OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.10.2014 - 4 Ws 432/14
Fundstelle
openJur 2015, 868
  • Rkr:

1. Für Übersetzungsleistungen ist das erhöhte Honorar nach § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG anzusetzen, wenn der zur Übersetzung überlassene Text nicht editierbar ist. Deshalb kann ein Übersetzer, dem der zu übersetzende Text nur in Papierform übermittelt wurde, stets mangels Editierbarkeit das erhöhte Honorar verlangen.

2. Eine besondere Erschwernis der Übersetzung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG kann sich im Einzelfall allein oder unter Berücksichtigung sonstiger Erschwernisse aus der Verwendung juristischer Fachbegriffe in einer Anklageschrift ergeben, die im Hinblick auf ihre Funktion als verfahrenseinleitendes Schriftstück und die Gewährleistung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a EMRK) hohe qualitative Anforderungen an die Übersetzung stellt.

Tenor

Die weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Tübingen gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 15. August 2014 wird als unbegründet

verworfen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bad Urach beauftragte am 23. Oktober 2013 die Übersetzerin, die Anklageschrift und ein Anschreiben mit den in § 201 StPO vorgesehenen Belehrungen „möglichst bald“ in die bulgarische Sprache zu übersetzen. Das Amtsgericht stellte ihr die Dokumente in Papierform zur Verfügung. Die Übersetzerin berechnete am 26. Oktober 2013 für diese Tätigkeit unter Zugrundelegung des erhöhten Honorars (§ 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG) und unter Annahme einer besonderen Schwierigkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG) eine Vergütung von (101 Normzeilen [entsprechend 55 Anschlägen] zu je 2,05 EUR =) 207,05 EUR zuzüglich Portauslagen von 1,45 EUR, insgesamt 208,50 EUR. Dieses Honorar ließ der Urkundsbeamte zunächst antragsgemäß auszahlen. Nachdem die Bezirksrevisorin den Ansatz des gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG erhöhten Honorars beanstandet und eine Herabsetzung auf 188,30 EUR begehrt hatte, beantragte die Übersetzerin die gerichtliche Festsetzung.

Mit Beschluss vom 3. Juni 2014 hat der mit der Sache befasste Richter beim Amtsgericht die Vergütung der Übersetzerin auf 208,50 EUR festgesetzt. Die - vom Amtsgericht zugelassene - Beschwerde der Bezirksrevisorin, mit der sie ihren Antrag auf Herabsetzung des Honorars auf 188,30 EUR weiterverfolgte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 3. Juni 2014 als unbegründet verworfen. Mit ihrer - vom Beschwerdegericht zugelassenen - weiteren Beschwerde wendet sich die Bezirksrevisorin nunmehr auch gegen die Annahme besonders erschwerender Umstände (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG) und beantragt, das Honorar nur noch in Höhe von 156,55 EUR festzusetzen.II.

Die gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 JVEG statthafte und im Übrigen zulässige weitere Beschwerde bleibt in der Sache erfolglos.

1. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für das erhöhte Honorar gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG bejaht. Nach dem unklar gefassten Wortlaut dieser Vorschrift (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl., § 11 JVEG Rn. 6) erhöht sich das Honorar „bei nicht elektronisch zur Verfügung gestellten editierbaren Texten“ auf 1,75 EUR für jeweils angefangene 55 Anschläge. Nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Vorschrift hängt der Ansatz des erhöhten Honorars von der fehlenden Editierbarkeit des zur Übersetzung überlassenen Textes ab. Der Gesetzgeber wollte zwischen einfachen Texten und elektronisch zur Verfügung gestellten editierbaren Texten unterscheiden. Diese Differenzierung beruht auf dem Ergebnis der vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Marktanalyse von …..(BT-Drucks. 17/11471, S. 261). Diese hat ergeben, dass 27 % der befragten Übersetzer einen Zuschlag erheben, wenn ihnen der zu übersetzende Text nur in einem nicht editierbaren Dateiformat (z. B. PDF-Format) vorliegt (Hommerich/Reiß, Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - Evaluation und Marktanalyse, 2010, S. 200 f.). Nur die Editierbarkeit, nicht aber die elektronische Überlassung ist geeignet, den Aufwand der Übersetzung entscheidend zu beeinflussen, und rechtfertigt eine Differenzierung der Höhe des Honorars (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. Dezember 2013 - 1 Ws 535/13, juris Rn. 6; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl., § 11 Rn. 3). Wird der zu übersetzende Text also in Papierform überlassen, ist stets das erhöhte Honorar nach § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG anzusetzen (Binz in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl., § 11 JVEG Rn. 4; Schneider, JVEG, 2. Aufl., § 11 Rn. 8). Hier überließ das Amtsgericht der Übersetzerin nur Dokumente in Papierform. Schon deshalb ist das erhöhte Honorar gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG angefallen.

2. Ohne Erfolg wendet sich die weitere Beschwerde gegen die Erhöhung des Honorars gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG wegen besonderer Schwierigkeiten, indem sie die Häufung der verwendeten Fachausdrücke im zu übersetzenden Text und die Seltenheit des Gebrauchs der bulgarischen Sprache in Deutschland in Zweifel zieht. Dabei erscheint bereits zweifelhaft, ob die Bezirksrevisorin überhaupt eine im Verfahren der weiteren Beschwerde gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 JVEG allein maßgebliche Rechtsverletzung rügt oder nur ihre eigene tatsächliche Bewertung an die Stelle der Bewertung der Vorinstanzen setzt.

a) Nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG ist ein höheres Honorar für die Übersetzungsleistung anzusetzen, wenn die erbrachte Leistung für einen durchschnittlichen Übersetzer besonders erschwert war. Die Vorschrift zählt beispielhaft Kriterien auf, aus denen sich die besondere Schwierigkeit im Einzelfall ergeben kann, wie die häufige Verwendung von Fachausdrücken, die schwere Lesbarkeit des Textes, eine besondere Eilbedürftigkeit des Übersetzungsauftrags oder die Seltenheit des Vorkommens der Zielsprache in Deutschland. Auch in der Zusammenschau mehrerer dieser Kriterien und anderer Umstände kann sich im Einzelfall eine besondere Erschwernis ergeben. Bei der Bewertung kommt es darauf an, in welchem Ausmaß die Kriterien, aus denen sich besondere Schwierigkeiten ergeben können, erfüllt sind. Bei dieser Bewertung steht den Gerichten ein Beurteilungsspielraum zu, der im Verfahren der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsfehler überprüfbar ist.

b) Gemessen hieran lässt die Annahme der Vorinstanzen, die hier in Rede stehende Übersetzung sei besonders schwierig, keine Rechtsfehler erkennen.

Die Eingruppierung der Bulgarischen Sprache in die Gruppe B der Anlage 4 zu § 4 Auslandskostenverordnung (vgl. Schneider, JVEG, 2. Aufl., § 11 Rn. 44) steht entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin der Annahme einer besonderen Schwierigkeit im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG nicht entgegen. Die vom Verordnungsgeber vorgenommene Eingruppierung einer Sprache beruht auf deren Schwierigkeit und hat deshalb für ihre Seltenheit in Deutschland allenfalls indizielle Bedeutung. Dass eine Sprache - wie hier Bulgarisch - Amtssprache der Europäischen Union ist, spricht noch nicht gegen die Seltenheit ihres Gebrauchs in Deutschland (a. A. Schneider, JVEG, 2. Aufl., § 11 Rn. 24). Die Seltenheit des Gebrauchs einer Sprache in Deutschland beurteilt sich vorrangig nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach den rechtlichen Regelungen. Je seltener der Gebrauch einer Fremdsprache in Deutschland ist, desto weniger wird diese Fremdsprache und insbesondere die Fachterminologie lexikalisch erschlossen sein, was typischerweise einen höheren Aufwand bei der Übersetzung zur Folge hat (Binz in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl., § 11 JVEG Rn. 18; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl., § 11 Rn. 4 unter d). Für den gerichtlichen Alltag kommt es auf die tatsächliche Verbreitung der Sprache und der damit zusammenhängenden Anzahl und Verfügbarkeit von für diese Sprache qualifizierten Übersetzern an.

Die Verwendung der juristischen Fachsprache beeinflusst die Schwierigkeit der Übersetzungsleistung. Ob die Verwendung juristischer Fachausdrücke, die sowohl in der deutschen Sprache als auch in der Zielsprache häufig vorkommen und einem durchschnittlich erfahrenen Übersetzer geläufig sind, für sich allein die Annahme einer besonderen Erschwernis rechtfertigt (verneinend KG, Beschlüsse vom 14. Januar 2009 - 1 Ws 359/08, juris Rn. 2; vom 12. Juni 2009 - 1 Ws 56/09, juris; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 16. März 2011 - 4 Ws 3/11 (K), juris Rn. 14; Giers in Gesamtes Kostenrecht, 2014, § 11 RVEG Rn. 8; bejahend Bund, JurBüro 2006, 402, 409; Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl., § 11 JVEG Rn. 8; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl., § 11 Rn. 4 unter a), kann hier offen bleiben. Immerhin informiert aber die Anklageschrift den Angeschuldigten nicht nur über den ihm zur Last gelegten Lebenssachverhalt, sondern auch über die anzuwendenden Strafvorschriften und deren gesetzliche Merkmale (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); ihr und ihrer Übersetzung kommt im Hinblick auf die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs besondere Bedeutung zu (vgl. Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a EMRK). Aus dieser Bedeutung als verfahrenseinleitendem Schriftstück resultieren hohe qualitative Anforderungen an die Übersetzungsleistung. Gerade bei rechtlichen Fachbegriffen kann eine besondere Schwierigkeit darin bestehen, dass sie keine direkte Entsprechung in der Zielsprache haben, weil die Rechtsordnung in den Staaten, in dem die Zielsprache verbreitet ist, bestimmte Rechtsinstitute nicht kennt (vgl. Binz in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl., § 11 Rn. 19). Da die in der Rechtsordnung der Zielsprache existierenden Straftatbestände häufig nicht mit den deutschen Straftatbeständen übereinstimmen und mit ihnen nur entfernt vergleichbar sind, muss die Übersetzung des Anklagesatzes gerade in diesem Bereich mit besonderer Sorgfalt angefertigt werden. Ebenso beinhaltet die bei der Zustellung der Anklageschrift gemäß § 201 StPO zu erteilende Belehrung juristische Fachbegriffe, die erhöhte Anforderungen - vor allem im Hinblick auf terminologische Recherchen - an die Übersetzung erfordern kann.

Jedenfalls in einer Gesamtschau der Häufigkeit des Gebrauchs der bulgarischen Sprache, der Verwendung juristischer Fachbegriffe, den damit zusammenhängenden qualitativen Anforderungen an die Übersetzung und der vom Amtsgericht bei der Auftragserteilung mitgeteilten Eilbedürftigkeit des Übersetzungsauftrags ist die Annahme einer besonderen Erschwernis im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.