LG Freiburg, Beschluss vom 05.11.2014 - 3 S 101/14
Fundstelle
openJur 2015, 3972
  • Rkr:

1. Dem Charakter einer Hecke iSd § 12 NRG BW steht nicht entgegen, dass es sich um eine Reihe von Fichten handelt.

2. Fichten sind hochstämmige Bäume im Sinne von Art. 15 Abs.1 des badischen AGBGB.

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 08.04.2014 - 12 C 154/13 - wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Es wird zunächst auf den Hinweisbeschluss vom 24.09.2014 Bezug genommen.

Der Hinweisbeschluss vom 24.09.2014 lautete:

"1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 08.04.2014 - 12 C 154/13 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.

2. Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.10.2014.

3. Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 08.04.2014 - 12 C 154/13 - wird zurückgewiesen.

Gründe1.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; eine Entscheidung der Kammer ist auch nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 ZPO).

Das Amtsgericht hat richtig entschieden. Es wird daher zunächst auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die sich die Kammer nach Prüfung zu eigen macht. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine andere Entscheidung.1.

Zutreffend hat das Amtsgericht den Anspruch nach den Vorschriften des am 1.1.1960 in Kraft getretenen NRG BW beurteilt. Nachdem der Beklagte für seine von der Klägerin bestrittene Behauptung, die Bäume seien bereits 1938 gepflanzt worden, keinen Beweis angetreten hat, scheidet eine Anwendung der vor dem 1.1.1960 im ehemals badischen Landesteil geltenden Vorschriften des badischen AGBGB - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Überleitungsvorschrift in § 33 Abs. 1 NRG BW - aus.2.

Die Kammer teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass es sich bei den streitgegenständlichen Fichten um eine Hecke handelt, die gem. § 12 Abs. 3 NRG BW auf die zulässige Höhe von 1,80 m zu kürzen ist.a.

Die für eine Hecke charakteristische Geschlossenheit der Pflanzenkörper unter sich („Dichtschluss“), der den Pflanzenverbund als wandartige Formation erscheinen lässt, (zu diesem Erfordernis vgl. Pelka, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 20. Aufl., Anm. zu § 12 NRG; Bruns, NRG Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 12 Rn. 13, Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 12 Anm. 1; OLG Karlsruhe, Urteil v. 25.07.2014, 12 U 162/12) liegt ausweislich der erstinstanzlich vorgelegten Lichtbilder vor. Im Übrigen macht der Beklagte mit der Berufung selbst geltend, die Hecke sei für den Sichtschutz unentbehrlich, was wiederum voraussetzt, dass die Anpflanzung keine größeren Lücken aufweist.

Dem Charakter der Anpflanzung als Hecke steht auch nicht entgegen, dass es sich um eine Reihe von Fichten handelt. § 12 NRG BW gilt für alle „Gehölze“, ohne dass es darauf ankommt, um welche Art von Gehölz es sich handelt (vgl. z.B. für die Einordnung einer Bambusanpflanzung als „Hecke“ i.S.v. § 12 NRG BW LG Konstanz, NJOZ 2001, 240; OLG Karlsruhe a.a.O.). Insbesondere können auch Gehölze, deren Einzelgrenzabstände in § 16 NRG BW geregelt sind, eine nach §§ 12 ff. NRG BW zu beurteilende Hecke bilden (so ausdrücklich Birk, a.a.O. m.w.N.). Dies ergibt sich schon daraus, dass § 16 NRG BW auch Grenzabstände für „Sträucher“ regelt, die eindeutig typische Heckenpflanzen sind.

Entgegen der Auffassung des Beklagten führt die Charakterisierung der Baumreihe als Hecke auch nicht dazu, dass der Schutzzweck des § 26 NRG BW (Verjährung von Beseitigungsansprüchen) unterlaufen wird. § 26 Abs. 3 NRG BW regelt nur, dass der Anspruch auf das Zurückschneiden von Hecken nicht der Verjährung unterworfen ist. Für die Frage, ob eine Anpflanzung eine Hecke ist oder nicht, kann § 26 NRG BW nicht herangezogen werden, da diese Vorschrift das Tatbestandsmerkmal der Hecke gerade voraussetzt.b.

Der Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch auf Kürzung der Hecke nach § 12 Abs. 3 NRG BW nicht erfolgreich darauf berufen, dass von der Hecke weder eine Gefahr noch eine konkrete Beeinträchtigung ausgehe. Denn - anders als ein Anspruch nach § 1004 BGB - besteht der Anspruch gem. § 12 Abs. 3 NRG BW allein aufgrund der Nichteinhaltung des Grenzabstandes, unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung. Abgesehen davon ist der Vortrag des Beklagten zur fehlenden Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks nicht hinreichend substantiiert. Denn angesichts der in erster Instanz vorgelegten Lichtbilder (I, 75, 77, 105 ff.), die eindrucksvoll die Nähe der dichten und hohen Fichtenreihe zum Haus belegen, ist nicht vorstellbar, dass eine Beeinträchtigung (insbesondere im Hinblick auf die Sonneneinstrahlung) ausgeschlossen sein soll.c.

Für den Kürzungsanspruch nach § 12 Abs. 3 NRG BW kommt es auch nicht darauf an, ob das Grundstück der Klägerin durch die von den Bäumen ausgehenden Einwirkungen nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird (§ 906 BGB). Denn gem. Art. 124 Abs. 1 EGBGB „bleiben die landesrechtlichen Vorschriften, welche das Eigentum an Grundstücken zu Gunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Einschränkungen unterwerfen [unberührt]“, d.h. ein bestehender Anspruch nach dem NRG BW (hier aus § 12 NRG BW) wird grundsätzlich nicht durch eine (scheinbar) entgegenstehende Duldungspflicht nach dem BGB (hier aus § 906 BGB) ausgeschlossen (vgl. eingehend zum Verhältnis NRG BW - § 906 BGB Birk, a.a.O., E II; s.a. Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., Art. 124 EGBGB Rn. 1).3.

Mit zutreffender und ausführlicher Begründung, die sich die Kammer zu eigen macht, hat das Amtsgericht darüber hinaus entschieden, dass der Anspruch der Klägerin weder verjährt noch verwirkt ist. Soweit der Beklagte das für eine Verwirkung erforderliche „Umstandsmoment“ in seiner Berufungsbegründung darin sehen will, dass die Klägerin in der Vergangenheit nur den Anspruch auf Abschneiden der herüberragenden Zweige, nicht dagegen den Anspruch auf Reduzierung der Höhe geltend gemacht habe, bleibt es dabei, dass sich das Verhalten der Klägerin in der bloßen Nichtgeltendmachung des Anspruchs erschöpft. Dies allein begründet jedoch nicht das für eine Verwirkung erforderliche „Umstandsmoment“ (vgl. zu den Voraussetzungen der Verwirkung vgl. BGH NJW 2003, 824; 2011, 212; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 242 Rn. 93 ff. m.w.N.). Der Beklagte hat auch nichts dazu vorgetragen, warum er davon ausgehen durfte, dass die Klägerin ihren Kürzungsanspruch auch zukünftig nicht geltend machen würde und inwiefern er sich aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestands in seinen Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Geltendmachung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Allein die Tatsache, dass die Hecke inzwischen erheblich höher geworden ist, genügt nicht, andernfalls würde die Vorschrift des § 26 Abs. 3 NRG NW (Unverjährbarkeit des Verkürzungsanspruchs) weitgehend ausgehöhlt.4.

Mit zutreffender Begründung ist das Amtsgericht darüber hinaus zu dem Ergebnis gekommen, dass die Geltendmachung des Kürzungsanspruchs nicht rechtsmissbräuchlich ist. Soweit der Beklagte meint, der bestehende Sichtschutz würde durch die Kürzung beseitigt und seine Privatsphäre dadurch unzumutbar beeinträchtigt, weist die Kammer darauf hin, dass dem Beklagten der Anspruch auf Schutz seiner Privatsphäre nicht im geltend gemachten Umfang zusteht. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 12 NRG BW (Begrenzung von grenznahen Hecken auf eine Höhe von 1,80 m) zu erkennen gegeben, dass der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre nicht unbegrenzt besteht, sondern ggf. hinter den Interessen des Nachbarn an Licht- und Luftzufuhr zu seinem Grundstück zurücktreten muss.

Dass es der Klägerin nicht um rein schikanöses Verhalten, sondern um die Geltendmachung berechtigter eigener Interessen geht, zeigt sich auch daran, dass sie außergerichtlich Vergleichsverhandlungen dahingehend angeboten hat, die Bäume nur teilweise (dafür aber in voller Höhe) zu beseitigen. Ob durch eine solche Maßnahme der Charakter der Anpflanzung als Hecke - und damit auch der Kürzungsanspruch dem. § 12 Abs. 3 NRG BW - beseitigt würde, bedarf im Rahmen des hiesigen Verfahrens keiner Entscheidung.5.

Mangels Erfolgsaussicht der Berufung kommt eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nicht in Betracht. Die Kammer geht allerdings davon aus, dass eine Vollstreckung innerhalb der Stellungnahmefrist zum hiesigen Beschluss nicht erfolgen wird, zumal die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht der Regelung in § 709 S. 1 ZPO entspricht."

Hieran hält die Kammer auch nach Prüfung des Vortrags des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 15.10.2014 fest.

1.

Soweit der Beklagte im Schriftsatz vom 15.10.2014 erstmals Beweis für seine - von der Klägerin bestrittene - Behauptung angetreten hat, die streitgegenständlichen Bäume stünden schon seit 76 Jahren auf dem Grundstück des Beklagten, legt er die Voraussetzungen von § 531 Abs. 2 ZPO nicht dar. Letztendlich ist die unter Beweis gestellte Behauptung aber auch nicht entscheidungserheblich. Denn selbst wenn die Bäume schon vor dem 1.1.1960 angepflanzt worden wären, bleibt es dabei, dass sich der geltend gemachte Anspruch nach den Vorschriften des am 01.01.1960 in Kraft getretenen NRG BW beurteilt.

Gem. § 33 Abs. 1 NRG BW bleiben für die Abstände von Einfriedungen, Spaliervorrichtungen und Pflanzungen, die bei In-Kraft-Treten des NRG BW bereits bestehen, die bisherigen Vorschriften maßgebend, soweit sie in der Beschränkung des Eigentümers weniger weit gehen als die Vorschriften des NRG BW. „Bisherige Vorschrift“ in diesem Sinne ist in den ehemals badischen Landesteilen das badische AGBGB (vgl. Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 33 NRG Ziff. 3 a), konkret hier Art. 15 Abs. 1 bad. AGBGB (vgl. E. Dorner, Das badische Ausführungsgesetz zum BGB mit Erläuterungen, 1902, Abschnitt III, Art. 15 ff.). Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer eines Grundstücks „verlangen, dass hochstämmige Bäume 1,80 m, andere Bäume und Sträucher 45 cm von der Grenze seines Grundstücks entfernt gehalten werden.“ Welche Bäume als „hochstämmig“ anzusehen sind, bestimmt sich nach der Natur der betreffenden Bäume: als hochstämmig gelten „alle Bäume, die einen hohen Stamm haben“, im Gegensatz zu „niederm Gebüsch oder zu Zwergbäumen mit unentwickeltem Stamme“ (vgl. E. Dorner, a.a.O, S. 172; Grimms Rechtswörterbuch, Leipzig 1877, Band 10, Sp. 1633). Nachdem es sich bei den 6-8 m hohen Bäumen um „hochstämmige Bäume“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 bad. AGBGB handelt, hätten diese Bäume auch nach Art. 15 bad. AGBG nicht im Abstand von nur ca. 50 cm zur Grenze gepflanzt werden dürfen, so dass die „bisherigen Vorschriften“ den Eigentümer nicht weniger weit beschränken als die Vorschriften des NRG BW. Auch unter Berücksichtigung der Überleitungsvorschrift des Art. 33 Abs. 1 NRG BW bleibt es daher bei der Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 3 NRG BW.

2.

Soweit der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 15.10.2014 - ebenfalls erstmals - rügt, der Tenor zu 1. des erstinstanzlichen Urteils erfasse auch die an der Grundstücksgrenze stehenden Laubbäume, die zum einen keine Baumreihe bilden würden und von denen zum andern keine Beeinträchtigung ausgehe, bleibt die Berufung auch insoweit ohne Erfolg. Der Einwand ist schon widersprüchlich, denn wenn die Laubbäume an der Grundstücksgrenze - wie der Beklagte geltend macht - keine Baumreihe bilden, sind sie vom Wortlaut des Tenors zu 1. nicht erfasst. Bilden sie dagegen eine Baumreihe mit dem entsprechenden Dichtschluss, kommt es aus den im Hinweisbeschluss unter Ziff. 2 b. und c. dargelegten Gründen gerade nicht darauf an, ob von den Bäumen eine konkrete Beeinträchtigung zu Lasten der Klägerin ausgeht. Aus denselben Gründen spielt auch keine Rolle, ob es durch die Fichtenreihe zu einer Beeinträchtigung des Sonneneinfalls kommt oder nicht.

Die Zurückweisung der Berufung ist nicht anfechtbar (§ 522 Abs. 3 ZPO).