Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21.01.2015 - 2 LA 307/14
Fundstelle
openJur 2015, 1457
  • Rkr:
Tenor

Auf die Anträge der Beteiligten wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 1. Oktober 2014 zugelassen, soweit die Klägerin die Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2012/13 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Voll- und hilfsweise auf einem Teilstudienplatz begehrt.

Der weitergehende Zulassungsantrag der Klägerin wird abgelehnt.

Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen

2 LB 65/15

geführt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Die Anträge haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, soweit er auf die Vergabe eines Studienplatzes innerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen (sogen. innerkapazitärer Anspruch) gerichtet ist.

Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil konsequenterweise über beide nur hilfsweise gestellten Anträge der Klägerin auf innerkapazitäre Zulassung entschieden, da es dem Hauptantrag auf Zulassung auf einem außerkapazitären Vollstudienplatz nicht und dem weiteren Hilfsantrag auf Zulassung auf einem außerkapazitären Teilstudienplatz „nur zum Teil“ stattgegeben, dem Begehren der Klägerin auf Zulassung zum Studium damit aber tatsächlich wohl nur in kaum realisierbarer Form entsprochen hat. Bei den Hilfsanträgen auf innerkapazitäre Zulassung handelt es sich im Vergleich zu den auf außerkapazitäre Zulassung gerichteten Anträgen um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, da die Klägerin hier den Anspruch auf Zulassung zum Studium aus einem anderen Sachverhalt herleitet. Denn es geht - anders als dort - nicht um die Prüfung, ob der Hochschule mehr Kapazitäten zur Verfügung stehen, als in der jeweiligen ZZ-VO festgesetzt sind. Im Zentrum der Argumentation zu innerkapazitären Zulassungsansprüchen der jeweiligen Antragsteller in den vom Senat entschiedenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes stand und steht vielmehr die Behauptung, die Hochschule habe die ihr nach der ZZ-VO zur Verfügung stehenden Studienplätze nicht ordnungsgemäß besetzt und es bestünden deshalb verdeckte Kapazitäten (vgl. im Einzelnen Senatsbeschl. v. 18.11.2014 - 2 NB 391/13 -, juris Rdnrn. 4 ff.).

Zu diesem tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs hätte die Klägerin eigene Zulassungsgründe vortragen müssen. Daran fehlt es. Das Verwaltungsgericht hat die Hilfsanträge auf innerkapazitäre Zulassung als bereits unzulässig abgelehnt. Hierzu verhält sich die Begründung des Zulassungsantrags - das gilt auch für die Ausführungen zur Belegung der Vollstudienplätze, was überdies nur im Zusammenhang mit der Vergabe außerkapazitärer Studienplätze thematisiert wird (vgl. insbesondere S. 7 u.14 der Antragsbegründung) - mit keinem Wort. Damit genügt die Klägerin insoweit nicht dem Darlegungsgebot des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO, so dass bezogen auf diese Anträge eine Zulassung der Berufung ausscheidet (vgl. zur nur teilweisen Zulassung auch Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 4. Auflage, § 124 a Rdnr. 277 m.w.N.).

Eine Zulassung der Berufung kommt bezogen auf die innerkapazitären Hilfsanträge auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Argumentation des Verwaltungsgerichts zur Zulässigkeit innerkapazitärer Anträge „offensichtlich“ in Widerspruch zu den Ausführungen im Senatsbeschluss vom 18. November 2014 - 2 NB 391/13 -, juris, stehen könnte. Unabhängig davon, ob man die Auffassung teilt, dass bei offensichtlich fehlerhaften Entscheidungen auch bei mangelnder Darlegung eines Zulassungsgrundes die Zulassung der Berufung in Betracht kommt, ist es aus Sicht des Senats nicht geboten, die Klägerin nur mit Blick auf diesen Widerspruch von jeglicher Darlegungslast zu entbinden (vgl. hierzu auch Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Auflage, § 124a Rdnr. 79). Die Klägerin hätte zumindest die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den innerkapazitären Zulassungsanspruch, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass dieser einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs bildet für den schon die Zulässigkeit verneint wurde, ausdrücklich in ihrem Zulassungsantrag aufgreifen und zu erkennen geben müssen, dass sie die erstinstanzliche Entscheidung auch insoweit für unrichtig hält (vgl. auch Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO Kommentar, Band 2, Loseblatt, Stand: März 2014, § 124a Rdnr. 100, und wohl ebenso Happ in: Eyermann, VwGO Kommentar, 14. Auflage, § 124a Rdnr. 83). Dass die Klägerin (allein) im Betreff ihrer Schriftsätze die innerkapazitären Ansprüche ausdrücklich aufgeführt hat, reicht hierfür nicht aus. Ebenso wenig genügt es, dass in einem aus anderem Anlass (vgl. S. 6 der Antragsbegründung) als Anlage zur Zulassungsbegründung überreichten Schriftsatz (auch) die Vergabe innerkapazitärer Studienplätze thematisiert wird.

II. Soweit die Klägerin die Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2012/13 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Voll- und hilfsweise auf einem Teilstudienplatz begehrt, haben die u.a. auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Zulassungsanträge der Beteiligten Erfolg, weil insoweit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen. Diese liegen nicht erst vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, sondern bereits dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, 634; Beschl. d. 2. K. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546; Senat, Beschl. v. 2.8.2014 - 2 LA 118/14 -, juris, vgl. Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.).

Diese Anforderungen erfüllen die Begründungen beider Zulassungsanträge.

Sie richten sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ZZ-VO 2012/13 sei (insgesamt) unwirksam, und sind dem mit schlüssigen Gegenargumenten unter Verweis auf die bisherige Senatsrechtsprechung entgegen getreten.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die ZZ-VO 2012/13 sei (insgesamt) unwirksam, weil sie wegen ihrer unklaren Anwendungsbereiche im Verhältnis zu den vorher geltenden und nachfolgenden Zulassungszahlenverordnungen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße. Die bisherige Rechtsprechung des Senats stützt indessen die gegenteilige Argumentation, dass derartige Bedenken gegen die ZZ-VO 2012/13 nicht bestehen (vgl. zusammenfassend Senatsbeschluss vom 16. April 2014 - 2 NB 145/13 -, juris). In dem vorgenannten Beschluss hat sich der Senat auch ausdrücklich mit der Frage des Anwendungsbereichs der ZZ-VO 2012/2013 befasst und diesen nicht für unklar oder unbestimmt gehalten. Wie die nunmehr darüber hinausgehenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, insbesondere dessen Ausführungen zum Inhalt einer „Regelung der Gültigkeit der ZZ-VO 2012/13“ zu bewerten sind, bleibt einer Beurteilung im Berufungsverfahren vorbehalten.

Die Beteiligten haben darüber hinaus auch die - aus der Annahme der Unwirksamkeit der ZZ-VO 2012/13 folgende - durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Ermittlung der Studienplatzkapazität für Teilstudienplätze für das Wintersemester 2012/13 beiderseits mit nachvollziehbaren Argumenten in Frage gestellt. Sie haben insbesondere ernstliche Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt, wonach für die Aufnahmekapazität bei (unterstellter) Nichtigkeit der ZZ-VO 2012/13 nicht abschließend eine auf den Regelungen der Kapazitätsverordnung beruhende Berechnung maßgeblich sein soll, sondern eine weitere vom Verwaltungsgericht unabhängig davon an selbst gewählten Maßgaben ausgerichtete Berechnung. Wenngleich eine nähere Prüfung auch hier (ggf.) dem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben muss, kann der Senat diesen Schritt des Verwaltungsgerichts zumindest aus derzeitiger Sicht nicht nachvollziehen: Wenn in einem Klageverfahren offenbar wegen in der Vergangenheit durch die Hochschule vorgenommener Überbuchungen Verdacht geschöpft wird - ob zurecht, kann hier offenbleiben; allerdings hat der Senat bislang für eine solche Annahme keine Anhaltspunkte gesehen -, dass bei der Hochschule verdeckte Kapazitäten vorliegen, dürfte diesem Umstand jedenfalls zuvorderst und weitest möglich durch intensive Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der verordnungsrechtlich vorgeschriebenen Berechnung der Aufnahmekapazitäten Rechnung zu tragen sein, nicht aber durch eine Art „Sicherheitszuschlag“.

Die endgültige Klärung der Frage, ob im streitgegenständlichen Semester freie Studienplätze vorliegen, muss mangels einer durch das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der Kapazitätsverordnung vorgenommenen Berechnung im Berufungsverfahren erfolgen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin in ihrer Zulassungsbegründung auch die von ihr beanstandete Tenorierung - Zulassung mit der Maßgabe, dass die Klägerin bis zum Ablauf eines Monats nach dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils durch die Vorlage schriftlicher Verzichtserklärungen der Personen, welche bei der Verlosung der Rangfolge für Teilstudienplätze des 1. vorklinischen Semesters zum Wintersemester 2012/13 (im zugehörigen Eilverfahren) durch die Kammer besser als die Klägerin platziert worden sind, oder andere Urkunden gegenüber der Beklagten nachweist, dass sie die nächste Nachrückerin für die Besetzung eines freien Teilstudienplatzes ist  - mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hat, so dass auch insoweit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung dargelegt sind. Der Senat hat nach derzeitiger Einschätzung erhebliche Zweifel, ob der anlässlich der Eilverfahren erstellten Losliste die vom Verwaltungsgericht beigemessene Bedeutung tatsächlich zukommt.

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründung ist schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).