BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 551/13
Fundstelle
openJur 2015, 3762
  • Rkr:
Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 25. November 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 24.618,89 €

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten im Betragsverfahren auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch, nachdem deren gesamtschuldnerische Haftung wegen grob fehlerhafter ärztlicher Behandlung (Übersehen eines Kleinhirninfarkts mangels Durchführung eines MRT), die zur Erwerbsunfähigkeit des Klägers geführt hat, durch rechtskräftiges Grundurteil festgestellt worden ist. Das Landgericht hat die Beklagten im Schlussurteil zur Zahlung von 198.324,43 € verurteilt. In diesem Betrag ist ein Verdienstausfall für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Mai 2011 in Höhe von 157.622,40 € enthalten. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen, die sich nur auf die Höhe des Verdienstausfalls bezieht. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wenden sich die Beklagten gegen das Berufungsurteil, soweit der Verdienstausfall auf mehr als 133.003,51 € festgesetzt wurde.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).

2. So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig Vorbringen der Beklagten zum Abzug für ersparte Aufwendungen, insbesondere für Fahrtkosten zur 130 km entfernten Arbeitsstelle des Klägers, gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unberücksichtigt gelassen.

a) Der insoweit neue Vortrag in der Berufungsinstanz ist unstreitig geblieben, weshalb er vom Berufungsgericht nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen. Denn unstreitige Tatsachen, die erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen werden, sind stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 141 ff., juris Rn. 11 ff.; Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10, juris Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 531 Rn. 20 mwN), und zwar selbst dann, wenn der unstreitige Vortrag im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (BGH, Urteile vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 144 f., juris Rn. 20; vom 16. Oktober 2008 - IX ZR 135/07, VersR 2010, 86 Rn. 22). Hier waren die Tatsachen, aufgrund derer die Beklagten ersparte Aufwendungen geltend machen, hinsichtlich der Fahrtkosten unstreitig. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz selbst vorgetragen, Arbeits- und Wohnort seien schon in erster Instanz bekannt gewesen.

b) Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich, weil auch die vom Berufungsgericht angestellte Hilfserwägung das Urteil nicht trägt.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, unabhängig von der Zurückweisung des Vortrags ersparter Aufwendungen habe der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, dass den ersparten Fahrtkosten auch Nachteile gegenüberstünden, weil für das Kraftfahrzeug des Klägers weiterhin Unterhaltskosten angefallen seien, obwohl ihm dessen Nutzung nicht mehr möglich gewesen sei. Ferner erleide er steuerliche Nachteile, weil er die berufsbedingten Fahrtkosten nicht mehr als Werbungskosten ansetzen könne. Ob die Vorteile die Nachteile überwögen, sei weder dargetan noch erkennbar.

Soweit das Berufungsgericht auf die fehlende Darlegung der Beklagten verweist, überspannt es die Anforderungen an deren Darlegungslast. Die Beklagten genügten als Schädiger ihrer Darlegungslast, indem sie ersparte Aufwendungen im Hinblick auf beruflich bedingte Fahrtkosten einwandten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 1987 - VI ZR 17/86, VersR 1987, 668, 669, juris Rn. 9; OLG München, Urteil vom 21. Mai 2010 - 10 U 2853/06, juris Rn. 366; OLG Sachsen-Anhalt, Schaden-Praxis 1999, 90, juris Rn. 4). Es oblag nicht ihnen, zugleich auf Nachteile hinzuweisen, die den Vorteilen wieder gegenüberstanden. Insbesondere mussten sie nicht die Höhe eventueller Nachteile darlegen. Es war vielmehr Aufgabe des Gerichts, gegebenenfalls gemäß § 287 ZPO eine Schadensschätzung vorzunehmen und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dann, wenn es auf der Basis einer geeigneten Schätzgrundlage und ggf. nach einer Beweisaufnahme geprüft hätte, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Wegen der deswegen erheblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, auch die weiteren Einwendungen der Beklagten zu berücksichtigen.

Galke Pauge Stöhr Offenloch Oehler Vorinstanzen:

LG Verden, Entscheidung vom 21.02.2013 - 5 O 144/11 -

OLG Celle, Entscheidung vom 25.11.2013 - 1 U 23/13 -