BGH, Beschluss vom 21.01.2015 - XII ZB 324/14
Fundstelle
openJur 2015, 5297
  • Rkr:
Tenor

Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 3. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der 67-jährige Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung seiner Betreuung.

Für den Betroffenen wurde im Jahre 2007 eine rechtliche Betreuung eingerichtet und der weitere Beteiligte zum Berufsbetreuer mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern" sowie "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" bestellt. Für die beiden letztgenannten Aufgabenkreise wurde zudem ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Das Amtsgericht hat die Betreuung nach Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Betroffenen durch Beschluss vom 2. April 2014 dahingehend eingeschränkt, dass die Aufgabenkreise Wohnungsangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmung entfallen; im Übrigen hat es die Betreuung - bei Aufrechterhaltung des bestehenden Einwilligungsvorbehalts - verlängert. Auf die gegen die Verlängerung der Betreuung gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betreuung weiter eingeschränkt und durch Beschluss vom 25. April 2014 den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge entfallen lassen. Die weitergehende Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass bei dem Betroffenen nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. S. eine affektive Psychose in Form einer Manie bestehe. Für diese Störung seien insbesondere die bei dem Betroffenen vorliegenden Größenideen mit Realitätsverlust typisch. Aufgrund der teilweisen Realitätsverkennung sei der Betroffene wohl nicht in der Lage, seine finanziellen und schriftlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen, woraus zweifelsfrei eine Betreuungsbedürftigkeit für die Aufgabenbereiche Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern sowie "Erledigung des Postverkehrs" erwachse. Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die geeignet seien, die gutachterliche Diagnose und Einschätzung in Frage zu stellen, zumal das aktuelle Gutachten durchaus mit dem Ergebnis der Vorgutachten des Landgerichtsarztes R. aus den Jahren 2006 und 2007 in Einklang zu bringen sei. Dem Anliegen des Betroffenen, den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge entfallen zu lassen, habe bereits das Amtsgericht entsprochen. Letztlich widerspreche der Betroffene der angenommenen Betreuungsbedürftigkeit auch gar nicht, denn er selbst führe an, dass er einen Rechtsbeistand bis zur Erledigung der eingebrachten "Probleme" benötige.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9 mwN).

Gemessen daran kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Das Beschwerdegericht hat die fortbestehende Erforderlichkeit der Betreuung nur aus seinen Erwägungen zur Betreuungsbedürftigkeit hergeleitet. Dagegen hat es keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass in der gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen ein objektiver Bedarf für die Aufrechterhaltung einer Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge und der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie der Vertretung in gerichtlichen Verfahren besteht.

aa) Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der Betreuung nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9). Vielmehr muss aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellungen die gegenwärtige Gefahr begründet sein, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man ihm die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich selbst überließe. Dabei ist das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs zugunsten des Vermögens des Betreuten nicht zwingend erforderlich; es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird (BayObLG FamRZ 1995, 117; BayObLG FamRZ 1997, 902, 903; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 112; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 Rn. 22). Demgegenüber lässt sich die Erforderlichkeit der Vermögensbetreuung nicht aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen herleiten (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2012 - XII ZB 59/12 - FamRZ 2012, 1365 Rn. 10).

Der Betroffene ist nach Aktenlage vermögenslos und verfügt aus einer Altersrente und Wohngeld über laufende Einkünfte in monatlicher Höhe von rund 750 €; er hat alte Darlehens- und Mietschulden, auf die angesichts der geringen Höhe seines Einkommens keine Tilgungsleistungen erbracht werden können. Das Beschwerdegericht hat bislang keine konkreten Tatsachen festgestellt, die beispielsweise die Schlussfolgerung rechtfertigen könnten, dass dem Betroffenen ohne die Unterstützung des Betreuers eine weitere Verschuldung oder infolge krankheitsbedingt unangepasster wirtschaftlicher Dispositionen eine Gefährdung seines elementaren Lebensbedarfs droht.

bb) Auch die Einrichtung einer Betreuung mit den Aufgabenkreisen der "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern" sowie der "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" kann für sich genommen keinen Bestand haben. Soweit mit der Bestimmung eines solchen Aufgabenkreises nicht lediglich eine an sich entbehrliche, aber nicht schädliche Klarstellung der sich aus § 1902 Abs. 1 BGB ergebenden Vertretungsberechtigung des Betreuers im Rahmen eines weiteren ihm übertragenen Aufgabenkreises - hier der Vermögenssorge - beabsichtigt ist, muss regelmäßig ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hergestellt werden, für den die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Betreute krankheitsbedingt dazu neigt, sich durch das Betreiben einer Vielzahl von sinnlosen Verfahren zu schädigen (KG FamRZ 2008, 919, 920; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1166, 1167; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 116; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 Rn. 26). Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, dass diese Besorgnis derzeit begründet wäre.

b) Hat das Beschwerdegericht hiernach die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge oder dem (isolierten) Aufgabenkreis der "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern" bzw. der "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" nicht ausreichend festgestellt, kann die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil dieser die wirksame Einrichtung einer Betreuung im betreffenden Aufgabenkreis voraussetzt (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 15).

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose Klinkhammer Günter Botur Guhling Vorinstanzen:

AG Straubing, Entscheidung vom 02.04.2014 - XVII 206/09 -

LG Regensburg, Entscheidung vom 03.06.2014 - 5 T 182/14 -