OLG Köln, Beschluss vom 03.11.2014 - 2 U 82/14
Fundstelle
openJur 2015, 843
  • Rkr:
Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 04.07.2014 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 16 O 575/13 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Beklagte erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 21.11.2014 Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg(§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die Verurteilung der Beklagten durch das Landgericht beruht weder auf einer Rechtsverletzung; noch rechtfertigen die nach§ 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Die Klage hat Erfolg.

Der nach § 280 InsO als Sachwalter anfechtungsbefugte Kläger hat seine Prozessführungsbefugnis nicht aufgrund der mit Ablauf des 30.04.2014 eingetretenen Verfahrensaufhebung verloren. Denn in dem von ihm auszugsweise vorgelegten Insolvenzplan ist unter Ziffer 8.7.1. die Fortführung rechtshängiger Anfechtungsverfahren durch den Sachwalter vorgesehen (§ 259 Abs. 3 InsO); die vorliegende Klage war bereits rechtshängig. Nach Ziffer 8.7.3. des Insolvenzplans ist der Kläger zur Einziehung befugt.

Der Klageanspruch in Höhe von 108.986,52 € ist begründet aus §§ 143 Abs. 1, 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO.

1. Das Landgericht hat mit Recht und zutreffender Begründung angenommen, dass die Beklagte die angefochtenen Zahlungen als Insolvenzgläubigerin, nämlich als persönliche Gläubigerin eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten - und erfüllten - Anspruchs im Sinne des § 38 InsO erlangt hat. Die Ansprüche der Beklagten waren nicht als Masseverbindlichkeiten begründet worden, die nicht unter § 38 InsO fallen würden, sondern nach Maßgabe des § 53 InsO bevorrechtigt zu befriedigen gewesen wären.

Dies folgt daraus, dass das Insolvenzgericht der Schuldnerin keine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270 b Abs. 3 InsO erteilt hatte. Den dafür notwendigen Antrag hatte die Schuldnerin in ihrem Antrag vom 09.09.2013 auf Einleitung des Schutzschirmverfahrens nach § 270 b Abs. 3 InsO auch nicht gestellt. Ohne die Ermächtigung nach § 270 b Abs. 3 InsO aber war die Schuldnerin entgegen der Auffassung der Berufung nicht in der Lage, Masseverbindlichkeiten zu begründen; ohne eine solche Ermächtigung gilt die Verweisung auf § 55 Abs. 2 InsO nicht. Nach der Gesetzesbegründung wird dem Schuldner mit der Vorschrift die Möglichkeit eröffnet, über eine Anordnung des Gerichts quasi in die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Verwalters einzurücken; mit der Anordnung erlangt er die Befugnis, durch alle seine Rechtshandlungen Masseverbindlichkeiten zu begründen (BT-Drucksache 17/7511, S. 37). Daraus ergibt sich, dass dem Schuldner ohne die gerichtliche Ermächtigung die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten fehlt. Soweit die Berufung unter Verweis auf Larenz ("Methodenlehre, 6. Aufl., S 391") anführt, es sei keine Frage der formalen Logik, ob eine gesetzliche Regel einen Umkehrschluss erlaube, sondern eine Frage "der gesetzlichen Teleologie und der in ihr zum Ausdruck gelangten Wertung, also der ratio legis", zitiert sie zutreffend. Indes ist danach der Umkehrschluss angesichts der Teleologie, wie sie der oben zitierten Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, gerade geboten.

Dass ohne gerichtliche Ermächtigung eine Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten fehlt, ist in Bezug auf das Schutzschirmverfahren nach § 270 b InsO im Hinblick auf die klare Regelung des § 270 b Abs. 3 InsO unbestritten und entspricht auch in Bezug auf Verfahren nach der Bestimmung des § 270 a InsO, die eine dem § 270 b Abs. 3 InsO entsprechende Regelung nicht enthält, ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Dresden NZI 2014, 703; Pape ZIP 2013, 2285, 2291 f.; Marotzke DB 2013, 1283, 1286; Klinck ZIP 2013, 853; Rendels EWiR 2014, 525, 526; a.A. - nur für das Verfahren nach § 270 a InsO - AG Montabaur, Beschluss vom 27.12.2012 - 14 IN 282/12 - juris). Die in Rechtsprechung und Literatur insbesondere für das Verfahren nach § 270 a InsO unterschiedlich beantworteten Fragen, ob die Ermächtigung global oder einzeln und ob sie dem Schuldner oder dem Sachwalter zu erteilen ist, sind für den Streitfall ohne Bedeutung, weil es hier an jeglicher Ermächtigung durch das Insolvenzgericht fehlt.

Demgegenüber kann den rechtssystematischen Überlegungen der Berufung nicht gefolgt werden; diese stehen mit der gesetzlichen Regelung des § 270 b InsO und der bei der Eigenverwaltung zugrunde liegenden Systematik nicht im Einklang. Eine Kompetenz des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten folgt nicht bereits daraus, dass ihm mangels Einschränkung durch das Insolvenzgericht die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis verbleibt. Diese ist Ausfluss der Privatautonomie; nichts anderes gilt für die Fähigkeit, schlechthin Verbindlichkeiten zu begründen. Davon zu trennen ist indes die Befugnis, Verbindlichkeiten als Masseschulden zu begründen. Damit wird der Bereich der Privatautonomie verlassen. Denn dabei geht es um die Art und Weise, in der ein Gläubiger im Insolvenzverfahren Befriedigung beanspruchen kann; insoweit unterliegt die Privatautonomie des Schuldners Einschränkungen durch das Insolvenzrecht. Im Schutzschirmverfahren bestehen diese darin, dass der Schuldner während des Eröffnungsverfahrens Masseverbindlichkeiten nach der gesetzlichen Regelung nur aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung begründen kann. Auch der Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Anfechtbarkeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters (BGHZ 200, 210 = WM 2014, 572), aus der die Berufung umfangreich zitiert, verfängt nicht. Denn im Eigenverwaltungsverfahren hat der Schuldner - anders als der (vorläufige) Insolvenzverwalter im Regelverfahren - eine Doppelstellung, nämlich einerseits die des Inhabers der verwalteten Masse und andererseits die eines Verwalters. Welche Befugnisse dem Schuldner in letzterer Eigenschaft im Eröffnungsverfahren zukommen, wird durch die speziellen gesetzlichen Regelungen zur Eigenverwaltung - hier § 270 b InsO - bestimmt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann nicht in der Weise auf die Eigenverwaltung übertragen werden, dass dem Schuldner hier allein wegen der verbliebenen Verfügungs- und Verwaltungsrechte eine der Stellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechende Position zukäme; dies tritt erst, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich ausführt, aufgrund eine Ermächtigung nach § 270 b Abs. 3 InsO ein. Außerhalb dieser ihm vom Insolvenzrecht verliehenen Befugnisse handelt der Schuldner nur auf der Grundlage der Privatautonomie und kann auf diese Weise lediglich Verbindlichkeiten eingehen, die nach Verfahrenseröffnung den Rang von Insolvenzforderungen haben (vgl. Klinck a.a.O.). Fehl geht daher auch der Einwand, dass unbegründet bleibe, warum der Schuldner etwas beantragen solle/müsse, wenn er bereits die Rechtsmacht/Befugnis habe, die ihm ein solcher Antrag verleihen würde. Denn, wie ausgeführt, kommt dem Schuldner die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht schon auf der Grundlage seiner Privatautonomie, sondern erst aufgrund Insolvenzrechts in dem normierten Umfang zu.

Soweit die Berufung rügt, die Kammer habe die Rechtsfigur einer "schwachen vorläufigen Eigenverwaltung" in Betracht gezogen, die es indes (bislang) nicht gebe, so ist dieser Begriff der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Bei dem offenbar von der Berufung selbst geprägten Begriff handelt es sich aber um eine treffende Umschreibung der Stellung des nicht über eine Ermächtigung nach § 270 b Abs. 3 InsO verfügenden Schuldners, was seine Kompetenzen zur Begründung von Verbindlichkeiten betrifft.

Ohne Erfolg macht die Berufung Vertrauensschutzaspekte geltend. Daran, dass dem Schuldner die Verfügungs- und Verwaltungsrechte verbleiben, kann kein schutzwürdiges Vertrauen anknüpfen, weil § 270 b Abs. 3 InsO die Masseschuldbegründungskompetenz von einer gerichtlichen Ermächtigung abhängig macht. Daher steht die Anfechtungsankündigung im anwaltlichen Schreiben vom 17.09.2013 entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht im Widerspruch zu einem Beschluss des Insolvenzgerichts. Aufgrund dieses Schreibens durfte die Beklagte auch nicht auf ein Behaltendürfen der später erlangten Zahlungen des Schuldners vertrauen, zumal hier auf den gestellten Eröffnungsantrag hingewiesen und die Zahlung der Sozialversicherungsbeizträge allein im Hinblick auf die Strafbewehrung der Nichtzahlung angekündigt wurde.

2. Die Zahlungen sind nach dem Eröffnungsantrag erfolgt, von dem die Beklagte aufgrund des vorstehend genannten Schreibens Kenntnis hatte. Bei dem Antrag vom 09.09.2013 handelte es sich um einen Eröffnungsantrag im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO. Dies ergibt sich schon aus Ziffer 1. des Antrages, mit dem wörtlich beantragt wurde, "das Insolvenzverfahren zu eröffnen"; dem entsprechend hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 01.12.2013 das Insolvenzverfahren auch eröffnet. Die Besonderheiten des Verfahrens nach § 270 b InsO rechtfertigen keine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Beurteilung im Rahmen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO (OLG Dresden a.a.O.). Denn diese ändern nichts daran, dass dem Eröffnungsantrag im Eigenverwaltungsverfahren nicht anders als im Regelverfahren die "Warnwirkung" zukommt, die der Anfechtungsnorm zugrunde liuegt.

3. Die allgemeine Anfechtungsvoraussetzung der (objektiven) Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) ist erfüllt. Sie liegt hier darin, dass durch die Zahlungen die dem Gläubigerzugriff zur Verfügung stehende Aktivmasse vermindert wurde. Zwar kommt es ausnahmsweise nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung, wenn die Masse ohne die Anfechtung ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen. Grundsätzlich spricht freilich nach der Lebenserfahrung ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen. Zur Entkräftung des Anscheinsbeweises muss sich der Anfechtungsgegner eingehend mit allen zum Vermögen des Schuldners gehörenden Posten befassen und aufzeigen, dass es heute noch ausreicht, um alle zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen zu tilgen (BGH a.a.O; OLG Dresden a.a.O.). Für eine solche Entkräftung hat die Beklagte weder in erster Instanz noch mit der Berufung etwas vorgetragen.

4. § 142 InsO steht der Anfechtung nicht entgegen, weil die Voraussetzungen eines Bargeschäfts nicht festzustellen sind. Nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Bargeschäftseinwand gegenüber der Anfechtung von Sozialversicherungsbeitragszahlungen (BGH NZI 2005, 497; NZI 2006, 159), welcher der Senat sich anschließt, gilt folgendes:

"Ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO liegt vor, wenn der Schuldner in engem zeitlichem Zusammenhang mit seiner Leistung aufgrund einer Vereinbarung mit dem Anfechtungsgegner eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat (BGHZ 157, 350, 360). Der Rechtsgrund für die anfechtungsrechtliche Begünstigung von Bargeschäften liegt darin, dass wegen des ausgleichenden Vermögenswertes keine Vermögensverschiebung zulasten der Schuldnerin, sondern eine bloße Vermögensumschichtung stattfindet (BGHZ 123, 320, 323; vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/2443, S. 167 zu § 161). Im vorliegenden Fall hat die Schuldnerin aber weder eine Vereinbarung mit der Beklagten getroffen noch eine Gegenleistung von ihr erhalten. Die sozialversicherungsrechtliche Pflicht der Schuldnerin, die Beiträge an die Einzugsstelle zu entrichten (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV), ersetzt die notwendige Vereinbarung nicht. Außerdem ist keine dem Zugriff der übrigen Gläubiger offenstehende Gegenleistung der Beklagten in das Vermögen der Schuldnerin gelangt. Stellt man auf die durch das kassenärztliche Versicherungssystem bereitgestellten Leistungen ab, so fehlt es an einer Bereicherung der Masse. Sieht man die Gegenleistung in der Arbeitsleistung der bei der Beklagten versicherten Arbeitnehmer, so rührt diese nicht von der Beklagten her."

Dem ist in Bezug auf den vorliegenden Streitfall nichts hinzuzufügen.

5. Hinsichtlich des Zinsanspruchs nimmt der Senat auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug.

II.

Die Annahme der Berufung ist auch nicht aus einem der Gründe des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO veranlasst. Der vorliegende Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Voraussetzungen, unter denen über das Rechtsmittel mündlich zu verhandeln wäre, sind ebenso nicht erfüllt.

III.

Gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO gibt der Senat der Beklagten unter Hinweis auf die beabsichtigte Zurückweisung ihres Rechtsmittels und die hierfür maßgeblichen Gründe Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb der in der Beschlussformel bezeichneten Frist. Auf die Möglichkeit, durch eine Rücknahme der Berufung einen Teil der Gerichtsgebühren zu ersparen (s. Nr. 1222 KV zum GKG), wird hingewiesen.