VG Göttingen, Urteil vom 19.11.2014 - 3 A 368/13
Fundstelle
openJur 2015, 3405
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Gebühren für einen Einsatz der Berufsfeuerwehr der Beklagten. Am 03.04.2013 zwischen 21.00 Uhr und 22.00 Uhr öffneten Feuerwehrbeamte der Beklagten im Zusammenwirken mit einer seitens der Klägerin rahmenvertraglich beauftragten Firma eine Aufzugtür im Gebäude K. weg 4-6, um zwei (oder drei) aufgrund eines technischen Defekts des Aufzugs eingeschlossene Personen zu befreien. Für den knapp eine Stunde dauernden Einsatz von 3 Feuerwehrleuten mit einem Fahrzeug zog die Beklagte die „Firma L. GmbH, M. -Straße 1, N.“, durch Bescheid vom 30.04. 2013, abgesandt am 02.05.2013, zu einer Gebühr in Höhe von 325,00 € heran. Mit Schreiben vom 23.05.2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die „Firma L. GmbH“ seit Jahren nicht unter der angegebenen Anschrift existiere. Der Feuerwehreinsatz sei von ihr nicht in Auftrag gegeben worden und nicht notwendig gewesen, weil ein Vollwartungsvertrag für die Aufzuganlage bestehe, der auch das Öffnen von Aufzugtüren im Notfall umfasse.

Mit Bescheid vom 30.05.2013, abgesandt an die „L. G. GmbH“ am selben Tage, zog die Beklagte die „WEG K. weg 4-6“ wegen desselben Sachverhalts zu einer Gebühr in Höhe von ebenfalls 325,00 € heran; dieser Bescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens 3 A 379/13. In einem Schreiben an die „O. GmbH“ vom 29.05.2013, abgesandt am 31.05.2013, vertrat die Beklagte die Auffassung, dass bei dem Einsatz vom 03.04.2013 Leistungen der Feuerwehr im Interesse der WEG erbracht worden seien. Die Tätigkeiten an der Einsatzstelle seien zusammen mit der Firma P. durchgeführt worden. Eine Möglichkeit zum Erlass der Kosten bestehe nicht; mit gleicher Post werde ein neu ausgestellter und adressierter Gebührenbescheid versandt. Mit einem weiteren, abgesehen von der Adressierung gleich lautenden Bescheid vom 19.06.2013, abgesandt am 20.06.2013, zog die Beklagte die „WEG K. weg 4-6, c/o Q. GmbH, M. -Straße 1“ erneut wegen des Feuerwehreinsatzes vom 03.04.2013 zu einer Gebühr in Höhe von 325,00 € heran; soweit ersichtlich, wurde dieser Bescheid nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen.

Am 04.06.2013 hat die Klägerin Klage erhoben.

Zur Begründung der Klage trägt sie im Wesentlichen vor, als Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft sei sie nicht persönliche Gebührenschuldnerin. Zwar firmiere die Klägerin nicht als „L. GmbH“, müsse aber befürchten, aus dem Gebührenbescheid in Anspruch genommen zu werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30.04.2013 - J. - aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig. Der streitbefangene Bescheid sei nichtig, weil er an eine nicht existente Gesellschaft gerichtet gewesen sei, weshalb die Klägerin ihn im Original mit Schreiben vom 23.05.2013 an die Beklagte zurückgesandt habe. Im Zeitpunkt der Klageerhebung sei der Bescheid vom 30.04.2013 durch einen weiteren Bescheid vom 30.05.2013 bereits aufgehoben worden. Dies ergebe sich aus dem Begleitschreiben, wonach die Beklagte keine Möglichkeit zum Erlass der Kosten gesehen und mit gleicher Post einen neu ausgestellten und adressierten Gebührenbescheid übersandt habe.

Der Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach-  und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30.04.2013 - J. -  ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

12Die Klage ist zulässig, insbesondere fehlt der Klägerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Bescheid wegen der Inanspruchnahme einer nicht existenten juristischen Person nichtig wäre. Die erforderliche hinreichende Bestimmtheit des Gebührenbescheides gemäß §§ 11 Abs. 1 Nr. 3b NKAG, 119 Abs. 1 und 157 Abs. 1 Satz 2 AO ist nicht schon mangels zutreffender Adressierung zu verneinen. Vielmehr lässt sich durch Auslegung des Bescheides unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts der Klägerin entsprechend §§ 133, 157 BGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.03.2014 – 8 C 32.12 –, juris, Rn 45f; Sächs. OVG, Urteil vom 25.07.2012 – 5 A 336/10 –, juris, Rn 21; BFH, Urteil vom 20.03.2013 – X R 38/11 –, juris, Rn 24f) ermitteln, dass diese selbst Inhaltsadressatin der Verfügung war. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu Abgabenbescheiden an nicht existente Steuersubjekte steht dem nicht entgegen (vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.1995 - GrS 4/84 - BFHE 145,110,115 und Urteil vom 25.01.2006 - I R 52/05 - BFH/NV 2006, 1243). Sie konkretisiert nicht das verfassungsrechtlich gemäß Art. 20 Abs. 1 GG geforderte Mindestmaß hinreichender Bestimmtheit, sondern stellt weitergehende Anforderungen in Anwendung des einfachen Steuerrechts auf (BVerwG, Urteil vom 12.03.2014, aaO.). Verwaltungsverfahrensrechtlich bleibt eine auslegungsweise Bestimmung der Inhaltsadressatin zulässig, soweit bei ihr keine unzumutbare Unsicherheit über die eigene Betroffenheit sowie über Grund, Höhe und Fälligkeit der Abgabenschuld entsteht. Hier konnte die Klägerin nicht daran zweifeln, dass der Bescheid die Gebührenschuld festsetzte, die aufgrund des Feuerwehreinsatzes zur Öffnung einer Aufzugtür in dem von ihr betreuten Objekt K. weg 4-6 am Abend des 03.04.2013 entstanden war. Entsprechend hat sie sich auch im weiteren Verfahren verhalten und darauf hingewiesen, dass sie als Bescheidadressatin mit einer veralteten Firmenbezeichnung angesprochen worden sei, und dass sie als Verwalterin nicht gebührenpflichtig sei. Indem die Beklagte die postalische Anschrift der Klägerin benutzt hatte und diese als Verwalterin des Gebäudes auch eine sachliche Beziehung zu dem Grund der Gebührenerhebung besaß, die Bezeichnung „L.“ im örtlichen Sprachgebrauch für die Klägerin noch geläufig ist, schließlich auch die Beklagte im Schreiben vom 31.05.2013 die Klägerin als „O. GmbH“ ansprach und ihr darlegte, warum sie die Tätigkeit der Feuerwehr für gebührenfähig halte, sprechen auch die weiteren Begleitumstände dafür, dass die Klägerin unter falschen Bezeichnung „L. GmbH“ als Gebührenpflichtige herangezogen werden sollte. Die Inhaltsadressatin des Bescheides vom 30.04.2013 ist mithin durch Auslegung hinreichend genau bestimmbar; es handelt sich um die Klägerin.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht entfallen, weil der Bescheid vom 30.04.2013 vor Klageerhebung bereits aufgehoben worden wäre. Der Bescheid vom 30.05.2013 bezeichnet die „WEG K. weg 4-6“ als Inhalts- und die „L. G. GmbH“ – womit nach den vorstehenden Ausführungen wiederum zweifelsfrei die Klägerin gemeint ist – als Bekanntgabeadressatin. Der Bescheid vom 19.06.2013 wurde an die „Q. GmbH“ bekannt gegeben. Ansonsten entsprechen beide im Wortlaut dem Bescheid vom 30.04.2013. Ein Hinweis, dass Letzterer aufgehoben werden solle, ist den Bescheiden vom 30.05.2013 und 19.06.2013 nicht zu entnehmen. Nach dem Empfängerhorizont ersetzt keiner von ihnen damit den Bescheid vom 30.04.2013, vielmehr treten sie neben ihn und verschaffen der Beklagten einen vollstreckbaren Titel gegen die WEG als eine weitere Gebührenschuldnerin zusätzlich zur Klägerin. Das Schreiben der Beklagten vom 29.05.2013 ist weder vom äußeren Eindruck noch vom Inhalt her ein Verwaltungsakt, der den – in Bezug genommenen – Bescheid vom 30.04.2013 aufhebt. Einzig der erste Teil des letzten Satzes –„Ich sehe leider keine Möglichkeit, die Kosten zu erlassen…“ – könnte einen Regelungsgehalt im Sinne von § 118 Satz 1 AO enthalten, und zwar in dem Sinne, dass ein Erlassantrag aus Billigkeitsgründen (den die Klägerin jedoch nie gestellt hat) abgelehnt werden soll. Zusammen mit der im selben Satz angesprochenen Übersendung eines neu ausgestellten und adressierten Gebührenbescheides beharrt jedoch die Beklagte bei objektivem Verständnis inhaltlich auf dem  Bestand des von der Klägerin zurück gesandten Bescheides vom 30.04.2013, den sie nach ihrer Auffassung lediglich neu adressiert und übersendet. Weder weist das Schreiben vom 29.05.2013 darauf hin, dass der Bescheid vom 30.04.2013 keine rechtlichen Wirkungen mehr entfalten solle, noch wurde hierzu eine Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtene Erhebung einer Feuerwehrgebühr durch die Beklagte ist bereits deshalb rechtswidrig, weil ihre für das Jahr 2013 erlassene „Satzung über die Erhebung von Kostenersatz und Gebühren für Dienst- und Sachleistungen der Feuerwehr G. außerhalb der unentgeltlich zu erfüllenden Pflichtaufgaben“ vom 14.12.2012 (Feuerwehrgebührensatzung - FGS -) gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Gebührensätze der Kosten- und Gebührentabelle sind nicht nach den Vorgaben der §§ 29 Abs. 2 NBrandSchG, 5 Abs. 3 NKAG kalkuliert. Dies beginnt schon damit, dass den vorgelegten Unterlagen nicht eindeutig zu entnehmen ist, für welchen Kalkulationszeitraum sie gelten sollen.

15Zum methodischen Aufbau der Kalkulation von Feuerwehrgebühren hat das Nds. OVG (Urteil vom 28.06.2012 - 11 LC 234/11 -, juris, Rn 38f) ausgeführt:

„Dies vorausgesetzt, ist es …geboten, dass die Beklagte keine Einheitsgebühr, sondern verschiedene Teilleistungsgebühren erhebt, die folglich auch getrennt zu kalkulieren sind. Dazu (vgl. zum Nachfolgenden Nds. OVG, Urt. v. 8.12.2005 - 8 KN 123/03 -, juris, Rn. 31 f., m. w. N.; Rosenzweig/Freese, a. a. O., § 5 Rn. 67a) sind zunächst gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 NKAG für den zu kalkulierenden Zeitraum die voraussichtlich ansatzfähigen Kosten des jeweiligen Teilleistungsbereichs nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Kostenrechnung zu ermitteln. Nur die dem jeweiligen Leistungsbereich zuzuordnenden Kosten dürfen bei der für den speziellen Leistungsbereich festzusetzenden Gebühr berücksichtigt werden. Kosten, die eindeutig einem Teilleistungsbereich zugeordnet werden können, sind daher als Kostenaufwand allein dieses Teilleistungsbereichs anzusetzen. Dienen Anlagen oder Einrichtungsteile hingegen allen Teilleistungsbereichen, so sind die hierdurch anfallenden Kosten nach den Grundsätzen der Kostenverursachung über sachgerechte Umlageschlüssel auf die jeweiligen Teilleistungsbereiche aufzuteilen. Kosten, die dadurch entstehen, dass die Einrichtung auch von der Allgemeinheit in Anspruch genommen wird, dürfen hingegen als Allgemeinanteil nicht umgelegt werden, sondern gehen zu Lasten der allgemeinen Deckungsmittel. Die danach umlagefähigen Kosten sind schließlich auf alle Benutzer der jeweiligen Teilleistungseinrichtung leistungsgerecht nach § 5 Abs. 3 NKAG zu verteilen. Soweit - wie hier etwa bei der Benutzung eines Feuerwehrfahrzeuges - die jeweilige Inanspruchnahme gleichartig ist, kann die sich bei einem Kostendeckungsgrad von 100% allein nach dem NKAG - d. h. noch ohne die gebotene Berücksichtigung der Besonderheiten des NBrandSchG - ergebende Gebühr durch einfache Teilung ermittelt werden, d.h. indem die voraussichtlich anfallenden, ansatzfähigen Kosten durch die zu erwartende Zahl der Nutzungen geteilt werden.

Kosten für Anlagen, Gegenstände oder Einrichtungsteile, die allen Teilleistungsbereichen dienen, sind nach den Grundsätzen der Kostenverursachung über sachgerechte Umlageschlüssel auf die jeweiligen Teilleistungsbereiche aufzuteilen (aaO., Rn 56).“

Der erkennende Einzelrichter teilt diese Auffassung. Die demnach mindestens erforderliche Aufteilung der Kosten (und Einnahmen) auf die unentgeltlichen Pflichtaufgaben (§ 29 Abs. 1 Satz 1 NBrandSchG), die entgeltlichen Pflichtaufgaben, die freiwilligen Leistungen sowie die übrigen in § 29 Abs. 2 NBrandSchG aufgeführten Bereiche enthält die Kalkulation der Beklagten nicht. Wegen dieses methodischen Fehlers ist auch die vorgenommene Pauschalierung einzelner Gebührensätze (vgl. § 29 Abs. 2 Satz 2 NBrandSchG) wie des Kraftstoffverbrauchs oder der Werkstattgemeinkosten rechtswidrig. Denn es ist nicht erkennbar, ob aus den pauschalierten Gebührensätzen verbleibende Defizite nicht aus den kalkulierten Gebühren mitgedeckt werden und damit eine nicht erlaubte Quersubventionierung (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 17.12. 2008 - 3 A 107/08 -, juris, Rn 19) stattfindet.

Nicht erkennbar ist ferner, wie der kalkulatorische Zinssatz ermittelt und mit welchem Prozentsatz er angewandt wurde. Aufrundungen von Gebührensätzen, wie sie insbesondere auf den Seiten 12, 13 und 39 der vorgelegten Kalkulationsunterlagen zu erkennen sind, verstoßen gegen den Kostendeckungsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 2 NKAG und sind deshalb nicht zulässig. Abrundungen, die insbesondere auf den Seiten 40 bis 42 vorgenommen wurden, sind zwar zulässig, führen aber zu einem endgültigen Einnahmeverzicht und müssen daher als freiwilliger Verzicht auf eine mögliche Kostendeckung bei der Betriebsabrechnung berücksichtigt werden. Dasselbe gilt für die Kosten der Nachbereitung sämtlicher Einsätze. Indem § 7 FGS die Gebühren- und Kostenschuld bereits entstehen lässt, bevor die Nachbereitung eines Einsatzes oder einer Tätigkeit erfolgen kann, und bevor die Durchsicht/Wartung zurück gegebener Geräte nach § 7 Nr. 3 FGS durchgeführt wird, dürfen die auf diese Tätigkeit entfallenen Personal-, Material- und kalkulatorischen Kosten nicht bei der Gebühren- und Kostenermittlung berücksichtigt werden; ob dies der Fall ist, kann den vorgelegten Unterlagen nicht entnommen werden.