OLG Bamberg, Beschluss vom 23.02.2015 - 3 OLG 8 Ss 126/14
Fundstelle
openJur 2015, 5531
  • Rkr:

Wird die Berufung eines Mitangeklagten durch ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, steht seiner Vernehmung als Zeuge in der Berufungsinstanz nicht länger ein Beweiserhebungsverbot entgegen mit der Folge, dass ein auf Vernehmung des mit Erlass des Verwerfungsurteils aus dem bislang gemeinsamen Verfahren ausgeschiedenen Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag des Angeklagten nicht allein deshalb nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig abgelehnt werden darf (Anschluss an OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.11.2001 - 1 Ss 66/01 [bei juris] = NdsRpfl 2002, 64).

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 20. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 08.11.2012 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Gegen die zusammen mit dem Angeklagten in derselben, mit Beschluss des Amtsgerichts vom 02.07.2012 zugelassenen Anklageschrift vom 17.04.2012 angeklagten beiden Mittäterinnen verhängte es wegen Diebstahls (Angeklagte M.) bzw. wegen Diebstahls in zwei Fällen (Angeklagte A.) eine Freiheitsstrafe von neun Monaten bzw. eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Daneben ordnete es gegen den Angeklagten und die beiden ehemals Mitangeklagten die Einziehung der zur Tatbegehung benutzten Mobiltelefone nebst SIM-Karten an. Die gegen das erstinstanzliche Urteil seitens des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, eingelegten Berufungen hat das Landgericht mit Urteil vom 20.06.2014 jeweils als unbegründet verworfen, während es die auch von der ehemals Mitangeklagten M. eingelegte Berufung schon zuvor, nämlich am 05.06.2014 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen hat, weil die Mitangeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung am 05.06.2014 erschienen war. Die weitere Mitangeklagte A. hat das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten. Mit seiner gegen das Berufungsurteil vom 20.06.2014 eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Verfahrensrüge beanstandet er die Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO bei der Ablehnung seines Antrags auf Einvernahme der Mitangeklagten M. als Zeugin zur Schuldfrage.

II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Revision ist aufgrund der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO formgerecht ausgeführten Verfahrensrüge erfolgreich und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; auf die mit der Sachrüge vorgebrachten weiteren Beanstandungen der Revision kommt es deshalb nicht mehr an.

1. Das Landgericht hätte den in der Hauptverhandlung vom 17.06.2014 gestellten Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der (früheren) Mitangeklagten als Zeugin nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig ablehnen dürfen.

a) Zwar ist die Berufungskammer zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag deshalb als unzulässig im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abzulehnen ist, weil ein Mitangeklagter nicht zugleich Zeuge sein kann. Denn der Erhebung des begehrten Zeugenbeweises steht in diesem Fall ein Beweiserhebungsverbot entgegen (BGH NStZ 2011, 168 = StraFo 2011, 90; KK/Krehl StPO 7. Aufl. § 244 Rn. 109; Meyer-Goßner/Schmitt stop 57. Aufl. § 244 Rn. 49; LR/Becker StPO 26. Auf. § 244 Rn. 189, jeweils m.w.N.). Allerdings war im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungskammer über den Beweisantrag die frühere Mitangeklagte wegen des erlassenen Urteils nach § 329 Abs. 1 StPO bereits aus dem Verfahren ausgeschieden und konnte deshalb als Zeugin vernommen werden.

b) Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung und zutreffender Ansicht im Schrifttum kommt es für die Frage, ob jemand Mitangeklagter ist und deshalb als Zeuge ausscheidet, ausschließlich auf die prozessuale Gemeinsamkeit an (BGHSt 10, 8/11 f.; 10, 186/187 ff; 18, 238/240; 27, 139/141; LR/Ignor/Bertheau Vor § 48 Rn. 33 f.; KK/Senge Vor § 48 Rn. 7 ff.). Nur solange diese Klammer besteht, scheidet die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge aus (BGHSt 10, 8/11 f.; BGH NJW 1964, 1034; NStZ 1984, 464 = NJW 1985, 76 = StV 1984, 361; KK/Senge Vor § 48 Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt vor § 48 Rn. 21 f.; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl. Rn. 322; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 9. Aufl. Rn. 1005, 927 ff., jeweils m.w.N.).

c) Das Landgericht hat diese Grundsätze im Ansatz nicht verkannt. Allerdings hat es dann in rechtfehlerhafter Weise darauf abgehoben, dass die prozessuale Gemeinsamkeit noch bestehe, weil ein Beschluss über die Abtrennung des Verfahrens nicht erlassen worden sei. Durch diese zu enge, mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht in Einklang stehende Ansicht hat es sich den Blick auf eine zutreffende Einordnung der Zeugeneigenschaft verstellt. Es entspricht zwar höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch einen Abtrennungsbeschluss aufgehoben wird. Indes hat der Bundesgerichtshof auch stets explizit betont, dass die Abtrennung des Verfahrens nur ein Beispiel sei, durch welches die prozessuale Gemeinsamkeit aufgelöst werde (vgl. BGH a.a.O.; ebenso: KK/Senge Vor § 48 Rn. 8). Es versteht sich gleichsam von selbst, dass ein Abtrennungsbeschluss zur Aufhebung der prozessualen Verbindung dann nicht erforderlich ist, wenn gegen den bisherigen Mitangeklagten ein Urteil ergangen ist. Denn durch diese Entscheidung ist der Mitangeklagte aus dem bis dahin gemeinsam geführten Verfahren ausgeschieden, sodass für einen Abtrennungsbeschluss deshalb schon gar kein Raum mehr bestünde. Der Senat teilt deshalb die in Judikatur und Schrifttum vertretene Ansicht, dass die prozessuale Gemeinsamkeit mit dem Erlass eines Urteils gegen einen Mitangeklagten beseitigt ist (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.11.2001 – 1 Ss 66/01 [bei juris] = NdsRpfl 2002, 64; KK/Senge Vor § 48 Rn. 8). Dies war hier mit dem gegen die Mitangeklagte verkündeten Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO der Fall. Darauf, dass das Verwerfungsurteil gegen die Mitangeklagte vom 05.06.2014 noch keine Rechtskraft erlangt hatte und auch eine Wiedereinsetzung nach § 329 Abs. 4 StPO möglich war, kommt es entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht an. Der Erlass des Urteils gegen die Mitangeklagte bewirkte eine Trennung der Verfahren, was sich allein daran zeigt, dass gegen den Angeklagten weiter verhandelt wurde, während das Verfahren gegen die frühere Mitangeklagte einen gänzlich anderen Verlauf nahm. Die prozessuale Gemeinsamkeit war damit ohne jeden Zweifel beendet und hätte allenfalls – nach Eintritt künftiger, im Zeitpunkt der Entscheidung über den Beweisantrag noch ungewisser Ereignisse, wie etwa die Aussetzung des Verfahrens gegen den Angeklagten und die Gewährung von Wiedereinsetzung nach § 329 Abs. 4 StPO in Bezug auf die frühere Mitangeklagte – erst später wieder hergestellt werden können.

2. Das von der Revision mitgeteilte Beweisbegehren der Verteidigung vom 17.06.2014 enthält zumindest in seinen Ziffern 4. und 5. über die schlichte Benennung des bloßen Beweisziels hinausgehende, hinreichend bestimmte und damit dem Zeugenbeweis zugängliche Beweisbehauptungen im Sinne eines Beweisantrags, über die deshalb nach den Regeln des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu befinden gewesen wäre.

3. Nach Sachlage kann der Senat nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags als unzulässig beruht (§ 337StPO).

III.

Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensfehler ist das angefochtene Urteil einschließlich sämtlicher Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

IV.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.