VG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2014 - 16 K 9347/13
Fundstelle
openJur 2015, 3528
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin firmierte bis zum 17. Dezember 2012 als S. -S1. W. GmbH. Durch die X. -X1. -F. W. GmbH wurde mit der Klägerin als herrschendem Unternehmen mit Wirkung zum 1. Januar 2013 ein Betriebspachtvertrag geschlossen. Der Beklagte als Träger der Insolvenzsicherung nach dem Betriebsrentengesetz zog die S. -S1. W. GmbH und die X. -X1. -F. W. GmbH für die Jahre 2006 bis 2011 jeweils zu Beiträgen heran. Nachdem er sie unter dem 30. November 2012 zu Nachmeldungen aufgefordert hatte, zog der Beklagte mit Bescheiden vom 9. April 2013 die Klägerin zu weiteren Beiträgen in Höhe von 1.830,11 Euro für den genannten Zeitraum heran, die X. -X1. -F. W. GmbH zu weiteren Beiträgen in Höhe von 1.732,24 Euro. Ferner wurde die Klägerin unter dem 26. April 2013 zu einem Einmalbeitrag in Höhe von 91,91 Euro herangezogen, die X. -X1. -F. W. GmbH zu einem Einmalbeitrag in Höhe von 120,42 Euro. Grundlage war jeweils der Umstand, dass die Beitragsbemessungsgrundlagen für die genannten Jahre im Hinblick auf Deputatzusagen ergänzt worden waren. Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 8. November 2013 zurück.

Die Klägerin macht geltend, die nachträgliche Heranziehung sei rechtswidrig, weil sie gegen das Verbot der Übersicherung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG verstoße. Die notwendigen Deckungsmittel seien bereits durch die Beitragszahlungen in den genannten Jahren aufgebracht worden. Der Aufwand sei begrifflich und rechnerisch für das laufende Jahr durch die Aufwendungen für Schäden, die Verwaltungskosten, die Zuführung zum Ausgleichsfonds und die Zuführung zur Verlustrücklage abschließend definiert. Dies gelte zumindest für den Einmalbeitrag, der nicht auf einer Schätzung beruhe, sondern einen feststehenden Aufwand betreffe. Weiter macht die Klägerin geltend, jedenfalls in ihrem und dem Fall anderer Unternehmen des S2. -Konzerns seien die nacherhobenen Beträge derartig hoch, dass die gesamte Kalkulation - deren Vorliegen sie im Übrigen bestreite - nicht mehr tragfähig gewesen sei. Ferner verstoße die Beitragserhebung gegen § 49 VwVfG. Die früheren Beitragsbescheide seien so auszulegen, dass keine weitere Erhebung von Beiträgen mehr habe erfolgen sollen. Aus diesem Grunde stelle die Nacherhebung die nachträgliche Aufhebung einer begünstigenden Regelung dar. Schließlich sei die Forderung auch verjährt. Der Beklagte vertrete die unzutreffende Auffassung, die Verjährung sei durch Verhandlungen gehemmt. Die schlichte Mitteilung von Zahlen stelle kein Verhandeln im Sinne des § 203 BGB dar.

Die Klägerin beantragt,

den Beitragsbescheid für den Zeitraum der Jahre 2006 - 2011 vom 9. April 2013 (zur Betriebsnummer K 42 59 45 35) sowie den Einmalbeitragsbescheid vom 26. April 2013 (zur Betriebsnummer K 42 59 45 35) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2013 ( Az. haul - K 42 59 45 35) aufzuheben, soweit damit rückwirkend die bisher festgesetzten Beträge aufgrund von Deputatleistungen geändert wurden,

sowie

den Beitragsbescheid für den Zeitraum der Jahre 2006 - 2011 vom 9. April 2013 (zur Betriebsnummer K 95 62 99 86) sowie den Einmalbeitragsbescheid vom 26. April 2013 (zur Betriebsnummer K 95 62 99 86) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2013 ( Az. haul - K 42 59 45 35 (K 95 62 99 86)) aufzuheben, soweit damit rückwirkend die bisher festgesetzten Beträge aufgrund von Deputatleistungen geändert wurden,

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Annahme, nach Ablauf des Beitragsjahres dürfe keine Veranlagung mehr erfolgen, stehe bereits § 10a Abs. 1 BetrAVG entgegen. Danach könne er für Beiträge, die wegen Verletzung der Mitteilungspflichten erst nach Fälligkeit erhoben würden, Säumniszuschläge erheben. Wegen der Fälligkeit zum Ende eines Jahres - § 10 Abs. 2 S. 3 BetrAVG - setze dies die Möglichkeit einer Festsetzung nach Ablauf des Kalender- bzw. Beitragsjahres voraus. Auch die Verjährungsvorschrift des § 10a Abs. 4 BetrAVG, die nur für noch nicht festgesetzte Forderungen gelte, setze die Möglichkeit nachträglicher Festsetzungen voraus. Erträge aus Nacherhebungen seien im Jahr der Nacherhebung zur Ermäßigung der Beiträge zu verwenden. Es sei auch fraglich, ob die Nacherhebung eine Rücknahme des früheren Bescheides darstelle. Jedenfalls habe er, der Beklagte, im Rahmen der Widerspruchsbescheide Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes mit denen der Beitragsgerechtigkeit abgewogen und von der Erhebung von Säumniszuschlägen abgesehen. Darauf, dass Deputatleistungen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung seien, wenn sie ihrem Sinn und Zweck nach der Altersversorgung des Arbeitnehmers dienten, habe er in Merkblättern immer wieder hingewiesen. Dies sei durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. März 2010 (3 AZR 594/09) lediglich bestätigt worden. Schließlich sei die Verjährung des Beitragsanspruchs für das Jahr 2006 aufgrund von Verhandlungen gem. § 203 BGB gehemmt.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Bedenken gegen die Richtigkeit der Berechnung der geänderten Beiträge trägt die Klägerin nicht vor. Solche Bedenken sind auch sonst nicht ersichtlich.

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, die Beitragserhebung führe entgegen § 10 Abs. 2 BetrAVG zu einer "Übersicherung", weil der in den genannten Jahren entstandene Aufwand bereits mit den in diesen Jahren gezahlten Beiträgen gedeckt worden sei. Der Grundsatz, dass die Beitragserhebung nicht zu einer Übersicherung führen darf, ergibt sich daraus, dass § 10 Abs. 2 BetrAVG die Beitragserhebung auf die zur Aufwands- und Kostendeckung des Beklagten erforderliche Summe beschränkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2010 ? 8 C 40/09 ? juris, Rdnr. 36). Gleichwohl erfassen die Beiträge nicht nur die im laufenden Kalenderjahr entstehenden Ansprüche auf Leistungen der Insolvenzsicherung und die aufgrund eingetretener Insolvenzen zu sichernden Anwartschaften, ferner die in diesem Zeitraum entstehenden Verwaltungskosten und sonstigen Kosten, die mit der Gewährung der Leistungen zusammenhängen. Vielmehr wird mit den Beiträgen auch ein Ausgleichsfonds finanziert, der sich gerade dadurch auszeichnet, Mittel anzusammeln, die nicht unmittelbar zur Deckung des genannten Aufwands herangezogen werden. Zu Recht weist der Beklagte aber vor allem darauf hin, dass bereits § 10a Abs. 1 BetrAVG der Annahme entgegensteht, nachträglich dürften bei fehlerhaften Meldungen keine Festsetzungen mehr erfolgen. Wenn für Beiträge, die wegen Verletzung der Mitteilungspflichten erst nach Fälligkeit erhoben werden, Säumniszuschläge erhoben werden dürfen, setzt dies in der Tat die Möglichkeit einer Festsetzung nach Ablauf des Kalender- bzw. Beitragsjahres voraus. Die Verjährungsvorschrift des § 10a Abs. 4 BetrAVG, die nur für noch nicht festgesetzte Forderungen gilt, setzt ebenfalls die Möglichkeit nachträglicher Festsetzungen voraus. Unabhängig von diesen Rückschlüssen ist zu berücksichtigen, dass sich nach Erlass der Beitragsbescheide herausstellen kann, dass die dem Beklagten gemeldete Beitragsbemessungsgrundlage unzutreffend ermittelt worden ist, etwa im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung oder durch eine eigene Prüfung des Beklagten (vgl. Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Kommentar, Stand: Oktober 2013, § 10 Rdnr. 4923). Insoweit ist es zulässig und geboten, den einmal erlassenen Beitragsbescheid später zu ändern, wobei sich ein Anspruch des Beitragsschuldners bei bestandskräftigen Bescheiden gegebenenfalls auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung beschränkt. Durch solche später erfolgten Korrekturen wird nicht gegen § 10 Abs. 2 BetrAVG verstoßen. Vielmehr würde es gegen die Grundsätze der Beitragsbemessung verstoßen, später festgestellte fehlerhafte Bemessungsgrundlagen nicht zum Anlass für eine Korrektur zu nehmen. Es liegt auf der Hand, dass beitragspflichtige Unternehmen durch gegebenenfalls sogar vorsätzlich zu niedrig angegebene Bemessungsgrundlagen nicht die gesetzliche Beitragspflicht unter Berufung darauf vermeiden können, dass die übrigen Beitragszahler die erforderliche Mittel für die Insolvenzsicherung ja bereits aufgebracht hätten. Vielmehr ist bei einer nachträglichen Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrundlage zum Zwecke der Gleichbehandlung der in den jeweiligen Jahren gültige Beitragssatz anzuwenden (vgl. Höfer, a.a.O., Rdnr. 4928). Dass sich unter Berücksichtigung der höheren Berechnungsgrundlage ein anderer Berechnungsschlüssel für die Gesamtaufwendungen ergeben hätte, steht dem nicht entgegen. Dieser Effekt wird zum einen teilweise dadurch ausgeglichen, dass in demselben Jahr auch Beitragsrückerstattungen vorzunehmen sein werden, zum anderen können etwa entstehende Überschüsse oder Verluste über den Ausgleichsfonds abgewickelt werden (vgl. ders. a.a.O.). Dies gilt auch für "Überschüsse" aus einem höheren Einmalbeitrag. Der Ausgleichsmechanismus ist nicht von der Frage abhängig, ob der ursprünglichen Kalkulation eine Schätzung oder eine Berechnung zugrundelag. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, jedenfalls in ihrem und dem Fall anderer Unternehmen des S2. -Konzerns seien die nacherhobenen Beträge derart hoch, dass die gesamte Kalkulation nicht mehr tragfähig gewesen sei. Den nach Angaben der Klägerin nachträglich erhobenen 11 Mio. Euro steht ein Gesamtbeitragsaufkommen von 7.341,2 Mio. Euro in den Jahren 2006 bis 2011 gegenüber (Bl. 39 BA Heft 4). Eine Abweichung von 0,15% ist nicht so schwerwiegend, dass sie eine nachträgliche Neukalkulation des Beitrages gebieten könnte. Dabei kann offenbleiben, bei welcher Abweichung gegebenenfalls eine Beitragskalkulation nicht mehr geeignet ist, den Beitragssatz zu rechtfertigen (vgl. etwa zur im kommunalen Gebührenrecht vertretenen3-%-Grenze OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2001 - 9 A 3331/01 - juris)

Die angefochtenen Bescheide sind nicht deshalb rechtswidrig, weil mit ihnen etwa begünstigende Verwaltungsakte (nämlich die Bescheide für die Vorjahre in ihrer ursprünglichen Fassung) zurückgenommen worden wären. Die früheren Bescheide beschränken sich auf die Feststellung einer Zahlungspflicht, waren also nicht begünstigender Natur. Ihnen kann nicht der Inhalt beigegeben werden, von einer künftigen höheren Beitragserhebung werde in jedem Fall abgesehen. Dass eine solche Entscheidung belastenden Beitragsbescheiden regelmäßig nicht zukommt, hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid bereits ausführlich dargelegt. Hierauf wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen.

Die Beitragsforderung für die Jahre 2006 bis 2011 ist auch nicht verjährt. Die Verjährung richtet sich nach § 10a Abs. 4 BetrAVG und beträgt 6 Jahre, wobei die Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Beitragspflicht entstanden oder der Erstattungsanspruch fällig geworden ist. Mithin scheidet eine Verjährung von Ansprüchen für die Jahre 2007 bis 2011 von vornherein aus. Auch für die auf das Jahr 2006 bezogenen Ansprüche ist keine Verjährung eingetreten. Bereits unter dem 4. Oktober 2012 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass bei der Bearbeitung aufgefallen sei, dass in Abweichung zu den Vorjahresmeldungen den Erhebungsbögen zusätzlich Kurztestate über unmittelbare Versorgungszusagen im Hinblick auf Deputate beigefügt worden seien. Es werde um Erklärung der Abweichung unter Beachtung der Erläuterungen zum Erhebungsbogen gebeten. Unter dem 30. November 2012 wies der Beklagte dann darauf hin, dass unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften gemäß § 10a Abs. 4 BetrAVG Nachmeldungen ab dem Meldejahr 2006 erforderlich seien. Den Erhebungsbogen für 2006 reichte die Klägerin unter dem 29. März 2013 ein. Für verjährungshemmende Verhandlungen gemäß § 203 BGB reicht jeder Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen zwischen Gläubiger und Schuldner aus. Spätestens im November 2012 hatte der Beklagte die Ansprüche geltend gemacht. Die Anfrage der einen oder anderen Seite reicht zwar nicht aus. Erfolgt jedoch später eine Einlassung des Gegners und kommt es zu einem Meinungsaustausch, wirkt dies auf den Beginn der Verhandlungen und damit auf das Einleitungsschreiben zurück (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, Kommentar, 73. Auflage 2014, § 203 Rdnr. 2; Staudinger/Peters, BGB, Kommentar, § 203 Rdnr. 9). Jedenfalls bei bestehender Verhandlungspflicht, der hier die Verpflichtung zur Mitteilung der Bemessungsgrundlagen gleichsteht, wirkt die Mitwirkungshandlung des Schuldners auf den Zeitpunkt der ersten Geltendmachung des Anspruches zurück (vgl. Palandt/Ellenberger a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO liegen nicht vor.