OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2014 - 26 U 44/14
Fundstelle
openJur 2015, 6150
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Februar 2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilig andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund einer behaupteten physiotherapeutischen Fehlbehandlung.

Der Kläger litt im April 2008 unter Verspannungen im Rücken- und Nackenbereich. Der Streithelfer verordnete ihm deswegen Krankengymnastik, die der Kläger in der Praxis der Beklagten von den Zeuginnen W und N durchführen ließ. Die ersten Behandlungen am 06.05. und 08.05.2008 führte die Zeugin W durch, eine weitere Behandlung erfolgte am 13.05.2008 durch die Zeugin N und am 19.05.2008 nochmals durch die Zeugin W.

Nach der letzten Behandlung verspürte der Kläger schließlich ein Kribbeln in der linken Körperhälfte, so dass er zum Streithelfer fuhr. Beim Aussteigen stürzte er zweimal zu Boden und musste auf allen Vieren zu dessen Tür krabbeln. Zu diesem Zeitpunkt waren auch bereits Lähmungserscheinungen auf der linken Gesichtshälfte eingetreten. Der Streithelfer alarmierte wegen des Verdachtes auf einen Schlaganfall den Rettungswagen, der den Kläger in das Klinikum nach O verbrachte. Dort wurde eine Dissektion der Arteria vertebralis festgestellt, die zu einem Hirninfarkt geführt hatte. Am 06.06.2008 konnte der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen werden. Es schloss sich sodann eine Reha-Behandlung in D bis zum 24.07.2008 an. Wegen eines Schwächeanfalls musste der Kläger nochmals stationär ins Klinikum O. Danach erfolgte vom 01.08. bis zum 19.12.2008 eine ambulante Reha-Behandlung.

Der Kläger begann sodann eine Umschulung vom Tischler zum Groß- und Außenhandelskaufmann, die er erfolgreich abschloss, so dass er mittlerweile bei der F - Gruppe tätig ist.

Mit der Begründung, dass am 13.05.2008 durch die Zeugin N ein unzulässiges Einrenkmanöver durchgeführt worden sei und auch die in der Ergänzungssitzung durchgeführten Maßnahmen nicht fachgerecht ausgeführt worden seien, hat der Kläger Ansprüche gegen die Beklagte erhoben. Die Beklagte habe die Zeuginnen nicht unbeaufsichtigt tätig werden lassen dürfen. Zudem sei er auch nicht auf die entsprechenden Risiken aufmerksam gemacht worden. Die fehlerhafte Behandlung habe dazu geführt, dass er seine linke Hand nicht mehr richtig einsetzen könne und der Einbeinstand links nur noch rudimentär möglich sei. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger Schadensersatz u.a. wegen Einkommensverlust und Haushaltsführung sowie Fahrtkosten, Zuzahlungen für therapeutische und ärztliche Maßnahmen in Höhe von insgesamt 85.658,08 €, ein Schmerzensgeld von mindestens 110.000 €, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 100 €, Feststellung der Ersatzverpflichtung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten von 4.907,56 € verlangt.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der bei beiden behandelnden Physiotherapeutinnen sowie sachverständig beraten durch Dr. C die Klage abgewiesen, weil man keine unzulässigen Behandlungsmethoden feststellen könne und der erlittene Infarkt aufgrund der Dissektion der Arterie auch anlagebedingte Ursachen haben könne, die entweder aufgrund der Behandlungen oder auch durch eine normale Kopfbewegung ausgelöst worden sein könnten.

Aufklärungspflichtverletzungen lägen nicht vor. Zum einen bestehe keine Pflicht der Beklagten über Risiken aufzuklären, weil diese nur der behandelnde Arzt schulde. Zum anderen hätten die Physiotherapeuten auch keine eigene Anamnese durchführen müssen, sondern sich auf die Verordnung des Arztes verlassen können.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Er meint, dass der Zeugin N schon deswegen nicht zu folgen sei, weil sie Berufsanfängerin gewesen sei. Vor diesem Hintergrund könne sie auch gar nicht von einem Behandlungsschema sprechen, dem sie immer folge. Sie habe auch keine Zusatzbezeichnung für "manuelle Therapie" und habe nach eigenen Angaben auch keinen Probezug durchgeführt, was der Sachverständige aber für erforderlich gehalten habe. Es sei auch offen geblieben, ob die Zeugin angesichts ihrer Ausbildung überhaupt diese Therapie hätte durchführen dürfen. Es habe sich dabei um einen besonders aufklärungspflichtigen Bereich gehandelt.

Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Landgericht die Angaben der Zeugin für brauchbar gehalten habe, obwohl diese erhebliche Erinnerungslücken gehabt hätten.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und nach seinen in der

Schlussverhandlung gestellten Anträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Streithelfer beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beide verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere die gestellten Anträge, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Senat hat die Parteien sowie den Sachverständigen Dr. C nochmals angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 19.12.2014 verwiesen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht Ansprüche des Klägers verneint, weil er keine Fehlbehandlungen in der Praxis der Beklagten nachweisen kann und zudem keine Aufklärungspflichtverletzung vorliegt.

Auch nach nochmaliger Anhörung des Sachverständigen kann eine unzulässige und unfachmännische Behandlung in Form einer Manipulation nicht festgestellt werden.

Der Sachverständige hat nochmals bestätigt, dass er weder aus der Dokumentation, dem Entlassbrief des Krankenhauses O noch aus den beiden Zeugenaussagen eine fehlerhafte Behandlung entnehmen kann. Die Darstellung der Behandlungsweise durch die Zeugin N am 13.05.2008 kann sowohl eine unzulässige Manipulation als auch eine zulässige Mobilisation gewesen sein, weil es sich dabei lediglich um eine Änderung der technischen Ausführung handelt. Während beide Zeuginnen aufgrund ihrer Ausbildung die von ihnen dargestellten Mobilisationsmaßnahmen ausführen dürfen, ist eine Manipulation ausschließlich Ärzten vorbehalten. Auch aus der Angabe der Zeugin N für den 13.05.2008 hat er nicht auf eine Manipulation schließen können. Die Zeugin hat vielmehr in richtiger Weise den Probezug, den Release, vorgenommen, bevor sie mit ihrer Behandlung begonnen hat. Nach Angaben des Sachverständigen sind nämlich dabei geäußerte Schmerzangaben ein Warnsignal. Tatsächlich lassen sich bei diesem Probezug aber entsprechenden Schmerzäußerungen weder aus der Darstellung des Klägers selbst noch aus den Bekundungen der Zeugin N entnehmen. Mit Ausnahme des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Behandlung und Dissektion mit Hirninfarkt hat der Sachverständige keinerlei Anhaltspunkte dafür finden können, dass in der Praxis der Beklagten tatsächlich eine unzulässige Manipulation ausgeführt wurde. Insoweit hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass die vom Kläger zuvor beklagten Beeinträchtigungen schon ein Hinweis auf eine stattgefundene Schädigung der Arterie gewesen sein können.

Soweit sich aus dem Entlassbrief des O Krankenhauses eine weitere Behandlung vom 16.05.2008 mit einem Einrenkmanöver ergibt, lässt sich aus der vorliegenden Karteikarte der Beklagten ein solches Behandlungsdatum für den Kläger nicht finden. Ein solches Datum ist ursprünglich vom Kläger auch nicht behauptet worden, der sich auch im Senatstermin diesbezüglich nicht sicher war.

Soweit der Kläger behauptet hat, dass er anlässlich der Behandlung am 19.05.2008 von Schmerzen anlässlich der vorhergehenden Behandlung berichtet hat, hat sich die Zeugin W daran nicht erinnern können, aber angegeben, dass sie bei besonderen Schmerzangaben Rücksprache mit der Zeugin N gehalten hätte. Der Sachverständige hat sich zudem dahingehend geäußert, dass er bei einer zwei- bis dreimaligen Behandlung und fortbestehenden Schmerzen noch keine Rücksprache mit dem verordnenden Arzt für erforderlich hält, solange es nicht zu einer Verschlechterung kommt. Eine solche Verschlechterung lässt sich aber weder aus der Dokumentation noch aus den Zeugenaussagen entnehmen.

Der Beklagten kann auch kein Vorwurf wegen einer fehlenden Aufklärung gemacht werden; denn der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass eine gesunde Arterie durch eine Mobilisation nicht geschädigt werden kann. Vor diesem Hintergrund hat er auch eine Aufklärung nicht für erforderlich gehalten. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung (OLG Jena, Urteil vom 18.05.2005, 4 U 641/04 mit Beschluss BGH vom 10.01.2006, VI ZR 110/05).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.

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