KG, Beschluss vom 27.01.2015 - 2 Ws 3/15 - 141 AR 672/14
Fundstelle
openJur 2015, 3073
  • Rkr:

1. Im Verfahren auf Aussetzung einer Reststrafe nach § 57 StGB hat das Gericht als Vorfrage zu prüfen, ob überhaupt noch ein aussetzungsfähiger Strafrest vorhanden ist.

2. Wird eine Maßregel nach § 63 StGB wegen einer anfänglichen Fehldiagnose für erledigt erklärt, so ist bereits verbüßter Maßregelvollzug analog § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vollständig auf eine im gleichen Erkenntnis verhängte Strafe anzurechnen.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 14. November 2014 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

A.

Das Landgericht Berlin verurteilte den Untergebrachten am 7. Juni 2004 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung (Einzelstrafen: drei und sieben Jahre) unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Potsdam – 427 Js 5002/01 V 23 KLs 12/01 – vom 13. September 2001 verhängten Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Zugleich ordnete das Landgericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Strafkammer ging in Übereinstimmung mit den Ausführungen eines psychiatrischen Sachverständigen davon aus, dass der Verurteilte bei der Begehung der Sexualstraftaten aufgrund eines psychischen Defekts, nämlich einer sadistisch geprägten heterosexuellen Pädophilie, in seiner Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen sei.

Aufgrund der vorgenannten Verfahren befand sich der Verurteilte seit dem 7. März 2001 bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses, insgesamt also mehr als 13 Jahre und 8 Monate wie folgt im staatlichen Gewahrsam:

•Untersuchungshaft in der einbezogenen Sache vom 7. März bis 20. September 2001•Strafhaft in der einbezogenen Sache vom 21. September 2001 bis 6. Juni 2004und nach Erlass des noch am Tage der Verkündung rechtskräftig gewordenen Urteils vom 7. Juni 2004:

•Organisationshaft vom 7. Juni bis 12. September 2004•Unterbringung gemäß § 63 StGB ab dem 13. September 2004.Das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – hat in dem angefochtenen Beschluss:

(1) die mit Urteil vom 7. Juni 2004 angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt,

(2) festgestellt, dass keine Führungsaufsicht eintritt und

(3) die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt.

Die sachverständig beratene Strafvollstreckungskammer hat die Unterbringung für erledigt erklärt, da gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB die Voraussetzungen für die Maßregel von Anfang an nicht vorgelegen hätten. Im Anschluss an die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen und die Stellungnahme der behandelnden Ärzte ist die Strafvollstreckungskammer zu der Überzeugung gelangt, dass die in der Anlassverurteilung festgestellte „sadistisch geprägte heterosexuelle Pädophilie“ schon zur Zeit der Tatbegehung nicht vorgelegen habe. Es müsse sicher von einer Fehleinweisung ausgegangen werden. Die Feststellung, dass keine Führungsaufsicht eintritt, hat das Landgericht darauf gestützt, dass § 67 Abs. 6 Satz 2 StGB nicht die Fälle erfasse, in denen schon die Anordnung der Maßregel auf einer Fehldiagnose beruhe. Die Aussetzung der Vollstreckung „der restlichen Freiheitsstrafe“ hat das Landgericht abgelehnt, da derzeit nicht zu erwarten sei, dass der Untergebrachte außerhalb des Strafvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB).

Zur Vorbereitung der Entscheidung hatte das Landgericht die Staatsanwaltschaft um eine aktuelle Strafzeitberechnung gebeten. Diese verwies im Vermerk vom 2. Oktober 2014 zunächst auf eine – ersichtlich falsche, insbesondere unter Außerachtlassung des zwischenzeitlichen mehr als zehnjährigen Maßregelvollzugs – Berechnung, ausweislich der noch eine Restfreiheitsstrafe von 2.464 Tagen offen sei. Davon abweichend ging das Landgericht im Vermerk vom 8. Oktober 2014 davon aus, dass durch die Anrechnung des Maßregelvollzugs (nach Maßgabe des § 67 Abs. 4 StGB) zwei Drittel der ursprünglichen Gesamtfreiheitsstrafe als verbüßt gelten und danach noch drei Jahre und vier Monate offen seien (VH Bd. 3 Bl. 38).

Mit am 1. Dezember 2014 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Untergebrachte durch seinen Verteidiger gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige Beschwerde eingelegt. Zum Ziel der Beschwerde wird in der Begründung u.a. Folgendes ausgeführt:

„Die hiesige Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Berlin zum Aktenzeichen 589 StVK 57/14, wie dort unter Nr. 3 des Beschlusses die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt wurde. Nach hiesiger Ansicht ist die Ablehnung der Aussetzung zu Bewährung nicht geboten. Zum einen verwundert, dass die Strafkammer ihr Ermessen offenbar nur unzureichend ausgeübt hat. Denn es dürfte doch von grundlegender Bedeutung sein, ob überhaupt eine restliche Freiheitsstrafe verbüßt sein muss.“

Hierauf folgen Ausführungen zur Strafzeitberechnung. Der Beschwerdeführer vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass unter Berücksichtigung der bisherigen Vollzugszeiten und Anrechnung der Untersuchungshaft die Strafe vollständig vollstreckt sei; selbst wenn man die Untersuchungshaft nicht anerkennen würde, wäre bestenfalls noch ein Monat Freiheitsstrafe zu verbüßen. Mit der Beschwerde beantragt er „die Vollstreckung eventueller restlicher Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen“.

B.

Das Rechtsmittel ist zulässig aber unbegründet.

I.

Die Beschwerde ist, wie sich aus dem Antrag und der Beschwerdebegründung ergibt, auf die Entscheidung des Landgerichts zur Frage der Strafaussetzung gemäß § 57 StGB beschränkt (Nr. 3 des Tenors). Nicht angefochten sind mithin die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer, mit denen sie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt und zudem festgestellt hat, dass (im Hinblick auf die erledigte Maßregel) keine Führungsaufsicht eintritt (Nr. 1 und 2 des Tenors).

Die Rechtsmittelbeschränkung ist zulässig. Ihre Wirksamkeit verlangt die Beschränkung auf solche Beschwerdepunkte, die losgelöst von dem nichtangegriffenen Teil der Entscheidung rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhaltes notwendig zu machen (vgl. BGHSt 39, 208 [209]; 29, 359 [364]; 10, 100 [101]; KG NStZ-RR 2004, 175). Dies ist vorliegend der Fall, da nach der erfolgten Erledigungserklärung der Maßregel die Frage der Strafaussetzung unabhängig davon beantwortet werden kann.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass in der Beschwerdebegründung in Zweifel gezogen wird, ob – nach der gebotenen Anrechnung der erlittenen Freiheitsentziehung – überhaupt noch Freiheitsstrafe zu vollziehen und die Ablehnung der Bewährungsaussetzung überhaupt geboten gewesen sind. Denn der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdebegründung jedenfalls zudem vorsorglich beantragt, „die Vollstreckung eventueller restlicher Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen“; er hat damit eine für das Rechtsmittel erforderliche Beschwer (vgl. dazu Paul in KK-StPO 7. Aufl., Vor § 296 Rdn. 5 mit weit. Nachweisen) in ausreichender Weise dargelegt. Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig.

II.

Die Beschwerde ist indes unbegründet. Eine Reststrafaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB scheitert aber nicht erst daran, dass dem Verurteilten – wie vom Landgericht ausgeführt – keine günstige Legalprognose gestellt werden kann. Vielmehr war eine Strafaussetzung vorliegend schon deshalb abzulehnen, weil nach der gebotenen Anrechnung bisheriger Vollstreckungszeiten davon auszugehen ist, dass die gegen den Beschwerdeführer mit Urteil vom 7. Juni 2004 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe vollständig erledigt ist.

1. Zwar ist zunächst die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde „für die richtige Berechnung der Strafzeit verantwortlich“ (§ 36 Abs. 1 StVollstrO, § 451 Abs. 1 StPO). Doch hat das Gericht im Verfahren auf Aussetzung einer Reststrafe die Berechnung von Amts wegen als Vorfrage eigenständig zu überprüfen. Denn eine dem Verurteilten günstige Entscheidung nach § 57 Abs. 1, 2 StGB setzt u.a. die Feststellung voraus, dass überhaupt noch ein aussetzungsfähiger Strafrest vorhanden ist (vgl. BVerfG NJW 1995, 1080). Wenngleich die Strafvollstreckungskammer sich im angefochtenen Beschluss nicht ausdrücklich zur Strafzeitberechnung geäußert hat, kann kein Zweifel bestehen, dass sie – entsprechend den Ausführungen in ihrem Vermerk vom 8. Oktober 2014 (s.o.) – die noch zu verbüßende Restfreiheitsstrafe mit drei Jahren und vier Monaten bemessen hat.

Dabei ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass nach einer Erledigungserklärung im Sinne des § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB die Zeit des Maßregelvollzugs nach § 67 Abs. 4 StGB grundsätzlich nur begrenzt auf die Strafe angerechnet wird, nämlich „bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind“. Von dem hier mehr als zehnjährigen Aufenthalt im Maßregelvollzug wären auf Grundlage dessen somit nur sechs Jahre und acht Monate anrechenbar (vgl. zur zudem gebotenen Anrechnung sogenannter Organisationshaft BVerfG NStZ 1998, 77; Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 67 Rdn. 136 f.).

2. Streitig ist jedoch, ob §67 Abs. 4 StGB auch dann anwendbar ist, wenn sich später herausstellt, dass die Unterbringung nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil die zugrundeliegende Diagnose falsch war, etwa weil der Betroffene – wie hier – unter keiner maßgeblichen psychischen Störung gelitten hat („anfängliche Fehldiagnose“).

-Das OLG Frankfurt hat im Beschluss vom 21. September 1992 – 3 Ws 589/92 – (NStZ 1993, 252) zunächst die Auffassung vertreten, § 67 Abs. 4 StGB sei nach seinem Sinn und Zweck nur auf den tatsächlich kranken Untergebrachten anzuwenden. Bei einer anfänglichen Fehldiagnose seien hingegen weder diese noch andere Anrechnungsregeln einschlägig. Eine Anrechnung auf eine im selben Urteil erkannte Freiheitsstrafe sei somit nicht möglich. Als Ausgleich komme allein eine (Geld-) Entschädigung auf Grundlage des StrEG in Betracht. Diese Entscheidung hatte keinen Bestand. Das Bundesverfassungsgericht hat sie aufgehoben, da sie das verfassungsrechtliche Gebot nicht berücksichtige, eine doppelte Übelszufügung durch die Kumulation von freiheitsentziehender Strafe und Maßregel über das erforderliche Maß hinaus zu vermeiden (BVerfG NJW 1995, 2405). Ob danach eine gemäß § 67 Abs. 4 StGB teilweise oder aber eine vollständige Anrechnung der Zeit im Maßregelvollzug geboten ist, hat das Bundesverfassungsgericht offen gelassen; hierüber zu entscheiden, sei Aufgabe der dazu berufenen Fachgerichte.-Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums gingen im Anschluss daran von einem weiten Anwendungsbereich des § 67 Abs. 4 StGB aus, der auch den Fall der anfänglichen Fehldiagnose erfasse (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. Februar 2008 – 1 Ws 12/08 [juris]; OLG Frankfurt StV 2007, 430; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 67 Rdn. 5; offen gelassen von: Fischer, StGB 62. Aufl., § 67 Rdn 22 und § 67d Rdn. 24). Hiernach ist eine Anrechnung des Maßregelvollzuges auf die Freiheitsstrafe zwar geboten, jedoch dem Umfang nach begrenzt, nämlich, so wie in § 67 Abs. 4 StGB vorgesehen, „bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind“. Über eine weitergehende Anrechnung, so die Vertreter der Ansicht, könne nur „im Wege der Wiederaufnahme“ (so OLG Frankfurt, StV 2007, 430 [431]) oder nach Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens entschieden werden (so OLG Brandenburg Beschluss vom 11. Februar 2008 – 1 Ws 12/08 [juris]). Diese Auffassung liegt der angefochtenen Entscheidung zugrunde; der Senat hatte sie bislang ebenfalls geteilt (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 2 Ws 512/11).-Eine dritte Ansicht hält hingegen eine vollständige Anrechnung der Zeit im Maßregelvollzug für geboten (vgl. OLG Dresden OLG-NL 1996, 23; LG Görlitz StraFo 2014, 171; Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 67 Rdn. 124; Lackner/Kühl, StGB 28. Aufl., § 67 Rdn. 7; dem Ergebnis jedenfalls zuneigend: Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, § 67d Rdn. 32).3. Unter Aufgabe seines bisherigen Standpunktes tritt der Senat der letztgenannten Auffassung bei. Im Einzelnen:

Grundlage für eine vollständige Anrechnung ist eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB (so auch a.a.O.: OLG Dresden und LG Görlitz). Eine unmittelbare Anwendung scheidet aus, da die Norm nur die Anrechnung von aus Anlass der Tat und bis zur Rechtskraft des Urteils erlittener Freiheitsentziehung vorsieht (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 [253]; Fischer, StGB 62. Aufl., § 51 Rdn. 8 mit weit. Nachweisen). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung sind dagegen gegeben. Es besteht eine planwidrige Gesetzeslücke (siehe dazu nachfolgend a); zudem ist der hier zu beurteilende Sachverhalt mit dem in § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB geregelten Tatbestand im Hinblick auf die Interessensituation so vergleichbar, dass die dort vorgesehene „Vollanrechnung“ angesichts des Regelungszwecks und -plans des Gesetzgebers geboten erscheint (siehe dazu nachfolgend b).

a) Eine planwidrige Gesetzeslücke liegt vor.

aa) Zwar erfasst § 67 Abs. 4 StGB, der nur eine beschränkte Anrechnung vorsieht, seinem Wortlaut nach auch den Fall der Erledigung der Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen einer anfänglichen Fehldiagnose. Denn dann kommt es entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls zur Aufeinanderfolge von Maßregel und Strafe. Gegen einen solchen – auch die Erledigung wegen anfänglicher Fehlprognose umfassenden – weiten Anwendungsbereich sprechen jedoch sowohl die Historie als auch der Sinn und Zweck der Norm (so auch OLG Dresden OLG-NL 1996, 23; vgl. zudem OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 [253]).

§ 67 StGB ist durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 in das StGB eingefügt worden. Das bis dahin geltende Kumulationsprinzip, welches eine Aufeinanderfolge von Strafe und Maßregel ohne Anrechnungsmöglichkeit vorsah, wurde durch das vikariierende System abgelöst. Hiernach war regelmäßig zunächst die Maßregel und dann erst – unter vollständiger Anrechnung des Maßregelvollzugs – die Strafe zu vollstrecken. Im Zuge des 23. StrÄndG vom 13. April 1986 wurde § 67 Abs. 4 StGB neu gefasst und die vollständige Berücksichtigung der Zeit im Maßregelvollzug wiederum eingeschränkt. Nach der – soweit es Satz 1 betrifft – heute noch geltenden Fassung wurde das letzte Drittel der Strafe von der Anrechnungsmöglichkeit ausgenommen (vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte BVerfG NJW 2012, 1784 ff. Rdn. 5 ff.). Zu den Gründen wird in der BT-Drucks. 10/2720, S. 13 Folgendes ausgeführt:

„Für die Neufassung des § 67 Abs. 4 StGB sind die gleichen Gesichtspunkte maßgebend, die der Regelung des § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG zugrunde liegen. In dem Bericht des federführenden Bundestags-Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit aus der 8. Wahlperiode (BT-Drucksache 8/4283, S. 6, rechte Spalte) heißt es hierzu:

Zum anderen trägt die Regelung der Erwägung Rechnung, dass der Drogenabhängige unter dem Druck einer drohenden Freiheitsstrafe eher bereit sein wird, sich einer Therapie zu unterziehen. Um zu verhindern, dass dieser Druck bei Freiheitsstrafen, deren Dauer kürzer ist als die erforderliche Behandlungszeit, dadurch gegenstandslos wird, dass die Zeit der Therapie auf die Freiheitsstrafe voll angerechnet wird, erfolgt eine Anrechnung nur solange, bis aufgrund der Anrechnung zwei Drittel der Strafe als verbüßt anzusehen sind. Der Rest der Strafe wird alsdann zur Bewährung ausgesetzt, so dass als motivierender Faktor der Druck der bedingten Strafaussetzung erhalten bleibt.

Diese Erwägungen müssen in gleicher Weise für den Maßregelvollzug nach den §§ 63 und 64 StGB gelten. Die Bereitschaft, an der eigenen Rehabilitation mitzuwirken, soll auch in diesen Fällen durch den Druck einer jedenfalls noch nicht vollständig erledigten Freiheitsstrafe gefördert werden. Dabei nimmt der Entwurf – ebenso wie § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG – lediglich ein Drittel der Strafe von der Anrechnungsmöglichkeit des § 67 Abs. 4 StGB aus, d. h. den Zeitraum, der bei einer guten Sozialprognose des Verurteilten in jedem Falle aussetzungsfähig ist.“

Aus alledem wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Anrechnungsmöglichkeit allein mit Blick auf den nach §§ 63, 64 StGB untergebrachten „Regelinsassen“ beschränken wollte. Dieser war nach den Vorstellungen des Gesetzgebers u.a. dadurch gekennzeichnet, dass er entweder unter einer Suchterkrankung litt oder eine psychische Störung aufwies, der nur durch den „heilsamen Druck“ – der ausstehenden Entscheidung über die Vollstreckung des letzten Strafdrittels – zu einer Mitarbeit an der eigenen Rehabilitation motiviert werden könne (so pointiert Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug 7. Aufl., S. 40 f.). Ersichtlich nicht im Blick hatte der Gesetzgeber dabei aber diejenigen Betroffenen, die allein aufgrund einer Fehldiagnose untergebracht waren und bei denen mangels einer maßgeblichen Erkrankung oder einer sonstigen Störung eine sinnvolle Behandlung von vornherein nicht in Betracht kam. Solcherlei Untergebrachte zu einer Mitarbeit an der eigenen Rehabilitation zu motivieren, muss ins Leere laufen und ist sinnlos.

bb) Einer analogen Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB stehen schließlich auch die Bestimmungen zur Wiederaufnahme (§§ 359 ff. StPO) nicht entgegen (a.A. OLG Frankfurt, OLG Brandenburg und der Senat a.a.O.). Denn spätestens mit der Einfügung des § 67 Abs. 6 StGB im Zuge des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er auch mit Blick auf das Problem der anfänglichen Fehldiagnose der – von der Rechtsprechung bis dahin ohnehin schon favorisierten (und vom BVerfG in NStZ 1995, 174 gebilligten) – Vollstreckungslösung den Vorzug vor der Wiederaufnahmelösung gibt (vgl. dazu OLG Jena NStZ-RR 2011, 61; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 324 [325]; Berg/Wiedner, StV 2007, 434 mit weit. Nachweisen; a.A. OLG Dresden StraFo 2005, 432, das bei einer anfänglichen Fehldiagnose die Anwendbarkeit des § 67 Abs. 6 StGB überhaupt verneint; vgl. dazu die überzeugende Kritik von Berg/Wiedner a.a.O. S. 436 Fußnote 17). Offensichtlich ist, dass der Gesetzgeber dabei schlicht versäumt hat, eine weitergehende Anrechnungsmöglichkeit für die Fälle der anfänglichen Fehldiagnose zu schaffen. Denn dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang den Vollstreckungsgerichten einerseits die Möglichkeit einräumen wollte, auch eine auf einer anfänglichen Fehldiagnose beruhende Unterbringungsanordnung für erledigt zu erklären – und damit jedenfalls in ähnliche Weise wie ein Wiederaufnahmegericht wenn nicht das in Rechtskraft erwachsene Urteil, so doch jedenfalls dessen Auswirkungen für die Zukunft aufzuheben (vgl. eingehend dazu Radtke, Festschrift Schöch [2010], S. 695 [706]) –, andererseits aber vor allem mit Blick auf die nachfolgenden Fragen der Anrechnung des Maßregelvollzugs auf den beschwerlichen Weg der Wiederaufnahme verweisen wollte, findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze.

Hinzu kommt, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer anfänglichen Fehldiagnose zwar nach § 373 Abs. 1 StPO zur Beseitigung der früheren Maßregelanordnung führen würde. Eine Anrechnung des Maßregelvollzugs auf eine im neuen Urteil erkannte Strafe ist aber im Wiederaufnahmerecht nicht vorgesehen. Die §§ 359 ff. StPO regeln das Wiederaufnahmeverfahren bis hin zur erneuten Hauptverhandlung mit dem Ergebnis der Aufrechterhaltung des Urteils oder einer anderweitigen Entscheidung (§ 373 Abs. 1 StPO). Zur (etwaigen) Anrechnung schon vollstreckter Rechtsfolgen aus dem früheren Urteil verhalten sich die §§ 359 ff. StPO jedoch nicht. Eine solche Anrechnung ist zwar grundsätzlich nach § 51 Abs. 2 StGB möglich, nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift aber auf „Strafen“ beschränkt; eine Anrechnung von bereits vollstreckten Maßregeln auf Strafen ist nach § 51 Abs. 2 StGB nicht möglich (vgl. Fischer, StGB 62. Aufl., § 51 Rdn. 13; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 51 Rdn. 25; Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 373 Rdn. 30 bis 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 373 Rdn. 8, 9; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen 3. Aufl., Rdn. 438). Insoweit verbleibt dem Verurteilten lediglich ein Anspruch auf Entschädigung nach §§ 1, 7 StrEG (vgl. Marxen/Tiemann a.a.O. Rdn. 560 ff.). Eine Kompensation allein nach den Regeln des StrEG wäre vorliegend aber ersichtlich unzureichend; sie stünde mit dem Grundrecht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in Einklang und verstieße gegen das Übermaßverbot (so BVerfG NJW 1995, 2405 unter Aufhebung des Beschlusses des OLG Frankfurt NStZ 1993, 252).

Nach alledem ist von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen.

b) Diese ist durch eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB zu schließen, da vorliegend eine vergleichbare Interessenlage besteht. Im Einzelnen:

Bei einem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Freiheit einer Person nur soweit beschränkt werden darf, als dies im öffentlichen Interesse unbedingt erforderlich ist (vgl. BVerfGE NJW 2012, 1784 Rdn. 56 ff. mit weit. Nachweisen). § 51 Abs. 1 Satz 1 StPO stellt eine einfachgesetzliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Die in Gestalt der Untersuchungshaft erlittene Freiheitsentziehung soll nach allgemeinen Aufopferungsgrundsätzen ausgeglichen werden, da sie dem Bürger zur Absicherung der effektiven Strafverfolgung zugemutet worden ist (Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 51 Rdn. 1). Ihr wie auch anderen Vorschriften wie z.B. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB, §§ 450 Abs. 1, 453c Abs. 2 Satz 1 StPO liegt der Gedanke zugrunde, dass eine staatlich veranlasste überobligatorische Freiheitsentziehung möglichst frühzeitig und effektiv, nämlich im Wege der „Naturalrestitution“ zu kompensieren ist. Eine solche Sichtweise entspricht zudem dem Gebot der grundrechtsschonenden Auslegung (vgl. dazu BGHSt 52, 191 [204]). Angesichts der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts beabsichtigte der Gesetzgeber eine möglichst umfassende Anwendung des § 51 StGB. Dementsprechend ist die Regelung weit auszulegen (BVerfG NStZ 2000, 277 [278]; Maier a.a.O.). Der Rechtsgedanke des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB ist daher auch auf andere Fallgestaltungen übertragen worden, wie etwa der Bewilligung eines Härteausgleichs bei der Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung einer einbeziehungsfähigen Strafe (vgl. BGH NStZ 2010, 386; vgl. zudem BGH NJW 2008, 860 [863 f.] zur Kompensation von rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen und BGH NJW 2008, 307 [309] zur Kompensation einer Verletzung von Art. 36 WÜK).

Die vorgenannten Erwägungen greifen in gleicher Weise bei der Frage der Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten, denen eine Unterbringungsanordnung zugrunde lag, die für erledigt erklärt worden ist, weil sie auf einer anfänglichen Fehldiagnose beruhte. Hier wie dort hat der Betroffene eine durch die gesetzlichen Zwecke von Strafe und Maßregel nicht gerechtfertigte Einbuße seiner persönlichen Freiheit erlitten und ein Sonderopfer erbracht. Während dies bei der Untersuchungshaft darauf beruht, dass ein Urteil, welches eine Freiheitsentziehung rechtfertigen könnte, noch gar nicht ergangen ist, liegt im zweiten Fall zwar schon ein Urteil vor, das jedoch hinsichtlich der Anordnung der Maßregel sachlich falsch und gesetzwidrig ist. Wenn aber schon eine allen gesetzlichen Regeln entsprechende Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB durch Anrechnung auszugleichen ist, muss dies erst recht gelten, wenn die Unterbringung auf einer von Beginn an falschen Diagnose beruhte und damit zu keiner Zeit hätte angeordnet und – bei materieller Betrachtung – vollzogen werden dürfen (vgl. Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 67 Rdn. 124; Loos NStZ 1993, 254 [255]).

4. Die nach alledem gebotene unbeschränkte Anrechnung der Zeit im Maßregelvollzug führt schließlich auch nicht zu bedenklichen Schutzlücken (vgl. dazu Schneider, NStZ 2004, 649). Solcherlei Lücken sind (spätestens) mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 für die vorliegende Konstellation geschlossen worden. Der damals in das StGB eingefügte § 66b – in der heute gelten Fassung – erlaubt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von besonders gefährlichen Betroffenen auch dann, wenn deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – wie hier – nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt worden ist und die weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen vorliegen.

C.

Eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 GVG war nicht veranlasst. Denn im Beschwerdeverfahren war nicht mehr über „die Erledigung einer Maßregel … in einem psychiatrischen Krankenhaus“ oder „die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung“ zu befinden (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 121 GVG Rdn. 5a). Dies ist schon von der Strafvollstreckungskammer im Ausgangsverfahren abschließend entschieden worden. Maßgeblicher Gegenstand war im Beschwerdeverfahren allein noch die Auswirkung dieser Entscheidung auf die Strafzeitberechnung, die wiederum für die vom Beschwerdeführer begehrte Strafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB von Bedeutung ist. Für eben diese Fragen begründet das Gesetz aber keine Vorlagepflicht.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.