VG Berlin, Urteil vom 23.09.2013 - 1 K 280.12
Fundstelle
openJur 2015, 2823
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Satzes „Deshalb fordern wir alle Reinickendorferinnen und Reinickendorfer auf, friedlich gegen die NPD zu demonstrieren.“ in der Pressemitteilung Nr. 3263 vom 9. August 2012.

Diese Pressemitteilung hat folgenden Wortlaut:

„Kein Platz für die NPD in Reinickendorf!Das Bezirksamt Reinickendorf und die Bezirksverordnetenversammlung sind zutiefst empört, dass die NPD auf ihrer „Deutschlandtour“am 10. August gegen 16 Uhr in Tegel (Gorkistraße/ Ecke Berliner Straße)Station machen will. Es ist ein wiederholter Versuch der NPD, Reinickendorf zum Ort der Propaganda ihres menschenverachtenden Gedankengutes zu machen.Hiergegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit! Der Einsatz für die Demokratie und der Schutz vor jenen, die sie abschaffen wollen, ist unser aller Aufgabe!Deshalb fordern wir alle Reinickendorferinnen und Reinickendorfer auf, friedlich gegen die NPD zu demonstrieren.In Reinickendorf ist weder am 10. August 2012 noch an irgendeinem anderen Tag Platz für Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus!Dr. Hinrich LühmannBezirksverordnetenvorsteherAndreas HöhneStellv. Bezirksbürgermeister“

Die Pressemittelung ist bis heute unter http://www.berlin.de/ba-reinickendorf/presse/archiv/20120809.1615.373506.html in der Presseübersicht des Bezirksamtes Reinickendorf von Berlin abrufbar.

Die Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom 9. August 2012 auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und im Internet nicht weiter zur Demonstration gegen die Kundgebung der Klägerin aufzurufen. Die Abgabe dieser Erklärung durch den Beklagten erfolgte nicht.

Die Kundgebung der Klägerin unter dem Motto „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein – Raus aus dem Euro“ wurde wie geplant und ohne Störungen durchgeführt, ebenso fand eine friedliche Gegendemonstration statt.

Am 12. Oktober 2012 hat die Klägerin Klage erhoben und verfolgt damit ihr Unterlassungsbegehren weiter. Sie ist der Auffassung, die Amtsträger des Beklagten hätten mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung gegen ihre Neutralitätspflicht und das Sachlichkeitsgebot verstoßen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, auf seiner Internetseite www.berlin.de/ba-reinickendorf in der Pressemitteilung „Kein Platz für die NPD in Reinickendorf“ zu äußern: „Deshalb fordern wir alle Reinickendorferinnen und Reinickendorfer auf, friedlich gegen die NPD zu demonstrieren“.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, seine Amtsträger hätten im Rahmen ihres Aufgabenbereichs gehandelt. Der streitige Satz in der Pressemitteilung sei zumindest als Information über die geplante Gegendemonstration statthaft gewesen.

Mit Beschluss vom 27. Mai 2013 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Vorsitzenden als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, weil vorliegend über einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch zu entscheiden ist. Die nach Auffassung der Klägerin zu unterlassende Äußerung findet sich auf der Internetseite des Beklagten, so dass der erforderliche Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit besteht. Im Übrigen wurde diese Äußerung von den Amtsträgern des Beklagten erkennbar nicht als Privatpersonen oder als Vertreter politischer Parteien abgegeben. Der Klage ist als allgemeine Leistungsklage auf das Unterlassen der konkret bezeichneten Äußerung gerichtet. Insofern ist die Klägerin auch klagebefugt und es besteht ein Rechtsschutzinteresse. Zwar ist die Äußerung durch Zeitauflauf in der Sache gegenstandslos geworden. Sollte diese jedoch rechtswidrig erfolgt sein, würde dieser Zustand durch die fortgesetzte Veröffentlichung perpetuiert. Infolgedessen könnte die Klägerin ein Unterlassen dieser fortgesetzten Rechtsbeeinträchtigung beanspruchen.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

18Rechtsgrundlage für die beanspruchte Unterlassung der genannten Äußerung ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB, der auch bei der Verletzung anderer absoluter Rechte anzuwenden ist. Dieser Anspruch setzt voraus, dass durch hoheitliches Handeln der Amtsträger des Beklagten in ein subjektives Recht der Klägerin eingegriffen wird, in der Folge ein objektiv rechtswidriger Zustand entsteht und die konkrete Gefahr der Wiederholung dieser Rechtsbeeinträchtigung droht. Als subjektive Rechte der Klägerin dürften zumindest die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG hier betroffen sein.

19Äußerungen eines Amtsträgers mit Eingriffsqualität sind jedoch statthaft, wenn sich dieser im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs bewegt und die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in der Form des Sachlichkeitsgebotes gewahrt sind. Dies erfordert es, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Außerdem dürfen die Äußerungen nicht unverhältnismäßig sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 15 B 1099/05 -, NVwZ-RR 2006, 273, 274 und Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 15 B 2544/03 -, NVwZ-RR 2004, 283, 284 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 13. April 2011 - 7 K 602/11 -, NVwZ-RR 2011, 615, 616).

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

Der Aufgabenkreis des für das Land Berlin handelnden Bezirks Reinickendorf und seiner Amtsträger umfasst die regelmäßige Wahrnehmung der örtlichen Verwaltungsaufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung (Art. 66 Abs. 2 VvB). Die Bezirke sind Selbstverwaltungseinheiten Berlins ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Organe die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt sind (§ 2 BzVwG). Dabei nehmen die Bezirke alle Aufgaben der Verwaltung wahr, die nicht als Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung der Hauptverwaltung zugewiesen sind (§ 3 Abs. 2 BzVwG i. V. m. § 3 Abs. 2 AZG)

22Die Amtsträger des Beklagten haben sich mit ihrer Äußerung gegen eine Veranstaltung der Klägerin gewandt, die auf dem Gebiet ihres Bezirks stattfinden sollte und stattgefunden hat. Folglich ist der bezirkliche Bezug gegeben, ohne dass sich aus § 4 Abs. 1 AZG i. V. m. der Anlage zum AZG eine vorrangige Zuständigkeit der Hautverwaltung ergeben würden. Darüber hinaus waren die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt nach § 41 Abs. 1 S. 1 BzVwG jedenfalls berechtigt, auf die Veranstaltung der Klägerin und die Gegendemonstration als allgemein bedeutsame Angelegenheit hinzuweisen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Veranstaltung im Rahmen der „Deutschlandtour“ der Klägerin stattfand und somit Teil einer bundesweiten Kampagne war.

Die Äußerungen der Amtsträger des Beklagten verletzen auch nicht das Gebot der Sachlichkeit. Die Aufforderung, friedlich gegen die Versammlung der Klägerin zu demonstrieren, steht im Kontext weiterer Äußerungen des Beklagten in der Pressmitteilung, die von der Klägerin nicht angegriffen worden sind. So heißt es dort u. a., die angemeldete Veranstaltung der Kläger sei „ein wiederholter Versuch der NPD, Reinickendorf zum Ort der Propaganda ihres menschenverachtenden Gedankengutes zu machen“. Außerdem heißt es: „In Reinickendorf ist weder am 10. August 2012 noch an irgendeinem anderen Tag Platz für Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus!“ Diese Aussagen sind, gemessen an den Erkenntnissen über die Klägerin aus öffentlich zugänglichen Verfassungsschutzberichten vom Tatsachenkern her zutreffend. Zwar mag das Motto der angemeldeten Versammlung („Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein – Raus aus dem Euro“) auf den ersten Blick nicht extremistisch zu sein (vgl. zum dahinter stehenden Konzept einer Verschleierung rechtsextremer Positionen: Berliner Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg. Senatsverwaltung für Inneres und Sport, S. 76, http://www.berlin.de/imperia/md/content/ seninn/verfassungsschutz/vs_bericht_2012_pressefassung.pdf?start&ts=1369742739&file=vs_bericht_2012_pressefassung.pdf.). Die Klägerin vertritt diese Auffassung indes vor dem Hintergrund ihrer rechtsextremen Programmatik. Die gesamte europäische Einigungsbewegung, einschließlich des Euro, wird von ihr vehement bekämpft, weil sie im Widerspruch zum Konzept einer „Volksgemeinschaft“ steht. Die Erhaltung eines ethnisch homogenen Volkes ist für die Klägerin das oberste politische Ziel und die europäische Einheit die „perverse Gesellschaftsutopie der Eurokraten“ (Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg. Bundesministerium des Innern, Stand: Sept. 2013, S. 80 f., http://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2012.pdf). Dieses völkische Grundkonzept der Klägerin hat zur Konsequenz, dass nicht nur allen Ausländern, unbeachtet ihres Aufenthaltsstatus und ihrer Integration, sondern auch allen eingebürgerten Deutschen das Bleiberecht in Deutschland abgesprochen wird (Verfassungsschutzbericht a. a. O., S. 84 f.). Dieser radikal ausgrenzende Ansatz, der nur ein ethnisch homogenes Gemeinwesen erlaubt, muss als menschenverachtend und rassistisch bezeichnet werden. Ähnliches gilt für den bei der Klägerin tief verwurzelten Antisemitismus (Verfassungsschutzbericht a. a. O., S. 86 ff.). Diese Überzeugung zum extremistischen Charakter der Klägerin vertreten ist für Amtsträger rechtlich zulässig und sachlich begründet, ohne dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der NPD ergangen sein muss (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 25. April 1989 - 1 S 1635/88 -, VBlBW 1989, 332 m.w.N.). Auf dieser Grundlage verletzt die Aufforderung zur Gegendemonstration durch den Beklagten nicht das Sachlichkeitsgebot.

Die streitige Äußerung ist auch sonst verhältnismäßig. Der Beklagte und seine Amtsträger haben weder eigenes rechtswidriges Verhalten gezeigt noch zu einem rechtswidrigen Handeln gegen die Klägerin aufgerufen. Mit dem OVG Berlin-Brandenburg ist im Ausgangspunkt darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein muss (vgl. Urteil vom 20. November 2008 - OVG 1 B 5.06 - OVGE 29 -, 170, 182). Es ist aber nicht erkennbar, dass die dafür maßgebliche Grenze, die einfachrechtlich in § 21 VersammlG (in Zusammenschau mit § 111 StGB) nachgezeichnet ist, hier überschritten wäre. Nach den genannten Bestimmungen ist es unter Strafe gestellt, in der Absicht, nicht-verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen; nach § 111 StGB darf hierzu auch nicht öffentlich aufgefordert werden. Eine derartige öffentliche Aufforderung lässt sich dem streitigen Satz der Pressemitteilung nicht entnehmen, denn es wird dort lediglich dazu aufgefordert, „friedlich gegen die NPD zu demonstrieren“ (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September 2012 - OVG 1 S 127.12 -, juris, Rdnr. 10). Tatsächlich konnte die Veranstaltung der Klägerin am 10. August 2012 als einstündige Kundgebung stattfinden (Berliner Verfassungsschutzbericht 2012, Hrsg. Senatsverwaltung für Inneres und Sport, S. 78, http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/vs_bericht_2012_pressefassung.pdf?start&ts=1369742739&file=vs_bericht_2012_pressefassung.pdf). Auch die Klägerin selbst macht nicht geltend, dass es insofern zu einer Blockade oder Verhinderung kam.

Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor. Die Beklagte und ihre Amtsträger haben die ihnen kraft Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten nicht in einer Weise genutzt, die mit ihren der Allgemeinheit verpflichteten Aufgaben unvereinbar wären (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 5.96 -, BVerwGE 104, 323, 326 f.). Diese haben als kommunale Amtsträger gehandelt, die hier keinem gesteigerten Neutralitätsgebot unterliegen, weil sie etwa gleichzeitig die Aufgaben der Versammlungsbehörde wahrzunehmen haben. Die staatliche Aufgabe der Versammlungsbehörde ist im Land Berlin dem Polizeipräsidenten zugewiesen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AZG i. V. m. Nr. 23 Abs. 2 ZustKat Ord). Ein besonderer Anlass zur Mäßigung, um keine Zweifel an der Unparteilichkeit als Versammlungsbehörde aufkommen zu lassen, bestand deshalb vorliegend nicht (vgl. zu abweichenden Konstellationen: VGH Kassel, Beschluss vom 3. Mai 2013 - 8 A 772/13.Z -, juris, Rdnr. 4 und VG Gera, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 E 465/10 Ge -, juris, Rdnr. 38). Zwar handeln sowohl die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt als auch der Polizeipräsident für den Beklagten, für Außenstehende sind sie jedoch in ihrem Handeln deutlich unterscheidbar und damit jeweils gesondert zu betrachten.

Die Kostenentscheidung folgt aus den § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

BESCHLUSS

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf

5.000,00 Euro

festgesetzt.