BGH, Urteil vom 27.01.2015 - II ZR 349/13
Fundstelle
openJur 2015, 6246
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. September 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger zeichnete am 3. März 2004 eine Beteiligung an der Beklagten als atypisch stiller Gesellschafter nach dem Anlagemodell Classic in Höhe von 18.000 € zuzüglich eines Agios in Höhe von 1.080 €.

Mit seiner Klage hat der Kläger im Wege des Schadensersatzes Rückabwicklung seiner Beteiligung mit der Begründung verlangt, er sei bei seinem Beitritt nicht hinreichend aufgeklärt worden, weil der Emissionsprospekt der Beklagten erhebliche Fehler aufweise und bei der Beratung durch den Vermittler die Anlage als zur Altersvorsorge geeignete und sichere Kapitalanlage empfohlen worden sei. Hilfsweise hat er nach der Erklärung des Widerrufs der Beteiligung die Berechnung und Zahlung seines Auseinandersetzungsguthabens aus der stillen Gesellschaftsbeteiligung begehrt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei mit den Hauptanträgen schon deshalb unbegründet, weil dem Kläger ein Anspruch auf Rückabwicklung der atypisch stillen Beteiligung unabhängig von der Frage des Vorliegens von Prospektfehlern grundsätzlich nicht zustehe. Bei der Beklagten handele es sich um eine mehrgliedrige atypisch stille Gesellschaft, auf die die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft wie bei einer Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG mit der Folge anzuwenden seien, dass der einzelne Gesellschafter gegen die Gesellschaft grundsätzlich nur einen etwaigen Abfindungsanspruch geltend machen könne.

Der Kläger könne sein Rückabwicklungsbegehren auch nicht mit Erfolg auf den Widerruf der Beteiligung stützen. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Widerrufsrecht bestanden habe und es rechtzeitig ausgeübt worden sei, führe auch der Widerruf nur zu einer Beendigung der Beteiligung ex nunc. Im Übrigen liege auch kein wirksam erklärter Widerruf vor, weil die Widerrufsbelehrung nicht zu beanstanden sei. Selbst wenn dem Kläger ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt worden sein sollte, hätte er dieses nicht rechtzeitig ausgeübt.

Die hilfsweise erhobene Stufenklage sei daher ebenfalls unbegründet, weil dem Kläger zumindest im Zeitpunkt des von ihm erklärten Widerrufs ein Widerrufsrecht nicht mehr zugestanden habe. Eine Umdeutung der Widerrufserklärung in eine Kündigung aus wichtigem Grund komme nicht in Betracht. Die Widerrufserklärung sei ausschließlich darauf gestützt worden, dass dem Kläger aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung in der Beitrittserklärung ein Widerrufsrecht zugestanden habe. Ein sachlicher Zusammenhang dieser Widerrufserklärung mit einem Kündigungsrecht des Klägers aus wichtigem Grund unter dem gänzlich abweichenden rechtlichen Gesichtspunkt etwaiger Willensmängel seiner Beitrittsentscheidung sei nicht erkennbar.

II. Die Revision des Klägers ist begründet.

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien kein bloß zweigliedriges Gesellschaftsverhältnis zustande gekommen ist, sondern der Kläger einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft beigetreten ist, bei der nach Invollzugsetzung für den Fall etwaiger anfänglicher Mängel die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden, ist zwar aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wie der Senat für die vorliegende Beteiligungsgestaltung bereits entschieden hat (vgl.

BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 - II ZR 376/13 Rn. 11 f. unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 17 ff.; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 320/12, juris, Rn. 14 ff.). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Annahme eines mehrgliedrigen stillen Gesellschaftsverhältnisses allein auf die Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ankommt und es entgegen der Auffassung der Revision nicht erforderlich ist, dass im Gesellschaftsvertrag das Wort "mehrgliedrig" ausdrücklich aufgeführt wird, wie es in der Entscheidung des Senats vom 19. November 2013 - II ZR 383/12 (BGHZ 199, 104 Rn. 18) der Fall war.

Den Regelungen des zwischen den Anlegern und der Beklagten hier vereinbarten atypisch stillen Gesellschaftsvertrags (im Folgenden: GV) hat das Berufungsgericht mit Recht das Vorliegen eines mehrgliedrigen Innenverbands entnommen. So werden insbesondere nach den §§ 7, 8 GV Gesellschaftsbeschlüsse in Gesellschafterversammlungen oder im schriftlichen Beschlussverfahren gefasst, wobei die Beklagte als Geschäftsinhaberin je volleingezahlte zehn Euro ihres Grundkapitals eine Stimme hat (§ 7 Nr. 3 GV). Nach § 6 Nr. 1 Satz 1 GV steht die Geschäftsführung zwar allein der Geschäftsinhaberin zu. Für im Einzelnen aufgeführte, über den laufenden Betrieb hinausgehende Maßnahmen bedarf die Beklagte aber eines zustimmenden Gesellschaftsbeschlusses nach § 7 GV. Die Gesellschaft hat weiter einen Anlageausschuss, der die Geschäftsführung der Geschäftsinhaberin überwacht und dessen (drei) Mitglieder durch Gesellschaftsbeschluss gewählt werden (§ 9 GV). Ferner hat nach § 16 Nr. 4 GV die Kündigung eines stillen Gesellschafters (oder der Geschäftsinhaberin) nicht die Auflösung der atypisch stillen Gesellschaft insgesamt, sondern lediglich das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters zur Folge. Der Umstand, dass die stillen Gesellschafter sich von vornherein mit unterschiedlichen Laufzeiten an der Gesellschaft beteiligen und ihr Gesellschaftsverhältnis unabhängig von den anderen Gesellschaftern gesondert beenden können, führt entgegen der Ansicht der Revision nicht zur Annahme bloß zweigliedriger Gesellschaftsverhältnisse.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft aber einen Anspruch des Klägers auf Ersatz von Vermögensschäden, die ihm - nach seinem Vorbringen - durch pflichtwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit seinem Beitritt zur Gesellschaft entstanden sind, nicht von vornherein aus. Auch bei Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kann, wie der Senat in den Entscheidungen vom 19. November 2013 ausgeführt hat, der Anleger, der sich an einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft beteiligt hat, das stille Gesellschaftsverhältnis unter Berufung auf den (behaupteten) Vertragsmangel durch sofort wirksame Kündigung beenden und unter Anrechnung des ihm bei Beendigung seines (fehlerhaften) Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls zustehenden Abfindungsanspruchs von dem Geschäftsinhaber Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens verlangen, wenn dadurch die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht gefährdet ist (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 28 ff.).

3. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger nach diesen Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht, hat das Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht geprüft. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage daher keinen Bestand haben. Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

Da in der Erklärung eines Gesellschafters, seinen Beitritt mit rückwirkender Kraft beseitigen zu wollen, in der Regel sein Wille zum Ausdruck kommt, die Bindung an die Gesellschaft und die Mitgesellschafter jedenfalls mit sofortiger Wirkung zu beenden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1974 - II ZR 27/73, BGHZ 63, 338, 344 f.; Urteil vom 16. Dezember 2002 - II ZR 109/01, BGHZ 153, 214, 223), kann auch im vorliegenden Fall bereits in der Klageerhebung eine Kündigung des (stillen) Gesellschaftsverhältnisses durch den Kläger gesehen werden. Dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch nicht unter Anrechnung eines etwaigen Abfindungsguthabens berechnet hat, rechtfertigt eine (vollständige) Abweisung der Klage nicht, weil der Geschädigte nicht ohne weiteres an eine von ihm ursprünglich gewählte Art der Schadensberechnung gebunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 4 mwN) und dem Kläger daher Gelegenheit gegeben werden muss, sein Klagevorbringen an die in den Vorinstanzen nicht erörterten rechtlichen Vorgaben der Senatsentscheidungen vom 19. November 2013 anzupassen.

Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts und des Vorbringens der Parteien kann auch nicht angenommen werden, dass einem über einen Abfindungsanspruch hinausgehenden Schadensersatzbegehren des Klägers zur Sicherung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter der Erfolg zu versagen wäre. Ob und in welcher Höhe solche (hypothetischen) Ansprüche der anderen stillen Gesellschafter bestehen und aus dem Vermögen der Beklagten befriedigt werden können, steht nicht fest und müsste gegebenenfalls die Beklagte darlegen und beweisen, wenn sie sich einem Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber darauf berufen wollte, dieser sei wegen einer Gefährdung der Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter zumindest gegenwärtig nicht oder nicht in voller Höhe durchsetzbar. Im Übrigen wäre selbst für den Fall des Bestehens eines solchen Hindernisses das auf Zahlung eines bestimmten Schadensersatzbetrages gerichtete Leistungsbegehren des Klägers dahin auszulegen, dass jedenfalls die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe begehrt wird. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gegeben sind, stünde der Umstand, dass das Vermögen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zur Befriedigung etwaiger (hypothetischer) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche und des Schadensersatzanspruchs nicht ausreichte, einer Feststellung seines Bestehens nicht entgegen.

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die bislang offen gebliebenen Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruchs treffen kann. Soweit der Kläger neben Aufklärungspflichtverletzungen im Rahmen des mit dem Vermittler geführten Beratungsgesprächs auch fehlerhafte oder unvollständige Angaben im Emissionsprospekt geltend gemacht hat, wird auf die Beschlüsse des Senats vom 23. September 2014 - II ZR 314/13, juris Rn. 14 ff. und II ZR 317/13, juris Rn. 14 ff. hingewiesen.

Bergmann Caliebe Drescher Born Sunder Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 21.12.2012 - 326 O 47/12 -

OLG Hamburg, Entscheidung vom 27.09.2013 - 11 U 19/13 -

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