VG München, Urteil vom 20.05.2014 - M 3 K 13.5542
Fundstelle
openJur 2015, 6510
  • Rkr:

Unterscheidung zwischen Einfachauswahlaufgaben und Mehrfachauswahlaufgaben;Unterschiedliche Vorgaben der PStO BWL für die Bewertung von Einfachauswahlaufgaben und von Mehrfachauswahlaufgaben;Keine Minuspunkte für falsch beantwortete Fragen bei Einfachauswahlaufgaben

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom ... Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... November 2013 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin zu einer erneuten Wiederholung der Prüfung Grundlagen der BWL im Bachelorstudium BWL zuzulassen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin studierte seit dem Wintersemester 2012/2013 an der beklagten Universität im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre (Hauptfach). Sie nahm im Wintersemester 2012/2013 sowie im Sommersemester 2013, am ... Juli 2013, an der Modulteilprüfung zu den Lehrveranstaltungen „Grundlagen der BWL (Vorlesung)“ und „Grundlagen der BWL (Übung)“ jeweils ohne Erfolg teil. Diese beiden Veranstaltungen sind in der maßgeblichen Prüfungs- und Studienordnung als Grundlagen- und Orientierungsprüfungen ausgewiesen.

Die Klausur in der Wiederholungsprüfung am ... Juli 2013 bestand aus 17 Aufgabenblöcken; in jedem der Aufgabenblöcke wurden 5 Aussagen vorgestellt. Falls der Prüfungsteilnehmer die Aussage für zutreffend hielt, hatte er sie zu markieren, andernfalls galt die Aussage als nicht zutreffend. Jeder Aufgabenblock wurde separat nach folgendem Schlüssel bewertet:

- bei 5 korrekt markierten Aussagen: 5 Punkte - bei 4 korrekt markierten Aussagen: 3 Punkte - bei 3 korrekt markierten Aussagen: 1 Punkt - bei 2 oder weniger korrekt markierten Aussagen: 0 Punkte.

Drei der 17 Aufgabenblöcke gingen doppelt gewichtet in die Errechnung der Gesamtpunktzahl ein, so dass insgesamt 100 Punkte erzielt werden konnten. Die Bestehensgrenze für die Klausur lag bei 60 Punkten. Die von der Klägerin bearbeitete Klausur wurde mit 59 Punkten und damit als „nicht bestanden“ bewertet. Die Klägerin löste bei 4 Aufgabenblöcken (einer davon mit doppelter Gewichtung) jeweils sämtliche Aufgaben richtig (5 x 5 = 25 Punkte), bei 9 Aufgabenblöcken (einer davon mit doppelter Gewichtung) jeweils 4 Aufgaben richtig (10 x 3 = 30 Punkte), bei 3 Aufgabenblöcken (einer davon mit doppelter Gewichtung) jeweils 3 Aufgaben richtig (4 x 1 = 4 Punkte), bei einem Aufgabenblock 2 Aufgaben richtig (0 Punkte).

Mit Schreiben vom ... August 2013 legte der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Bewertung der Klausur vom ... Juli 2013 Widerspruch ein. Prüfverfahren und Bewertung der Klausur seien rechtswidrig, u.a. deshalb, weil für eine falsche Antwort Punkte abgezogen würden, die durch eine bzw. zwei richtige Antworten erzielt worden seien. Dieser Einsatz des Antwort-Wahl-Verfahrens sei rechtswidrig, weil die entsprechende Prüfungsordnung keine Regelungen enthalte, die auf diese besondere Prüfungsart zugeschnitten seien. Es fehlten Regelungen über die Tätigkeit der Prüfer, die Bestehensvoraussetzungen und die Notenvergabe. Wären für falsche Antworten keine Punkte abgezogen worden, hatte die Klägerin die Klausur mit „ausreichend“ bestanden. Außerdem könne eine – konkret benannte – Aufgabe nicht eindeutig beantwortet werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom ... November 2013 zurück. Die Verwendung des Antwort-Wahl-Verfahrens entspreche in vollem Umfang den gesetzlichen Vorgaben. Auf die streitgegenständliche Prüfung sei die Prüfungs- und Studienordnung der Beklagten für den Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre in der Fassung der 5. Änderungssatzung (im Folgenden: PStO) anzuwenden. § 16 der PStO eröffne die Möglichkeit, schriftliche Modulprüfungen und Modulteilprüfungen ganz oder teilweise als Antwort-Wahl-Verfahren abzunehmen. Die Tätigkeit der Prüferinnen und Prüfer werde in § 16 Abs. 3 PStO geregelt, die Bestehensvoraussetzungen ergäben sich aus § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO, die Notenvergabe aus § 16 Abs. 4 Satz 3 PStO. Darüber hinaus sei in § 16 Abs. 5 PStO der spezielle Modus der streitgegenständlichen Klausur geregelt. Insofern stünden die einzelnen Teile der Mehrfachauswahlaufgaben (Aufgabenblöcke) in untrennbarem innerem Zusammenhang; es werde nicht abstrakt für eine falsche Antwort ein für eine richtige Aufgabe vergebener Punkt abgezogen, sondern es werde ein auf den jeweiligen Aufgabenblock bezogenes Gesamtbild ermittelt. Dabei werde festgestellt, wie gut der Prüfling das jeweilige Thema beherrsche, es werde also bereits für jeden Aufgabenblock eine separate Unterwertung vorgenommen, die mit gängigen Bewertungsprinzipien vereinbar sei, indem bei einer Quote richtiger Antworten von 80 % der Prüfling mit 3 von 5 richtigen Antworten noch 60 % der Punkte erhalte, und bei 3 richtigen Antworten, also einer Quote richtiger Antworten von 60 %, noch ein Punkt vergeben werde. Bei zwei richtigen Antworten liege die Quote richtiger Antworten bei 40 %, was regelmäßig nicht mehr für das Bestehen ausreiche. Die Gesamtbewertung der Klausur stelle letztlich einen Durchschnitt dieser „Unterwertungen“ dar. Eine übermäßige Gewichtung falscher Antworten finde nicht statt.

Mit der am ... Dezember 2013 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

Die Klägerin ließ zuletzt beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zur erneuten Prüfung zu der Lehrveranstaltung „Grundlagen der BWL“ im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die PStO finde in Art. 61 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 8 BayHSchG eine hinreichend formal-gesetzliche Grundlage. Dies gelte auch im Hinblick auf die Durchführung von Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren. Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren „Mehrfachauswahlaufgabe“ und in diesen die Vergabe von Minuspunkten seien zulässig. Mehrfachauswahlaufgaben stellten den bestmöglichen Kompromiss dar, wenn einerseits die von den Prüflingen erstellten Lösungen maschinell auswertbar sein müssten und andererseits eine anspruchsvolle und für die Prüflinge bewältigbare Prüfungsform angewendet werden solle. Bei Mehrfachauswahlaufgaben werde ein Thema durch mehrere Aussagen beschrieben, einziger Unterschied sei, dass die Prüflinge bei offenen Fragen ihre Aussagen selbst formulierten, während sie bei Mehrfachauswahlaufgaben unter vorgegebenen Antwortvorschlägen mehrere auswählten. Einfachauswahlaufgaben i.S.d. § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO hätten demgegenüber den Nachteil, dass sie entweder trivial seien, weil die unzutreffenden Antwortvorschläge zu fern lägen, oder sie nicht nur die fachlichen Kenntnisse der Prüflinge, sondern zu einem erheblichen Teil deren sprachliche Fertigkeiten und das Aufspüren feinsinnigster Differenzierungen prüften. Mehrfachauswahlaufgaben i.S.d. § 16 Abs. 5 Satz 1 PStO könnten grundsätzlich in Einfachauswahlaufgaben i.S.d. § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO umformuliert werden, dazu müsste statt der einzelnen Antwortvorschläge deren Kombinationen zur Auswahl gestellt werden, was für die Prüflinge deutlich komplizierter wäre. Eine Vergabe von Minuspunkten sei im vorliegenden Fall deshalb erforderlich, weil andernfalls die Prüflinge nur alle Antwortvorschläge auswählen müssten und damit zwingend die höchstmögliche Bewertung erhalten würden, es würden nämlich nur richtige Antworten gezählt, die falschen nur ignoriert, aber nicht sanktioniert. Da aber mit einer falschen Antwort zu einer Frage bewiesen werde, dass das Wissen zu dem Themenkomplex unvollständig sei, könne eine Antwort nur dann als richtig gewertet werden, wenn sie im Gesamtzusammenhang eines Themenkomplexes betrachtet und bewiesen werde, dass das Thema im Zusammenhang verstanden sei.

Bei der streitgegenständlichen Klausur handle es sich um eine Mehrfachauswahlaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 5 PStO. Es handle sich insbesondere nicht um willkürlich zu Mehrfachauswahlaufgaben zusammengefasste, unterschiedliche, thematisch voneinander unabhängige Aussagen. Es wäre ohne weiteres denkbar, zu jedem Aufgabenblock ein Stichwort oder eine eigene oder allgemeine Eingangsfrage zu formulieren. Hierzu wurde auf eine Übersicht in der vorgelegten Akte verwiesen, die für jeden Aufgabenblock den Themenbereich beschreibt und erläutert, wie die gestellten Fragen/Aussagen zusammenhängen.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vom ... Mai 2014 auf die Niederschrift hierüber Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Zwar wurde im Klageschriftsatz als Beklagtenpartei der Freistaat Bayern, vertreten durch die Beklagte bezeichnet, was jedoch nur für die gleichzeitig gegen die Exmatrikulation gerichtete Klage (M 3 K 13.5541) zutraf. Ist jedoch der Beklagte trotz formal unrichtiger Bezeichnung durch Auslegung ohne weiteres ermittelbar, ist dieser in das Rubrum aufzunehmen (Geiger/Eyermann, Kommentar zur VwGO, 14. Aufl., Rn 5 zu § 82). Dies war hier der Fall, zumal in der beigefügten, für die Prüfungsanfechtung erteilten Vollmacht die Beklagtenpartei des vorliegenden Verfahrens zutreffend bezeichnet wurde, wie auch bereits im klägerischen Schriftsatz vom 27. Dezember 2013.

Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid über das Nichtbestehen der Klausur vom ... Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... November 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; die Bescheide waren daher aufzuheben und die Beklagte zu einer erneuten Zulassung der Klägerin zu einer Wiederholungsprüfung zu verpflichten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig, weil die zugrunde liegende Bewertung der Klausur den Vorgaben der maßgeblichen Prüfungsordnung widerspricht und die Klägerin daher in ihren Rechten verletzt.

Nach Art. 61 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) vom 23. Mai 2006 (GVBl S. 245) werden Hochschulprüfungen aufgrund von Prüfungsordnungen abgenommen, die von den Hochschulen durch Satzung erlassen werden und der Genehmigung durch den Präsidenten oder die Präsidentin bedürfen; die Prüfungsordnung regelt die Prüfungsanforderungen und das Prüfungsverfahren (Abs. 3 Satz 1). Sie muss dazu insbesondere Regelungen über die Form und das Verfahren der Prüfung enthalten (Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 8 BayHSchG) sowie über die Grundsätze für die Bewertung der einzelnen Prüfungsleistungen und die Ermittlung des Prüfungsgesamtergebnisses (Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 10 BayHSchG).

Maßgeblich für die Beurteilung der im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre abzulegenden Prüfungen ist die Prüfungs- und Studienordnung der Beklagten für den Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre (2008) in der Fassung der 5. Änderungssatzung vom 3. Dezember 2012 (im Folgenden: PStO). Die PStO sieht in § 16 Abs. 3 Satz 1 vor, dass schriftliche Modulprüfungen und Modulteilprüfungen auch in der Weise abgenommen werden können, dass der Prüfling anzugeben hat, welche der mit den Aufgaben vorgelegten Antworten er für richtig hält (Antwort-Wahl-Verfahren). Die PStO unterscheidet dann zwischen „Einfachauswahlaufgaben“ und „Mehrfachauswahlaufgaben“.

„Einfachauswahlaufgaben“ sind danach Aufgaben, bei denen genau einer aus insgesamt „n“ Antwortvorschlägen richtig ist („1 aus n“) und die als bestanden gelten, wenn der Prüfling mindestens 60 Prozent der gestellten Prüfungsfragen zutreffend beantwortet hat (§ 16 Abs. 4 PStO).

„Mehrfachauswahlaufgaben“ sind Aufgaben, bei denen eine unbekannte Anzahl x, die zwischen null und n liegt, von insgesamt n Antwortvorschlägen richtig ist („x aus n“) und die als bestanden gelten, wenn die vom Prüfling erreichte Summe der Rohpunkte mindestens 60 Prozent der erreichbaren Höchstleistung entspricht (§ 16 Abs. 5 Satz 1 PStO). Dabei wird je Mehrfachauswahlaufgabe eine Bewertungszahl festgelegt, die der Anzahl der Antwortvorschläge (n) entspricht und die mit einem Gewichtungsfaktor für die einzelne Mehrfachauswahlaufgabe multipliziert werden kann (Satz 2); der Prüfling erhält für eine Mehrfachauswahlaufgabe eine Grundwertung, die bei vollständiger Übereinstimmung der vom Prüfling ausgewählten Antwortvorschläge mit den als zutreffend anerkannten Antworten der Bewertungszahl entspricht (Satz 3). Für jede Übereinstimmung zwischen einem vom Prüfling ausgewählten bzw. nicht ausgewählten Antwortvorschlag und einer als zutreffend bzw. als nicht zutreffend anerkannten Antwort wird ein Punkt für die Grundwertung vergeben (Satz 4); wird ein als zutreffend anerkannter Antwortvorschlag vom Prüfling nicht ausgewählt oder wird ein nicht als zutreffend anerkannter Antwortvorschlag vom Prüfling ausgewählt, wird jeweils ein Minuspunkt für die Grundwertung vergeben (Satz 5). Die Grundwertung einer Frage kann null Punkte nicht unterschreiten (Satz 6). Die Rohpunkte errechnen sich aus der Grundwertung multipliziert mit dem jeweiligen Gewichtungsfaktor der Mehrfachauswahlaufgabe (Satz 7). Die insgesamt erreichbare Höchstleistung errechnet sich aus der Summe der Produkte aller Bewertungszahlen mit dem jeweiligen Gewichtungsfaktor aller Mehrfachauswahlaufgaben (Satz 8).

Die Beklagte hat die Bewertung der streitgegenständlichen Klausur zu Unrecht auf der Grundlage des „Mehrfachauswahlaufgaben“ regelnden § 16 Abs. 5 PStO vorgenommen. Tatsächlich handelt es sich bei den Aufgabenblöcken der Klausur nicht um 17 „Mehrfachauswahlaufgaben“ i.S.d. § 16 Abs. 5 Satz 1 PStO mit unterschiedlicher Gewichtung, sondern um 100 Einfachauswahlaufgaben i.S.d. § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO, die lediglich in 17 „Blöcke“ gegliedert wurden; die Bewertung von Einfachauswahlaufgaben ist jedoch in § 16 Abs. 4 PStO und nicht in § 16 Abs. 5 PStO geregelt; sie sieht insbesondere nicht die Vergabe von Minuspunkten für unzutreffend gelöste Aufgaben vor.

Für diese rechtliche Einordnung der streitgegenständlichen Aufgabenstellung als gegliederte Einfachauswahlaufgaben spricht bereits ein Vergleich des Wortlauts der streitgegenständlichen Klausur mit dem der PStO. Der in der Klausurangabe verwendete Begriff „Aufgabenblock“ beschreibt zutreffend, dass es sich nicht um eine einzelne Aufgabe handelt, sondern um eine Zusammenfassung von mehreren Einzelaufgaben zu einem Block. Demgegenüber verwendet die PStO die Begriffe „Frage“ und „Mehrfachauswahlaufgabe“ synonym, indem § 16 Abs. 5 Satz 6 PStO vorsieht, dass „die Grundwertung einer Frage“ null Punkte nicht unterschreiten kann. Diese Bestimmung kann nicht dahin verstanden werden, dass „die Grundwertung eines Aufgabenblocks“ null Punkte nicht unterschreiten dürfte; dies würde den Sinn der Vorschrift in unzulässiger Weise verändern.

Die fünf zu einem „Aufgabenblock“ zusammengefassten „Aussagen“ stellen auch dem Wortlaut nach nicht 5 Antwortvorschläge dar, von denen eine unbekannte Anzahl richtig wäre („x aus 5“). „Antwortvorschläge“ beziehen sich ihrem Wortlaut nach notwendigerweise auf eine einzige, zur Beantwortung gestellte Frage. Wenn „x aus 5“ Antwortvorschlägen richtig sein sollen, dann müssen sich diese x Antwortvorschläge auf dieselbe, einzige Frage beziehen. Bei den Aufgabenblöcken werden jedoch nicht 5 Vorschläge zu einer einzigen gestellten Aufgabe/Frage gemacht, sondern 5 verschiedene, getrennt zu beurteilende Aufgaben/Fragen gestellt.

Jeder Aufgabenblock besteht aus 5 Einfachauswahlaufgaben. Denn jede der 5 Aussagen eines Blocks, die dem Prüfling vorgelegt werden, kann entweder zutreffend oder unzutreffend sein, es ist also jeweils eine von zwei Antwortmöglichkeiten richtig („1 aus 2“).

Eine Mehrfachauswahlaufgabe läge dann vor, wenn nur eine einzige Frage gestellt würde, jedoch für diese eine Frage fünf Antwortmöglichkeiten zur Auswahl angeboten würden, von denen eine unbekannte Anzahl an Antwortmöglichkeiten zutreffen würde. Es ist nachvollziehbar, dass die Vergabe eines Minuspunktes für das Auswählen einer falschen Antwortmöglichkeit auf die gestellte Frage innerhalb einer solchen „Binnenwertung“ einer Aufgabe möglich sein muss, da andernfalls das Auswählen einer möglicherweise in Widerspruch zu einer anderen - zutreffenden - Antwortmöglichkeit stehenden Antwort folgenlos bliebe. Die Auswahl zweier gegensätzlicher Antwortmöglichkeiten deutet darauf hin, dass auch das Ankreuzen des richtigen Antwortvorschlags nicht auf Sachkenntnis, sondern auf einer zufällig getroffenen Auswahl beruht hat. Denn falls das Ankreuzen des richtigen Vorschlags auf Sachkenntnis beruht hätte, hätte der Prüfungsteilnehmer nicht den mit dieser Lösung in Widerspruch stehenden weiteren Antwortvorschlag angekreuzt. Das Bewertungssystem der Vergabe von Minuspunkten für falsche Antwortmöglichkeiten innerhalb einer Mehrfachauswahlaufgabe kann somit dazu beitragen, dass der Prüfling nur dann die Höchstpunktzahl für diese Frage (Bewertungszahl = Grundwertung) erhält, wenn er sie insgesamt zutreffend beantwortet hat, indem er sämtliche fünf Vorschläge zutreffenderweise als richtige oder falsche Aussagen zu der gestellten Frage erkannt hat.

So liegt es bei dem von der Beklagten in der Klageerwiderung formulierten Beispiel für eine Mehrfachauswahlaufgabe: „A. Ein Frosch ist ein Lebewesen. B. Ein Frosch ist ein Vogel.“ Wenn hier bei Ankreuzen beider Antwortvorschläge die Aufgabe mit 0 Punkten bewertet wird, weil für die falsche Antwort ein Minuspunkt vergeben wird, ist dies gerechtfertigt, denn der Prüfling hat durch das Ankreuzen beider Antwortvorschläge gezeigt, dass er die Aufgabe tatsächlich nicht lösen konnte und das erforderliche Wissen nicht beherrscht. Bei diesem von der Beklagten angeführten Beispiel handelt es sich jedoch um eine echte Mehrfachauswahlaufgabe, weil beide Antwortvorschläge sich auf die einzige übergeordnete Frage „Was ist ein Frosch“ beziehen und für diese eine Frage mehrere, sich gegenseitig ausschließende Antwortvorschläge angeboten werden.

So ist die Sachlage jedoch bei den Aufgabenblöcken der streitgegenständlichen Klausur gerade nicht. Das Gericht kann zwischen den einzelnen Aussagen allenfalls einen thematischen Zusammenhang erkennen.

So lauten z.B. die zu beurteilenden Aussagen des Aufgabenblocks 1:

A:Der Erfahrungsgegenstand einer Wissenschaft ist das zu analysierende empirische Phänomen.(zutreffend)B:Normative Entscheidungsprinzipien versuchen, das beobachtete menschliche Verhalten möglichst genau zu beschreiben.“(nicht zutreffend)C:Neben Menschen können auch Institutionen und Organisationen Bedürfnisse haben.(nicht zutreffend)D:Kunden und Wettbewerber sind keine Stakeholder eines Unternehmens, da sie keine Besitzanteile an dem Unternehmen halten.(nicht zutreffend)E:Ein Gut ist nicht knapp, wenn die vorhandene Gütermenge größer ist als die Sättigungsgrenze.(zutreffend)Das Gericht teilt nicht die Auffassung der Beklagten in ihrer Klageerwiderung, dass dieser Aufgabenblock eine Mehrfachauswahlaufgabe in Form von fünf Antwortvorschlägen zum Stichwort „Definition von Betriebswirtschaftslehre“ darstellt, da die fünf Aussagen als fünf Antwortvorschläge zu einer einzigen, übergeordneten Frage umformuliert werden könnten.

Den Themenbereich von Block 1 umschreibt die Beklagte in der in der Akte enthaltenen Übersicht mit „Definition Betriebswirtschaftslehre“, und führt als Erklärung an: „Erklärung von BWL als Wissenschaft inklusive einfacher erkenntnistheoretischer Einleitung“. Weshalb im 1. Aufgabenblock der streitgegenständlichen Klausur die falsche Antwort auf die Frage E es rechtfertigen sollte, die richtige Kennzeichnung der Aussage A durch Vergabe eines Minuspunktes zu entwerten, weil sich beide Antwortmöglichkeiten notwendigerweise ausschließen würden oder weil die fehlende Kenntnis der Definition „Knappheit von Gütern“ zeigen würde, dass auch der Prüfungsstoff „Gegenstand einer Wissenschaft“ nicht verstanden wurde, kann das Gericht nicht erkennen. Auch die von der Beklagten erstellte Übersicht über die in den einzelnen Aufgabenblöcken behandelten Themenbereiche (Seiten ..., ... der vorgelegten Verwaltungsakte) kann einen solchen Zusammenhang der einzelnen Fragen nicht belegen, nämlich einen Zusammenhang dergestalt, dass beide Aussagen in Antwortmöglichkeiten auf dieselbe Frage umformuliert werden könnten und der weiteren Voraussetzung, dass die unrichtige Beurteilung der einen Aussage zwangsläufig auch Auswirkungen auf die richtige Beurteilung der Aussage hätte.

Ein thematischer Zusammenhang innerhalb eines Aufgabenblocks allein kann die Vergabe von Minuspunkten für falsche Antworten nicht rechtfertigen. Ein thematischer Zusammenhang von Prüfungsfragen besteht bereits im Hinblick auf das Thema der Veranstaltung, auf das sich die Prüfung bezieht und das den Prüfungsstoff vorgibt.

Soweit die Beklagte einwendet, ohne die Vergabe von Minuspunkten für falsch beantwortete Fragen innerhalb eines Aufgabenblocks werde das Rateglück, aber nicht das tatsächlich vorhandene Wissen bewertet, ist dem entgegenzuhalten, dass dies bei der streitgegenständlichen Aufgabenstellung darauf beruht, dass es sich jeweils um Einfachauswahlaufgaben handelt, bei denen eine 50%ige Chance besteht, die richtige Antwort durch Raten zu treffen. Dieser hohen Erfolgsquote einer Aufgabenlösung durch Erraten soll gerade die Mehrfachauswahlaufgabe mit der dort vertretbaren Negativwertung für falsche Antwortmöglichkeiten entgegenwirken. Dass in der streitgegenständlichen Klausur durch Ankreuzen sämtlicher Antwortmöglichkeiten die Höchstpunktzahl (hier: 100 Punkte) erreicht wird, ist aber auch bei einer Bewertung der streitgegenständlichen Klausur nach den Vorgaben des § 16 Abs. 4 PStO für Einfachauswahlaufgaben gerade nicht zwingend, da das – fälschliche - Markieren einer unzutreffenden Aussage als „zutreffend“ zwar nicht zu einem Punktabzug führt, aber für diese Aussage auch kein positiver Punkt vergeben wird. Die erreichte Punktzahl richtet sich also auch dann nach den tatsächlich zutreffend beantworteten Einzelfragen, wenn die Klausur nach dem Maßstab des § 16 Abs. 4 PStO für Einfachauswahlaufgaben bewertet wird.

Die von der Beklagten vorgenommene Bewertung der streitgegenständlichen Klausur nach der Vorgabe des § 16 Abs. 5 PStO führt zu einer mit der PStO nicht übereinstimmenden zweifachen Heranziehung einer 60 %-Bestehensgrenze. Das Bestehen einer Prüfung setzt den Nachweis voraus, dass der Prüfungsstoff in einem ausreichenden Umfang und Ausmaß beherrscht wird. Hieraus rechtfertigt sich die Festlegung einer Bestehensgrenze für eine Prüfung (Bewertung mit „ausreichend“) bei richtiger Beantwortung von 60 % der Fragen (vgl. BVerwG, U. v. 18.5.1982 – 7 C 24/81BVerwGE 65, 323, Rn 54). An dieser Grenze orientiert sich § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO. Danach gelten schriftliche Modulprüfungen und Modulteilprüfungen, die aus Einfachauswahlaufgaben bestehen - wozu auch die streitgegenständliche Klausur zu rechnen ist - als bestanden, wenn der Prüfling insgesamt mindestens 60 Prozent der gestellten Prüfungsaufgaben zutreffend beantwortet hat.

Durch die streitgegenständliche Bewertung kommt jedoch diese 60 %-Grenze zweimal zur Anwendung, einmal für das Bestehen eines Aufgabenblocks (3 richtige Antworten = 60 % werden mit „ausreichend“ = 3 Punkten bewertet) und dann nochmals bei der Umrechnung des Gesamtergebnisses in Notenstufen (die Prüfung ist bei Erreichen von 60 von 100 – nach oben beschriebenem System vergebenen - Punkten bestanden). Eine solche Bewertung verstößt gegen die in § 16 Abs. 4 Satz 1 PStO vorgegebene Bewertung von Prüfungen in Form von Einfachauswahlaufgaben.

Die von der Beklagten vorgenommene Bewertung der streitgegenständlichen Klausur nach der Vorgabe des § 16 Abs. 5 PStO für Mehrfachauswahlaufgaben und nicht der des § 16 Abs. 4 PStO für Einfachauswahlaufgaben ist auch nicht geeignet, das Prüfungswissen zutreffend zu erfassen, da die Entscheidung über Bestehen und Nichtbestehen der Prüfung vom Zufall abhängt und eine Abgrenzung zwischen Wissen und Raten nicht zuverlässig erfolgt. Da die Bewertung einer richtigen Antwort auf eine Frage durch eine andere unzutreffend beantwortete Frage, wenn diese innerhalb des Blocks gestellt war, „zunichte“ gemacht wird, hängt die Bewertung der Klausur insgesamt und damit die Entscheidung über ihr Bestehen oder Nichtbestehen nicht von der Frage der Gesamtzahl der richtig beantworteten Fragen ab, sondern von der Frage, wie sich die richtigen und falschen Antworten auf die einzelnen Blöcke verteilen (vgl. auch OVG NRW, b. v. 4.10.2006 – 14 B 1035/06 – juris – Rn 26). .

Beispiel A: Ein Teilnehmer, der von den 20 Aufgabenblöcken nur 12 Aufgabenblöcke bearbeitet und dort jeweils alle Aufgaben richtig löst, hat von 100 Aufgaben nur 60 Aufgaben richtig gelöst, er bekommt 12 x 5 = 60 Punkte und besteht die Klausur.

Beispiel B: Ein Teilnehmer, der jeden der 20 Aufgabenblöcke „ausreichend“ bearbeitet, indem er von jeweils 5 Aufgaben 3 Aufgaben richtig löst, verfehlt das Bestehen der Klausur weit: Er bekommt für die jeweils 3 richtigen Aufgaben jedes Blocks nur jeweils 1 Punkt, insgesamt also nur 20 Punkte, obwohl er ebenso wie der Teilnehmer in Beispiel A 60 Fragen zutreffend beantwortet hat und nachgewiesen hat, mehr als die Hälfte des gesamten Prüfungsstoffs zu beherrschen, da er jeden Aufgabenblock „ausreichend“ bearbeitet hat.

Beispiel C: Ein Teilnehmer, der in 19 Aufgabenblöcken jeweils fast alle Fragen (jeweils 4 der 5 Aufgaben) richtig beantwortet und einen weiteren Aufgabenblock „ausreichend“ bearbeitet, indem er 3 der 5 Aufgaben zutreffend löst, also insgesamt 79 von 100 Aufgaben – damit deutlich mehr Fragen, als für das Bestehen erforderlich wären - zutreffend gelöst hat, besteht die Prüfung nicht, weil er für die 19 Aufgabenblöcke mit jeweils 4 zutreffend beantworteten Fragen nur jeweils 3 Punkte = 19 x 3 = 57 Punkte, und für den weiteren Aufgabenblock mit 3 richtigen Antworten 1 Punkt, insgesamt 58 Punkte erhält.

Noch knapper hat die Klägerin das Ergebnis verfehlt: Sie hat trotz 79 richtig beantworteter Aufgaben nur 59 Punkte erzielt.

Eine eigene Bewertung der streitgegenständlichen Klausur – und damit ausschließlich der von der Klägerin angefertigten Klausur - nach der Regelung des § 16 Abs. 4 PStO, der für die Bewertung von Einfachauswahlaufgaben heranzuziehen wäre, ist dem Gericht jedoch verwehrt. Eine solche nachträgliche Anwendung des vom Gericht auf die Aufgabenstellung für anwendbar gehaltenen § 16 Abs. 4 PStO würde zum einen den den Prüfern zustehenden eigenen Beurteilungsspielraum in unzulässiger Weise verletzen. Denn es steht gerade nicht fest, dass die Prüfer die Klausur in genau derselben Weise gestellt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die Klausur nach der Vorgabe des § 16 Abs. 4 PStO für Einfachauswahlaufgaben bewertet werden müsste. Ebenso gut denkbar ist, dass die Prüfer dann die Aufgabenstellung modifiziert hätten oder die Bestehensgrenze, da die Bewertung infolge des Wegfalls von Minuspunkten dann insgesamt höher ausgefallen wäre, ebenfalls erhöht hätten. Zum anderen würde die Bewertung einer einzigen Klausur nach einem anderen – hier günstigeren – Maßstab den Grundsatz der Chancengleichheit gegenüber den anderen Teilnehmern, deren Bewertung unverändert bleibt, verletzen (vgl. auch VG Arnsberg, U. v. 17.4.2012 – 9 K 399/11 – juris - Rn 50 ff).

Auch die gerichtliche Vorgabe eines Bewertungsmodells für künftige, vergleichbar gestellte Aufgaben oder für die künftige Aufgabenstellung obliegt nicht dem Gericht. Das Gericht war im vorliegenden Verfahren nur dazu aufgerufen zu entscheiden, ob die konkrete Bewertung der von der Klägerin am ... Juli 2013 gefertigten Klausur rechtmäßig war. Es konnte daher der Klage im beantragten und tenorierten Umfang stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da die Klägerin die Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe für geboten halten durfte, insbesondere im Hinblick auf die rechtlichen Besonderheiten für Prüfungen in der Form von Multiple-Choice-Verfahren und der Bedeutung der Rechtssache, bei der es um die Fortsetzung ihres Studium geht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vorliegt. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt vor, wenn eine Rechtsfrage zu beantworten ist, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (Happ/Eyermann, Kommentar zur VwGO, 14. Aufl., Rn 36 ff zu § 124). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (Happ/Eyermann, a.a.O., Rn 38 zu § 124 VwGO). So liegt der Fall hier. Die Frage, ob § 16 Abs. 4 PStO oder § 16 Abs. 5 PStO für die Korrektur einer Klausur mit der streitgegenständlichen Aufgabenstellung anzuwenden ist, lässt sich aus der PStO mit den üblichen Auslegungsmethoden ohne weiteres beantworten. Ob diese Frage über den Einzelfall hinaus von Bedeutung wäre, kann daher dahingestellt bleiben.  

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 7.500,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i.V.m. Ziffer 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).