Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.12.2014 - 14 ZB 12.2449
Fundstelle
openJur 2015, 17
  • Rkr:

Dienstunfall (Verkehrsunfall); keine Beweisführung mittels Anscheinsbeweises möglich; Vorschädigung durch Multiple Sklerose; Anerkennung von weiteren Folgen als Dienstunfallfolgen, Gewährung von Heilfürsorge und Unfallausgleich (verneint)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 29.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt jedenfalls nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 64 m.w.N.). Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Happ a.a.O. Rn. 61).

Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers auf Anerkennung verschiedener weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen als Folge eines am 15. Juni 2009 während einer Dienstfahrt erlittenen und mit streitgegenständlichem Bescheid der Beklagten vom 15. April 2011 als Dienstunfall anerkannten Autounfalls des Klägers sowie auf Gewährung von weiterer Heilfürsorge und eines höheren Unfallausgleichs unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Begründung des – insoweit – ablehnenden streitgegenständlichen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 11. Oktober 2011 abgewiesen. Ergänzend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, nach Auswertung der im Verwaltungsverfahren umfangreich eingeholten und für die gerichtliche Sachentscheidung ausreichenden ärztlichen Befunde und Stellungnahmen sei vorliegend nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Kausalität zwischen dem Dienstunfall und den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen – zumindest nicht im Sinne einer wesentlich mitwirkenden Teilverursachung – auszugehen. Ausweislich der von der Beklagten eingeholten Gutachten seien die zusätzlich geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nicht Folgen des Dienstunfalls, sondern auf seine Vorerkrankung bzw. Vorschädigung, insbesondere auf seine seit langem bestehende Multiple-Sklerose-Erkrankung, zurückzuführen. Daher sei die Klage auch hinsichtlich der anderen mit der begehrten Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen zusammenhängenden Streitgegenstände abzuweisen gewesen.

Durch das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren werden diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt und keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften. Der Kläger hat die Bewertung des Verwaltungsgerichts, er habe den ihm obliegenden Beweis nicht erbringen können, dass die von ihm reklamierten weiteren Körperschäden kausal durch den Dienstunfall verursacht worden seien, nicht erschüttert.

Nicht durchdringen kann der Kläger mit seinem Einwand, er sei ungeachtet seiner Grunderkrankung bis zu seinem Verkehrsunfall vollzeitbeschäftigt gewesen, habe seinen beruflichen Pflichten nachkommen können und sei allen körperlichen sowie geistigen Anforderungen gewachsen gewesen, als Folge des Dienstunfalls sei er nun dauerhaft erkrankt, zu 100 % erwerbsunfähig und wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Zwar gilt bei typischen Geschehensabläufen grundsätzlich auch im Dienstunfallrecht der Anscheinsbeweis. Danach besteht auf erste Sicht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem bestimmten Ereignis und einem Schaden, wie es bei typischen, in ähnlicher Weise immer wieder vorkommenden Geschehensabläufen nach allgemeiner Erfahrung des täglichen Lebens der Fall ist; sind keine Tatsachen erwiesen, welche die Möglichkeit eines von dem typischen Geschehensablauf abweichenden Geschehens dartun, so bedarf es für den Ursachenzusammenhang keines weiteren Nachweises (stRspr des BVerwG, vgl. U.v. 23.5.1962 – VI C 39.60BVerwGE 14, 181 m.w.N.). Auch wenn es durchaus nachvollziehbar ist, dass der Kläger nach dem ersten Anschein davon ausgeht, der Dienstunfall sei kausal für seine Beeinträchtigungen, liegen hier im Hinblick auf seine Vorerkrankung und seine Vorschädigung Tatsachen vor, die ihm den Nachweis der Kausalität mittels Anscheinsbeweises verwehren.

Treffen Vorschädigungen, anlagebedingte Leiden, oder Vorerkrankungen – wie im Fall des Klägers seine Multiple-Sklerose-Erkrankung – mit einem Dienstunfall zusammen, sind geltend gemachte Körperschäden nur dann im Rechtssinn kausal durch den Dienstunfall verursacht, wenn der Dienstunfall im Verhältnis zu diesen Vorschädigungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine wesentlich mitwirkende Teilursache für diese Körperschäden ist. Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann zwar auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (nur) beschleunigt. Dies setzt aber voraus, dass diesem Ereignis im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung oder Vorschädigung gehört – keine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich für die Körperschäden anzusehen sind. Keine Ursachen im Rechtssinn sind demnach sogenannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte. Eine solch untergeordnete Bedeutung ist insbesondere auch dann anzunehmen, wenn das Ereignis gleichsam „der letzte Tropfen“ war, „der das Maß zum Überlaufen brachte bei einer Krankheit, die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“ (stRspr, BVerwG, U.v. 30.6.1988 – 2 C 77.86 – DÖD 1988, 295 m.w.N; BayVGH, B.v. 21.3.2014 – 14 ZB 12.1024 – juris Rn. 10 m.w.N.).

Nach den auch im Dienstunfallrecht geltenden Regeln über die materielle Beweislast (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2014 – 14 CS 13.1790 – juris Rn. 13 m.w.N.) hat der Kläger den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass jede einzelne von ihm geltend gemachte körperliche Beeinträchtigung tatsächlich besteht und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – zumindest im Sinne einer wesentlich mitwirkenden Teilursache – auf dem als Dienstunfall anerkannten Verkehrsunfall beruht (vgl. BVerwG, B.v. 12.10.1972 – 6 B 22.72 – Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 50). Nur dann kann der Kläger eine Anerkennung der geltend gemachten Körperschäden als Dienstunfallfolgen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG beanspruchen. Lassen sich wie hier die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht klären, geht dies zu Lasten des Klägers.

Dies zu Grunde gelegt hätte der Kläger in der Zulassungsbegründung darlegen müssen, durch welche der vorhandenen Gutachten er den notwendigen Beweis geführt sieht, zumal er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die Stellung eines Beweisantrags verzichtet hat. Unabhängig davon, dass der Kläger insoweit seinen Darlegungspflichten nicht nachgekommen ist und ungeachtet der diesbezüglichen Einschätzungen des fachärztlichen Beraters der Beklagten, der die im Verwaltungsverfahren eingeholten unfallchirurgischen, neurologischen, psychiatrischen und psychologischen Zusammenhangs- bzw. Zusatzgutachten ausgewertet hat, lässt sich dem neurologischen Gutachten des Klinikums Nürnberg vom 4. Juni 2010 und dem Ergänzungsgutachten vom 17. Januar 2011 nicht entnehmen, dass die Verschlechterung der Multiplen Sklerose kausal durch den Dienstunfall verursacht wurde. Zwar wird im neurologischen Ergänzungsgutachten ausgeführt, es bleibe festzuhalten, dass sowohl eine Posttraumatische Belastungsstörung als auch eine depressive Symptomatik zu verminderten Kortisolspiegeln im Serum führen und aufgrund der bei Multipler Sklerose verminderten Lymphozytenaffinität für Kortisol Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem in Gang induziert oder perpetuiert werden könnten. Allerdings wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „im Rahmen des vorliegenden Gutachtens selbstverständlich kein genauer Mechanismus definiert werden“ könne, „der beim Kläger zur vorliegenden Verschlechterung – seiner Erkrankung – geführt“ habe, „da die genaue Pathophysiologie der Multiplen Sklerose trotz intensiver weltweiter Forschung bislang nur teilweise aufgeklärt“ sei. Mit einer derartigen gutachterlichen Aussage ist der Beweis für die Kausalität zwischen Dienstunfall und des geltend gemachten Körperschadens eines schubförmig remittierenden Verlaufs einer Multiplen-Sklerose-Erkrankung nicht geführt. Unsicherheiten, die auf den wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärten Krankheitsmechanismen der Multiplen Sklerose beruhen, gehen zu Lasten des Klägers. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass auch im Beamtenrecht entstehende Beweisschwierigkeiten keine von den allgemeinen Beweisgrundsätzen abweichende mildere Beurteilung der Beweisanforderungen rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17.81NJW 1982, 1893 m.w.N.).

Da es somit im Hinblick auf die Verschlechterung der Multiplen-Sklerose-Erkrankung auf die Bewertung des fachärztlichen Beraters der Beklagten nicht allein ankommt und sich das Verwaltungsgericht insoweit lediglich ergänzend geäußert hat, kann der Kläger diesbezüglich auch nicht mit seiner Rüge durchdringen, das Verwaltungsgericht folge fast ausschließlich dessen Auswertung, obwohl der fachliche Berater seine Begutachtung lediglich nach Aktenlage ausgeführt und ihn noch nicht einmal persönlich untersucht habe. Soweit der Kläger die Bewertungen des Fachberaters hinsichtlich der als Unfallfolge geltend gemachten Entwicklung einer schweren depressiven Symptomatik mit kognitiven Störungen in Zweifel ziehen möchte, ist er ebenfalls seinen Darlegungspflichten nicht nachgekommen. Denn die Auswertung eines ärztlichen Gutachtens ist nicht schon deshalb fehlerhaft und unbrauchbar, weil sie nach Aktenlage vorgenommen wurde. Der Kläger hätte insoweit substantiiert dartun müssen, in welchen Punkten die fachärztliche Auswertung fehlerhaft war und warum sich dies dem Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung hätte aufdrängen müssen.

Nach alledem war der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostentragungspflicht aus § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 3 GKG (wie Vorinstanz).