ArbG Herne, Urteil vom 08.04.2014 - 2 Ca 3389/13
Fundstelle
openJur 2014, 27068
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.863,38 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2014 zu zahlen. -berichtigt gem. anl. Beschluss-2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 40,10 € zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin monatlich ab dem 01.01.2014 eine zusätzliche Mitarbeiterrente in Höhe von derzeitig 42,48 € zu zahlen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Der Streitwert wird auf 1.529,00 € festgesetzt. -berichtigt gem. anl. Beschluss-

Das Urteil vom 08.04.2014 wird gemäß § 319 ZPO i. V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass in der Ziffer 1 der 20.12.2014 als Verzinsungsbeginn durch den 20.12.2013 ersetzt wird (Schreibfehler) und dass in der Ziffer 5 der Streitwert auf 1.903 EUR festgesetzt wird (Rechnungsfehler).

Tatbestand

Die Parteien streiten über Betriebsrentenansprüche wegen einer Ungleichbehandlung zwischen gewerblichen Mitarbeitern und Angestellten.

Die am 07.02.1943 geborene Klägerin war in der Zeit vom 04.04.1960 bis zum 28.02.2001 bei der Beklagten als Chemiefacharbeiterin beschäftigt. Ab dem 01.03.2001 befand sich die Klägerin in der passiven Phase der Altersteilzeit und bezieht seit dem 01.03.2003 eine Altersrente. Bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin, der I2 AG, besteht eine betriebliche Altersversorgung zum Einen über die I2-Versorgungsordnung (die sogen. Paul-Baumann-Rente) und zum Anderen über die I2-Pensionskasse.

Bis einschließlich 1996 konnten gewerbliche Arbeitnehmer nur Ansprüche über die I2-Versorgungsordnung erwerben. Tarifangestellte erwarben Ansprüche nach der I2-Versorgungsordnung und zusätzlich aus der Pensionskasse. Die Altersversorgung nach der Versorgungsordnung erfolgt ohne einen eigenen Beitrag der Arbeitnehmer.

Unter dem 29.10.1986 schlossen die I2 AG und der Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit Wirkung zum 01.01.1987. Diese beinhaltete mehrere neue Regelungen:

Die I2-Versorgungsordnung wurde für Neueintritte ab dem 01.01.1987 geschlossen. Stattdessen bestand eine Pflichtmitgliedschaft für Neueintritte, gleich ob gewerbliche Arbeitnehmer oder Angestellte, in der I2-Pensionskasse; die Pensionskasse wurde somit auch für gewerbliche Mitarbeiter geöffnet. Die Mitglieder der Pensionskasse entrichteten Beiträge in Höhe von 1,5 % des pensionsfähigen Einkommens bis zur halben jährlichen Beitragsbemessungsgrenze und von 2,5 % für den darüber hinausgehenden Teil des pensionsfähigen Einkommens bis zur vollen jährlichen Beitragsbemessungsgrenze.

In der Gesamtbetriebsvereinbarung wurde geregelt, dass für gewerbliche Arbeitnehmer die Dienstzeiten bis zum 31.12.1986 für die betriebliche Altersversorgung aus der Versorgungsordnung berücksichtigt und eingefroren werden. Auf Antrag, der von der Klägerin gestellt wurde, konnten sie danach Ansprüche auf Mitarbeiterrente nach der Pensionskasse erzielen.

Die gewerblichen Mitarbeiter hatten auch die Wahl der Pensionskasse nicht beizutreten und dafür weitere Steigerungen nach der Versorgungsordnung zu erwerben. Diese betrugen die Hälfte der monatlichen Mitgliedsrente, die durch satzungsgemäße Beitragsentrichtung an die Pensionskasse hätte erworben werden können, mindestens jedoch 7,25 DM für jedes versorgungsfähige Dienstjahr.

Angestellte Arbeitnehmer erhielten weiterhin Leistungen sowohl über die Versorgungsordnung als auch die Pensionskasse, wobei ihre Ansprüche aus der Versorgungsordnung nicht zum 31.12.1986 eingefroren wurden, sondern darüber hinaus weitere Anwartschaften erworben wurden.

Sowohl für gewerbliche Arbeitnehmer als auch für Angestellte war Voraussetzung für die Gewährung einer Altersversorgung nach der Versorgungsordnung, dass sie bis zum 31.12.1986 mindestens 10 versorgungsfähige Dienstjahre zurückgelegt hatten.

Die Fortführung der Versorgungsordnung für Angestellte im Gegensatz zu gewerblichen Mitarbeiterin sollte die Akzeptanz der Angleichung der betrieblichen Altersversorgung für gewerbliche Mitarbeiter und Angestellte fördern. Die vollständige Einstellung der Leistung für langjährige Angestellte ab 1987 wurde von den Betriebsparteien als nicht zumutbar angesehen. Desweiteren wollte die Arbeitgeberin den Dotierungsrahmen nicht ausweiten.

Die versorgungsfähigen Dienstjahre wurden und werden im Rahmen der Versorgungsordnung für gewerbliche Mitarbeiter höher bewertet als für Angestellte. Für das Jahr 2010 wurden sie für Angestellte mit 5,03 € je Dienstjahr bewertet, für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 20.12.2013 mit 5,23 € je Dienstjahr und ab dem 01.01.2014 mit 5,54 € je Dienstjahr. Für gewerbliche Arbeitnehmer werden sie seit dem 01.01.2014 mit 6,46 € je Dienstjahr bewertet.

Die Klägerin erhält ab Januar 2014 aus der Versorgungsordnung 167,18 € monatlich und aus der Pensionskasse 349,39 €.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein unterschiedlicher Versorgungsbedarf zwischen Arbeitern und Angestellten unter Umständen eine Differenzierung rechtfertigen könne, jedoch nur in der Höhe der monatlichen Mitarbeiterrente, aber nicht bei der Berücksichtigung von versorgungsfähigen Dienstjahren. Hierbei wären Arbeiter und Angestellte gleich zu behandeln. Die Beklagte könne sich auf Vertrauensschutz berufen für die Zeit bis zum 30.06.1993. Für die Zeit ab dem 01.07.1993 macht die Klägerin die Berücksichtigung von weiteren 7,6667 Dienstjahren geltend in der Höhe der den Angestellten gezahlten Altersversorgung nach der Versorgungsordnung. Sie ist der Ansicht, dass das Wahlrecht für gewerbliche Mitarbeiter zwischen dem Beitritt zur Pensionskasse ab 1987 und dem Verbleib in der Versorgungsordnung nur ein scheinbares gewesen sei, da der Beitritt zur Pensionskasse wirtschaftlich viel attraktiver gewesen wäre.

Sie beantragt zuletzt

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.863,38 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 40,10 € zu zahlen und

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie monatlich ab dem 01.01.2014 eine zusätzliche Mitarbeiterrente in Höhe von derzeitig 42,48 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass das Wahlrecht der gewerblichen Mitarbeiter hinsichtlich eines Verbleibs in der Versorgungsordnung über den 31.12.1986 hinaus und dem Eintritt in die Pensionskasse nicht ungleichwertig gewesen sei, da zu berücksichtigen sei, dass die Versorgungsordnung keinen eigenen Beitrag erfordere. Die Pensionskasse finanziere sich - insoweit unstreitig - durch ihre Mitglieder, Firmenbeiträge und sonstige Einnahmen; Mitglieder der Pensionskasse entrichteten Beiträge in Höhe von 1,5 % des pensionsfähigen Einkommens bis zur halben jährlichen Beitragsbemessungsgrenze und von 2,5 % für den darüber hinausgehenden Teil des pensionsfähigen Einkommens bis zur vollen jährlichen Beitragsbemessungsgrenze; die Jahresrente belaufe sich auf 42 % der vom Mitglied an die Kasse entrichteten Beiträge. Sie ist der Ansicht, dass den Betriebsparteien ein Beurteilungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative zu den Voraussetzungen und Folgen der von ihnen gesetzten Regelungen zustände. Die Gesamtbetriebsvereinbarung von 1986 habe eine Ungleichbehandlung gerade beseitigen sollen. Die Fortführung der Versorgungsordnung für Angestellte habe - insoweit unstreitig - die Akzeptanz der Angleichung fördern sollen, wobei der Dotierungsrahmen nicht ausgeweitet werden sollte. Die Angestellten mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 10 Jahren hätten die Erwartung gehabt nach der Versorgungsordnung und nach der Pensionskasse versorgt zu werden, daraus ergäbe sich ein unterschiedlicher Versorgungsbedarf im Vergleich zu den gewerblichen Mitarbeitern. Die Regelungen seien insgesamt ausgewogen, auch unter Berücksichtigung des Wahlrechts für gewerbliche Mitarbeiter. Desweiteren würden sie in absehbarer Zeit auslaufen.

Die Klage wurde der Beklagten am 20.12.2013 zugestellt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und ihre Anlagen sowie die Terminprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Zulässigkeit des Klageantrags zu 3) auf wiederkehrende Leistungen ergibt sich aus § 258 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG (vgl. BAG 29.04.2008 - 3 AZR 266/06 - NZA 2008, 1417).

II.

Die Klage ist begründet.

1.

Die Ansprüche ergeben sich aus der durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 29.10.1986 neu geregelten Versorgungsordnung in Verbindung mit § 1 b Abs. 1 S. 4 BetrAVG. Durch § 1 b Abs. 1 S. 4 BetrAVG ist gesetzlich anerkannt, dass Versorgungsverpflichtungen auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen können. Eine allein an den unterschiedlichen Status von Arbeitern und Angestellten anknüpfende Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten in der betrieblichen Altersversorgung verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz (BAG 10.12.2002 - 3 AZR 3/02 - NZA 2004, 321). Eine solche Ungleichbehandlung liegt hier vor. Unter der Voraussetzung einer 10jährigen Betriebszugehörigkeit wurden nach der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.10.1986 die Leistungen nach der Versorgungsordnung für Tarifangestellte über den 31.12.1986 hinaus fortgeführt, d. h. auch im Rahmen der Versorgungsordnung wurden die weiteren Dienstjahre der Tarifangestellten berücksichtigt, während für die gewerblichen Mitarbeiter nur Zeiten bis zum 31.12.1986 berücksichtigt wurden. Seit dem 01.01.1987 erzielen beide Gruppen gleichermaßen Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung aus der Pensionskasse.

Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob das Wahlrecht der gewerblichen Mitarbeiter zwischen einem Verbleib in der Versorgungsordnung und einem Wechsel in die Pensionskasse eine Wahl zwischen zwei wirtschaftlich gleichwertigen Möglichkeiten war oder nicht. Die Angestellten erhielten beides, nämlich weitere Anwartschaften nach der Versorgungsordnung und aus der Pensionskasse.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass den Betriebsparteien eine gewisse Einschätzungsprärogative zu den Voraussetzungen und Folgen ihrer Regelungen zusteht. Die Betriebsparteien konnten jedoch schlechterdings nicht davon ausgehen, dass hier eine Gleichbehandlung oder eine durch Sachgründe gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten stattfände. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 29.10.1986 ein Schritt in die richtige Richtung zur zukünftigen Gleichbehandlung von gewerblichen Mitarbeitern und Angestellten war; es war jedenfalls nach den heute geltenden Maßstäben ein unzureichender Schritt. Die Betriebsparteien wollten auch ersichtlich keine vollständige Gleichbehandlung herstellen, da sie einerseits den Dotierungsrahmen nicht ausweiten wollten und andererseits die Fortführung der Versorgungsordnung für Angestellte in Ungleichbehandlung der gewerblichen Mitarbeiter die Akzeptanz der Angleichung (bei den Angestellten) fördern sollte. Dass eine vollständige Angleichung bei den Angestellten auf weniger Akzeptanz gestoßen wäre, scheidet als Sachgrund für eine Ungleichbehandlung aber aus.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass Betriebsparteien, wie alle Normgeber, typisieren dürfen. Die zulässige Typisierung darf aber nur im Einzelfall und ausnahmsweise zu einer Benachteiligung der Betroffenen führen; die Regelung darf nur in besonders gelagerten Fällen Ungleichheiten entstehen lassen. Die durch eine typisierende Regelung entstehenden Ungerechtigkeiten dürfen nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen; es dürfen nicht ganze Gruppen von Betroffenen stärker belastet werden. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz darf nicht sehr intensiv sein (BAG 10.12.2002 a. a. O. m. w. N.).

Die Beklagte kann die Regelungen auch nicht damit verteidigen, dass sie angibt, dass ein unterschiedlicher Versorgungsbedarf der beiden Gruppen bestanden hätte, weil die Angestellten mit mehr als 10 Jahren Betriebszugehörigkeit die Erwartung gehabt hätten, nach der Versorgungsordnung und der Pensionskasse versorgt zu werden. Für rentennahe Arbeitnehmer mag diese Argumentation stichhaltig sein. Es waren jedoch nicht nur rentennahe Jahrgänge betroffen. Zwar ist zutreffend, dass die Versorgungsordnung insgesamt absehbar auslaufen wird, weil Neueintritte ab 1987 keine Ansprüche mehr nach der Versorgungsordnung erwerben konnten und auch für Bestandsmitarbeiter 10 versorgungsfähige Dienstjahre Voraussetzung für Versorgungsleistungen nach der Versorgungsordnung sind. Man kann dieses dennoch nicht als angemessene Übergangsfristen bewerten, weil mittlerweile seit dem Jahr 1986 28 Jahre und seit dem Jahr 1993, bis zu dem nach der Entscheidung des BAG vom 10.12.2002 Vertrauensschutz bestanden haben könnte (BAG a. a. O.), mittlerweile 21 Jahre vergangen sind.

Zutreffend berücksichtigt die Klägerin bei ihrer Antragstellung, dass für Zeiten bis zum 30.06.1993 Vertrauensschutz bestanden hat, also Dienstjahre davor nicht unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten geltend gemacht werden können (vgl. BAG 10.12.2002 a. a. O.).

2.

Die Klägerin macht für die Zeit nach dem 01.07.1993 7,6667 zu berücksichtigende Dienstjahre geltend. Sie wurde von der Beklagten bis zum 28.02.2001 beschäftigt, befand sich danach in der passiven Phase der Altersteilzeit und bezieht seit dem 01.03.2003 eine Altersrente.

Zutreffend macht sie für diese 7,6667 Dienstjahre nur die Altersversorgung geltend, die Angestellte nach der Versorgungsordnung erhalten haben, und nicht den höheren Satz für gewerbliche Arbeitnehmer.

Dieser erhöhte Satz führt auch nicht dazu, dass sie insgesamt im Hinblick auf ihre Mitarbeiterrente aus der Versorgungsordnung gegenüber einem vergleichbaren Angestellten bessergestellt wäre. Dies ist insbesondere dadurch sichergestellt, dass bei diesem Gesamtvergleich auch Zeiten vom 01.01.1987 bis zum 30.06.1993 zu berücksichtigen wären, für die sie berücksichtigungsfähige Dienstjahre erzielt hätte, wenn sie Angestellte gewesen wäre.

Für das Jahr 2010 sind die 7,6667 Dienstjahre mit 5,03 € je Dienstjahr zu bewerten, für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 20.12.2013 mit 5,23 € je Dienstjahr und ab dem 01.01.2014 mit 5,54 € je Dienstjahr. Hieraus ergeben sich die eingeklagten Beträge

3.

Der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Zahlungsanspruch ist seit dem 20.12.2013 mit Eintritt der Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB).

III.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG).

Der Streitwert entspricht dem addierten Wert der Zahlungsanträge zu 1) und 2). Der Antrag auf wiederkehrende Leistungen (Klageantrag zu 3)), der gem. § 42 Abs. 2 GKG mit 36 x 42,48 € zu berücksichtigen wäre, wird hiervon konsumiert.

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