SG Darmstadt, Urteil vom 27.01.2015 - S 20 AS 480/14
Fundstelle
openJur 2015, 7715
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 30. Juni 2014 zu gewähren.

Der Beklagte hat den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Kläger auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1986 geborene Klägerin zu 1.) ist rumänische Staatsangehörige. Sie hielt sich seit 2002 wiederholt in Deutschland auf, reiste zeitweise aber auch wieder aus. Seit Ende 2010 lebt sie durchgängig in Deutschland. Sie ist Mutter der 11 Jahre alten Klägerin zu 2.), der 9 3/4 Jahre alten Klägerin zu 3.) und des 3 1/2 Jahre alten Klägers zu 3.). Die Kläger zu 3.) und 4.) sind in Deutschland geboren. Die Kläger haben sich am 17. Januar 2011 bei der Stadt A-Stadt angemeldet. Die Klägerin zu 1.) verfügt über eine Aufenthaltsbescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) der Stadt A-Stadt vom 18. April 2012. Zunächst wohnten die Kläger in A-Stadt und bezogen dort vom 1. Juli 2012 bis zum 31. Januar 2014 Leistungen nach dem SGB II, zuletzt in Höhe von 584,00 €. Zum 1. Januar 2014 sind die Kläger nach B-Stadt umgezogen. Daraufhin forderte das Jobcenter A-Stadt sie mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22. Januar 2014 zur Erstattung von 584,00 € für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2014 auf. Am 30. Januar 2014 beantragten die Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Für die drei Kinder erhält die Klägerin zu 1.) Kindergeld in Höhe von insgesamt 558,00 € monatlich.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2014 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Klägerin zu 1.) und ihre Kinder ab, weil sie dem gesetzlichen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterliege. Dagegen legten die Kläger am 24. Februar 2014 Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 6. März 2014 (Az.: S 20 AS 182/14 ER) verpflichtete das Sozialgericht Darmstadt den Beklagten, den Klägern vom 24. Februar 2014 bis 30. Juni 2014 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Klägerin zu 1.) war erneut schwanger und erwartete im September 2014 die Geburt ihres vierten Kindes, das sie jedoch im 5. Monat der Schwangerschaft verloren hat.

Mit Bescheid vom 19. März 2014 gewährte der Beklagte den Klägern in Umsetzung des Gerichtsbeschlusses vom 6. März 2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bis zum 30. Juni 2014.

Den Widerspruch der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid vom 11. Februar 2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2014 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass sich die Klägerin zu 1.) allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte, ergebe sich aus ihrem Vortrag. Nach der Entscheidung des EuGH vom 4. Juni 2009 (Rs. C 22/08 und 23/08) sei deutlich geworden, dass die EU-Rechtskonformität der hier anzuwendenden Vorschrift damit stehe und falle, ob sich der Gesetzgeber auf die von ihm in Anspruch genommene Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 der Unionsrichtlinie 2004/38G berufen könne. Sie erlaube es, anderen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, denen dieser Status erhalten bleibe, keine Ansprüche auf „Sozialhilfe“ zu gewähren. Der EuGH habe dagegen vor allem aus Art. 45 AEUV für Unionsbürger(innen), die zum Zweck der Arbeitssuche aufenthaltsberechtigt seien, einen Anspruch auf Leistungen abgeleitet, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollten. Ob solch eine von Art. 24 nicht betroffene Leistung vorliege, müssten die nationalen Gerichte nach Maßgabe der Ergebnisse der Leistung, nicht nach deren formaler Struktur klären. Für die Grundsicherung für Arbeitsuchende habe der EuGH in der Entscheidung vom 4. Juni 2009 lediglich angedeutet, dass die Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit in § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II für eine zugangserleichterte Leistung sprechen könnte. Obwohl sich die nationalen Gerichte bereits mit der Thematik zu befassen hätten, stehe eine endgültige Beurteilung aus. Derzeit gehe der Grundsicherungsträger davon aus, dass mit Inanspruchnahme der genannten Ausnahmevorschrift durch die Bundesrepublik Deutschland ein Leistungsausschluss zu bejahen sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 27. Mai 2014 die hier streitgegenständliche Klage erhoben.

Auf den Folgeantrag der Kläger vom 14. Mai 2014 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 2014 erneut die Leistungsgewährung ab. Dagegen legten die Kläger am 27. Juni 2014 Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 22. Juli 2014 (Az.: S 20 AS 613/14 ER) verpflichtete das Sozialgericht Darmstadt den Beklagten, den Klägern vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 6. Juni 2014 eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2014 mit der gleichen Begründung wie im bereits zuvor ergangenen Widerspruchsbescheid vom 29. April 2014 unter Berufung auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zurück. Dagegen haben die Kläger am 14. Juli 2014 Klage erhoben, die unter dem Az.: S 20 AS 689/14 geführt wird.

Mit der Klage machen die Kläger geltend, sie seien nicht aufgrund des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Leistungsgewährung ausgeschlossen. Ihnen stünde auf jeden Fall das Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu, nämlich das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Bei europarechtskonformer Auslegung könne der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht zur Anwendung kommen. Er widerspreche nämlich dem europarechtlich eng ausgestalteten Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 i.V.m. 70 VO (EG) 883/2004, danach sei eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen. Das Gleichbehandlungsgebot untersage jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der EU gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der VO fallenden Person in der sozialen Sicherheit als Ausfluss des primärrechtlich in Art. 21 AEUV verankerten Diskriminierungsverbotes unter EU-Bürgern. Es gebiete, die sozialrechtlich geschuldete Leistung einem Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates unter denselben Voraussetzungen zu gewähren wie dem Staatsangehörigen des zuständigen Staates. Die Klägerin habe ihre Kinder in Deutschland großgezogen. Aus einer Erklärung des Gesundheitsamtes der Stadt A-Stadt ergebe sich, dass die Klägerin zu 1.) seit 2005 in Deutschland gewesen sei. Die Klägerin sei zwischenzeitlich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 30. Juni 2014 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf den Ablehnungsbescheid vom 11. Februar 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 29. April 2014. Die Klägerin zu 1.) sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Der Ausschluss dürfte, wie die Vorprüfung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Verfahren B 4 AS 9/13 R, das dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt worden sei, ergeben habe, rechtmäßig sein. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des BSG vom 12. Dezember 2013 in dem Verfahren B 4 AS 9/13 R verwiesen. Der Beklagte schließe sich der Auffassung des BSG an und halte an seinen Entscheidungen fest. Der Beklagte verweist zudem auf die am 11. November 2014 ergangene Entscheidung des EuGH im Verfahren C-333/13, der zu entnehmen sei, dass der Leistungsausschluss von Ausländern nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, rechtmäßig sein dürfte. Verwiesen werde in diesem Zusammenhang auch auf die zum 1. Januar 2015 in Kraft tretende Gesetzesänderung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU. Danach genössen Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in der BDR aufhielten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur ein Freizügigkeitsrecht, solange sie nachweisen könnten, dass sie weiterhin Arbeit suchten und begründete Aussicht hätten, eingestellt zu werden. Einen Nachweis darüber, weiterhin Arbeit zu suchen und begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden, habe die Klägerin zu 1.) bislang nicht erbracht und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie einen solchen Nachweis in Kürze werde erbringen können. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Kläger weiterhin nicht aus eigenen Mitteln ihr Existenzminimum sichern könnten. Ein Leistungsanspruch nach dem SGB II sei daher unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu verneinen. Die Klägerin zu 1.) habe auch nicht nachgewiesen, sich ununterbrochen seit fünf Jahren in der BRD aufgehalten zu haben. Vielmehr habe sie selbst angegeben, zum Zwecke der Arbeitsuche Ende 2010 nach Deutschland eingereist zu sein. Aus der vorgelegten Bescheinigung des Gesundheitsamtes der Stadt A-Stadt sei kein lückenloser rechtmäßiger Aufenthalt der Klägerin zu 1.) in Deutschland von mindestens fünf Jahren zu entnehmen. Ihren eigenen Angaben zufolge habe die Klägerin zeitweise aus Deutschland ausreisen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und des Jobcenters A-Stadt Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 11. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2014.

Die Klägerin zu 1.) erfüllt die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).

Die am 1986 geborene Klägerin zu 1.) erfüllt die Altersvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Sie hält sich auch mindestens seit Januar 2011 in der Bundesrepublik Deutschland auf und hat hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II). Gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit liegt bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, das Freizügigkeitsrecht ergibt sich unmittelbar aus Unionsrecht. Der Aufenthalt kann nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs. 4, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens, beendet werden. Solange dies nicht geschehen ist und der Aufnahmemitgliedsstaat die Beendigung nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, besteht das Aufenthaltsrecht, denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts festzustellen (vgl. BSG, Urteil v. 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, in juris, vgl. auch Hess. LSG, Beschluss v. 18. Dezember 2012 – L 7 AS 624/12 B ER –, in juris, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 6. März 2014 – L 31 AS 1348/13 –, in juris; andere Auffassung: SG Darmstadt, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – S 16 AS 534/13 ER –, in juris, dieser folgt das entscheidende Gericht aus den dargelegten Gründen nicht). Das SGB II regelt Ansprüche bei Hilfebedürftigkeit bei gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Regelungen zur Rechtmäßigkeit dieses Aufenthalts finden sich im SGB II dagegen nicht und können auch nicht in die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II hineininterpretiert werden. Im Fall der Klägerin zu 1.) wurden Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthaltsrechts bislang nicht ergriffen. Die Ausländerakte hat vorgelegen.

Die Klägerin zu 1.) ist auch erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II). Gemäß § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Klägerin zu 1.) ist weder krank noch behindert. Einschränkungen der Klägerin wegen unzureichender Sprachkenntnisse oder Kinderbetreuung sind insoweit irrelevant (vgl. auch Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 8 Rdn. 28). Beschränkungen wegen Kinderbetreuung sind außerdem im Hinblick auf den Programmsatz des § 1 Abs. 2 S. 4 Nr. 4 SGB II unbeachtlich, weil danach bei der Leistungsgewährung die familienspezifischen Lebensverhältnisse und insbesondere die Kindererziehung zu berücksichtigen sind (BT-Drucks. 15/1516, S. 52).

Auch § 8 Abs. 2 SGB II, nachdem Ausländer nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, steht einer Arbeitsaufnahme nicht entgegen. Die Klägerin zu 1.) verfügt als rumänische Staatsangehörige über die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates. Ausländer, deren Rechtstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG) geregelt ist, haben genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Dies gilt seit dem 1. Januar 2014 (nach Ablauf der mit Beschränkungen versehenen Übergangszeit) auch für rumänische Staatsangehörige.

Auch bezüglich der Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II) liegen nach dem Vorbringen der Klägerin zu 1.), das insoweit auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt worden ist, keine Zweifel vor. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Die Klägerin zu 1.) hat mit ihren Kindern bereits vor ihrem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten in den Jahren 2012/2013 Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter A-Stadt bezogen. Das Gericht geht mangels anderer Erkenntnisse vom Fortbestehen der Hilfebedürftigkeit aus.

Damit liegen für die Klägerin zu 1.) alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II vor. Das entscheidende Gericht teilt nicht die Auffassung des 7. Senats des Hessischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 11. Dezember 2014 – L 7 AS 528/14 B ER –, in juris), dass die in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen, um die ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, zu erweitern seien. Dies begründet der 7. Senat des Hessischen Landessozialgerichts mit Systematik-Erwägungen, insbesondere der Auffassung, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass Ausländerinnen und Ausländer, die nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügen, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten, da ein anderes Verständnis zu Wertungswidersprüchen führen und einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes darstellen würde, weshalb eine teleologische Gesetzeskorrektur vorzunehmen sei. Das entscheidende Gericht hält den Gesetzeswortlaut jedoch für eindeutig und die Ergänzung um ein ungeschriebenes Leistungsmerkmal zu Lasten des Hilfesuchenden für unzulässig. Vielmehr wäre es Sache des Gesetzgebers (Legislative), hier eine eindeutige Regelung zu treffen und seinen Willen eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Der Judikative steht es nicht zu, hier ergänzend durch die Aufstellung einer weiteren (ungeschriebenen) Anspruchsvoraussetzung regelnd einzugreifen, zumal dies zu Lasten der betroffenen Personen geschieht.

Ebenso äußert sich auch der 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 5. Februar 2015 (Az.: L 6 AS 883/14 B ER), in dem ausgeführt wird, die Gesamtregelung des § 7 Abs. 1 SGB II sei in sich stimmig und ohne Regelungslücke. Fälle, in denen dem betreffenden Staatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht zustehe, würden teilweise vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II mit einer entsprechenden Überleitung in das Leistungssystem des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) erfasst, allerdings – der aufenthaltsrechtlichen Systematik folgend – erst bei vollziehbarer Ausreisepflicht, die wiederum einen entsprechenden ausländerbehördlichen Verwaltungsakt voraussetze. Im Übrigen werde der Zugang zum Arbeitslosengeld II-Anspruch nur über den gewöhnlichen Aufenthalt gesteuert. Zudem stehe auch die neuere Gesetzgebungsentwicklung einer anspruchsausschließenden Analogie entgegen. Der Gesetzgeber habe sich jüngst aufgrund einer Würdigung der hier betroffenen Konstellation und der hierzu ergangenen Rechtsprechung bewusst gegen eine Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II entschieden (siehe Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014), weshalb es sich bei Leistungsausschlüssen unter zusätzlichen Kriterien um unzulässige Rechtsfortbildungen handele, die im Übrigen am Maßstab des für menschenwürdesichernde Leistungen geltenden Gesetzvorbehaltes auch materiell verfassungswidrig wären (wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 5. Februar 2015 Bezug genommen).

Die Klägerin zu 1.) ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II

1.Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,2.Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,3.Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).Die Klägerin zu 1.) ist als rumänische Staatsangehörige Ausländerin im Sinne dieser Vorschrift. Sie hält sich nachweislich seit Januar 2011 und damit länger als 3 Monate in der Bundesrepublik Deutschland auf und ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG, so dass Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 3 SGB II nicht vorliegen.

Die Klägerin zu 1.) ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Die Kläger können sich nicht auf ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU berufen, weil ein fünfjähriger – lückenloser – ständiger rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet nicht nachgewiesen ist. Dem steht insbesondere ihr eigenes Vorbringen, Ende des Jahres 2010 nach Deutschland eingereist zu sein, entgegen.

Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1.) ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Voraussetzung für den Status als Arbeitsuchender ist, dass der betreffende Arbeitslose auch tatsächlich eine Arbeit in Deutschland sucht und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht, um innerhalb eines angemessenen Zeitraumes eine Beschäftigung zu finden. Der Arbeitsuchende muss alles Erforderliche unternehmen, um eine Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II erfordert eine „fiktive Prüfung“ des Grundes bzw. der Gründe des Aufenthaltsrechts am Maßstab des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) und ggf. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG); bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013  – B 4 AS 54/12 R –, in juris, Rdn. 23 ff., m.w.N.).

Die Klägerin zu 1.) reiste eigenen Angaben zufolge Ende des Jahres 2010 mit ihren beiden Kindern, den Klägerinnen zu 2.) und 3.), in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Vater ihrer Kinder lebte zu dieser Zeit bereits seit vielen Jahren in Deutschland. Auch die Klägerin zu 1.) befand sich offensichtlich schon zuvor in Deutschland, da ihre zweite Tochter, die Klägerin zu 3.), im Februar 2006 in C-Stadt geboren wurde. Das Gericht geht davon aus, dass die erneute Einreise Ende des Jahres 2010 erfolgte, um dem Vater ihrer Kinder nah zu sein. Das Vorbringen, die Beziehung zu ihm sei zu diesem Zeitpunkt bereits beendet gewesen, hält das Gericht für unglaubhaft. Die Klägerin zu 1.) wurde mit ihren beiden Kindern, den Klägerinnen zu 2.) und 3.), in der Wohnung der Eltern ihres Freundes in A-Stadt aufgenommen. Auch er wohnte in dieser Wohnung. Die Angabe, man habe in getrennten Zimmern gelebt, überzeugt das Gericht nicht, denn der Kläger zu 4.), für den der gleiche Vater, wie für die Klägerinnen zu 2.) und 3.) angegeben wird („Vater meiner 3 Kinder“), wurde im August 2011 geboren (9 Monate nach der angegebenen Einreise im Dezember 2010). Die Behauptung der Klägerin zu 1.), Ende 2010 versucht zu haben, eine Arbeit zu finden und sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufzuhalten, wird durch nichts belegt. Substantiierte Einzelheiten oder konkrete Details zu einem etwaigen Bemühen, Arbeit zu finden, werden nicht angegeben, so dass eine tatsächlich praktizierte Anstellungssuche auf dem nationalen Arbeitsmarkt, verbunden mit einer begründeten Einstellungsaussicht, nicht nachvollziehbar dargelegt ist. Die Klägerin zu 1.) hatte bereits damals zwei kleine Kinder; die Klägerin zu 2.) ist Ende Dezember 2010 gerade sechs Jahre alt geworden, die Klägerin zu 3.) war vier Jahre alt. Die Klägerin zu 1.) hat weiter angegeben, sie habe gehört, dass sie eine Arbeitserlaubnis brauche und dies schwer sei. Auch das spricht nicht für eine intensive Arbeitsuche, vielmehr scheinen familiäre Gründe maßgeblich für ihre Einreise gewesen zu sein, wie die Aufnahme in der Familie ihres Freundes zeigt.

Letztendlich kann die Arbeitsuche in dieser Zeit (2010/2011) aber auch dahingestellt bleiben, denn die Klägerin zu 1.) gibt in der eidesstattlichen Versicherung vom 14. Juli 2014 zu ihrer damaligen Situation eindeutig an, „bislang ihre Arbeitsuche vorläufig eingestellt“ zu haben. Sie wolle sie erst wieder aufnehmen, sobald ihr dreijähriger Sohn (der Kläger zu 4.) wurde im August 2014 drei Jahre alt) im Kindergarten sei. Bislang habe sie jedoch noch keinen Kindergartenplatz für ihn. Auch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Januar 2015 besuchte der Kläger zu 4.) noch keinen Kindergarten und das obwohl der Klägerin zu 1.) bereits mit Eingliederungsvereinbarung vom 4. November 2014 aufgegeben worden war, sich um einen Kinderbetreuungsplatz für ihren Sohn zu kümmern. In der mündlichen Verhandlung am 27. Januar 2015 hat die Klägerin zu 1.) auf die Frage, was sie unternommen habe, um Arbeit zu finden, angegeben, zunächst habe sie nicht arbeiten dürfen, weil sie keine Papiere gehabt habe und danach seien die Kinder da gewesen. Eine Meldung als arbeitsuchend habe bislang nicht geklappt, da sie zunächst einen Betreuungsplatz für ihren Sohn suchen sollte. Aus alle dem wird unmissverständlich deutlich, dass die Klägerin zu 1.) derzeit nicht aktiv auf Arbeitsuche ist und dies auch nicht in der hier streitgegenständlichen Zeit (Januar bis Juni 2014) war, zumal sie damals auch noch schwanger gewesen ist. Die Gründe hierfür (vom Jobcenter habe man ihr im Jahr 2012 gesagt, sie müsse in den ersten drei Lebensjahren ihres Sohnes keine Arbeit aufnehmen) sind irrelevant. Entscheidend ist, dass das Tatbestandsmerkmal des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, eines Aufenthalts „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“, nicht vorliegt.

Keinesfalls hält sich die Klägerin zu 1.), die Mutter von drei Kindern ist und in der ersten Jahreshälfte 2014 erneut schwanger war, allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf, so dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in ihrem Fall nicht zur Anwendung kommen kann. Entgegen der Ansicht einiger Gerichte (so LSG Hamburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014 – L 4 AS 444/14 B ER –, LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – L 2 AS 1623/14 B ER –, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2014 – L 20 AS 2697/14 B ER – und SG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – S 32 AS 1815/14 ER, sämtlichst in juris) kann die Vorschrift, nach Auffassung des entscheidenden Gerichts, nicht erweiternd als Auffangnorm ausgelegt werden, für Fälle, in denen kein anderes (legales) Aufenthaltsrecht ersichtlich ist (so auch 6. Senat des Hessischen LSG, zuletzt im Beschluss vom 5. Februar 2015, Az.: L 6 AS 883/14 B ER). Der erweiternden Auslegung liegt ein Verständnis der Norm zu Grunde, welches den Leistungsausschluss bereits dann bejaht, wenn ein Freizügigkeitsrecht allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche hergeleitet werden könnte, ohne dass es darauf ankommen soll, ob dieses Freizügigkeitsrecht vom EU-Bürger tatsächlich in Anspruch genommen und Arbeit überhaupt gesucht wird. Für eine regelmäßige Unterstellung eines solchen Rechts zur Arbeitsuche für den Fall, dass ein anderes Aufenthaltsrecht nicht gegeben ist, besteht keine gesetzliche Grundlage. Bereits nach ihrem Wortlaut stellt die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich auf den Zweck des Aufenthaltsrechts ab. Die Vorschrift ist im Indikativ und nicht im Konjunktiv gefasst und setzt deshalb eine tatsächliche und nicht nur eine fiktive oder behauptete Arbeitsuche voraus.

Das entscheidende Gericht schließt sich der Auffassung des 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Urteil vom 6. März 2014 (Az.: L 31 AS 1348/13, in juris) an, das ebenfalls davon ausgeht, dass eine tatsächliche Arbeitsuche erforderlich ist und eine fiktive Arbeitsuche nicht ausreicht. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg führt zur Begründung, der sich das entscheidende Gericht anschließt, weiter aus:

„Zudem ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013, Az. B 4 AS 54/12 R, zitiert nach juris, Rdnr. 26). Für eine erweiternde Auslegung besteht auch kein Bedürfnis. Sinn und Zweck der Norm ist es, EU-Bürger, die sich auf Arbeitssuche befinden und deshalb unzweifelhaft ein Freizügigkeitsrecht in Anspruch nehmen können, vom Leistungsbezug auszuschließen. Nach der Systematik der Vorschrift kann es nicht beabsichtigt gewesen sein, solche EU-Bürger vom Leistungsbezug auszuschließen, die sich gar nicht auf Arbeitsuche befinden, sondern allein zum Zwecke des Sozialleistungsbezugs eingereist sind. Denn dieser Personenkreis ist rechtstechnisch schon dadurch vom Bezug ausgeschlossen, dass er kein Freizügigkeitsrecht geltend machen kann, so dass jederzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen der Ausländerbehörde nach §§ 6, 7 FreizügG/EU ergriffen werden können, die den Aufenthalt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II als anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung entfallen lassen. Systematisch wird der gewollte Ausschluss dieses Personenkreises vom Leistungsbezug, der als Sozialleistungsmissbrauch angesehen wird, durch das Ausländerrecht bewerkstelligt. Eine Lücke im Gesetz, die durch eine Auslegung zu schließen wäre, besteht damit nach allem nicht. Das Ergebnis, dass allein arbeitsuchende Unionsbürger von Leistungen (möglicherweise) ausgeschlossen werden können, während diejenigen, die eine Arbeitsaufnahme von vornherein ablehnen, nicht vom Ausschluss erfasst sind, führt dann nicht zu einem dauerhaften Leistungsbezug der nicht arbeitswilligen Unionsbürger, wenn diese – wie dies nach §§ 6 und 7 FreizügG/EU vorgesehen ist – von der Ausländerbehörde zur Ausreise gezwungen werden. Die Einleitung dieses Verfahrens wäre von dem Beklagten zu veranlassen gewesen. Insbesondere rechtfertigen etwaige Mängel im Gesetzesvollzug wie z.B. das Fehlen einer institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Ausländerbehörde bei der Anwendung der rechtstechnisch korrekt verzahnten Vorschriften des SGB II und des Ausländerrechts (§§ 6, 7 FreizügG/EU) nicht die Annahme einer Regelungslücke. Abschließend erscheint es auch nicht sinnvoll, eine europarechtlich umstrittene Norm, die noch dazu einen Ausnahmetatbestand regelt, auch noch erweiternd auszulegen. Die hier gefundene Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 Nr. 2 SGB II entspricht dem den gesetzlichen Vorschriften zugrundeliegenden Regelungsprogramm sowohl in systematischer wie teleologischer Hinsicht.“

Als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen ist § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eng auszulegen. Aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv festgestellt werden muss, dass ein Ausländer sich allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, denn nur dann kann auch der Leistungsausschluss festgestellt werden (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 – B 14 AS 138/11 R –, juris, Rdn. 20 und BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, in juris, Rdn. 26; so auch 6. Senat des Hessischen LSG, Urteil vom 27. November 2013 – L 6 AS 726/12 –, in juris, Rdn. 58; so auch Rodopi Panidou, Referatsleiterin der MainArbeit, Kommunales Jobcenter Offenbach, „Zuwanderung in die Grundsicherung?“, ZFSH SGB 1, 2015, S. 13 ff., S. 21). Nach der Rechtsprechung des 6. Senats des Hessischen LSG (a.a.O.) stehen Art. 18 i.V.m. Art. 21 AEUV und eine hiermit zu vereinbarende Auslegung von Art. 24 RL 2004/38/EG einer erweiternden Auslegung von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für ein nur formal fortbestehendes Aufenthaltsrecht wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger entgegen (wegen der Einzelheiten wird auf die umfangreichen Ausführungen im angegebenen Urteil des 6. Senats des Hessischen LSG verwiesen). Der Rechtsauffassung, dass Unionsbürger, soweit sie keinen anderen Aufenthaltszweck nachweisen können, sich jedenfalls zum Zwecke der Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhalten, kann deshalb nicht gefolgt werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 11. November 2014 – Rs. C-333/13 – Dano –. Aus dieser Entscheidung ergibt sich kein tragfähiger Grund, § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – über den Wortlaut hinaus – erweiternd auszulegen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 11. November 2014 im Tenor festgestellt, dass u.a. Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürger-Richtlinie (RL 2004/38/EG) einem Leistungsausschluss nicht entgegensteht, „sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten im Aufnahmemitgliedsstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2005/38 zusteht.“ Ein derartiger Leistungsausschluss ist nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht geregelt (bzgl. weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen des 6. Senates des Hessischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 5. Februar 2015, Az.: L 6 AS 883/14 B ER) verwiesen. Aus der Entscheidung „Dano“ des EuGH lässt sich nicht ableiten, dass der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II aus europarechtlichen Erwägungen im Sinne eines „erst-Recht“-Schlusses bzw. einer erweiternden Auslegung auch auf wirtschaftlich inaktive Unionsbürger angewendet werden müsse. Sozialpolitische Erwägungen und etwaig befürchtete Wertungswidersprüche einer Besserstellung von Unionsbürgern, die allein vom Fortbestand der Legalitätsvermutung profitieren, gegenüber rechtmäßig arbeitsuchenden Unionsbürgern, sind allein über das Freizügigkeitsrecht, nicht aber über das Sozialrecht zu lösen. Das Freizügigkeitsrecht begründet für Unionsbürger zunächst solange die Vermutung der Freizügigkeit bis der Verlust bzw. das Nichtbestehen der Freizügigkeit gemäß §§ 5 Abs. 4 oder 6 FreizügG/EU durch die dafür zuständige Ausländerbehörde festgestellt wurde. Letzteres ist bei der Klägerin zu 1.) nicht der Fall, so dass sich ihr Aufenthalt bislang – auch ohne zulässigen Zweck im Sinne des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU – als rechtmäßig erweist.

Da sich die Klägerin zu 1.) nicht zum Zwecke der Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhält, kommt es auf die Frage, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 in Einklang steht im vorliegenden Fall nicht an.

Der Leistungsanspruch der minderjährigen und erwerbsunfähigen Kläger zu 2.) bis 4.) als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergibt sich aus § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II i.V.m. §§ 19 Abs. 1 S. 2 und 23 SGB II.

Nach dem Vorstehenden haben die Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts. Über die Anspruchshöhe hat der Beklagte zu entscheiden und die Leistungen an die Kläger auszuzahlen, soweit dies noch nicht im Rahmen der Umsetzung des Beschlusses im Eilverfahren durch vorläufige Leistungsgewährung geschehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.