FG Köln, Urteil vom 06.11.2014 - 13 K 1065/13
Fundstelle
openJur 2015, 2131
  • Rkr:
Tenor

Die gegen die Klägerin zu 1. und den Kläger zu 2. ergangenen Haftungsbescheide vom 5. Oktober 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 15. März 2013 werden dahingehend geändert, dass die Haftungsbeträge nach Maßgabe der Urteilsgründe herabgesetzt werden; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 80 % und die Kläger (zu 1. und 2.) zu 20 %.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin zu 1. und des Klägers zu 2. vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen sind unbegründet, soweit der Beklagte die Kläger hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums Juli 2011 jeweils für einen Betrag von 4.543 € (11.179,59 € Umsatzsteuer und Nebenleistungen für Juli 2011 gemäß Kontoauszug des Beklagten vom 6. Juli 2012 x Haftungsquote 40,64 %) in Anspruch genommen hat. Insoweit sind die angefochtenen Haftungsbescheide rechtmäßig sowie ermessensgerecht und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; hierzu I.).

Soweit der Beklagte die Kläger jedoch darüber hinaus für Rückstände der Voranmeldungszeiträume August 2011 (hierzu II.) sowie September und Oktober 2011 (hierzu III.) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat, sind die Haftungsbescheide rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten.

I. Der Beklagte hat die Kläger zu Recht für rückständige Umsatzsteuer (nebst Nebenleistungen) des Voranmeldungszeitraums Juli 2011 durch Haftungsbescheid gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch genommen.

Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 125, 126, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1978, 508). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Finanzgericht - FG - in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung.

Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung (§ 5 AO) des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar (BFH-Urteile vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, Sammlung der [nicht amtlich veröffentlichten] Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV - 1998, 4; vom 29. September 1987 VII R 54/84, BStBl II 1988, 176; vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579).

Im Streitfall liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der hier vom Beklagten benannten Haftungsvorschrift des § 69 AO vor (1.), auch ist die Ermessensausübung nicht zu beanstanden (2.).

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor.

Nach dieser Norm haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (Haftungsschaden). Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge. Nach § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Die gleichen Pflichten treffen die Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO, soweit sie sie rechtlich und tatsächlich erfüllen können.

Zu den (gerichtlich voll überprüfbaren) tatbestandlichen Voraussetzungen des hier herangezogenen Haftungstatbestandes gem. § 69 AO gehören folglich neben der Feststellung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis, also der Existenz der Steuerverbindlichkeit (a.), für die der Kläger in Anspruch genommen werden soll, die Feststellung, dass der Kläger eine der in den §§ 34, 35 AO genannte Person war oder ist (b.), dass er eine Pflichtverletzung im Sinne des § 69 AO vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen hat (c.) und dass diese Pflichtverletzung ursächlich für den Haftungsschaden geworden ist (d.).

a. Ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) liegt vor. Zwischen den Beteiligten ist aufgrund der USt-VA Juli 2011 unstreitig, dass die Steuerschuldnerin dem Beklagten Umsatzsteuer nebst Nebenleistungen i.H.v. 11.179,59 € nach der Rückzahlung an den Insolvenzverwalter schuldet. Da die Höhe der Steuerschuld zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.

b. Die Klägerin und der Kläger waren im dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Zeitraum Personen i.S. der §§ 34, 35 AO.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Gesetzliche Vertreterin einer GmbH & Co. KG ist gem. §§ 164, 170 des Handelsgesetzbuches - HGB - deren Komplementärin. Gesetzliche Vertreter einer als Komplementärin fungierenden GmbH sind gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - deren Geschäftsführer.

Vorliegend waren die Klägerin und der Kläger als Geschäftsführer die gesetzlichen Vertreter der GmbH, welche als Komplementärin die gesetzliche Vertreterin der Steuerschuldnerin gewesen ist.

c. Die Kläger haben ihre Pflichten im Sinne des § 69 AO wenigstens grob fahrlässig verletzt.

Zu den Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH gehören alle in der AO oder den Einzelsteuergesetzen geregelten Pflichten. Hierzu zählt insbesondere die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder -anmeldungen, hier zur (fristgerechten) Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 UStG).

Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehört außerdem, fällige Steuerforderungen umgehend zu begleichen (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO sowie § 18 Abs. 1, 6 UStG zur Fälligkeit von Umsatzsteuervoranmeldungen bei Dauerfristverlängerung). Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, so gehört es zu den Pflichten der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Geschäftsführer, die Steuerschulden der GmbH in gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft (Pflicht zur anteiligen Tilgung; vgl. etwa BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776, 778, m.w.N.). Der Fiskus darf gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden. Ferner kann den Geschäftsführer eine Pflicht zum Bereithalten von ausreichend Liquidität für später fällige Steuerforderungen treffen, wenn deren Entstehung bereits absehbar war (vgl. etwa BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.; "Pflicht zur Mittelvorsorge"). Für eine GmbH & Co. KG gelten die vorgenannten Grundsätze entsprechend.

Die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens indiziert im Allgemeinen zumindest die grobe Fahrlässigkeit (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 14. September 1999 VII B 33/99, BFH/NV 2000, 303; vom 25. Juli 2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540; BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BStBl II 2003, 556). Grob fahrlässig in diesem Sinne handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, anders formuliert, wer außer Acht lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BFH-Beschlüsse vom 7. März 1995 VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 m.w.N.; vom 4. April 1998 I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460, 1462).

Die Kläger haben vorliegend wenigstens grob fahrlässig die Pflicht zur fristgemäßen anteiligen Tilgung (in Höhe der - unstreitigen - Tilgungsquote von 40,64 %) der auf den Voranmeldungszeitraum Juli 2011 entfallenden Umsatzsteuer verletzt. Entsprechend der gemäß § 18 Abs. 1, 6 UStG gewährten Dauerfristverlängerung ist die USt-VA Juli 2011 am Montag, den 12. September 2011, fällig gewesen. Die Kläger hätten trotz der schon seinerzeit bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten die angemeldete Umsatzsteuer in Höhe der - unstreitigen - Tilgungsquote von 40,64 % zahlen müssen. Indes haben sie bis zu diesem Tage keine Zahlungen geleistet, sondern den angemeldeten Betrag erst im Oktober 2011 in mehreren Raten gezahlt.

d. Die von den Klägern begangenen Pflichtverletzungen waren auch ursächlich für den Haftungsschaden.

Die Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters muss für den Haftungsschaden ursächlich sein. Das ist dann der Fall, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (BFH-Urteile vom 26. April 1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776; vom 5. September 1989 VII R 61/87, BStBl II 1989, 979). Verwendet der Geschäftsführer Mittel der Gesellschaft, ohne auf künftig fällige Steuerschulden Rücksicht zu nehmen, so ist das nur dann eine für den Schaden ursächliche Pflichtverletzung, wenn feststeht, dass der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten bei Fälligkeit der Steuerschulden befriedigt worden wäre (BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776).

Dabei ist der zuvor genannte Grundsatz der anteiligen Tilgung zu berücksichtigen. Der Geschäftsführer hat rückständige Steuerschulden in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, sofern die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht ausreichen. Bei dieser Berechnung sind einerseits die gegenüber dem Fiskus und anderen Gläubigern bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, diesen sind die gegenüber dem Fiskus während des Haftungszeitraums auf die gesamten rückständige Steuerverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen (bspw. Teilzahlungen und Zahlung von Vorauszahlungen) sowie Zahlungen gegenüber anderen Gläubigern gegenüberzustellen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. März 2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322; vom 19. November 2012 VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504). Ergibt sich hiernach eine Benachteiligung des Fiskus, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme).

Wird eine fällige Steuerschuld - wenngleich verspätet - an die Finanzbehörde entrichtet, so erlischt der Steueranspruch regelmäßig gem. §§ 47, 224 AO. Bis auf einen - hier nicht streitgegenständlichen - Verzögerungsschaden (Zinsschaden) scheidet eine Haftung aus, weil es wegen der Erfüllung an einem (offenen) Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis fehlt.

Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn eine Steuer verspätet entrichtet wird, dadurch in einen der Insolvenzanfechtung gem. §§ 129, 130, 131 InsO unterliegenden Anfechtungszeitraum fällt und daraufhin vom Insolvenzverwalter angefochten und von der Finanzbehörde zurückerstattet wird (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. November 2008 VII R 19/08, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342; aus der Literatur Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 21; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 AO Rz. 32 f.; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 AO Rz. 46.2). In jenen Fällen beruht der dem Steuergläubiger durch Rückzahlung entstandene Schaden nicht alleine auf der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter, sondern - zumindest auch - auf der nicht rechtzeitigen Anmeldung und/oder Zahlung der Steuer durch den Steuerschuldner. Der BFH hat in seinem Urteil vom 11. November 2008 (in BStBl II 2009, 342) ausgeführt, dass es der Normzweck des § 69 AO in Fällen verspäteter Zahlung nicht gebiete, die Haftung auf eine durch die Verzögerung eintretenden Zinsschaden (Verzugsschaden) zu begrenzen. Vielmehr stelle sich auch ein durch die spätere Anfechtung und Rückzahlung eintretender (endgültiger) Steuerschaden als kausaler Schaden im haftungsrechtlichen Sinne dar. Diesen Erwägungen schließt sich der Senat an.

Wendet man die vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall an, so ist der durch die - insolvenzrechtlich rechtmäßige - Anfechtung und Rückzahlung ursächliche Steuerschaden dadurch eingetreten, dass die Kläger als Vertreter der Steuerschuldnerin die fällige USt-VA Juli 2011 erst verspätet im Oktober 2011 geleistet und damit dem Insolvenzverwalter - anders als bei fristgerechter Zahlung im September - die Anfechtung nach §§ 129, 130 InsO überhaupt erst ermöglicht haben.

2. Die Ermessensausübung durch den Beklagten ist nicht zu beanstanden.

Der Beklagte hat das ihm gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

a. Das Entschließungsermessen ist vorliegend fehlerfrei ausgeübt worden.

Wegen der dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben, kann der Erlass eines Haftungsbescheides bei Uneinbringlichkeit der Erstschuld nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Deshalb ist das Entschließungsermessen - wie auch im Streitfall - mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Einziehung der rückständigen Steuer durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner jedenfalls bei Nichtvorliegen außergewöhnlicher Umstände regelmäßig ausreichend begründet (BFH-Urteile vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176).

b. Im Streitfall liegt auch eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens durch den Beklagten vor.

Der Beklagte hat die Klägerin und den Kläger als alleinige (mittelbare) Vertreter der Steuerschuldnerin und damit alle im Streitfall nach Lage der Akten potentielle Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Die Verantwortlichkeit anderer Personen ist von den Klägern nicht behauptet worden und nach Aktenlage auch nicht ersichtlich.

II. Die Inanspruchnahme der Kläger als Haftungsschuldner für Umsatzsteuer des Voranmeldungszeitraums August 2011 ist rechtswidrig.

Der Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass die Kläger als Vertreter der Steuerschuldnerin durch eine unrichtige - erst durch eine Umsatzsteuersonderprüfung korrigierte - USt-VA einen Verstoß gegen die Deklarationspflichten begangen haben. Auch haben die Kläger die am 10. Oktober 2011 fällige Umsatzsteuerschuld erst verspätetet durch mehrere Teilzahlungen am 21. Oktober und 17. November beglichen und damit gegen ihre Entrichtungspflichten verstoßen.

Eine Haftung der Kläger scheidet dennoch aus, weil die unrichtige Anmeldung bzw. verspätete Zahlung für den eingetretenen Schaden nicht kausal gewesen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 11. November 2008 VII R 19/08, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342 m.w.N.; Beschluss vom 15. Juni 2009 VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605), der sich der erkennende Senat anschließt, richtet sich die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, den Erfolg zu verursachen. Sofern ein Unterlassen in Betracht kommt, muss, um die Ursächlichkeit bejahen zu können, ein Hinzudenken der unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts des Erfolgs genügen dazu nicht.

Im Streitfall wurden die - auch durch die Umsatzsteuersonderprüfung erhöhten - Beträge im Oktober und November 2011 zunächst beglichen. Zu jenem Zeitpunkt mangelte es dadurch - abgesehen von einem hier nicht streitgegenständlichen Verzugsschaden - an einem Steuerschaden.

Ein (endgültiger) Steuerschaden ist erst dadurch entstanden, dass der Insolvenzverwalter die Zahlungen später gem. §§ 129, 130 InsO angefochten und die Finanzbehörde die zwischenzeitlich erhaltene Steuer an diesen zurückerstattet hat. Bei genauer Betrachtung sind unmittelbare Ursache des Schaden deshalb nicht die Pflichtverletzungen der Kläger, sondern die Anfechtung des Insolvenzverwalters (vgl. hierzu allgemein Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 21; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 AO Rz. 32e; anders dagegen der Fall im BFH-Urteil in BStBl II 2009, 342). Anders als für den Voranmeldungszeitraum Juli 2011 (siehe Ausführungen unter I.) ist die Anfechtungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters nicht (auch) durch die verspätete Zahlung entstanden. Aufgrund der Dauerfristverlängerung war die USt-VA August 2011 am 10. Oktober 2011 fällig, auch eine fristgerechte Zahlung wäre damit in den dreimonatigen Anfechtungszeitraum vor Stellung des Insolvenzantrages (vom 3. Oktober 2011 bis zum 3. Januar 2012) gefallen und damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angefochten worden.

Indem der Senat vorliegend eine Haftung verneint, erkennt er keinen hypothetischen Kausalverlauf an. Er kann deshalb an dieser Stelle dahinstehen lassen, ob oder inwieweit hypothetische Kausalverläufe bei einer Haftung nach § 69 AO berücksichtigt werden können. Der Senat sieht es als geboten an, im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 69 AO, hier insbesondere der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden, auf den konkreten Geschehensablauf abzustellen. Hierbei zeigt sich im Streitfall, dass die unmittelbare Ursache des Steuerschadens die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter und nicht das Deklarations- oder Entrichtungsverschulden der Kläger war. Jenes zeitlich und im Kausalverlauf vor der Insolvenzanfechtung liegendes Geschehen kann hingegen nur dann (mittelbar) kausal für den eingetretenen Steuerschaden sein, wenn das Deklarations- und/oder Entrichtungsverschulden für die Insolvenzanfechtung kausal gewesen ist, also Teil einer ununterbrochenen Kausalitätskette ist. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - nicht der Fall.

III. Die Haftungsbescheide sind ferner rechtswidrig, soweit der Beklagte die Kläger als Haftungsschuldner für Umsatzsteuer der Voranmeldungszeiträume September und Oktober 2011 in Anspruch genommen hat. Der Senat sieht zwar - entgegen der Ansicht der Kläger - eine schuldhafte Pflichtverletzung (hierzu 1.). Anders als der Beklagte meint besteht aber keine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerschaden in dem Sinne, dass der Steuerschaden den Klägern als adäquatkausaler Schaden ihrer Pflichtverletzungen zurechenbar ist (hierzu 2.).

1. Soweit die Kläger meinen, bereits keine schuldhaften Pflichtverletzungen begangen zu haben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die von den Klägern angeführten Vorschriften der InsO (§§ 129 ff. - Anfechtungsrechte des Insolvenzverwalters), des GmbHG (§ 64 GmbHG a.F. - Insolvenzantragspflicht / Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), des StGB (§§ 283 ff. StGB - Insolvenzstraftaten) oder auch des UStG (§ 26b UStG - Schädigung des Umsatzsteueraufkommens) stehen einer Pflichtverletzung nicht im Sinne einer entschuldigenden Pflichtenkollision entgegen.

Der BFH hat sich mit Pflichtenkollisionen im Kontext der Haftungsvorschrift des § 69 AO in mehreren Entscheidungen beschäftigt. In seinem Urteil vom 27. Februar 2007 (VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348; bestätigt durch Beschluss vom 4. Juli 2007 VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059) zur Lohnsteuer entschied er, dass eine die Haftung ausschließende Pflichtenkollision der (anteiligen) Steuerentrichtungspflicht zur Massesicherungspflicht des § 64 Abs. 1, 2 GmbHG a.F. (heute § 64 GmbHG n.F. i.V.m. § 15a InsO) bestehen kann. Eine Verpflichtung zur Vollabführung der Lohnsteuer könne aber allenfalls in den drei Wochen suspendiert sein, welche dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit eingeräumt worden seien, um die Lage zu prüfen und Insolvenz zu beantragen. Im Urteil vom 4. Dezember 2007 (VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521 m.w.N.) hat der BFH vertiefend ausgeführt, dass gerade in der finanziellen Krise von einem GmbH-Geschäftsführer zu verlangen sei, dass er vorausschauend plane und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereithalte, von denen er wisse, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorstehe. Im Ergebnis bejaht der BFH dadurch auch eine Haftung, wenn vor dem 3-Wochen-Zeitraum haftungsbegründende Pflichtverletzungen begangen werden, auch wenn sodann innerhalb des 3-Wochen-Zeitraums eine entschuldigende Pflichtenkollision entsteht. Dies überzeugt, da Anknüpfungspunkt für die Pflichtverletzung und den Schuldvorwurf das vorherige Geschehen ist und der Haftungsschuldner nicht dadurch privilegiert werden soll, dass er sich schuldhaft in eine Kollisionslage gebracht hat.

In seinem Urteil vom 23. September 2008 (VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129) setzte sich der BFH ausdrücklich mit der zwischenzeitlichen kollidierenden Rechtsprechung der Senate des Bundesgerichtshofs - BGH - in Zivilsachen (Urteil vom 18. April 2005 II ZR 61/03, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2005, 2546; anders hingegen nachfolgend Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2007, 1174) und Strafsachen (Urteil vom 30. Juli 2003 5 StR 221/03, NJW 2003, 3787) auseinander (vgl. zum Ganzen auch Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 AO Rz. 41a, 61d). Indem der 2. Zivilsenat die Rechtsprechung des 5. Strafsenats zu § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) in seiner jüngeren Rechtsprechung beachtet und es zulässt, dass der organschaftliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft fällige Leistungen an Sozialkassen oder Steuerbehörden im Schutzbereich des § 266a StGB (i.V.m. § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) trotz Massesicherungspflicht vollumfänglich erbringen darf, besteht eine Pflichtenkollision nicht mehr.

Die Anfechtungsmöglichkeit etwaiger Steuerzahlungen nach §§ 129 ff. InsO erkennt der BFH hingegen nicht als Entschuldigungsgrund an. So hat er es im Beschluss vom 23. April 2007 (VII B 92/06, BFHE 217, 209, BStBl II 2009, 622) abgelehnt, bei einem mangels Masse nicht eröffneten Insolvenzverfahren eine Haftung zu verneinen, wenn etwaige Zahlungen bei hypothetischer Annahme einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer möglichen Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter hätten zurückgewährt werden müssen. Derartige hypothetische Erwägungen seien nicht anzustellen. Dieser Linie ist der BFH im Urteil vom 5. Juni 2007 (VII R 65/05, BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273) und weiteren Entscheidungen (BFH-Urteile vom 19. September 2007 VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; vom 4. Dezember 2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521; vom 23. September 2008 VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129) weiter gefolgt und hat - im erstgenannten Urteil abweichend von der Vorinstanz - in einem Lohnsteuerhaftungsfall eine Pflichtverletzung und einen haftungsbegründenden Kausalzusammenhang bzw. eine Schadenszurechnung auch bei hypothetischer Anfechtbarkeit von Zahlungen in einem 3-Monats-Zeitraum vor Stellung des Insolvenzantrags nach § 130 InsO bejaht. Der BFH begründet dies damit, dass durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt werde und führt ausführlich unter Heranziehung der Historie sowie Sinn und Zweck der Norm des § 69 AO an, dass hypothetische Kausalverläufe nicht zu berücksichtigen seien.

Hierdurch setze er - der BFH - sich nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, welcher in bestimmten Fällen hypothetische Kausalverläufe berücksichtige. Diese Rechtsprechung könne nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den Vorschriften der AO übertragen werden (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2008, 273 und BFH/NV 2008, 18).

Überträgt man die vorgenannten Grundsätze - denen sich der Senat anschließt - auf den Streitfall, verbleibt es bei schuldhaften Pflichtverletzungen der Kläger. Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob die Kläger aus dem Gedanken der Mittelvorsorge bereits gegen eine Pflicht zur (bei seinerzeitigen Zahlungsschwierigkeiten zumindest anteiligen) Bereithaltung von Mitteln verstoßen haben. Jedenfalls haben die Kläger die wegen Dauerfristverlängerung am 10. November 2011 fällige Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum September 2011 und die am 12. Dezember 2011 (Montag) fällige Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum Oktober 2011 nicht entrichtet.

Da selbst die letztgenannte Fälligkeit (12. Dezember 2011) über drei Wochen vor dem Tage der Stellung des Insolvenzantrages liegt, kann eine Pflichtenkollision der Steuerentrichtungspflicht zu den Pflichten nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. bzw. §§ 15a InsO, 64 GmbHG n.F. nicht bestehen. Ebenso wenig war es den Klägern aus den vorgenannten Gründen wegen der teilweisen zeitlichen Überschneidung von Haftungszeitraum und Anfechtungszeitraum erlaubt, Zahlungen im Vorgriff auf eine etwaige Insolvenzanfechtung zu unterlassen. Die von den Klägern benannten Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff. StGB) sind im Streitfall nicht ersichtlich, überdies hindert insbesondere § 283c StGB (Gläubigerbegünstigung) nach dem Gesetzeswortlaut den Schuldner nicht an der Leistung kongruenter Zahlungen i.S.d. § 130 InsO. Die von § 26b UStG als Ordnungswidrigkeit sanktionierte Schädigung des Umsatzsteueraufkommens ist im Streitfall ebenfalls nicht geeignet, eine Pflichtenkollision zu begründen. Die seinerzeit bestehende Pflicht zur (anteiligen) Entrichtung der Umsatzsteuer mag sanktionsbewährt sein, eine dem widersprechende anderweitige Pflicht zur Nichtentrichtung der Umsatzsteuer besteht jedoch - wie oben ausgeführt - nicht.

2. Gleichwohl scheidet im Streitfall eine Haftung aus, da eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerschaden nicht besteht. Der eingetretene Steuerschaden beruht im Streitfall nicht auf den Pflichtverletzungen der Kläger, da er in jedem Falle eingetreten wäre ("Ohnehin-Schaden"). Aufgrund der vom Insolvenzverwalter für den Vormonat (August 2011) erklärten Insolvenzanfechtung für kongruente Zahlungen nach §§ 129, 130 InsO steht für den Senat fest, dass auch etwaige Zahlungen der Steuerschuldnerin für die nachfolgenden Monate September und Oktober 2011 angefochten worden wären.

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er mit der vorgenannten Überlegung einen hypothetischen Kausalverlauf zugrunde legt. Zur vorgenannten Überlegung kann zwar einerseits argumentiert werden, dass es sich um einen hypothetischen Kausalverlauf handele, da tatsächlich eine Zahlung und eine spätere Anfechtung und Rückzahlung nicht erfolgt sind. Ebenso könnte argumentiert werden, es handele sich um keinen hypothetischen Kausalverlauf, da aufgrund der Anfechtung für den Vormonat eine Anfechtung für die nachfolgende Monate sicher feststehe. Unabhängig davon könnte man die Überlegung auch - analog zu zivil- und strafrechtlichen Kausalitätsbetrachtungen - als Einwand des hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhaltens bezeichnen. Die dogmatische Einordnung der Überlegung und die Frage, ob § 69 AO bei zutreffender Auslegung tatsächlich jegliche hypothetischen Betrachtungen verbietet, kann der Senat im Streitfall indes dahinstehen lassen.

Auch bei dogmatischer Einordnung als "hypothetischer Kausalverlauf" sieht es der Senat als geboten an, jedenfalls aufgrund des im Streitfall gegebenen Geschehensablaufes eine Kausalität zu verneinen. Er erblickt hierin keinen Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des VII. Senats des BFH, sondern sieht sich mit den vom VII. Senat aufgestellten Grundsätzen im Einklang. Ein striktes Verbot jeglicher hypothetischer Betrachtung vermag der erkennende Senat dabei - entgegen der Ansicht des Beklagten - in der bisherigen Rechtsprechung des VII. Senats des BFH nicht zu erblicken.

Gegen ein striktes Verbot hypothetischer Betrachtungen im Sinne von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen spricht bereits die vorgenannte Rechtsprechung des VII. Senats des BFH zur Ädaquanztheorie (BFH-Urteil in BStBl II 2009, 342 und BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1605). Der VII. Senat führt in Fällen des Unterlassens einer Handlung (hier: der Zahlung) selbst an, dass Ursächlichkeit bejaht werden könne, wenn ein Hinzudenken der unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen würde, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre. Einschränkungen macht der BFH lediglich bzgl. der Wahrscheinlichkeit, indem er die "bloße Möglichkeit" oder eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" nicht genügen lässt.

Für gewisse hypothetische Betrachtungen spricht auch die zuvor zitierte Rechtsprechung des V. und VII. Senats des BFH (Urteile in BStBl II 1984, 776 und BStBl II 1989, 979) zum Grundsatz der anteiligen Tilgung. Auch dort wird eine hypothetische Betrachtung vorgenommen, indem die Haftungssumme bei Nichtzahlungen oder unterquotaler Tilgung nach der Quote bemessen wird, mit welcher der Steuerschuldner andere Gläubiger im Haftungszeitraum befriedigt hat. Der nicht oder "unterquotal" leistende Steuerschuldner wird also mit einem gedachten quotal (= pflichtgemäß) leistenden Steuerschuldner verglichen.

Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des VII. Senats. In seinem Urteil vom 5. Juni 2007 (in BStBl II 2008, 273) hat der VII. Senat eingehend zum Verhältnis von Haftung nach § 69 AO und hypothetischer Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 129 ff. InsO Stellung bezogen. Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung ließen es - so der BFH - nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung entfallen zu lassen. Die Vorschrift des § 69 AO besitze Schadensersatzcharakter. In ihr komme auch das Bemühen des Gesetzgebers zum Ausdruck, der steuerrechtlichen Stellvertretung Schranken zu setzen und der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Steuerpflichtige durch die Stellvertretung das Steueraufkommen gefährdende Vorteile erlange. Durch § 69 AO solle der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden. Jene Ziele würden durch Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe gefährdet. Innerhalb des von § 130 Abs. 1 InsO angesetzten Zeitraums von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der pflichtwidrigen Nichtzahlung des geschuldeten Abgabenbetrages keine zuverlässige Feststellung darüber getroffen werden könne, ob es tatsächlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens komme werde und ob im Falle der Eröffnung eines solchen Verfahrens eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO überhaupt erfolgen und auch erfolgreich sein würde. Es sei - so der BFH - nicht auszuschließen, dass der Insolvenzverwalter von seinen Rechten keinen Gebrauch mache oder eine Anfechtung daran scheitere, dass das Finanzamt die Umstände nicht kannte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. § 130 Abs. 2 InsO) hätten schließen lassen. Diese Unsicherheiten dürften nicht zu Lasten der Finanzbehörde gehen. Deren Handlungsfähigkeit wäre in unzumutbarer Weise eingeschränkt, wenn sie verpflichtet wäre, die Beendigung des Eröffnungsverfahrens abzuwarten, bevor gegen den Vertreter ein Haftungsbescheid erlassen werden könnte. Auch solle die Finanzbehörde keine Prognoseentscheidung über das Vorliegen der in §§ 130 ff. InsO normierten Anfechtungsvoraussetzungen treffen müssen. Neben dem Sicherungszweck der Norm sprächen somit auch Effektivitätsgesichtspunkte und Praktikabilitätserwägungen dafür, bei der Anwendung von § 69 AO hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der Schadenszurechnung unberücksichtigt zu lassen.

Überträgt man diese Erwägungen auf den Streitfall, zeigt sich, dass vorliegend durch die Stellvertretung keine das Steueraufkommen gefährdenden Vorteile entstanden sind, denen entgegen gewirkt werden muss. Auch greifen die vom BFH benannten Effektivitäts- und Praktikabilitätserwägungen im Streitfall nicht durch.

Die hier maßgeblichen Pflichtverletzungen wurden zwischen September 2011 (bei Bejahung einer Pflicht zur Mittelvorsorge bzgl. der USt-VA September 2011) und Dezember 2011 (Fälligkeit der USt-VA Oktober 2011) begangen. Im Januar und Februar 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Steuerschuldnerin eröffnet. Im April 2012 geschah sodann die für die USt-VA Juli und August 2011 erfolgte Anfechtung nach § 130 InsO. Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, zur Rückzahlung verpflichtet gewesen zu sein, da ihm die Zahlungsschwierigkeiten der Steuerschuldnerin bereits im Mai 2011 bekannt gewesen seien (im Kontext einer Kontenpfändung für die USt-VA März 2011). Im Oktober 2011 - mithin also mehrere Monate nach Insolvenzeröffnung, Anfechtung und Rückzahlung - erließ der Beklagte die hier streitgegenständlichen Haftungsbescheide.

Bei Erlass des Haftungsbescheides wusste der Beklagte folglich bereits, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und dass der Insolvenzverwalter tatsächlich von der Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 InsO Gebrauch macht. Mit der vom Beklagten selbst veranlassten Rückzahlung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Juli und August 2011 wusste er überdies, dass die Tatbestandsmerkmale des § 130 InsO vorliegen, insbesondere dass er als Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit der Steuerschuldnerin kannte. Zugleich war ihm bewusst, dass er auch bei fristgerechter Zahlung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume September und Oktober 2011 den hier geltend gemachten Steuerschaden erlitten hätte, da diese Zahlungen ebenso angefochten worden wären.

Unter diesem Blickwinkel stellt es sich als widersprüchlich und nicht im Einklang mit dem Wortlaut und Gesetzeszweck des § 69 AO stehend dar, dass der Beklagte die Kläger gleichwohl in Anspruch genommen hat.

Da der Senat bereits vom Fehlen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 69 AO ausgeht, kann er offen lassen, ob ansonsten ein Ermessensfehler konstatiert werden müsste.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Kosten sind verhältnismäßig nach dem Obsiegen und Unterliegen zu teilen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.

V. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. In der Rechtsprechung des BFH ist bislang nicht hinreichend geklärt, inwieweit hypothetische Anfechtungen nach §§ 129 ff. InsO eine Schadenszurechnung unterbinden, wenn die vom BFH benannten Ziele des § 69 AO (Sicherungszweck, Effektivitätsgesichtspunkte, Praktikabilitätserwägungen) aufgrund einer für Vormonate bereits durchgeführten Insolvenzanfechtung und späterem Erlass des Haftungsbescheids nicht betroffen sind.