarkeitsprüfung kann grundsätzlich entfallen, soweit nicht Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht (Sozialgericht Aurich, Urteil vom 08. November 2012, Az. S 35 AS 89/12; Sozialgericht Aurich, Urteil vom 07. März 2013, 35 AS 86/10).

Da sich 64 % des Mietwohnungsbestands der Stadt sich in normaler Lage befinden und ferner teilweise zu den ortüblichen Vergleichsmieten in guter Lage Verfügbarkeit ergibt, ist eine Ghettobildung nicht zu befürchten.

Ein Ermittlungsanlass ergibt sich für die Größenklassen ab 95 m², da der m²-Preis wieder ansteigt. Dies deutet auf eine gewisse Marktknappheit hin. Insoweit liegen jedoch keine Erkenntnisquellen vor, so dass die Beweislast für die konkrete Verfügbarkeit in den Größenklassen ab 95 m² beim Beklagten liegt.

d. Schließlich wendet die Kammer aufgrund der in der mündlichen Verhandlung erklärten Bereitschaft des Beklagten für die Größenklassen ab 95 m² den Erhöhungswert des Beklagten (81 €/10 m²) an, so dass sich folgende Mietwerttabelle ergibt.

PersonenAngemessene WohnflächeProdukt1       50    385,5 2       60    447,6 3       75    546,754       85    624,754 + n 10    81    IV.

Da die tatsächlichen Kosten der Unterkunft der Klägerin sich mit 383,00 Euro im Rahmen der vorstehend ermittelten Angemessenheitswerte befindet, kommt es auf die weiteren Umstände des Einzelfalles, insbesondere auf die konkrete Verfügbarkeit von Wohnungen, nicht weiter an.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.