Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.02.2015 - 13a ZB 14.30466
Fundstelle
openJur 2015, 4645
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2014 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob bei afghanischen Staatsangehörigen als Auslandsrückkehrer ohne aufnahmefähigen Familienverband in Kabul eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht“. Dies habe das Verwaltungsgericht verneint. Mit seiner Entscheidung stehe es im Widerspruch zu einer Vielzahl von gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen, die angesichts der aktuellen Versorgungs- und Sicherheitslage eine extreme Gefahrenlage bejaht hätten. Nicht Gegenstand der aufgeworfenen Frage seien die rechtlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Aber auch eine Tatsachenfrage könne Gegenstand einer Grundsatzberufung sein.

Letzteres ist zwar zutreffend. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist jedoch geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 3.2.2011 – 13a B 10.30394 – juris; U.v. 8.12.2011 – 13a B 11.30276 – EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30425 – juris; U.v. 22.3.2013 – 13a B 12.30044 – juris; U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris = KommunalPraxisBY 2014, 62 -LS-; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 – juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.

Die vom Kläger angeführten anders lautenden Entscheidungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung (VGH BW, U.v. 14.5.2009 – A 11 S 610/08 – juris = DÖV 2009, 826 -LS- und OVG RhPf, U.v. 6.5.2008 – 6 A 10749/07 – AuAS 2008, 188) vermögen die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage bereits deswegen nicht zu begründen, weil sie vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurden (U.v. 8.9.2011 – 10 C 16.10 – juris, Parallelentscheidung BVerwGE 140, 319, und U.v. 29.6.2010 a.a.O.). Im Übrigen geht mittlerweile auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der zurückverwiesenen Sache davon aus, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht (OVG RhPf, U.v. 21.3.2012 – 8 A 11050/10.OVG – juris). Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat seine ursprüngliche Rechtsprechung aufgegeben (VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3177/11 – juris = ZAR 2012, 164 -LS-). Des Weiteren liegen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aktuellere Berichte und Auskünfte zugrunde. Entsprechendes gilt hinsichtlich der vom Kläger angeführten Bezugsfälle (positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in zwei Entscheidungen des Bundesamts aus den Jahren 2009 und 2010). Für eine Neubewertung der Versorgungslage geben die (vom Verwaltungsgerichtshof bereits berücksichtigten) aktuellen Berichte von UNHCR, Auswärtigem Amt und Schweizerischer Flüchtlingshilfe keinen Anlass.

Soweit der Kläger ergänzend die Frage aufwirft, ob speziell bei Afghanen, die im Ausland geboren sind und die sich niemals in Afghanistan aufgehalten haben, eine erhebliche konkrete Gefahr gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, vermag dies die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Auch diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bereits geklärt. Der Senat ist im Urteil vom 24. Oktober 2013 (a.a.O. Rn. 22; vgl. auch B.v. 26.5.2014 – 13a ZB 13.30337 – juris) zu der Erkenntnis gelangt, dass ein afghanischer Staatsangehörigen, der nur während seines ersten Lebensjahrs in Afghanistan war und seine Kindheit und Jugend in Iran verbracht hat, jedenfalls wenn er eine der afghanischen Landessprachen beherrscht (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 13a B 13.30025 – juris), im Allgemeinen nicht in eine extreme Gefahrenlage gerät. Dies gilt auch für den Kläger, der den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht und im Iran verschiedene Tätigkeiten, etwa als Reinigungskraft und als Straßenhändler, ausgeübt hat sowie Dari spricht. Ein spezielles Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen ist nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 15.10.2014 – 13a ZB 14.30355 – juris).

Im Übrigen hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab, wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen; es entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09BVerwGE 137, 226 = NVwZ-RR 2011, 48).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.