KG, Beschluss vom 07.12.2012 - 6 U 74/12
Fundstelle
openJur 2015, 6692
  • Rkr:
Gründe

1.

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Beklagten vom 23. April 2011 gegen das am 27. März 2012 verkündete Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat nach Vorberatung einstimmig der Auffassung ist, dass das Rechtsmittel in der Sache offensichtlich unbegründet ist (Nr. 1).

I.

Der Kläger begehrt weitere Leistungen aus einer mit der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherung wegen dauerhafter Bewegungseinschränkungen im oberen und unteren linken Sprunggelenk nach einem Motorradunfall vom 19. Juni 2006. Die Beklagte hatte vorprozessual eine Begutachtung des Klägers angeordnet und im Ergebnis dieses Gutachtens eine dauerhafte Invalidität von (1/4 Beinwert) 17,5 % anerkannt und 13.125,00 € gezahlt. Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe nach dem Versicherungsvertrag eine Invaliditätsleistung in Höhe von 150.000,00 € zu, weil der volle Fußwert zu entschädigen sei und sich der Grad der Invalidität nach der verbesserten Gliedertaxe bestimme.

Das Landgericht hat dem Kläger nach Einholung eines Gutachtens des Orthopäden Dr. A..., auf das wegen seiner Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 55 – 79, Bl. 96 – 100, Bl. 125 – 129 sowie Bl. 141 – 144), mit Urteil vom 27. März 2012, auf das Bezug genommen wird, auf der Basis einer Invalidität von 52,5 % eine weitere Entschädigung in Höhe von (82.500,00 € ./. 13.125,00 €) 69.375,00 € nebst Zinsen zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Mit ihrer am 23. April 2012 eingegangenen und innerhalb der bis zum 29. Juni 2012 verlängerten Frist auch begründeten Berufung greift die Beklagte die Verurteilung an, soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 4.875,00 € verurteilt worden ist. Sie ist der Ansicht, die beim Kläger festzustellende Invalidität sei im Ergebnis der Beweisaufnahme auf der Basis 6/10 Fußwert mit

24 % zu bestimmen; die verbesserte Gliedertaxe finde schon deshalb keine Anwendung, weil weder ein Verlust noch eine vollständige Funktionsunfähigkeit des linken Fußes gegeben sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 04. Juni 2012 (Bl. 174 – 178) verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 27. März 2012, Geschäftsnummer 7 O 103/10– die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zu mehr als 4.875,00 € zuzüglich anteiliger Zinsen verurteilt worden ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 67.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger vertritt weiterhin die Ansicht, die Invaliditätsleistung sei nach dem vollen Fußwert und zudem anhand der in den Vertrag einbezogenen verbesserten Gliedertaxe zu bestimmen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Invaliditätsleistung in Höhe von 69.375,00 € verurteilt, denn dem Kläger steht nach den dem Unfallversicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen ein Anspruch auf Invaliditätsleistung in Höhe von insgesamt 82.500,00 € zu. Der Senat folgt den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung und schließt sich ihnen an. Die dagegen gerichteten Berufungsangriffe der Beklagten lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Es liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen (§§ 513, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

a) Zutreffend – und insoweit von der Beklagten auch nicht angegriffen – stellt das Landgericht im Ausgangspunkt auf den Fußwert und nicht auf den Beinwert ab, denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. VersR 2006, 1117 – 1118, zitiert nach juris, dort Rdz. 12 m.w.N.), dass bei Anwendung der Gliedertaxe allein auf den Sitz der Schädigung – hier in den Sprunggelenken des linken Fußes – und nicht auf deren Auswirkungen abzustellen ist.

b) Die Annahme einer (Gesamt-)Beeinträchtigung des Gliedes „Fuß im Fußgelenk“ mit 7,5/10 ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Soweit die Beklagte meint, das Landgericht hätte schon mangels eigener Sachkunde lediglich den vom Sachverständigen festgestellten Wert von 6/10 zugrunde legen dürfen, folgt der Senat ihr nicht. Denn das Landgericht hat in seinem Urteil die auf seinem Sachgebiet festgestellten Befunde des Sachverständigen nicht in Frage gestellt und ist auch nicht ohne die Darlegung einer eigenen Sachkunde davon abgewichen. Das Landgericht hat vielmehr bei seiner Entscheidung die Untersuchungsergebnisse des Sachverständigen – sowohl zum Umfang der Bewegungseinschränkungen des oberen und unteren Sprunggelenks als auch hinsichtlich der für die Zukunft bereits absehbaren Verschlechterungen im Bereich des oberen Sprunggelenks– zugrunde gelegt. Dass das Landgericht dennoch –rechnerisch– zu einem höheren Invaliditätswert gekommen ist, beruht allein auf einer Anwendung des Rechts, nämlich der Auslegung der zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen. Denn die Berechnung der Höhe der Invaliditätsleistung hängt neben der tatsächlichen Feststellung, in welchem Umfang der Kläger im Gebrauch des verletzten Gliedes beeinträchtigt ist, auch von der rechtlichen Frage ab, in welcher Höhe die Parteien für eine derartige Beeinträchtigung die zu leistende Invaliditätsleistung vereinbart haben. Dass das Landgericht sich für diese Frage auf eine eigene Sachkunde stützen kann, wird ersichtlich von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt werden.

Auszugehen ist für die Berechnung der Invaliditätsleistung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Versicherungsbedingungen und die vereinbarte Gliedertaxe („Fuß im Fußgelenk“) aus der Sicht eines verständigen, versicherungsrechtlich nicht vorgebildeten Versicherungsnehmers gemäß § 305 c Abs. 2 BGB dahingehend auszulegen sind, dass die Entschädigung bereits dann auf der Basis des vollen Fußwertes zu erfolgen hat, wenn „nur“ das Fußgelenk durch den Unfall funktionsunfähig geworden ist (BGH VersR 2001, 360 – 361, zitiert nach juris, dort Rdz. 8; so auch für die „Hand im Handgelenk“: BGH VersR 2003, 1163 – 1165, zitiert nach juris, dort Rdz. 14 und für den „Arm im Schultergelenk“: BGH VersR 2006, 1117 – 1118, zitiert nach juris, dort Rdz. 20).

Da es „das Fußgelenk“ tatsächlich nicht gibt, ist auch insoweit wiederum auf das Verständnis eines verständigen Versicherungsnehmers ohne entsprechende Vorkenntnisse auf orthopädischem Gebiet abzustellen. Ein solcher Versicherungsnehmer versteht unter dem Begriff „Fußgelenk“ das Gelenk, das den Fuß mit dem Bein verbindet und für den Abrollvorgang beim Gehen verantwortlich ist, also für die Beweglichkeit des Fußes von oben nach unten (Heb- und Senkfunktion) und von innen nach außen sorgt. Da nach den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. A... vor dem Landgericht am 13. März 2012 für diese Bewegungen das obere und untere Sprunggelenk gemeinsam zuständig sind, müssen bei der Bemessung der Entschädigungsleistung die beiden Sprunggelenke und ihre Beeinträchtigung betrachtet werden; sind diese Gelenke vollständig funktionsunfähig, so ist aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers das „Fußgelenk“ funktionsunfähig und nach dem vollen Fußwert zu entschädigen (davon geht auch der BGH aus, VersR 2001, a.a.O. Rdz. 5 und 8). Darauf, dass aus orthopädischer Sicht neben den Sprunggelenken noch weitere kleinere Gelenke, das Chopart Gelenk und das Lisfranc`sche Gelenk, zum Fußgelenk gezählt werden müssten, kommt es im Rahmen der Auslegung der Versicherungsbedingungen nicht an, weil nicht die Sicht eines medizinischen Sachverständigen, sondern allein die des Vertragspartners des Versicherers und damit wiederum die eines durchschnittlich gebildeten Versicherungsnehmers maßgeblich ist (vgl. BGH VersR 2003, a.a.O. Rdz. 18).

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. A... steht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fest, dass die Funktion der beiden linken Sprunggelenke des Klägers in einer Gesamtbetrachtung bezogen auf den Zeitpunkt 19.06.2009 dauerhaft zu mindestens 75 % eingeschränkt ist.

Der Sachverständige Dr. A... hat im Rahmen seiner schriftlichen Ausführungen in Bezug auf das linke obere Sprunggelenk des Klägers ausgeführt, dass hier als Folge des Unfalls eine deutliche Zerstörung der Gelenkfläche des oberen Sprunggelenks mit weitgehender Einsteifung festzustellen sei, was mit den radiologischen Befunden korrespondiere, die eine deutliche Inkongruenz mit Nachweis einer Gelenkstufe, einer Verschmälerung des Gelenkspaltes im zentralen und ventralen (vorderen) Bereich sowie ausgedehnte subchondrale Sklerosierungen, entsprechend dem Stadium Kellgren III bestätigen würden (Gutachten vom 17.02.2011 S. 19). Zugleich hat er eine beginnende posttraumatische Arthrose im Bereich des oberen Sprunggelenks und eine deutliche Bewegungseinschränkung im Bereich des unteren Sprunggelenks diagnostiziert. In einer ersten Ergänzung zu diesem Gutachten vom 17.07.2011 hat der Sachverständige ausdrücklich klargestellt, dass diese Bewegungseinschränkungen bereits im maßgeblichen Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall vorgelegen haben müssen, schon weil von einer Verbesserung jenseits der Dreijahresgrenze wegen des chronischen Charakters dieser Veränderungen nicht ausgegangen werden könne. Zugleich hat er die festgestellte Einschränkung der Beweglichkeit in beiden Sprunggelenken des linken Fußes jeweils als hochgradig klassifiziert, mit der Einschränkung, dass dies noch nicht die Gleichsetzung mit einer vollständigen Versteifung impliziere. Im Hinblick auf die diagnostizierte Arthrose im oberen linken Sprunggelenk geht der Sachverständige jedoch prognostisch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass sich diese hin zu einer klinisch manifesten Arthrose entwickeln wird, deren Behandlung aus der operativen Entfernung des Sprunggelenks und nachfolgend entweder aus der Versteifung des entsprechenden Gelenkbereichs oder aus der Implantation einer Sprunggelenkstotalprothese bestehe (Ergänzende Stellungnahme S. 4). In einer weiteren Stellungnahme vom 16.12.2011 hat er hierzu weiter ausgeführt, dass die Frage, ob es zu einer Versteifung oder zu einer Prothesenimplantation kommen werde, zum Stichtag 19.06.2009 noch offen war (2. Ergänzende Stellungnahme S. 3). Im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige ausdrücklich klargestellt, dass es so gut wie sicher sei, dass der Kläger mit dem Zustand des oberen Sprunggelenks so jedenfalls nicht zurechtkommen werde, weil es irgendwann so kaputt sein werde, dass es für den Alltag nicht mehr reiche und dass eine Gelenksprothese zwar zu einer Verbesserung der Beweglichkeit, aber auch zu weiteren Operationen führe, weil diese nicht ewig halte.

Diese Ausführungen des Sachverständigen rechtfertigen in ihrer Gesamtschau die Annahme eines mindestens 75 %-igen Funktionsverlustes des linken Fußgelenkes. Denn die Einschränkung, die der Kläger in Bezug auf das obere Sprunggelenk, das für die Hebe- und Senkbewegung und damit für den Abrollvorgang des Fußes verantwortlich ist, unter Einschluss der sich manifestierenden Arthrose erfahren hat, beträgt beinahe 100% und auch das untere Sprunggelenk ist hochgradig, wenn auch ohne Anzeichen einer Arthrose, in seiner Bewegung eingeschränkt. Dass eine für die Zukunft anstehende operative Versorgung des oberen Sprunggelenks zu einer Prothesenimplantation führen wird, was die Beweglichkeit jedenfalls zeitweilig verbessern würde, kann im Hinblick auf die durch den Sachverständigen festgestellten, bereits eingetretenen Veränderungen der Beweglichkeit nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden; dies schon deshalb, weil diese Chance eher vage ist und eine ebenso hohe Chance dafür besteht, dass im Anschluss an die Operation das Gelenk versteift werden muss.

c) Schließlich greift die Beklagte zu Unrecht an, dass das Landgericht die Invaliditätsleistung anhand der verbesserten Gliedertaxe ermittelt hat.

Auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die verbesserte Gliedertaxe gemäß Ziffer 15 der „Erweiterungen zu den AUB 2005“ zur Anwendung kommt, bestimmt sich aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Die Ansicht der Beklagten, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne erkennen, dass Ziffer 15. eine eigenständige Regelung für besonders schwerwiegende Verluste beinhaltet, teilt der Senat nicht. Vielmehr ist auch diese Regelung für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer zumindest unklar im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB. Denn er kann diese Regelung auch dahingehend verstehen, dass er sich mit dem Tarif, der die Erweiterungen zu den AUB 2005 einschließt, über Ziffer 15 schlicht höhere Gliedertaxwerte „eingekauft hat“ (vgl. dazu auch Kloth in Kloth, Private Unfallversicherung, Kapitel G Rdnr. 94). Denn Ziffer 15. ist überschrieben mit „Verbesserte Gliedertaxe zu Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2005 und wird eingeleitet mit „Entgegen der AUB Regelung gelten folgende Werte:“ Soweit damit überhaupt noch eine Unklarheit verbleibt, geht diese jedenfalls gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten als Verwenderin. Gleiches gilt für die Frage, ob die verbesserte Gliedertaxe auch dann zur Anwendung kommt, wenn – wie vorliegend – nur ein teilweiser Funktionsverlust eines Gliedes festgestellt werden kann. Auch insoweit ist die Auslegung der Versicherungsbedingung aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers nicht eindeutig (vgl. dazu OLG Frankfurt r+s 2008, 522 – 524, zitiert nach juris, dort Rdz. 41; Kloth a.a.O. Rdnr. 97). Dafür, dass die verbesserte Gliedertaxe nur bei Verlust und vollständiger Funktionsbeeinträchtigung Anwendung finden soll, spricht zwar vorliegend zunächst der Wortlaut, der lediglich „Verlust oder Funktionsunfähigkeit“ erwähnt, dagegen spricht jedoch, dass die Bedingung zu Ziffer 15. mit „Verbesserte Gliedertaxe zu Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2005“ überschrieben ist und damit nicht nur auf deren Satz 1, sondern gleichermaßen auch auf deren Satz 2 Bezug nimmt.

Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Weder kommt der Rechtssache nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzliche Bedeutung zu (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vorliegend eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Zudem erachtet der Senat im Hinblick auf die obigen Hinweise eine Erörterung der Sache im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nicht für geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO).

Im Hinblick auf § 524 Abs. 4 ZPO bedarf es einer Prüfung der Erfolgsaussicht der Anschlussberufung des Klägers derzeit nicht.

2.

Der Beklagten wird Gelegenheit gegeben, binnen zweier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses zu den obigen Hinweisen Stellung zu nehmen.

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