BGH, Beschluss vom 08.10.2014 - 2 StR 137/14
Fundstelle
openJur 2014, 27208
  • Rkr:
Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. November 2013 wird verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet.

2. Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffenen Adhäsionsentscheidungen sowie über die Kosten des Rechtsmittels bleibt einer abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an die Nebenklägerin S. S. 12.000 Euro sowie an die Nebenklägerinnen A. S. und M. je 5.000 Euro, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2013, zu zahlen, und dieses Urteil gegen eine Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf Verfahrensbeanstandungen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet (1.); im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Revision des Angeklagten einer abschließenden Entscheidung des Senats nach Durchführung des Anfrage- und Vorlageverfahrens gemäß § 132 GVG vorbehalten (2. und 3.).

1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen ohne Erfolg. Auch die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

2. Nach Ansicht des Senats begegnet - entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - auch die Entscheidung über die Entschädigung der Verletzten (§ 406 StPO) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat bei der Bemessung der Höhe der Schmerzensgelder allein auf die Tatumstände und die Folgen der Taten für die Geschädigten abgestellt, und dabei weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, der nach den Feststellungen ein monatliches Nettoeinkommen von 1.200 Euro hat, von dem 500 Euro an Mietkosten aufzubringen sind, noch die der Nebenklägerinnen, von denen eine zwischenzeitlich volljährig ist, berücksichtigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können indes sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten als auch die des Schädigers auf die Bemessung der Entschädigung Einfluss gewinnen (grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GZ 1/55, BGHZ 18, 149, 159 f.).

Auf Basis dieser Rechtsprechung wären - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - die Adhäsionsaussprüche aufzuheben, denn der Senat vermag angesichts der im vorliegenden Fall festgestellten Vermögensverhältnisse des Angeklagten eine Erörterungspflicht, die sich zu Gunsten des Angeklagten auswirken könnte, nicht zu verneinen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. September 2014 - 3 StR 325/14, und vom 18. Juni 2014 - 4 StR 217/14; Senat, Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 503/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 185 nicht abgedruckt). Eine Beschwer des Angeklagten kann auch im Hinblick auf die fehlende Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenklägerinnen nicht ausgeschlossen werden, da schon entsprechende Feststellungen zu deren Lebens- und Vermögensverhältnissen, die diesen Schluss zulassen könnten, fehlen.

Der Senat beabsichtigt jedoch, diese Rechtsprechung aufzugeben, da es seiner Auffassung nach bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) weder auf die Vermögenslage des Geschädigten noch auf die des Schädigers ankommen darf. Danach wären die Adhäsionsaussprüche hier nicht zu beanstanden. Der Senat kann aber die Revision insoweit nicht als unbegründet verwerfen, ohne von der geschilderten Rechtsprechung abzuweichen.

Er hat deshalb mit Beschluss vom gleichen Tag (2 StR 137 und 337/14), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, bei den anderen Strafsenaten sowie dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

3. Da auf Grund des Vorlageverfahrens über die Revision des Angeklagten, soweit sie die Adhäsionsentscheidung betrifft, voraussichtlich nicht in absehbarer Zeit entschieden werden kann, hält der Senat eine Entscheidung über den "entscheidungsreifen" strafrechtlichen Teil des angefochtenen Urteils für zulässig und geboten.

a) Eine Teilerledigung, die zur Herbeiführung von Teilrechtskraft führt, ist nur dann zulässig, wenn der rechtskräftige ebenso wie der nichtrechtskräftige Urteilsteil von dem übrigen Urteilsinhalt losgelöst, selbständig geprüft und rechtlich beurteilt werden kann; die Grenzen bestimmen sich nach denselben Grundsätzen, nach denen sich die Wirksamkeit der Teilanfechtung beurteilt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2004 - 4 StR 85/03, BGHSt 49, 209, 211; Beschluss vom 20. Januar 2011 - 4 StR 650/10; LR/Franke, 26. Aufl., § 353 Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 353 Rn. 6; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 10, jeweils mwN).

Gemessen daran können hier der strafrechtliche Teil des Urteils und die Adhäsionsentscheidung selbständig geprüft und beurteilt werden. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 406a Abs. 2 Satz 1 StPO kann der Angeklagte die stattgebende Entscheidung über die Entschädigung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst nach der StPO zulässigen Rechtsmittel anfechten, über den dann isoliert entschieden werden kann.

b) Im vorliegenden Fall gebieten auch schwerwiegende Interessen des Revisionsführers ein Abweichen von der gesetzlichen Regel einer einheitlichen Entscheidung durch das Revisionsgericht (vgl. §§ 353, 354 StPO) durch "horizontale" Teilentscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2004 - 4 StR 85/03, BGHSt 49, 209, 212 f.; Beschluss vom 20. Januar 2011 - 4 StR 650/10; Senat, Beschlüsse vom 19. November 2004 - 2 StR 431/04, vom 20. August 2004 - 2 StR 434/03 und 2 StR 211/04). Der Angeklagte befindet sich seit dem 15. Mai 2013 in Untersuchungshaft. Die Dauer des Anfrage- und Vorlageverfahrens ist - zumal bei Beteiligung des Großen Senats für Zivilsachen - nicht absehbar.

Zwar stellt die Durchführung eines Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 GVG keine prozessordnungswidrige, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung dar. Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ausdrücklich normierte Beschleunigungsgebot hält es der Senat indes nicht für vertretbar, das Verfahren, obwohl es zum - für den Angeklagten im Vordergrund seines Rechtsmittels stehenden - Schuldspruch und Strafausspruch entscheidungsreif ist, bis zum Abschluss des Anfrage- und Vorlageverfahrens nicht weiter zu betreiben. Er entscheidet daher über den Schuldspruch und den Strafausspruch vorab und wird entsprechend § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO eine isolierte Entscheidung über den Adhäsionsausspruch treffen, sobald das Vorlageverfahren abgeschlossen ist.

4. Der Senat hat durch Plenumsbeschluss vom 8. Oktober 2014 das hiesige Verfahren zum Verfahren 2 StR 337/14 hinzuverbunden, um für die Durchführung des Anfrageverfahrens eine breitere Beurteilungsgrundlage zu schaffen. Er ist dadurch nicht gehindert, über die Rechtsmittel jeweils durch Beschluss zu entscheiden, da auch bei einer solchen Verbindung entsprechend § 237 StPO in jeder Sache gesonderte Erkenntnisse ergehen (vgl. LR/Becker, 26. Aufl., § 237 Rn. 3, 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 237 Rn. 8, beide mwN).

Fischer Appl Krehl Eschelbach Ott