Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.03.2015 - 11 CS 15.290
Fundstelle
openJur 2015, 6388
  • Rkr:

Wiederholte Zuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss;Fragestellung in der Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens Entziehung der Fahrerlaubnis; Wiedererlangung der Fahreignung; Nachweis durch Privatgutachten

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 12. Januar 2015 wird abgeändert und der Antrag insgesamt abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 8.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T.

Das Amtsgericht Miesbach verurteilte den Antragsteller wegen eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (Fahrt mit einem Pkw mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,27 ‰) am 23. Juni 2003 zu einer Freiheitsstrafe zur Bewährung und entzog ihm den Führerschein. Mit Bescheid vom 9. März 2005, bestandskräftig am 9. April 2005, versagte die Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, weil der Antragsteller kein positives medizinisch-psychologisches Gutachten beibrachte. Im Jahr 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht Miesbach wegen zweier Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Am 11. August 2008 stellten die tschechischen Behörden dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klassen A und B, am 8. Oktober 2008 der Klasse C und am 29. Oktober 2008 der Klassen BE und CE aus. Der Antragsteller beantragte am 28. Oktober 2013 den Umtausch der Fahrerlaubnis und versicherte, dass derzeit kein Verfahren wegen Entziehung der Fahrerlaubnis laufe und ein Fahrverbot nicht verfügt worden sei. Das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelte einen Auszug aus dem Verkehrszentralregister vom 29. Oktober 2013. Darin waren elf Eintragungen gespeichert, zuletzt eine Geschwindigkeitsübertretung im Jahr 2009. Die Fahrerlaubnisbehörde stellte dem Antragsteller nach Vorlage eines Führungszeugnisses vom 19. November 2013 am 5. Dezember 2013 einen deutschen Führerschein aus.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2014 teilte die Polizei der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass gegen den Antragsteller mit Bußgeldbescheid vom 21. Oktober 2013, rechtskräftig seit 7. November 2013, wegen einer Fahrt mit einem Pkw mit einer festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,27 mg/l ein Bußgeld und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden sei.

Daraufhin forderte die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 10 Februar 2014 aufgrund wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Es solle die Frage geklärt werden, ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorliegen, die mit einem missbräuchlichen Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können, insbesondere ob nicht zu erwarten ist, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Der Antragsteller legte kein Gutachten vor. Er war der Ansicht, das Urteil vom 23. Juni 2003 sei nicht mehr verwertbar.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2014, zugestellt am 22. Mai 2014 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Nr. 1), ordnete die Abgabe des Führerscheins innerhalb von vier Tagen nach Zustellung des Bescheids (Nr. 2), die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids (Nr. 4) und die Kostentragung durch den Antragsteller (Nr. 5) an. Der Antragsteller gab seinen Führerschein daraufhin ab.

Über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Mai 2014 hat die Widerspruchsbehörde nach Aktenlage noch nicht entschieden. Im Widerspruchsverfahren legte der Antragsteller ein verkehrsmedizinisches, neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. med. S..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vor. Darin wird ausgeführt, der Antragsteller könne künftig zwischen Alkoholkonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs ausreichend sicher trennen und sei in der Lage, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 zu führen. Das Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 12. Januar 2015 die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Nr. 1 des Bescheids wiederhergestellt und hinsichtlich der Nrn. 2 und 5 angeordnet und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Es fehle an einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung, da die Fragestellung nach körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen wohl nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, der der Antragsteller entgegentritt. Der Antragsgegner macht geltend, die Fragestellung sei zulässig. Er beruft sich auf eine Entscheidung des Senats vom 28. Oktober 2014 (11 CS 14.1713 – juris), mit der eine entsprechende Fragestellung als rechtmäßig angesehen worden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, ist zulässig und hat Erfolg. Der Antragsgegner hat auch hinsichtlich der gewählten Fragestellung zu Recht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert.

Nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl S. 2213), ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik an, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen hat, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Der Antragsteller hat am 8. Dezember 2002 (Verurteilung vom 23.6.2003) und am 13. September 2013 (Bußgeldbescheid vom 21.10.2013) jeweils ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt. Beide Taten waren zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses auch noch verwertbar. Auf beide Taten sind nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vom 5. März 2003 (BGBl S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2015 (BGBl S. 186), weiterhin die Tilgungsvorschriften in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG a.F.) anwendbar. Nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. ist die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelungen in den Sätzen 2 bis 6 erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Hier ist die Tilgung der Straftat vom 8. Dezember 2002 durch die späteren Eintragungen, nämlich die Versagung der Fahrerlaubnis und das strafrechtlich geahndete Fahren ohne Fahrerlaubnis, weiterhin gehemmt. Die Erteilung einer tschechischen Fahrerlaubnis im Jahr 2008 und der Umtausch in eine deutsche Fahrerlaubnis nach § 30 Abs. 1 FeV führen ebenfalls nicht zur Unverwertbarkeit der früheren Eintragungen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris).

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf dessen Nichteignung schließen, wenn sie ihn hierauf in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat (§ 11 Abs. 8 FeV). Der Schluss aus der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (§ 11 Abs. 8 FeV) ist allerdings nur dann zulässig, wenn die von der Fahrerlaubnisbehörde festgelegten, im Gutachten zu klärenden Fragen (§ 11 Abs. 6 FeV) nicht zu beanstanden, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04NJW 2005, 3081; B.v. 11.6.2008 – 3 B 99.07NJW 2008, 3014).

Der Senat versteht die Frage nach körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen des Antragstellers, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können, dahingehend, dass sie nur der Abklärung des nach Nrn. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung erforderlichen Vermögens des Antragstellers dient, das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher zu trennen. Nur insoweit bestanden im Zeitpunkt der Aufforderung zur Gutachtensbeibringung durch die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 10. Februar 2014 hinreichende Anhaltspunkte für Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers und damit für die Abklärung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV. Für das Trennungsvermögen sind auch Befunde des medizinischen Teils der Untersuchung relevant und daher anlassbezogen zu erheben. So können beispielsweise erhöhte Leberlaborwerte oder sonstige alkoholbedingte Körperschäden für einen Alkoholmissbrauch über einen längeren Zeitraum sprechen. Die so zu verstehende Fragestellung ist daher im Rahmen der Abklärung des Trennungsvermögens ohnehin aufgeworfen und damit zwar möglicherweise verzichtbar, aber zur Klarstellung für den Antragsteller und den zu beauftragenden Gutachter hilfreich und damit unschädlich.

Die Anordnung einer darüber hinausgehenden Untersuchung des Antragstellers hinsichtlich sonstiger körperlicher oder geistiger Mängel, die nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zum Ausschluss der Fahreignung führen können, wäre mangels hinreichender Tatsachen im Sinne von § 46 Abs. 3 FeV unzulässig gewesen. Darauf zielt die Fragestellung nach „körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können“, jedoch ersichtlich nicht ab. Auch bestanden zum Zeitpunkt der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit des Antragstellers im Sinne von Nrn. 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung, die eine darauf abzielende Fragestellung und Untersuchung gerechtfertigt hätten. Aufgrund der in der Fragestellung im Wort „insbesondere“ zum Ausdruck kommenden Verknüpfung der beiden Fragenkomplexe geht der Senat jedoch davon aus, dass auch die erste Frage nur der Abklärung des Trennungsvermögens und nicht sonstiger, darüber hinausgehender Mängel im Sinne der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung dienen sollte.

Soweit der Antragsteller geltend macht, der Antragsgegner habe sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, übersieht er, dass § 13 FeV der Fahrerlaubnisbehörde bei der Klärung von Eignungszweifel bei einer Alkoholproblematik kein Ermessen einräumt. Bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss ist nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologisches Gutachtens anzuordnen.

Der Antragsteller hat seine Fahreignung auch nicht wiedererlangt, was im noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen wäre. Von einer Wiedererlangung der Fahreignung ist nach Nr. 8.2 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV auszugehen, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Eine gefestigte Änderung des Trinkverhaltens ist nach Nr. 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, anwendbar ab 1.5.2014) in der Regel anzunehmen, wenn das Alkoholtrinkverhalten ausreichend geändert wurde und die vollzogene Änderung stabil und motivational gefestigt ist. Dies ist nach Nr. 3.13.1 Buchst. b 2. Spiegelstrich der Begutachtungsleitlinien regelmäßig nach einem Jahr Erprobung der neuen Verhaltensweisen anzunehmen. Eine solche gefestigte Verhaltensänderung wird mit dem Gutachten des Dr. S... jedoch nicht festgestellt. Es wird zwar eine Abstinenz seit Januar 2014 anamnestisch bestätigt, gleichzeitig aber auch mangelnde Verträglichkeit von Alkohol durch Provokation von Kopfschmerzen festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass der Antragsteller nach seiner Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme Ende Februar/Anfang März 2014 zuerst nicht abstinent lebte, sondern noch Alkohol konsumierte und dabei starke Kopfschmerzen hervorgerufen wurden. Der Gutachter führt auf den Seiten 7 und 8 dann auch aus, dass der Antragsteller die Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,52 ‰ weiterhin bagatellisiere und er nur davon überzeugt sei, dass zukünftig zwischen Alkoholkonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs ausreichend sicher getrennt werde. Eine stabile und motivational gefestigte und von Einsicht getragene Verhaltensänderung wird damit nicht belegt. Andere Nachweise, dass zumindest seit September 2014 tatsächlich Abstinenz vorliegt und ggf. angesichts des Arbeitsunfalls auch schon nach sechs Monaten eine stabile und motivational gefestigte Verhaltensänderung anzunehmen ist (vgl. Begutachtungsleitlinien Nr. 3.13.1 Buchst. b, 2. Spiegelstrich), wurden nicht vorgelegt. Im Übrigen ist ein Privatgutachten nur zur Erschütterung oder Widerlegung eines von zuständiger Seite erstellten Fahreignungsgutachtens, nicht aber zum positiven Nachweis der Fahreignung geeignet (vgl. BayVGH, B.v. 22.8.2011 – 11 ZB 10.2620 – juris Rn. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).