LG Stendal, Urteil vom 07.02.2013 - 22 S 46/12
Fundstelle
openJur 2015, 22624
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgericht Burg vom 22. März 2012 (Geschäftszeichen 3 C 966/11) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger, zu Händen der Rechtsanwälte RA KL zu deren Aktenzeichen 1587/08, einen Betrag in Höhe von 1.046,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Dezember 2011 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Berufungsbeklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

und b e s c h l o s s e n :

Der Streitgegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.046,23 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege der Teilklage Zahlungen aus einer Rechtsschutzversicherung.

Der Kläger war Geschäftsführer der CC. Über deren Vermögen wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt DD zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger war mitversicherte Person in einer Rechtsschutzversicherung der Gemeinschuldnerin. Für ihn wurde im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Rechtsanwalt EE aus der Kanzlei RA KL tätig. Die Beklagte hatte insofern unter dem 09. Dezember 2008 gegenüber dem Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, eine Deckungszusage erteilt. Die Beklagte erklärte sich ferner mit einem Stundenhonorar von 250,- Euro einverstanden. Die Prozessbevollmächtigten des nicht vorsteuerabzugsberechtigten Klägers legten am 18. Oktober 2011 für den Leistungszeitraum von dem 20. November 2008 bis zum 18. Oktober 2011 Rechnung über 9.029,15 Euro incl. MwSt (unter Berücksichtigung einer bereits geleisteten Zahlung von 1.220,- Euro) und forderten die Beklagte zum Ausgleich auf. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Rechnung wird auf die Anlage K 3 zur Klageschrift vom 02. Dezember 2011 Bezug genommen. Der Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin hatte die Beklagte bereits am 18. Mai 2011 fernmündlich zur Auskehrung sämtlicher Erstattungsbeträge aus dem Versicherungsvertrag zur Insolvenzmasse aufgefordert. Die Beklagte teilte den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 29. November 2011 mit, dass sie bedingungsgemäß einstandspflichtig sei und aus der Kostennote vom 18. Oktober 2011 7.392,73 Euro netto zu leisten habe. Da das Insolvenzverfahren gegen die Versicherungsnehmerin eröffnet worden sei, zahle sie schuldbefreiend in die Insolvenzmasse. Sie stellte unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 07. März 2002, Az: 12 U 290/01, anheim, die Ansprüche zur Tabelle anzumelden.

Der Kläger hat bereits erstinstanzlich die Ansicht vertreten,

er könne als mitversicherte Person im eigenen Namen Rechtsschutz begehren. Er, und nicht die Gemeinschuldnerin, sei Auftraggeber der Prozessbevollmächtigten des Klägers gewesen. Es handele sich nicht um eine Masseforderung. Die Beklagte habe daher nicht schuldbefreiend an den Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin zahlen können. Dieser habe die Forderung nicht wirksam an sich gezogen, zumal kein Widerspruch nach § 15 Abs.2 ARB erfolgt sei.

Der Kläger macht im Wege der - der Beklagten am 13. Dezember 2011 zugestellten - Teilklage folgende Ansprüche aus der Abrechnung vom 18. Oktober 2011 geltend:

Tätigkeiten des Rechtsanwalts EEbis einschließlich 01. Februar 2011:     1.437,50 EuroDokumentenpauschale: 466,90 EuroMehrwertsteuer:    361,84 EuroZwischensumme:2.266,24 Euroabzgl. Vorauszahlung:  1.220,00 Euro        1.046,24 Euro

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger, zu Händen der Rechtsanwälte RA KL, zu deren Aktenzeichen 1587/08, einen Betrag in Höhe von 1.046,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten,

die Verfügungsbefugnis über den Anspruch sei auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Der Kläger könne die Rechte aus dem Vertrag nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers bzw. dessen Insolvenzverwalters geltend machen. Sie sei daher an die Entscheidung des Versicherungsnehmers bzw. dessen Insolvenzverwalters gebunden, der eine Auszahlung an sich forderte.

Das Amtsgericht ist der Rechtsansicht der Beklagten gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach §§ 44, 45 VVG dem Versicherungsnehmer das formelle Verfügungsrecht über die sachlich dem Versicherten zustehende Forderung zustehe. Durch die Insolvenz seien dem Insolvenzverwalter die Rechte des Versicherungsnehmers zugefallen. Durch seine Bestimmung, dass die Zahlung an die Insolvenzmasse erfolgen solle, habe er sein formelles Verfügungsrecht ausgeübt. Die Zahlung an den Insolvenzverwalter sei daher schuldbefreiend gewesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Das Amtsgericht verkenne, dass die §§ 44, 45 VVG durch die spezialgesetzliche Regelung des § 15 ARB modifiziert werde. Insoweit bestehe nur die Alternative auf Seiten des Versicherungsnehmers, entweder nach § 15 Abs.2 ARB zu widersprechen, was dazu führe, dass ab diesem Zeitpunkt der Rechtschutz vollständig entfalle und der Versicherer nur die bis dahin angefallenen Kosten im Verhältnis zu der mitversicherten Person auszugleichen habe, oder es werde nicht widersprochen mit der Folge, dass dann die weitergehenden Regelungen des §§ 44, 45 VVG ausgeschlossen seien.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 22. März 2012 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Burg, Az: 3 C 966/11, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger, zu Händen der Rechtsanwälte RA KL, zu deren Aktenzeichen 1587/08, einen Betrag in Höhe von 1.046,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Sie vertritt die Ansicht,

die formelle Verfügungsbefugnis über den Anspruch sei trotz der Regelung des § 15 Abs.2 ARB bei der insolventen Versicherungsnehmerin verblieben und durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 80 Abs.1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Durch die Aufforderung des Insolvenzverwalters, die Forderung des Klägers zur Insolvenzmasse zu zahlen, habe dieser über den Anspruch des Klägers verfügt. Durch die Zahlung der Beklagten zur Insolvenzmasse sei die Forderung des Klägers erloschen. § 45 Abs.1 VVG werde insofern durch § 15 Abs.2 ARB nicht abbedungen. Die Beklagte habe sich der Verfügung (Zahlungsanweisung) des Insolvenzverwalters über das Vermögen ihrer Versicherungsnehmerin zu beugen gehabt, da diese den Widerspruch bezüglich der Inanspruchnahme durch den Kläger konkludent erhalten habe. Für den Fall, dass die Kammer von einer geteilten Verfügungsbefugnis des Versicherungsnehmers und Versicherten ausgehen sollte, habe die Beklagte ebenfalls mit schuldbefreiender Wirkung an den Insolvenzverwalter gezahlt, da die letzte Verfügung vor der Zahlung von diesem gestammt habe.

Unstreitig sei, dass die in der Klageforderung enthaltenen Umsatzsteuerbeiträge im Falle des Obsiegens des Klägers ebenfalls zuzusprechen wären.

II.

A) Die zulässige Berufung des Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Der Kläger steht gegen die Beklagte der im Wege der zulässigen Teilklage geltend gemachte Schuldbefreiungsanspruch in Höhe von 1.046,23 Euro gemäß §§ 1, 15 Abs.1 S.1 ARB i.V.m. Versicherungsvertrag zur Seite.

Der Kläger ist als mitversicherte Person zur Geltendmachung der Versicherungsansprüche gegenüber dem Versicherer gemäß § 15 Abs.2 S. 1 ARB aktivlegitimiert. Für ihn gilt der gleiche Versicherungsumfang wie gegenüber dem Versicherungsnehmer. Die Beklagte hatte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 09. Dezember 2008 die Deckungszusage erteilt. Der geltend gemachte Anspruch ist dem Grund und der Höhe nach unstreitig. Dies gilt auch für die geltend gemachte MwSt, sofern die Leistung an den Kläger zu erfolgen hat. Dieser ist nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Die Parteien streiten allein um die Frage, ob die Zahlung der Beklagten an den Insolvenzverwalter der Versicherungsnehmerin gemäß § 362 Abs.1 BGB leistungsbefreiend war.

Dies ist zu verneinen.

Dem Kläger steht unstreitig das materielle Verfügungsrecht über die streitgegenständliche Forderung zur Seite. Die ergibt sich aus § 44 Abs.1 VVG, der - im Einklang mit § 15 ARB - regelt, dass bei einer Versicherung für fremde Rechnung die Rechte aus dem Versicherungsvertrag dem Versicherten zustehen. § 44 Abs.1 VVG regelt damit die materielle Rechtszuständigkeit (vgl. Prölls/Klimke in Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl., § 44 Rn 2). Der Anspruch gehört zum Vermögen des Klägers (Versicherten) und fällt daher nicht in die Insolvenzmasse der Gemeinschuldnerin (Versicherungsnehmerin) (vgl. Prölls/Klimke in Prölls/Martin § 44 Rn 6). Der Insolvenzverwalter war daher - anders als in der von dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 07. März 2002, 12 U 290/01 - zitiert nach juris) zu entscheidenden Fallkonstellation - materiell-rechtlich nicht befugt, den streitigen Anspruch zur Insolvenzmasse zu ziehen.

§ 44 Abs.2 VVG, wonach der Versicherte ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers nur dann über seine Rechte verfügen und diese Rechte gerichtlich geltend machen kann, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist, wird durch § 15 ARB abbedungen (vgl. Armbrüster in Prölls/Martin aaO § 15 ARB Rn 2).

Nach § 45 Abs.1 VVG hat der Versicherungsnehmer das formelle Verfügungsrecht über die sachlich dem Versicherten zustehende Forderung. In der Insolvenz des Versicherungsnehmers hat der Insolvenzverwalter das Verfügungsrecht auszuüben (vgl. Prölls/ Klimke in Prölls/Martin aaO § 45 Rn 8). Diese Regelung hat zwei Gründe: Zum einen - was bei der Sachversicherung Sinn macht, aber auf die Rechtschutzversicherung keine rechte Anwendung finden kann -, dass der Versicherungsnehmer, der sich wegen seiner Forderungen aus dem Geschäftsverhältnis mit dem Versicherten aus den versicherten Sachen befriedigen konnte, sich in gleicher Weise an die Entschädigung halten können soll. Zum anderen soll der Versicherer es aus Gründen der Rechtssicherheit und der zweckmäßigen Abwicklung des Vertrages nur mit dem Versicherungsnehmer zu tun haben müssen (vgl. Prölls/Klimke in Prölls/Martin aaO § 44 Rn 2). Die allgemeine Regelung des § 45 VVG wird jedoch durch § 15 ARB als lex specialis modifiziert (vgl. Halm/Engelbrecht/Krahe, HdB Fachanwalt Versicherungsrecht, 2. Aufl., Rn 345; Mathy, Die Mitversicherung des nichtehelichen Lebenspartners in der Rechtsschutzversicherung, VersR 2003, 820 ff). § 15 Abs.2 S.1 ARB stellt mitversicherte Personen dem Versicherungsnehmer gleich. Dies führt in Verbindung mit der weiteren Regelung des Widerspruchsrechts des Versicherungsnehmers nach § 15 Abs.2 S.2 ARB nach Rechts-auffassung der Kammer dazu, dass das formelle Verfügungsrecht gemäß § 45 Abs.1 VVG in Gestalt einer Einziehungsbefugnis dem Versicherten daher so lange zusteht, wie kein Widerspruch gemäß § 15 Abs.2 S.2 ARB seitens des Versicherungsnehmers ausgeübt worden ist. Erst mit dem Widerspruch erlangt der Versicherungsnehmer die Verfügungsbefugnis über den Anspruch und kann auch auf diesen verzichten (vgl. Cornelius-Winkler in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Aufl., § 15 Rn 19). Durch die Einräumung des Widerspruchsrechts ist der oben beschriebenen Interessenlage von Versicherungsnehmer und Versicherer Genüge getan.

Ein Widerspruch nach § 15 Abs.2 S.2 ARB ist jedoch von der Gemeinschuldnerin als Versicherungsnehmerin vertreten durch ihren Insolvenzverwalter nicht wirksam ausgeübt worden. In der mündlichen Aufforderung des Insolvenzverwalters gegenüber der Beklagten, sämtliche Erstattungsbeträge aus dem Versicherungsvertrag zur Insolvenzmasse auszukehren, ist ein Widerspruch nach § 15 Abs.2 S.2 ARB nicht enthalten.

Der Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin hatte offensichtlich nicht die Intention, einen Widerspruch nach § 15 Abs.2 S.2 ARB zu erklären. Er hat das Wort "Widerspruch" nicht verwandt und wollte auch die Rechtswirkungen eines entsprechenden Widerspruchs - nämlich keine weitere Kostenübernahme durch die Beklagte ab Widerspruch - nicht herbeiführen. Vielmehr wollte er bei fortbestehendem Versicherungsschutz für den Kläger vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Rechtsansicht, dass der Schuldbefreiungsanspruch in die Insolvenzmasse falle (vgl. auch das von dem Insolvenzverwalter in einer Parallelsache verfasste Schreiben vom 08. Juni 2011, Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 06. Februar 2012), lediglich die Forderung zur Masse ziehen. Die Beklagte hat dies offensichtlich auch so verstanden, denn sie hat die Kostennote vom 18. Oktober 2011 - bis auf die Mehrwertsteuer - vollumfänglich beglichen und nicht etwa nach dem 18. Mai 2011 erbrachte Anwaltsleistungen als nicht erstattungsfähig angesehen. Der Insolvenzverwalter hat seinerseits die Zahlungen vollumfänglich entgegengenommen.

Einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt DD, bedurfte es nicht, da der Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärung unstreitig ist und lediglich fraglich ist, wie sie auszulegen ist (§ 133 BGB) und welche Rechtswirkungen diese Erklärung entfaltet.

Ohne Ausübung des Widerspruchsrechts konnte der Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin über die streitgegenständliche Forderung nicht verfügen und die Beklagte daher nicht schuldbefreiend an ihn zahlen.

Auch die Hilfserwägung der Beklagten hinsichtlich der vermeintlich widersprechenden Verfügungen von Versicherten und Insolvenzverwalter greift nach Auffassung der Kammer nicht durch. Denn ohne wirksame Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 15 Abs.2 S.2 ARB existiert kein widerstreitendes Verfügungsrecht des Versicherungsnehmers bzw. seines Insolvenzverwalters.

II. Die Nebenforderung ist aus §§ 288 Abs.1, 291 BGB i.V.m. § 187 Abs.1 BGB (vgl. BGH NJW-RR 1990, 519) begründet.

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.11, 711 S.1 und 2 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der Einzelfall gibt Veranlassung, die Auslegung der Gesetzesbestimmungen des § 45 VVG und § 15 ARB sowie ihr Verhältnis zueinander gerichtlich zu klären. Höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu ist - soweit ersichtlich - nicht vorhanden.

Die Festsetzung des Streitgegenstands findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 43 Abs.1, 47, 48 Abs.1 GKG i.V.m. 3 ZPO.