FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2015 - 7 K 7250/13
Fundstelle
openJur 2015, 5419
  • Rkr:

Zu den Kriterien, aufgrund derer von einer Zahlungsunfähigkeit ausgegangen werden kann, die Anlass für eine Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gibt.

Tenor

Die Umsatzsteuer 2006 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2006 vom 06.04.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.07.2013 auf -90.123,20 € festgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob während des Bestehens einer umsatzsteuerlichen Organschaft Vorsteuer einer Organgesellschaft gemäß § 17 Umsatzsteuergesetz -UStG- zu berichtigen ist.

Die Klägerin ist eine Handelsgesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter die B… GmbH als Komplementärin und die Herren C… mit einer anteiligen Einlage von 51 % und D… mit einer anteiligen Einlage von 49 % als Kommanditisten waren. C… und D… waren allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer der B… GmbH.

Bereits seit dem 02.03.2000 bestand eine E… GmbH, deren allein vertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführer C… (mit einer anteiligen Einlage von 51 %) und D… (mit einer anteiligen Einlage von 49 %) waren. Diese betrieb die Planung, Konstruktion, Entwicklung, Berechnung sowie die Herstellung und Montage von Metallkonstruktionen sowie den Handel mit den dazu gehörenden Gegenständen.

Aufgrund eines Kaufvertrags vom 06.12.2004 erwarb die Klägerin das Grundstück F…-Str. in G…, das sie an die E… GmbH vermietete.

Am 29.09.2006 änderte die Gesellschafterversammlung der Klägerin deren Gesellschaftsvertrag dahingehend, dass nunmehr Beschlüsse der Einstimmigkeit bedürfen. Mit Vertrag vom 29.09.2006 und schuldrechtlicher Wirkung mit Ablauf des 30.09.2006 erwarb die H… GmbH den Kommanditanteil des D… in der Weise, dass D… den Anteil ab dem 01.10.2006 treuhänderisch für die H… GmbH hielt (s. VertragsA). Gesellschafter der H… GmbH war die I… GmbH, ab 07.06.2007 die J… GmbH. Geschäftsführer war zwischenzeitlich ein im Handelsregister nicht eingetragener Geschäftsführer namens K…, später ein Herr L…. K… wurde auch bei der B… GmbH am 29.09.2006 anstelle von C… und D… als Geschäftsführer bestellt  (Bl. 19 Rechtsbehelfsakte -RbA- I, am 06.11.2006 eingetragen).

Am 15.09.2006 kündigte der Geschäftsführer der E… GmbH auf einer Betriebsversammlung an, dass wegen verzögerter Bauausführungen bei verschiedenen Projekten die Löhne der sog. gewerblichen Arbeitnehmer nicht fristgerecht zum 15.09.2006 gezahlt werden könnten. Diese sollten aus einem beantragten Kredit gezahlt werden. Am 20.09.2006 bat die E… GmbH die Krankenkassen ihrer Arbeitnehmer, von der Abbuchung der September- und Oktoberbeiträge bis zum Ende der 42. Kalenderwoche (deren Freitag war der 20.10.2006) Abstand zu nehmen. Dem kamen die Krankenkassen nach. Am 07.10.2006 wurde die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.

Aus der nachfolgenden Aufstellung ergibt sich, in welcher Größenordnung die Fälligkeit der im Regelbesteuerungsverfahren (kein § 13b UStG) vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten am 30.06.2006 und 30.09.2006 zurücklag (unter Einbeziehung von Gewährleistungseinbehalten):

        30.06.2006        30.09.2006        fällig länger 6 Monate6.683,40 €1,23%11.964,10 €2,20%fällig länger 3 Monate16.189,83 €2,99%47.159,06 €8,67%fällig länger 1 Monat296.494,98 €54,73%318.884,08 €58,65%fällig kleiner 1 Monat222.351,43 €41,05%165.732,56 €30,48%        541.719,64 €        543.739,80 €        Wegen der weiteren Einzelbeträge nimmt das Gericht auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.08.2014 übersandten Tabellen (Bl. 77 ff. Gerichtsakte -GA-) Bezug.

Am 16.10.2006 stellte die E… GmbH einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in dem C… und D… angaben, dass die E… GmbH bei einem Großvorhaben unvergütete Ersatzmaßnahmen habe durchführen müssen, die zu einem weitgehenden Umsatzausfall in den Monaten August und September 2006 geführt hätten. Gleichwohl seien für Folgeaufträge Materialien bestellt und geliefert worden. Dies habe dazu geführt, dass die Ausgaben die Einnahmen bei Weitem überstiegen und dass bei der E… GmbH die Zahlungsunfähigkeit drohe. Ebenfalls am 16.10.2006 ordnete das Amtsgericht G… die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Wegen des Inhalts des Insolvenzgutachtens nimmt das Gericht auf Bl. 36 ff GA Bezug. Am 01.12.2006 eröffnete das AG G… das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E… GmbH, das am 20.11.2014 nach Vornahme der Schlussverteilung aufgehoben wurde.

Die Beteiligten gingen (ausgehend von Abschn. 21 Abs. 4 Satz 5 Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR- 2005) übereinstimmend davon aus, dass die E… GmbH vom 01.05.2005 bis zum 30.09.2006 Organgesellschaft der Klägerin war. Im Wege einer konkludenten Billigkeitsregelung gemäß § 163 Abgabenordnung -AO- werden die Grundsätze des Abschn. 21 Abs. 4 Satz 5 UStR ungeachtet der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung (vgl. insbesondere Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 01.12.2010 XI R 43/08, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 232, 550, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2011, 600) und Verwaltungsanweisungen (Bundesministerium der Finanzen -BMF-, Schreiben vom 05.07.2011, BStBl I 2011, 507) auf den Streitfall angewendet (vgl. die Verfügung des Vorsitzenden vom 19.11.2014 und die darauf erfolgten Äußerungen der Beteiligten vom 01.12.2014 und 08.12.2014).

Im Jahre 2007 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Umsatzsteuersonderprüfung durch, die u.a. das Streitjahr umfasste. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass die von der E… GmbH laut einer Offenen-Posten-Liste auf den 30.11.2006 nicht bezahlten Eingangsrechnungen Anlass zu einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 UStG in Höhe von 81.085,89 € gäben.

Davon ausgehend erließ der Beklagte am 14.06.2007 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid September 2006, gegen den die Klägerin zunächst Einspruch und sodann beim erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 7 K 7313/08 Untätigkeitsklage erhob. Während des Klageverfahrens stimmte der Beklagte am 24.02.2010 der (ohne die Berücksichtigung des streitigen Berichtigungsbetrags erstellten) Umsatzsteuererklärung 2006 zu, worauf die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärten.

Am 06.04.2010 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2006, mit dem die Jahresfestsetzung dem Ergebnis der Umsatzsteuer-Sonderprüfung angepasst (Minderung der Vorsteuer um 81.058,33 €) und die Umsatzsteuer auf -10.979,13 € festgesetzt wurde. Dagegen legte die Klägerin am 23.04.2010 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24.07.2013 als unbegründet zurückwies.

Darauf hat die Klägerin am 14.08.2014 Klage erhoben.

Sie macht geltend, der Beklagte habe ihre Vorsteuer zu Unrecht nach § 17 UStG berichtigt. Die E… GmbH habe in den Monaten Juni 2006 bis September 2006 monatlich zwischen 191.196,51 € und 328.566,11 € getilgt (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 6 der Klageschrift, Bl. 15 GA) und habe noch am 22.09.2006 eine Zusage für eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 150.000,- € erhalten. Sie sei daher nicht zahlungsunfähig gewesen. Nach einer Zwischenbilanz auf den 30.06.2006 (Bl. 58 ff. GA 7 K 7313/08) sei die E… GmbH auch nicht überschuldet gewesen. Der Anstieg der Verbindlichkeiten sei darauf zurückzuführen gewesen, dass die E… GmbH seit 2004 durch einen Zuwachs an Mitarbeitern und Umsätzen gewachsen sei. Es habe nur eine gewisse finanzielle Enge bestanden, die aber aufgrund von Stundungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern und Krankenkassen nicht mit einer Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen sei. Nach dem seinerzeit erstellten Finanzplan habe die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit erst für einen Zeitpunkt nach dem 16.10.2006 bestanden. Erst durch die Verzögerung verschiedener anderer Baumaßnahmen wegen verzögerter Bereitstellung von Vorgewerken habe sich eine Finanzlücke aufgetan, die auch durch die beantragten Kredite nicht habe geschlossen werden können. Jedenfalls habe die Bank den Kreditantrag nur schleppend bearbeitet, so dass zum Ende der 42. Kalenderwoche keine Auszahlung des Kredits zu erwarten gewesen sei. Eine Tilgung der dann fälligen Sozialversicherungsbeiträge und Löhne sei ohne den Kredit nicht möglich gewesen. Daher sei – mutmaßlich in der Arbeitswoche vor dem 16.10.2006 – die Entscheidung gefallen, wegen drohender Zahlungsunfähigkeit den Insolvenzantrag zu stellen. Damit habe die Geschäftsführung der E… GmbH das Ziel verfolgt, sich vor strafrechtlichen Risiken abzusichern. Der Kreditantrag habe weiterhin verfolgt werden sollen. Erst durch weitere Verzögerungen, insbesondere bei dem Projekt X…, habe bei Erstellung des Insolvenzgutachtens festgestanden, dass eine Fortführung des Unternehmens aussichtslos gewesen sei. Schon seit August 2006 seien Gespräche mit Investoren über einen Einstieg in die Unternehmensgruppe der Klägerin geführt worden, u.a. weil D… schon damals mittelfristig aus dem Unternehmen ausscheiden wollte, um attraktiven Angeboten aus dem Ausland nachzugehen. Dies habe er nach dem Streitjahr umgesetzt und sich für einige Jahre in Dubai beruflich und familiär ansässig gemacht. Mit dem Einstieg der H… GmbH sei mangels personeller Verflechtung die umsatzsteuerliche Organschaft zum 30.09.2006 weggefallen.

Die Klägerin beantragt,abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 06.04.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.07.2013 die Umsatzsteuer (gemindert um 81.058,33 €) auf -92.037,46 € festzusetzen,die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären,hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet. Anlass für eine Berichtigung gemäß § 17 UStG bestehe nicht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits dann, wenn sich aus den Gesamtumständen ergebe, dass der Steuerpflichtige seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht mehr nachkommen könne oder werde. Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen werde deutlich, dass die E… GmbH bereits seit Juli oder August 2006 als zahlungsunfähig anzusehen gewesen sei. Die Verbindlichkeiten ab Juli 2006 hätten monatlich 172.500,20 € und mehr betragen. Es sei davon auszugehen, dass Löhne und Gehälter seit Juli/August 2006 rückständig gewesen seien. Ferner hätten öffentliche Abgaben in Höhe von mehr als 100.000,- € zum Soll gestanden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Daher habe der leistende Unternehmer bereits im September 2006 nicht mehr davon ausgehen können, seine Entgeltforderung durchzusetzen. Dem stehe das Bürgschaftsangebot nicht entgegen, da es zu keiner Ausreichung von Kreditmitteln gekommen sei. Da die wesentliche Insolvenzursache – die unbezahlten Ersatzmaßnahmen und der damit einhergehende Umsatzausfall in den Monaten Juli und August 2006 – bereits vor dem 30.09.2006 gesetzt worden war, gelte dies auch für die Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 UStG. Dem entsprechend sei die Berichtigung noch vor der Beendigung der Organschaft zum 30.09.2006 vorzunehmen gewesen und anzunehmen, dass die personellen Veränderungen in der Unternehmensgruppe vorgenommen wurden, um die umsatzsteuerliche Organschaft zu beenden.

Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 7 K 7313/08 sowie zwei Bände Rechtsbehelfsakten, je ein Band Umsatzsteuer-, Umsatzsteuer-Voranmeldungs-, Umsatzsteuersonderprüfungs-, Bilanz- und Vertragsakten, ferner eine Heftung Prüferhandakten, die vom Beklagten für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden, vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist im Wesentlichen begründet.

Die Klägerin wird i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- insoweit in ihren Rechten verletzt, als der Beklagte Vorsteuer in Höhe von mehr als 1.914,26 € gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berichtigt hat.

I. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass die E… GmbH im Streitjahr bis zum 30.09.2006 Organgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 UStG der Klägerin war. Die möglicherweise fehlende finanzielle Verflechtung ist unerheblich, weil nach der gemäß § 163 AO ergangenen Billigkeitsregelung die Gesellschafteridentität insoweit für das Gericht bindend als ausreichend anzusehen ist. Diese Organschaft entfiel ab dem 01.10.2006, weil es jedenfalls an der erforderlichen personellen Verflechtung fehlte, nachdem K… zum Geschäftsführer der B… GmbH, jedoch nicht der E… GmbH bestellt worden war. Für eingehende Weisungsrechte der Klägerin oder der B… GmbH gegenüber C… und D… in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der E… GmbH ist nichts ersichtlich. Ferner stellt das Unterschreiben von Steuererklärungen für zurückliegende Jahre noch keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür dar, dass anstelle des K… der C… der faktische Geschäftsführer der B… GmbH war.

II. 1. Schließlich gehen die Beteiligten zu Recht davon aus, dass eine nach dem 30.09.2006 eintretende Uneinbringlichkeit von Entgelten i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht auf den Zeitraum der Organschaft zurückwirkt (BFH, Urteil vom 07.12.2006 V R 2/05 BFHE 216, 375, BStBl II 2007, 848).

Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass sämtliche zum 30.09.2006 fälligen vorsteuer-belasteten Verbindlichkeiten i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich waren. Dieses lässt sich nur für die Verbindlichkeiten feststellen, die länger als 6 Monate fällig waren (11.964,10 €).

Nach ständiger Rechtsprechung wird ein Entgelt i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (z.B. BFH, Beschluss vom 12.02.2009 XI B 76/08 BFH/NV 2009, 974; Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12 Deutsches Steuerrecht -DStR- 2014, 262).

2. Letzteres wird seit jeher bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bejaht, seit jüngerer Zeit aber auch dann, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und (gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Insolvenzordnung -InsO-) ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt oder allgemein angeordnet wird, dass die Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind (BFH, Urteile vom 08.08.2013 V R 18/13, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; vom 03.07.2014 V R 32/13, BFHE 246, 264, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2014, 986; vom 24.09.2014 V R 48/13, DStR 2014, 2452). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass der Gläubiger aufgrund der insolvenzrechtlichen Regelungen nicht in der Lage ist, seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner zwangsweise durchzusetzen.

Andererseits geht der BFH davon aus, dass allein die Stellung eines Insolvenzantrags noch nicht Anlass für die Annahme von Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist (BFH, Urteil vom 08.08.2013 V R 18/13, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; ebenso Bundesgerichtshof -BGH-, Urteil vom 19.07.2007 IX ZR 81/06, UR 2007, 742). Denn der Eröffnungsantrag kann abgelehnt werden. Allerdings kann auch schon vor den genannten Zeitpunkten die Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige zahlungsunfähig ist (BFH, Urteil vom 08.08.2013 V R 18/13, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; BGH, Urteil vom 19.07.2007 IX ZR 81/06, UR 2007, 742), was sich nach außen jedenfalls in einer Zahlungseinstellung manifestiert (BGH, Urteil vom 19.07.2007 IX ZR 81/06, UR 2007, 742).

3. Nach der insolvenzrechtlichen Regelung und Rechtsprechung liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO), was in der Regel dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dabei ist eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten regelmäßig unschädlich, es sei denn, es ist abzusehen, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird (Eilenberger in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung -MünchKomm-InsO-, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 18a m.w.N.). Zur Feststellung dieser Kriterien ist regelmäßig ein Finanzplan aufzustellen (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 10 ff. m.w.N.). Gestundete Verbindlichkeiten bleiben dabei außer Betracht (BGH, Beschluss vom 26.02.2013 II ZR 54/12, GmbH-Rundschau -GmbHR- 2013, 482). Eine Zahlungseinstellung i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO wird bejaht, wenn sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 12.10.2006 IX ZR 228/03, Der Betrieb -DB- 2006, 2683; Beschluss vom 26.02.2013 II ZR 54/12 GmbHR 2013, 482; Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 27a m.w.N.). Der Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 12.10.2006 IX ZR 228/03, DB 2006, 2683), jedenfalls wenn diese für mehr als einen Monat nicht gezahlt wurden (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 29 m.w.N.). Weitere Anzeichen sind die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, Betriebssteuern, Energiekosten, die häufige Hinnahme von Pfändungen oder Wechselprotesten, die Aufnahme von Sanierungsbemühungen (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 29). Für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Zahlungsstockung und der Zahlungseinstellung ist wesentlich, dass die Fälligkeitstermine grundsätzlich nicht um mehr als zwei bis drei Wochen überschritten werden, weil innerhalb dieser Frist üblicherweise ein zahlungsfähiger Unternehmer die nötigen Fremdmittel  mobilisieren kann (Drukarczyk in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 18 Rn 63).

4. Ausgehend von diesen Kriterien ergibt sich für den Streitfall, dass vor dem 30.09.2006 kein Insolvenzantrag gestellt und dem entsprechend weder das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E… GmbH eröffnet, noch ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde. Auch von einer (allgemeinen) Zahlungsunfähigkeit der E… GmbH bis zum 30.09.2006 kann nicht ausgegangen werden. Allerdings liegt kein umfassender Finanzplan vor, aus dem die Liquiditätssituation der E… GmbH ablesbar wäre. Eine nachträgliche Erstellung dürfte ausscheiden, da vermutlich im Zuge der Insolvenz keine geordnete Buchführung für den September 2006 erstellt wurde. Zudem ist inzwischen das Insolvenzverfahren der E… GmbH beendet, so dass auch keine Insolvenzverwaltung mehr besteht, die möglicherweise noch Zugriff auf Buchungsunterlagen hätte. Ohnehin sieht das Gericht es als zweifelhaft an, dass ein aus einem Finanzplan abgeleitete Übersicht über die Liquiditätslage eines Unternehmers für die Zwecke und Anwendungsbereiche des § 17 UStG für die Beurteilung der Uneinbringlichkeit geeignet wäre. Denn der damit verbundene Aufwand geht weit über das hinaus, was im steuerlichen Massenverfahren geleistet werden könnte. Hinzu kommt, dass die Uneinbringlichkeit von Verbindlichkeiten auch aus der Perspektive des Leistenden und des für ihn zuständigen Finanzamts beurteilt werden muss, wobei idealtypisch die gleichen Ergebnisse wie aus der Sicht der Leistungsempfängers erzielt werden sollten (Senatsurteil vom 02.04.2014 7 K 7337/12, EFG 2014, 1427, Revision anhängig unter dem Az. XI R 21/14). Der Leistende und das für ihn zuständige Finanzamt  haben in der Regel keinen Zugriff auf Buchhaltungsunterlagen des Leistungsempfängers.

Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Zahlungseinstellung i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dabei ist allerdings dem Beklagten einzuräumen, dass nach der Aufstellung der Klägerin in der Klageschrift (Seite 6 = Bl. 15 Gerichtsakte) der Zuwachs an Verbindlichkeiten in den Monaten August und September 2006 (728.358,73 €) die Tilgung von Verbindlichkeiten im gleichen Zeitraum (571.695,12 €) um 156.663,61 € übersteigt. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht feststeht, dass diese Verbindlichkeiten in vollem Umfang sofort fällig waren. Ferner zeigt der Vergleich der Aufstellungen über die Struktur der Fälligkeiten zum 30.06.2006/30.09.2006 (allerdings begrenzt auf die vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten, die der Regelbesteuerung unterlagen; Schriftsatz der Klägerin vom 20.08.2014, Bl. 77 ff. GA), dass sich die Fälligkeitsdauer nicht signifikant erhöht hat. Lediglich um ca 11 Prozentpunkte hat sich der Anteil der länger als 1 Monat fälligen Verbindlichkeiten erhöht. Dies deutet darauf hin, dass es bei der E… GmbH (eventuell auch in der gesamten Branche) üblich war, den überwiegenden Teil der Lieferantenverbindlichkeiten erst mehr als einen Monat (aber nicht später als drei Monate) nach Fälligkeit zu zahlen.

Die übrigen von der Zivilrechtsprechung und insolvenzrechtlichen Literatur entwickelten Kriterien für das Vorliegen einer Zahlungseinstellung lassen sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen. Zwar hat die E… GmbH die im September 2006 fällig gewordenen Löhne und Sozialversicherungsbeiträge nicht bzw. nicht vollständig gezahlt, jedoch spricht die Aktenlage dafür, dass insoweit Stundungen vorlagen oder jedenfalls geduldete Überschreitungen des Zahlungsziels. Denn den gewerblichen Arbeitnehmern wurde die Nichtzahlung der Löhne in der Betriebsversammlung vom 15.09.2006 angekündigt, worauf nach Aktenlage keine Zahlungsklagen erhoben wurden. Auch ist nicht ersichtlich, dass Arbeitnehmer die Zahlungsverzögerung/-einstellung zum Anlass genommen haben, ihre Arbeitsleistung zurückzuhalten. Ausweislich des Insolvenzgutachtens sind Kündigungen erst zum 31.10.2006 erfolgt. Ferner haben die Sozialversicherungen von den ihnen nach Aktenlage erteilten Einzugsermächtigungen keinen Gebrauch gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass stattdessen Vollstreckungsmaßnahmen gegen die E… GmbH ausgebrachtwurden, sind nicht ersichtlich. Schließlich sind die Personalaufwendungen der E… GmbH immerhin noch teilweise (für Angestellte und Anfang Oktober 2006 in Höhe der Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge) getilgt worden. Dass bereits im September 2006 Betriebssteuern rückständig waren, hat der Beklagte, dem entsprechende Erkenntnisse vorliegen müssten, nicht vorgetragen. Auch für die anderen, in der Literatur genannten Verbindlichkeiten (Versicherungen, Energiekosten usw.) ist keine Zahlungseinstellung ersichtlich. Hinzu kommt, dass bei den in der zweiten Septemberhälfte fällig gewordenen Verbindlichkeiten die o.g. Frist von zwei bis drei Wochen am 30.09.2006 noch nicht überschritten war.

Es liegen auch keine ausreichenden Erkenntnisse dafür vor, dass von vornherein eine Schließung der Liquiditätslücke ausgeschlossen war. Dagegen spricht schon die noch am 22.09.2006 erteilte Bürgschaftszusage. Ein darauf gestützter Kreditantrag wurde vor der Insolvenzantragstellung nicht abgelehnt. Dass zum 30.09.2006 noch keine Kreditzusage vorlag, entsprach den üblichen Abläufen im Kreditgeschäft, die eine Prüfung durch mehrere Entscheidungsträger vorsehen. Schließlich  hat der Insolvenzverwalter nach dem Insolvenzgutachten (s. Abschn. C. der Vermögensübersicht - Insolvenzspezifische Ansprüche, Bl. 50 GA) keine Rechtshandlungen ausgemacht, die nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar gewesen wären (vgl. Nieuwenhuis in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 17 Rn 139). Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.

Alles in allem bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach den zum 30.09.2006 gegebenen Umständen die Gläubiger der vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten der E… GmbH damit rechnen mussten, ihre Forderungen (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit tatsächlich nicht durchsetzen zu können. Insbesondere im Hinblick auf die Bürgschaftszusage vom 22.09.2006 war eine Zahlungsunfähigkeit der E… GmbH zum 30.09.2006 noch nicht feststellbar.

5. Darüber hinaus ist auch bei zahlungsfähigen Schuldnern nach ständiger Recht-sprechung ein Entgelt i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH, Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12 BFHE 243, 451, DStR 2014, 262). Das Finanzgericht Brandenburg (Urteil vom 09.08.2005 1 K 2448/02, juris) hat insoweit ein Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, als Indiz für eine Uneinbringlichkeit angesehen. Dem folgt der erkennende Senat. Ausgehend davon ist die Vorsteuer aus 11.964,10 € (= 1.914,26 €) zu berichtigen. Darauf, ob und inwieweit die Zahlungsverzögerungen auf Sicherungseinbehalten beruhten, kommt es nicht an (BFH, Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12 BFHE 243, 451, DStR 2014, 262).

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO - analog.

Die Zulassung der Revision beruht darauf, dass höchstrichterlich nicht abschließend geklärt ist, wann Zahlungsverzögerungen wegen einer Zahlungsstockung Anlass zur Berichtigung wegen Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG geben (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).