SG Osnabrück, Urteil vom 28.05.2014 - S 24 AS 28/12
Fundstelle
openJur 2015, 6732
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an den Beklagten 3.739,59 € zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Erstattung wegen eines Aufenthalts der Frau H. und ihrer Kinder im örtlichen Frauenhaus für die Zeit vom 3. September 2010 bis 25. April 2011.

Frau H. (im Folgenden: Hilfeempfängerin) und ihre Kinder hielten sich seit dem 3. September 2010 im örtlichen Frauenhaus im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. Vorangegangen war eine Trennung von ihrem Ehemann im Juni 2010. Zu dieser Zeit wohnte die Hilfeempfängerin im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.

Das Frauenhaus verlangte von der Hilfeempfängerin aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse (kein Einkommen) kein Entgelt für die Unterbringung. Auch sonst erhob der Träger des Frauenhauses keine Entgelte während der Dauer des Aufenthaltes. Das Frauenhaus finanziert sich jährlich durch Zuschüsse des Landes, des kommunalen Trägers und durch Zahlungen von Straftätern.

Mitte September 2010 beantragte die Hilfeempfängerin Leistungen beim Kläger. Dieser Bewilligte mit Bescheid vom 28. September 2010 Leistungen für den Zeitraum September 2010 bis März 2011. Der Bewilligungsbescheid wies Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe in näher bezeichneter Höhe aus. Leistungen für Unterkunft und Heizung bezifferte der Kläger mit 0 Euro.

Im Oktober 2010 meldete der Kläger einen Kostenerstattungsanspruch beim Beklagten an. Dieser gab ein Grundanerkenntnis ab. Dabei bat der Beklagte um Übersendung einer Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarung mit dem Träger des Frauenhauses (Schreiben vom 13. Dezember 2010, Bl. A 5 d. Verwaltungsakte – VA). Mit Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2010 passte der Kläger die Höhe der Leistungen an, ohne dass sich bei den Unterkunftskosten Änderungen ergaben.

Ab Februar 2011 bemühte sich die Hilfeempfängerin um eine Wohnung und schloss einen Mietvertrag ab dem 1. April 2011 ab. Mit Bescheid vom 31. März 2011 bewilligte der Kläger Leistungen für die Zeit von April 2011 bis Juni 2011 und berücksichtigte nunmehr auch Kosten der Unterkunft für die neue Wohnung.

Mitte Juli 2011 bezifferte der Kläger gegenüber dem Beklagten seinen Erstattungsanspruch wie folgt: 3.739,95 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung für die Hilfeempfängerin und ihre Kinder sowie 28.496,47 Euro für psychosoziale Betreuung im Frauenhaus. Die Höhe der Kosten ergab sich aus dem  Jahreshaushalt des Frauenhauses, umgelegt auf die Zahl der Betten im Frauenhaus und die Dauer des Aufenthaltes der Hilfeempfängerin und ihrer Kinder. In der Folgezeit hinterfragte der Beklagte die Erforderlichkeit der Dauer des Aufenthaltes. Der Kläger bezog sich auf eine Stellungnahme des Frauenhauses vom 22. August 2011. Außerdem teilte er mit, dass es keine Leistungs- und Entgeltvereinbarung mit dem Träger des Frauenhauses gebe. Vielmehr erfolge eine jährliche pauschale Förderung.

Der Beklagte gab ein Anerkenntnis in Höhe der vom Kläger bezifferten Unterkunftskosten ab und zahlte den entsprechenden Betrag.

Wegen der Restforderung hat der Kläger am 12. Januar 2012 Klage erhoben.

Er trägt vor, dass es unerheblich sei, ob psychosoziale Betreuungsleistungen oder andere Betreuungsleistungen im Frauenhaus erbracht worden seien (LSG I., Az.: L 1 AS 36/09). Alle zu Recht erbrachten Leistungen seien zu erstatten. Er nimmt Bezug auf eine Stellungnahme des Frauenhauses vom 18. Juli 2012 (Bl. 14 ff. GA) und die Durchführungsanweisung der Bundesagentur zu § 36a SGB II.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 28.496,47 Euro zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. April 2014 (Bl. 67 Gerichtsakte) Widerklage erhoben.

Widerklagend beantragt er,

den Beklagten zur Zahlung von 3.739,59 Euro zu verurteilen.

Der Kläger beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Er trägt vor, dass die in Bezug genommene Rechtsprechung des LSG I. nicht mehr einschlägig sei. Er bestreitet den Betreuungsbedarf und die Erbringung von Betreuungsleistungen. Das Betreuungsentgelt sei nicht individuell berechnet worden. Der Kostenerstattungsanspruch sei daher grundsätzlich ausgeschlossen. Allenfalls könne der Zuschuss des kommunalen Trägers anteilig erstattet werden. Weder seien ein Antrag noch ein Bewilligungsbescheid für psychosoziale Betreuungsleistungen vorgelegt worden.

Die Kammer hat die Leistungsakte und die Erstattungsakte des Klägers beigezogen. Weiterhin hat die Kammer Beweis durch Vernehmung der Zeuginnen J. und K. erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 28. Mai 2014.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg (I.). Auf die Widerklage war der Kläger zu verurteilen (II).

I.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten des kommunalen Trägers für das Frauenhaus. Anspruchsgrundlage ist insoweit allein § 36a SGB II i. V. m. §§ 108 ff. SGB X. Nach § 36a SGB II ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten. Gegenstand des Erstattungsanspruchs sind die während der Dauer des Aufenthaltes tatsächlich (Groth, in Hohm GK SGB II, EL Aug. 2008, Rn. 20; Schoch, in: Münder, LPK SGB II § 36a, Rn. 8) und rechtmäßigerweise (Groth, a. a. O., Rn. 22; Schoch, a. a. O., Rn. 8) an eine Hilfeempfängerin erbrachten Leistungen nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II (BSG, Urteil vom 23. Mai 2012, Az.: B 14 AS 190/11 R, Rn. 23). Nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II ist der kommunale Träger unter anderem nur zuständig für Unterkunftsbedarfe und Leistungen nach § 16a SGB II.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der kommunale Träger hat keine Leistungen nach § 16a SGB II an die Hilfeempfängerin erbracht und konnte diese rechtmäßigerweise auch nicht mehr erbringen. Auf die Aktivlegitimation des Beklagten kommt es danach nicht mehr an.

In der Sache hat der kommunale Träger eine Subvention nach § 17 Abs. 1 S. 2 SGB II gewährt, indem er den Träger des Frauenhauses jährlich pauschal bezuschusst. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Leistung an die Hilfeempfängerin, sondern an den Träger des Frauenhauses. Diese Leistung ist grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Denn der Kostenerstattungsanspruch nach § 36a SGB II erfasst nur die Leistungen an Hilfeempfänger nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II (BSG, a. a. O.).

Eine rechtmäßige Leistungserbringung an die Hilfeempfängerin liegt nicht vor, denn es fehlt an einem an sie gerichteten Bewilligungsbescheid, in welchem insbesondere das Ermessen nach § 16a SGB II ausgeübt wird.

Eine solche Bewilligung könnte auch nicht mehr nachgeholt werden. Denn es fehlt an einer wirksamen Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarung im Sinne von § 17 Abs. 2 SGB II. Eine solche Vereinbarung ist erforderlich, wenn der kommunale Träger die Leistungen nicht selbst, sondern durch Dritte erbringt. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 SGB II. Eine Leistungserbringung durch Dritte liegt allein deshalb vor, weil das Frauenhaus keine eigene Einrichtung des kommunalen Trägers ist. Vielmehr handelt es sich um einen eingetragenen Verein. Dieser wird vom kommunalen Träger lediglich bezuschusst. Da es sich bei der psychosozialen Betreuung um eine besondere im SGB II geregelte Leistung handelt, die im SGB III keine Entsprechung findet, ist nach § 17 Abs. 2 S. 1 HS. 1 SGB II eine Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarung erforderlich.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es unerheblich, ob sich die Leistungserbringung in einem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zu vollziehen hat, oder im sogenannten Einkaufsmodell (zum Streitstand: Münder, in: ders. LPK § 17 SGB II, Rn. 20). Zwar ist die Kammer der Auffassung, dass sich die psychosoziale Betreuung in einem Frauenhaus wie in der Sozialhilfe in einem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zu vollziehen hat (vgl. Münder a. a. O., Rn. 33, vgl. zu §§ 75 ff. SGB XII BSG, BSG, Urteil vom  28. Oktober 2008, Az: B 8 SO 22/07 R, juris, Rn. 15 ff.). Darauf kommt es im Ergebnis jedoch nicht an, weil Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarungen sowohl bei zweiseitigen Austauschverträgen als auch in Dreiecksverhältnissen erforderlich sind (Münder, a. a. O., Rn. 35).

Eine derartige Vereinbarung, die eine Vergütung z. B. anhand von Fallpauschalen vorsieht, existiert unstreitig nicht, weil das Frauenhaus jährlich kostendeckend bezuschusst wird bzw. Lücken durch Zahlungen von Straftätern geschlossen werden.

Eine solche Vereinbarung muss vor Erbringung der Leistungen vorliegen und kann nicht nachgeholt werden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 S. 1 SGB II und auch aus dem Sinn und Zweck der Vereinbarungen, nämlich Transparenz, Wirtschaftlichkeit und Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Dies ist im Übrigen in § 77 Abs. 1 S. 1 SGB XII und § 85 Abs. 3 S. 1 SGB XI für die dortigen Vereinbarungen ausdrücklich geregelt.

Eine teleologische Reduktion des § 17 Abs. 2 SGB II für die Leistungserbringung in Frauenhäusern kommt nicht in Betracht. Die Kammer verkennt nicht, dass durch den Zwang zum Abschluss von Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarungen ein erhöhter Rechtfertigungsdruck auf die Frauenhäuser zukommen wird. Dies ist im Zuge der erhöhten Transparenz, die diese Vereinbarungen bringen sollen, unvermeidlich. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb Frauenhäuser anders behandelt werden sollten, als andere Anbieter von Eingliederungsleistungen – etwa in der Sozialhilfe oder der Jugendhilfe.

II.

Die Widerklage ist zulässig (§ 100 SGG). Es besteht ein rechtlicher Zusammenhang zwischen beiden Ansprüchen.

Die Widerklage ist begründet. Der Beklagte hat einen Anspruch auf Zahlung im tenorierten Umfange. Er folgt aus § 112 SGB X. Zu unrecht hat der Beklagte auf die Erstattungsforderung hinsichtlich der Unterkunftskosten gezahlt. Der Kläger konnte in dieser Höhe keine Erstattung nach § 36a SGB II vom Beklagten fordern. Denn der kommunale Träger hat keine Leistungen für Unterkunft und Heizung an die Hilfeempfängerin und ihre Kinder erbracht. Denn die Hilfeempfängerin und ihre Kinder hatten keinen Unterkunftsbedarf, weil das Frauenhaus von ihnen kein Entgelt für die Unterbringung forderte (vgl. LSG Hessen, Urteil vom Az.: L 6 AS 239/11, juris, Rn. 29 ff.). Demgemäß sah der Bewilligungsbescheid des Klägers auch keine Leistungen für Unterkunft und Heizung vor.

Ein Unterkunftsbedarf kann auch nicht mit einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 42 Nr. 4 SGB XII begründet werden. Nach § 42 Nr. 4 SGB XII werden bei Leistungen in einer stationären Einrichtung als Kosten der Unterkunft Beträge in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im Bereich des nach § 98 SGB XII zuständigen Trägers der Sozialhilfe zugrunde gelegt. Diese Vorschrift ist jedoch keine Grundlage für die Annahme eines dem Grunde nach fiktiven Unterkunftsbedarfs. Auch § 42 Nr. 4 SGB XII setzt einen Bedarf voraus. Die Vorschrift stellt lediglich sicher, dass die Höhe der Unterkunfts- und Heizkosten stets beziffert werden kann (vgl. Blüggel, in jurisPK 2. Auflage, § 42 SGB XII, Rn. 23). Hintergrund ist, dass nach dem SGB XII die Zugangsschwellen für Leistungen nach dem 4. Kapitel und den Leistungen nach den Kapiteln 5 ff. unterschiedlich geregelt sind. Dies betrifft die Einkommensgrenze (§§ 85, 92a SGB XII), die Erbenhaftung (§ 102 Abs. 1 SGB XII) und den Unterhaltsrückgriff (§ 43 SGB XII). Deswegen muss es immer möglich sein, einen Bedarf, der sich zunächst als ein einheitlicher Bedarf darstellt, eindeutig den jeweiligen Kapiteln des SGB XII zuzuordnen (vgl. Blüggel, a. a. O.).

Sofern man der Auffassung ist, dass bei einer Unterbringung in einem Frauenhaus, Leistungen für Unterkunft und Heizung eine Einheit mit den Betreuungsleistungen darstellen, ändert dies im Ergebnis nichts. Denn fehlt es an einer Leistungs-, Entgelt- und Prüfungsvereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG.