OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.01.2015 - 15 A 2382/13
Fundstelle
openJur 2015, 4990
  • Rkr:

Eine rechtswidrig unterbliebene Anhörung kann im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG NRW i. V. m. § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO nachgeholt und geheilt werden. Dabei kann die Heilung durch Austausch von Sachäußerungen im Klageverfahren erfolgen.

Gemeinden trifft in aller Regel eine Beitragserhebungspflicht. Sie können ausnahmsweise von einer Beitragserhebung absehen, wenn bei der Durchführung eine nach ihrer Konzeption neuartigen straßenbaulichen Maßnahme, deren wirtschaftlichen Vorteile für die Anlieger nicht ohne Weiteres erkennbar sind, die betroffenen Einwohner nicht bereits im Zeitpunkt der Planung des Vorhabens auf eine etwaige Beitragspflicht hingewiesen worden sind.

Eine Vergaberechtswidrigkeit stellt die Erforderlichkeit des Aufwandes nur in Frage, wenn sie zu einem erhöhten Aufwand geführt hat, weil statt des wirtschaftlichsten Angebots ein solches zu einem unangemessenen Preis zum Zuge gekommen ist.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 1.868,06 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt worden. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.) noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; II.) noch liegt ein die Zulassung der Berufung erfordernder Verfahrensmangel vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; III.).

I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor. Dies ist nur der Fall, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird, wobei es zur Darlegung (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO) dieses Berufungszulassungsgrundes ausreicht, wenn die Begründung einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. April 2010 ? 15 A 2914/09 -, vom 25. September 2008 ? 15 A 3231/07 -, vom 9. September 2008 ? 15 A 1791/07 ? und vom 28. August 2008 - 15 A 1702/07 ?.

Für die Darlegung dieses Berufungszulassungsgrundes ist somit erforderlich, dass konkrete tatsächliche oder rechtliche Feststellungen im angefochtenen Urteil aus ebenso konkret dargelegten Gründen als (inhaltlich) ernstlich zweifelhaft dargestellt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. April 2010 ? 15 A 2914/09 - und vom 2. November 1999 ? 15 A 4406/99 -.

Davon ausgehend sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht ersichtlich. Im Einzelnen:

1.) Die Auffassung des Klägers, der Beitragsbescheid sei bereits mangels notwendiger Anhörung rechtswidrig, trifft nicht zu. Dabei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Verfahren - wie die Beklagte meint - von der Anhörung gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) KAG NRW i. V. m. § 91 Abs. 2 Nr. 4 AO abgesehen werden konnte. Denn selbst wenn man von einer rechtswidrig unterbliebenen Anhörung vor Erlass des streitigen Bescheides ausgeht, kann dieser Verfahrensmangel im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG NRW i. V. m. § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO nachgeholt und geheilt werden. Dabei kann die Heilung - wie auch hier ausweislich der Gerichtsakte geschehen - durch Austausch von Sachäußerungen im Klageverfahren erfolgen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2012 - 15 A 48/12 -, NWVBl. 2013, 37 ff.

Sofern der Kläger in diesem Zusammenhang noch eine unterbliebene Benachrichtigung der Anlieger über die Ausbaumaßnahme rügen will, führt auch dieser Einwand nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Es steht der Entstehung der Beitragspflicht generell nicht entgegen, dass die Anlieger über die beabsichtigte beitragspflichtige Ausbaumaßnahme nicht informiert oder sie gar befragt worden sind, da dies keine Voraussetzung hierfür ist.

Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Auflage, Bonn 2013, Rn. 618.

2.) Die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe ursprünglich nicht den Willen gehabt, irgendwelche Kosten gegenüber den Anliegern abzurechnen, weil es sich um ein (teures) Pilotprojekt gehandelt habe, begründet ebenfalls keine Richtigkeitszweifel.

Der Kläger verkennt, dass die Beklagte in aller Regel eine Beitragserhebungspflicht trifft, deren inhaltliche Reichweite weit zu fassen ist, so dass vom Grundsatz her kein Raum für einen Verzicht auf den Straßenbaubeitrag besteht. Allenfalls in besonderen, als atypisch anzusehenden Fallgestaltungen kann ein Abweichen von der Beitragserhebungspflicht gerechtfertigt sein.

Vgl. Dietzel/Kallerhoff, a. a. O., Rn. 9 m. w. N.

Ein solcher atypischer Fall liegt hier auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte den Ausbau der Beleuchtungslage selbst als Pilotprojekt bezeichnet hat, nicht vor. Eine Gemeinde kann zwar dazu berechtigt sein, von einer Beitragserhebung ausnahmsweise abzusehen, wenn bei der Durchführung einer nach ihrer Konzeption neuartigen straßenbaulichen Maßnahme, deren wirtschaftliche Vorteile für die Anlieger nicht ohne Weiteres erkennbar sind, die betroffenen Einwohner nicht bereits im Zeitpunkt der Planung des Vorhabens auf eine etwaige Beitragspflicht hingewiesen worden sind.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 1985 - 15 A 1904/84 -, KStZ 1985, 234.

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Es stellt sich schon die Frage, ob es sich bei dem hier vorgenommenen Ausbau der Beleuchtungsanlage um eine "ihrer Konzeption nach neuartige straßenbauliche Maßnahme" handelt. Jedenfalls liegen die mit dem Ausbau der Beleuchtungsanlage verbundenen wirtschaftlichen Vorteile für die Anlieger mit Blick auf die erzielte Verbesserung der Beleuchtungssituation (siehe dazu unten I. 7.) bei objektiver Betrachtungsweise auf der Hand, so dass die Beklagte rechtsfehlerfrei von einer Beitragserhebungspflicht ausgehen durfte und musste. Sie war damit schon vom Ansatz her nicht berechtigt, von der Erhebung des hier streitigen Straßenbaubeitrags abzusehen.

3.) Auch der Einwand des Klägers, die Beklagte rechne Kosten ab, die für die heute installierte Anlage nicht angefallen seien, führt nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger trägt insoweit im Kern vor: Die Beklagte rechne vorliegend die Aufstellung von konventionellen Beleuchtungskörpern ab. Tatsächlich seien diese konventionellen Beleuchtungskörper nur als Interimslösung für einige Wochen montiert worden, um zu einem späteren Zeitpunkt die noch nicht gelieferten LED-Beleuchtungskörper zu installieren. Die Abrechnung von "Verbesserungsmaßnahmen", die nicht mit den dauerhaft vorhandenen Anlagen korrespondierten, aus denen erst die von § 8 KAG NRW vorausgesetzte Verbesserung nachhaltig entstehe, sei nicht durch § 8 KAG NRW gedeckt. Zumindest fehle es an einer "Vergütung" für die demontierten Beleuchtungskörper.

Diese Erwägungen greifen nicht durch. Es trifft zwar zu, dass die Beklagte der Berechnung des Straßenbaubeitrags die nur als Interimslösung angebrachten Beleuchtungskörper zugrunde gelegt hat, die zwischenzeitlich durch die LED-Beleuchtungskörper ersetzt worden sind. Hieraus ist dem Kläger aber im Ergebnis kein Rechtsnachteil entstanden. Denn die nunmehr installierten, zur Verbesserung im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW führenden LED-Beleuchtungskörper sind viel teurer als die abgerechneten konventionellen Beleuchtungskörper; die Kosten der teureren Beleuchtungskörper sind aber in die Beitragsberechnung nicht eingeflossen.

4.) Der Kläger trägt ferner vor, dass die jetzt angebrachten Beleuchtungskörper auf jeden Fall überdimensioniert seien und gedimmt werden müssten. Vor diesem Hintergrund liege eine Verletzung des Kostenüberschreitungsverbotes vor. Auch dieses Vorbringen begründet keine Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es liegt schon deshalb keine Verletzung des Grundsatzes der Erforderlichkeit vor, weil die jetzt angebrachten LED-Beleuchtungskörper, in denen die "Überdimensionierung" ihre Ursache findet, gegenüber dem Kläger im Rahmen der Beitragserhebung nicht abgerechnet worden sind.

5.) Das Vorbringen, § 11 des neuen Beleuchtungsvertrages zwischen der Beklagten und den Stadtwerken, wonach eine Vergütung für entsorgte Anlagenteile zu zahlen ist, sei zu seinen Lasten nicht angewandt worden, rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung. Die vom Kläger geforderte Anrechnung scheidet hier schon deshalb aus, weil im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht Ende 2007 der vom Kläger in Bezug genommene Vertrag noch nicht galt. Denn der "Vertrag über die Öffentliche Beleuchtung E. zwischen der Stadt E. und den Stadtwerken E. AG" ist gemäß seiner Regelung in § 31 für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2018 geschlossen worden.

6.) Die Berufung ist auch nicht mit Blick auf das Vorbringen des Klägers zur angeblichen Vergaberechtswidrigkeit der "gesamten Maßnahme" wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel zuzulassen. Eine Vergaberechtswidrigkeit stellt die Erforderlichkeit des Aufwandes nicht in Frage. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Vergaberechtswidrigkeit zu einem erhöhten Aufwand geführt hat, weil statt des wirtschaftlichsten Angebots ein solches zu einem unangemessenen Preis zum Zuge gekommen ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2008 - 15 A 2568/05 -, NVwZ-RR 2008, 442.

Dafür ist hier jedoch weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

7.) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung ergeben sich ferner nicht daraus, dass der Kläger, der die Richtigkeit der in den Akten befindlichen Beleuchtungsmesswerte bestreitet, das Vorliegen einer Verbesserungsmaßnahme in Abrede stellt. Das Verwaltungsgericht ist unter nicht zu beanstandender Auswertung der Verwaltungsvorgänge (einschließlich eines Vorher-Nachher-Vergleichs) zu der rechtlich zutreffenden Annahme gelangt, dass hier eine verkehrstechnische Verbesserung der Straßenbeleuchtung vorliegt, ohne dass der Kläger hiergegen Substantielles eingewandt hat.

8.) Des Weiteren kann der Kläger seinen Zulassungsantrag nicht mit Erfolg auf das Argument stützen, die Beklagte habe entgegen § 10 des "Vertrages über die öffentliche Beleuchtung E. zwischen der Stadt E. und den Stadtwerken E. AG für den Zeitraum vom 1.4.1999 bis 31.12.2008" die in Rede stehende Ausbaumaßnahme nicht gesondert ausgeschrieben, weshalb das angegriffene Urteil keinen Bestand haben könne. Es ist schon fraglich, ob es sich vorliegend um eine Baumaßnahme von "besonderer Bedeutung und/oder außergewöhnlichem Umfang" im Sinne der zitierten Vertragsregelung handelt. Dessen ungeachtet gilt auch in diesem Zusammenhang (vgl. schon oben I. 6.), dass eine gebotene aber unterlassene (gesonderte) Ausschreibung nur dann die Erforderlichkeit des Aufwandes in Frage stellt, wenn der Verzicht auf die Ausschreibung zu einem erhöhten Aufwand geführt hat, weil statt des wirtschaftlichsten Angebots ein solches zu einem unangemessenen Preis zum Zuge kommt. Hierfür ist - wie bereits oben ausgeführt - im vorliegenden Verfahren weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

II.) Die Berufung ist weiterhin nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedürfte, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat.

OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2007 - 15 A 1279/07 -.

Der Kläger ist der Auffassung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil "im vorliegenden Fall ... ein Betrag für eine Beleuchtungsanlage als Verbesserung abgerechnet (wurde), die tatsächlich nur kurze Zeit an dem streitgegenständlichen Grundstück montiert war." Darüber hinaus sei klärungsbedürftig, "inwieweit der Wille, eine Anlage als Pilotprojekt zu betreiben, dafür entscheidend ist, ob zu einem späteren Zeitpunkt dennoch Beiträge nach § 8 KAG abgerechnet werden können."

Aus diesen "Fragen" ergibt sich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Es mangelt schon an einer hinreichenden Darlegung der Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Dessen ungeachtet kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Das Vorliegen einer beitragsfähigen Verbesserung ist durch eine deutliche Steigerung der Beleuchtungsstärke infolge des Ausbaus der Beleuchtungsanlage eingetreten (s. o.). Dass in die Berechnung des Beitrags nur die Kosten für die - später wieder entfernte - Interimslösung eingestellt worden sind, macht die Beitragserhebung nicht rechtswidrig. So ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagten die Kosten für die Interimslösung tatsächlich entstanden sind. Entscheidend ist aber, dass die Kosten für die dauerhaft errichteten LED-Leuchten nicht in die Beitragserhebung eingestellt worden sind, so dass dem Kläger im Ergebnis kein Rechtsnachteil entstanden ist.

Wenn der Kläger darüber hinaus an dieser Stelle erneut aus der Bezeichnung "Pilotprojekt" ableiten will, dass die abgerechnete Maßnahme nicht beitragsfähig sein soll, geht dieser Einwand aus den bereits oben genannten Gründen ins Leere (vgl. I. 2.).

III.) Schließlich liegt auch kein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Namentlich ist der Kläger nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen worden (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Entgegen den Darlegungen des Klägers ist der Rechtsstreit mit dem den Beteiligten übersandten Beschluss vom 24. Juli 2013 auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Für den am 18. Juli 2013 durchgeführten Erörterungstermin hat es eines solchen Übertragungsbeschlusses mit Blick auf die Bestimmung in § 87 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht bedurft. Wenn der Kläger darüber hinaus rügt, dass der Vorsitzende der erkennenden Kammer im Erörterungstermin, vor allem aber im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht zur Vertretung der als Einzelrichterin zuständigen Berichterstatterin befugt gewesen sei, weil für das Bestehen eines Vertretungsfalles nichts ersichtlich sei, führt auch dies nicht zur Zulassung der Berufung. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Einzelrichterin nicht krank war und ein Vertretungsfall nicht vorlag. An der Beachtung der Vorgabe des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestehen keine Zweifel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlagen in §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.