BGH, Beschluss vom 13.03.2008 - V ZB 113/07
Fundstelle
openJur 2011, 6305
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 29. August 2007 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks auf dem Gebiet der beklagten, früher preußischen, heute hessischen Gemeinde. Das Grundstück grenzt an ein Grundstück der Beklagten, auf dem oberhalb einer Böschung der "K. weg" verläuft. Eigentümerin dieses Grundstücks ist die Beklagte. Die Kläger behaupten, der "K. weg" diene aufgrund eines Rezesses als Hauptwirtschaftsweg der Erschließung der an den Weg grenzenden landwirtschaftlich genutzten Grundstücke. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe die Beklagte den Weg als Zufahrt zu einem Herz-Kreislauf-Zentrum ausgebaut und hierbei die Zufahrt von dem Weg zu ihrem Grundstück beseitigt. Sie meinen, der Rezess verpflichte die Beklagte, die Wiederherstellung der Zufahrt auf ihr Grundstück zu landwirtschaftlichen Zwecken zu dulden. Sie beantragen, die Beklagte zu der entsprechenden Duldung zu verurteilen.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten gerügt. Das Amtsgericht hat die Zulässigkeit verneint und die Sache an das zuständige Verwaltungsgericht verwiesen. Die sofortige Beschwerde der Kläger hiergegen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Beschwerde erstreben die Kläger, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Zivilgerichten festzustellen.

II.

Das Gericht der sofortigen Beschwerde verneint den Rechtsweg zu den Zivilgerichten. Es meint, Streitigkeiten um den Zugang zu einem gemeindlichen Weg seien auch dann nicht von den Zivilgerichten zu entscheiden, wenn der Anspruch hierauf aus einem Rezess hergeleitet werde.

III.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Nach dem Wortlaut von § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG kann die Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zwar nur von den "oberen Landesgerichten" zugelassen werden. Der Zweck der Regelung, grundsätzliche Fragen durch den Bundesgerichtshof zu klären, gebietet indessen eine weite Auslegung der Bestimmung. Nach dieser können die Landgerichte, ebenso wie sie seit der Reform des Zivilprozessrechts als Berufungsgerichte über die Zulassung der Revision entscheiden können, als Beschwerdegerichte in einem Verfahren nach § 17a Abs. 4 GVG die (Rechts-) Beschwerde zum Bundesgerichtshof zulassen (BGHZ 155, 365 ff.).

2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht eröffnet.

Maßgeblich für die Bestimmung des Rechtswegs ist die Natur des geltend gemachten Anspruchs. Die Kläger verlangen Teilnahme an dem Kommunalvermögen der Beklagten. Ein Anspruch hierauf gehört dem öffentlichen Recht an. Hieran ändert sich nicht dadurch etwas, dass der Anspruch aus einem Rezess hergeleitet wird. Ansprüche wegen der durch einen Rezess geregelten Rechte an einem Weg sind in ihrem Ausgangspunkt zwar als privatrechtlich zu qualifizieren. Das führt entgegen der Meinung der Beschwerde aber nicht zur Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten, soweit die Rezessbeteiligten bzw. deren Rechtsnachfolger gegen eine Gemeinde um die Nutzung eines Wegegrundstücks streiten.

a) Individuelles Eigentum an landwirtschaftlich genutzten Grundstücken war dem deutschen Recht in früher Zeit fremd. Felder, Wiesen und Wälder standen in ungeteiltem gemeinschaftlichen Eigentum der Dorf- oder Markgenossen. Später wurde es üblich, dass der Siedlungsverband einzelnen seiner Angehörigen bestimmte Flächen zur Nutzung zuwies. Hieraus entwickelte sich privates Eigentum, das jedoch grundsätzlich mit Rechten für die übrigen Verbandsgenossen und Bewirtschaftungspflichten belastet war. Darüber hinaus war die "gemeine Mark" (Viehweiden, Waldungen, Wege, Gräben u. ä.) von der Zuweisung ausgenommen. Diese blieb als Allmende gemeinschaftliches Eigentum, das nur von den Siedlungs-, Mark- oder Dorfgenossen genutzt werden durfte (vgl. OLG Celle RdL 1964, 157, 158; Tröster, Rpfleger 1960, 85; Böhringer NJ 2000, 120).

Diese Ordnung geriet in Widerspruch zu der Wirtschaftsentwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts. Das gab den deutschen Staaten Anlass zum Erlass von "Gemeinheitsteilungsordnungen", die es ermöglichten, die bestehenden Gemeinschaften zwangsweise zu beenden (vgl. PrGemeinheitsteilungs-Ordnung v. 7. Juni 1821; PrGS 1821, S. 53 ff.). Die Grundstücke und das gemeinsame Eigentum der beteiligten "Koppelungs-" und "Separationsinteressenten" wurden zusammengefasst, von Bewirtschaftungsverpflichtungen und Belastungen zugunsten der Eigentümer anderer Grundstücke oder der Markgenossen befreit, neu geschnitten und durch einen von der Auseinandersetzungsbehörde zu genehmigenden Vertrag, den Rezess, entsprechend dem Wert der eingebrachten Grundstücke und Rechte neu zugeteilt, soweit keine Barabfindung stattfand (vgl. RG JW 1896, 453; OLG Hamm RdL 1974, 73, 74; Böhringer, NJ 2000, 120, 121; Seehusen, RdL 1962, 305).

Die damit bewirkte Flurneuordnung beließ die zur Erschließung der Grundstücke dienenden Wege als "Zweckgrundstücke" meist im gemeinschaftlichen Eigentum der "Interessenten". Die betroffenen Wege waren als Wirtschafts- oder Hauptwirtschaftswege nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet und gehörten nicht zu dem Vermögen der politischen Gemeinden. Die verbliebene Mitberechtigung an den "Zweckgrundstücken" bildete vielmehr einen Bestandteil des Eigentums an den aus der Neuordnung hervorgegangenen Grundstücken. Hierbei verblieb es gemäß Art. 113 EGBGB vorbehaltlich landesrechtlicher Regelungen auch nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 (OLG Hamm RdL 1974, 73, 75; Böhringer, NJ 2000, 120, 121; Tröster, Rpfleger 1960, 85).

b) Auch wenn danach die rechtlichen Beziehungen der Eigentümer der aus dem Rezess hervorgegangenen Grundstücke im Hinblick auf die "Zweckgrundstücke" in ihrem Ausgangspunkt privatrechtlicher Natur sind (RGZ 47, 314, 318; 79, 46, 51), ist über Ansprüche auf Nutzung dieser Grundstücke gegen eine Gemeinde von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden.

aa) Der Verkehr auf den von einem Rezess erfassten Wegen und deren Instandhaltung bedurften seit jeher einer Regelung. Die Befugnis hierzu wurde durch den Rezess häufig der politischen Gemeinde übertragen, auf deren Gebiet die Grundstücke der "Interessenten" gelegen waren. Nach § 1 des preußischen Gesetzes betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten vom 2. April 1887 (PrGS 1887, S. 105 ff.) konnte die Auseinandersetzungsbehörde die Organisation des Verkehrs auf den Wirtschaftswegen und deren Unterhaltung dem Vorsteher der jeweiligen politischen Gemeinde übertragen. Die Übertragung hatte gemäß § 6 Abs. 1 des Gesetzes die Unterwerfung der Interessenten unter die hoheitlichen Befugnisse des Vorstehers zur Folge. Streitigkeiten um die Befugnis zur Nutzung der Wege (RGZ 47, 314, 318) oder ihre Unterhaltung (RGZ 48, 341, 342 f.) waren daher von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden. Nach RGZ 79, 46, 51 haben "Zweckmäßigkeitsgründe und der Umstand, dass sich die Miteigentümer der Gemeinschaften zumeist mit den Gemeindemitgliedern oder doch einer Klasse dieser Mitglieder decken, dazu geführt, bei diesen Gemeinschaften die Privatinteressen den öffentlichen Interessen unterzuordnen und die Verwaltung jener Privatgerechtsame der der öffentlichen Gemeindeangelegenheiten gleichzustellen". Ansprüche aus "rezessmäßigen Festsetzungen", die nicht auf vertragsmäßige Bestimmungen der "Interessenten" untereinander zurückgehen, wurden, ohne dass die Übertragung von Rechten auf den Vorsteher der politischen Gemeinde erörtert wurde, dem öffentlichen Recht zugeordnet (RG Gruchot Bd. 35, 1130, 1131; RG JW 1896, 453).

bb) So verhält es sich von vornherein, wenn der Gemeinde durch den Rezess nicht nur die Verwaltung eines Wegegrundstücks übertragen wurde, sondern das Eigentum an diesem (Kluckhuhn, Das Recht der Wirtschaftswege und sonstigen landwirtschaftlichen Zweckgrundstücke, 1904, S. 7). So liegt es hier. Nach dem zu den Akten gegebenen Rezess wurden die "Wege und Gräben ... derjenigen Gemeinde, in deren Bezirke sie liegen, mit der Maßgabe, dass davon kein dem Hauptzwecke derselben entgegen stehender Gebrauch gemacht werden darf, eigentümlich überwiesen". Durch die "Überweisung" schieden die Wegegrundstücke aus dem gemeinsamen Eigentum der "Interessenten" aus. Sie wurden Gemeindeglieder- bzw. Gemeindegliederklassenvermögen im Sinne des heutigen § 119 HessGO. Die Berechtigung zur Nutzung dieses Vermögens ist nach öffentlichem Recht zu bestimmen (Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung, Loseblattkommentar, Stand Juli 2007, § 119 Erläuterung Abs. 1). Nach § 40 Abs. 1 VwGO entscheiden über Ansprüche hierauf die Verwaltungsgerichte.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ist nach dem Interesse der Kläger an der Nutzung ihres Grundstücks zu landwirtschaftlichen Zwecken mit 1.500 € anzunehmen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 17a GVG Rdn. 20).

Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth Vorinstanzen:

AG Rotenburg a. d. Fulda, Entscheidung vom 08.05.2007 - 2 C 407/06 (71) -

LG Fulda, Entscheidung vom 29.08.2007 - 5 T 224/07 -