OLG Hamm, Urteil vom 24.07.2014 - 24 U 31/14
Fundstelle
openJur 2015, 835
  • Rkr:

Wird der Lärmverursacher in den Fällen behaupteter Lärmbeeinträchtigungen vorab immer über die Messtermine des gerichtlichen Sachverständigen informiert, kann zu befürchen sein, dass dieser sein Verhalten entsprechend einrichtet bzw. ändert und der Sachverständige damit keine Umstände vorfindet, die den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechen. Es kann damit die Gefahr bestehen, dass das Schallgutachten keine objektiven Messergebnisse liefert und deshalb keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Rechtsstreits ist (vgl. OLG Saarbrücken, MDR 1998, 492, juris Rdnr. 6). Verdeckte Messungen eines Sachverständigen widersprechen in solchen Fällen nicht dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gemäß § 357 ZPO und verstoßen auch nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn dieses anschließend gewährt wird.

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 27.01.2014 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 1, Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO)

A.

Die zulässige Berufung der Kläger führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts und zur - von beiden Parteien im Senatstermin am 24.07.2014 (hilfsweise) beantragten - Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.

Das erstinstanzliche Verfahren leidet an mehreren wesentlichen Mängeln, die eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig machen und die die Zurückverweisung der Sache nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO rechtfertigen.

1.

Ein wesentlicher Verfahrensmangel besteht zunächst darin, dass das Landgericht dem Sachverständigen Dipl.-Ing. T2 aufgegeben hat, die Schallmessungen in den Räumen der Kläger nicht "verdeckt" vorzunehmen (vgl. Bl. 88 d.A.), sondern den Beklagten vorab über die Messtermine zu informieren.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, verdeckte Messungen würden dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gemäß § 357 ZPO widersprechen. Das ist nicht überzeugend. Das Landgericht übersieht, dass der von ihm bemühte Grundsatz der Parteiöffentlichkeit in einem Fall wie dem vorliegenden durch die Grundsätze des fairen Verfahrens und der "Waffengleichheit" überlagert wird. Würde man in den Fällen behaupteter Lärmbeeinträchtigungen den jeweiligen Prozessgegner (Lärmverursacher) vorab immer über die Messtermine des Sachverständigen informieren, steht zu befürchten, dass dieser sein Verhalten entsprechend einrichtet bzw. ändert und der Sachverständige damit keine Umstände vorfindet, die den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechen. Es besteht damit die Gefahr, dass das Schallgutachten keine objektiven Messergebnisse liefert und deshalb keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Rechtsstreits ist (vgl. OLG Saarbrücken, MDR 1998, 492, juris Rdnr. 6). Diese Gefahr liegt hier schon deswegen auf der Hand, weil der Beklagte - ohne dass der Senat ihm dies unterstellt - jedenfalls die Möglichkeit hatte, durch einfaches Herunterfahren der Musikanlage den Lärmpegel zum Zeitpunkt der Messungen zu beeinflussen. Es kann damit zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte den von seiner Musikanlage ausgehenden Geräuschpegel im Zeitraum der ihm bekannten Messungen durch den Sachverständigen möglichst gering gehalten hat. In einem solchen Fall müssen Verfahrensrechte der Beteiligten nach § 357 ZPO - sofern diese überhaupt anwendbar sind - soweit zurücktreten, wie dies für die Ermittlung zutreffender Tatsachengrundlagen geboten ist (ebenso: OLG Koblenz, MDR 2011, 1320, juris Rdnr. 11 ff.; Zöller/Greger, ZPO (30. Aufl.), § 357 Rdnr. 5). Dem Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass er unmittelbar nach einem durchgeführten Messtermin von dem Sachverständigen informiert wird (vgl. OLG Koblenz, MDR 2011, 1320, juris Rdnr. 14).

2.

Ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler - der zugleich einen Verstoß gegen den Anspruch der Kläger auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG, §§ 402, 397 ZPO) darstellt - liegt darin, dass das Landgericht dem Antrag der Kläger auf mündliche Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. T2 (vgl. Bl. 115 d.A.) nicht stattgegeben hat. Dies hat das Landgericht mit der Begründung unterlassen, der Antrag sei verspätet gestellt worden. Das ist unrichtig. Den Klägern ist das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. T2 vom 01.08.2013 am 13.08.2013 mit einer vierwöchigen Stellungnahmefrist zugestellt worden (vgl. Bl. 101, 106 d.A.). Fristgerecht am 10.09.2013 (= letzter Tag der Frist) haben die Kläger (vorsorglich und hilfsweise) die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Anhörung gemäß §§ 402, 397 ZPO beantragt (vgl. Bl. 115 d.A.). Die vom Landgericht angenommene Verspätung des Antrags lag damit nicht vor. Auch wenn das Landgericht selbst keinen Erläuterungsbedarf mehr gesehen haben sollte, war es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 402, 397 ZPO zur Ladung des Sachverständigen zwecks mündlicher Gutachtenerläuterung verpflichtet (vgl. nur: BGH, BauR 2011, 550, juris Rdnr. 36; BGH, BauR 2007, 1610, juris Rdnr. 3; BGH, NJW-RR 2006, 1503, juris Rdnr. 3).

3.

Das erstinstanzliche Verfahren weist zudem einen wesentlichen Mangel auf, weil das Landgericht den Klageantrag zu 3) [auf S. 5 des angefochtenen Urteils irrtümlich als Klageantrag zu 2) bezeichnet] zwar vollständig abgewiesen, sich in den Entscheidungsgründen jedoch nicht mit dem von diesem Klageantrag umfassten Aspekt der Lärmbeeinträchtigung durch Versetzen des Müllcontainers befasst, sondern diesen Aspekt vielmehr offensichtlich vergessen hat.

4.

Infolge der dargestellten wesentlichen Verfahrensfehler wird eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig, die eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht rechtfertigt.

Einerseits wird eine Beweisaufnahme in Form verdeckter Schallmessungen in den Räumen der Kläger - bevorzugt an Wochenenden - erforderlich, wozu ein neues Schallgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. T2 einzuholen ist. Andererseits wird den von den Klägern im Berufungsverfahren substantiiert vorgetragenen neuen Tatsachen (Lärmbeeinträchtigungen in jüngerer Zeit) unter den Gesichtspunkten der Entleerung von Flaschen in den Müllcontainer und des bislang vom Landgericht nicht behandelten Versetzens des Müllcontainers zur Nachtzeit durch Vernehmung der insofern angebotenen Zeugen nachgegangen werden müssen. Dabei wird gegebenenfalls auch ein Schallgutachten zu der Frage einzuholen sein, ob evtl. vorhandene Lärmbeeinträchtigungen für die Kläger unzumutbar sind.

Die Durchführung dieser Beweisaufnahme überträgt der Senat dem Landgericht nach § 538 Abs. 2 ZPO. Der Senat übersieht dabei nicht, dass § 538 Abs. 1 ZPO in der Regel von einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts und nur ausnahmsweise gemäß § 538 Abs. 2 ZPO von einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz ausgeht. Die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegen hier jedoch vor. Im Rahmen des gemäß § 538 Abs. 2 ZPO auszuübenden Ermessens berücksichtigt der Senat vor allem, dass unter Durchführung einer aufwändigen Beweisaufnahme noch umfassend aufzuklären ist, inwiefern die Kläger unzumutbar durch von der Gaststätte des Beklagten ausgehenden Lärm beeinträchtigt werden. Eine Aufklärung durch die erste Instanz erscheint - auch wenn dies mit einer längeren Verfahrensdauer einhergeht - deshalb sachgerecht, weil einerseits das Landgericht für die ganz überwiegende Anzahl der noch zu vernehmenden Zeugen ortsnäher ist und andererseits den Parteien ansonsten eine Instanz verloren ginge. Letztlich war auch zu berücksichtigen, dass die Parteien im Senatstermin am 24.07.2014 übereinstimmend (hilfsweise) die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beantragt haben.

II.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich noch auf Folgendes hin:

1.

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, auf eine - bislang versäumte - Stellung sachdienlicher Anträge durch die Kläger gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 a.E. ZPO hinzuwirken. Hinsichtlich der Formulierung des Klageantrags zu 1) ist zu berücksichtigen, dass die Kläger keinen Anspruch auf Einhaltung eines bestimmten Schallwerts innerhalb der Gaststätte des Beklagten haben. Vielmehr ist maßgeblich, dass die Kläger in ihrer Wohnung nicht unzumutbar durch von der Gaststätte des Beklagten ausgehenden Lärm beeinträchtigt werden. Der Sachverständige Dipl.-Ing. T2 hat dabei in seinem Gutachten vom 01.08.2013 den maßgeblichen Schallwert innerhalb der Wohnung der Kläger gemäß Nr. 6.2 TA Lärm mit 25 dB (A) angegeben. Bei der Formulierung des Klageantrags zu 2) ist zu beachten, dass die Kläger keinen Anspruch darauf haben können, dass die Tür zum Hinterhof der Gaststätte in der Nachtzeit vollständig geschlossen bleibt. Vielmehr können diese eine Unterlassung nur insofern begehren, dass durch das Öffnen bzw. Aufhalten der Tür keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen verursacht werden. Hinsichtlich der Formulierung des Klageantrags zu 3) ist zu beachten, dass die Kläger keinen generellen Anspruch auf Unterlassung des Versetzens des Müllcontainers und der Entleerung von Flaschen in den Müllcontainer zur Nachtzeit haben, sondern nur insofern, dass sie hierdurch nicht durch unzumutbaren Lärm beeinträchtigt werden. Bezüglich des Versetzens des Müllcontainers über den Hinterhof an die Straße, was nach den Angaben des Beklagten im Senatstermin am 24.07.2014 einmal in der Woche (montags) vorkommen soll, ist auch die Frage der Ortsüblichkeit zu berücksichtigen.

2.

Der Senat hat letztlich Anlass dazu, darauf hinzuweisen, dass die bisherige Beweiswürdigung durch das Landgericht zur Frage der Entsorgung leerer Flaschen in den Müllcontainer zur Nachtzeit den Inhalt der Zeugenaussagen nur unzureichend würdigt. Soweit der Zeuge T bekundet hat, er habe in der letzten Zeit (gemeint ist offensichtlich der Zeitraum vor seiner Vernehmung) keine Entsorgung von leeren Flaschen feststellen können, könnte dies damit zu erklären sein, dass eine solche Entsorgung vor allem in den Sommermonaten stattgefunden haben soll und der Zeuge vom Landgericht am 27.01.2014 vernommen worden ist. Dies sollte weiter aufgeklärt werden. Auch der pauschale Hinweis des Landgerichts, die Aussage des Zeugen T sei unglaubhaft, weil er keine konkreten Zeiträume habe angeben können, begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht teilt nicht mit, worin genau seine Bedenken hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Aussage bestehen. Dass Zeugen - gerade wenn Vorgänge bereits eine gewisse Zeit zurückliegen - keine konkreten Zeitangaben machen können, ist normal und begründet für sich genommen noch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass dann, wenn nach den Zeugenaussagen vom Vorliegen von Lärmbeeinträchtigungen in der Vergangenheit auszugehen sein sollte - was nach den Aussagen der Zeugen T, B und L naheliegen könnte -, die für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr vorliegen dürfte. Lärmbeeinträchtigungen durch den Beklagten in der Vergangenheit reichen hierzu aus, da eine vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung in der Regel eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr begründet, an deren Widerlegung durch den Störer hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. Palandt/Bassenge, BGB (73. Aufl.), § 1004 Rdnr. 32 mwN).

B.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren hat der Senat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Ein die Sache zurückverweisendes Berufungsurteil ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Aus ihm kann insoweit die Vollstreckung betrieben werden, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils die Möglichkeit nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO eröffnet, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Vollstreckungsmaßregeln aufzuheben (vgl. OLG München, NZM 2002, 1032, juris Rdnr. 75; MünchKomm-ZPO/Götz (4. Aufl.), § 704 Rdnr. 6; Zöller/Heßler, ZPO (30. Aufl.), § 538 Rdnr. 59 - jeweils mwN).

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Das Urteil hat keine über den Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts.