BGH, Beschluss vom 25.06.2008 - 2 StR 176/08
Fundstelle
openJur 2011, 5625
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. November 2007 aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels und wegen versuchten schweren Menschenhandels, jeweils in Tateinheit mit Menschenhandel, unter Auflösung der durch Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 6. Dezember 2005 gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 9. Juni 2005 verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die im Urteil vom 9. Juni 2005 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis und die dort festgesetzte Sperrfrist aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützten Revision. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. April 2008 unbegründet sind, hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge teilweise Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils veranlasste der Angeklagte Anfang Februar 2004 die 19jährige Geschädigte Marina T., die Ende 2003 die Prostitutionsausübung aufgegeben hatte und nicht mehr als Prostituierte arbeiten wollte, mit ihm nach Amsterdam zu fahren und dort für etwa eine Woche der Prostitution nachzugehen, indem er ihr vorspiegelte, er habe für sie Schulden in Höhe von 3.000 € beglichen und drohte, falls sie nicht mitkäme und den Betrag abarbeite, werde er das Geld von ihrer Familie fordern, die dadurch von ihrer früheren Prostitutionsausübung erführe, oder ihrer Familie etwas antun. Mit denselben Drohungen brachte er die Geschädigte dazu, am 2. April 2004 mit ihm nach Hamburg zu fahren. Hier wandte sich die Geschädigte an die Polizei, bevor es zur Aufnahme der Prostitution kam.

Das Landgericht hat die erste Tat als schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F., die zweite Tat als versuchten schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F., jeweils in Tateinheit mit Menschenhandel nach § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F., gewürdigt. Es hat minder schwere Fälle des schweren Menschenhandels nach § 181 Abs. 2 StGB a. F. bejaht und der Strafzumessung jeweils den höheren Strafrahmen des § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. zugrunde gelegt.

2. Dies hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. § 180 b und § 181 StGB sind durch das am 19. Februar 2005 in Kraft getretene 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Februar 2005 (BGBl. I 2005 S. 239) aufgehoben und durch § 232 StGB ersetzt worden. Das Landgericht hat nicht erwogen, ob hier das neue Recht milder und deshalb gemäß § 2 Abs. 3 StGB anwendbar ist. Zwar sind die Strafrahmen für Menschenhandel nach § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. und § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB gleich. Dies gilt auch für den schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. und § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB; für minder schwere Fälle des schweren Menschenhandels enthalten § 181 Abs. 2 StGB a. F. und § 232 Abs. 5 StGB dieselben Strafrahmen. § 232 Abs. 5 StGB sieht jedoch für minder schwere Fälle des Menschenhandels nach Absatz 1 dieser Vorschrift einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor, während das alte Recht keinen Strafrahmen für minder schwere Fälle des Menschenhandels nach § 180 b Abs. 2 StGB a. F. enthielt. Die Annahme minder schwerer Fälle des Menschenhandels lag hier nahe, weil das Landgericht solche bezüglich des tateinheitlich begangenen schweren Menschenhandels bejaht hat. Im Fall 2 der Urteilsgründe dürfte zudem nach neuem Recht nur ein versuchter Menschenhandel vorliegen, weil die Tatbestandsvariante des Einwirkens auf eine Person unter einundzwanzig Jahren, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, entfallen ist, und es nicht zur Prostitutionsausübung gekommen ist.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs auch im Fall 1 der Urteilsgründe, weil nach ständiger Rechtsprechung das mildeste Gesetz als Ganzes, also nicht nur der mildere Strafrahmen anzuwenden ist (BGHSt 20, 22, 29 f.; 24, 94, 97; 37, 320, 322). Der Senat hat die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufrechterhalten (vgl. Senat, NJW 2007, 1540). Ergänzende Feststellungen, die dazu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.

II.

Auch die Gesamtstrafenbildung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Der Angeklagte ist nach den hier verfahrensgegenständlichen Taten am 14. Oktober 2004 vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5 € und am 9. Juni 2005 vom Amtsgericht Kassel wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen - Tatzeiten 1. Juli 2003 und 30. Juli 2004 - zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5 € und einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Ferner wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 8. Juni 2006 ausgesprochen. Durch Beschluss vom 6. Dezember 2005 bildete das Amtsgericht Kassel aus diesen Strafen eine neue Gesamtstrafe, die sich zusammensetzte aus vier Monaten Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 €. Die Sperrfrist für die Fahrerlaubnis wurde aufrechterhalten. Die Gesamtgeldstrafe ist durch Bezahlung und Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Die Freiheitsstrafe von vier Monaten hat das Landgericht im angefochtenen Urteil in die Gesamtstrafe einbezogen.

2. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Geldstrafen aus den Urteilen vom 14. Oktober 2004 und vom 9. Juni 2005 in die Gesamtstrafe einzubeziehen. Nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB verhängte Geldstrafen aus einer früheren Verurteilung sind solange einbeziehungsfähig, wie diese Verurteilung noch nicht insgesamt im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt ist (BGH NStZ-RR 2007, 232; Fischer StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 6). Bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe tritt eine Erledigung der einbezogenen Strafen nur ein, wenn die in der Gesamtstrafenentscheidung verhängten Strafen vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind. Mit der Rechtskraft der nachträglichen Gesamtstrafenbildung scheidet eine gesonderte Vollstreckung der einbezogenen Strafen aus (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 337; BayObLG NJW 1957, 1810; v. Heintschel-Heinegg in MüKo StGB § 55 Rdn. 23). Im vorliegenden Fall war lediglich die im Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Dezember 2005 gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert verhängte Gesamtgeldstrafe vollstreckt; die daneben verhängte Freiheitsstrafe von vier Monaten (unter Strafaussetzung zur Bewährung) war hingegen weder vollstreckt noch erlassen. Somit ist hinsichtlich der Strafen aus beiden einbezogenen Entscheidungen keine vollständige Erledigung eingetreten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Geldstrafe aus dem Urteil vom 14. Oktober 2004. Die Vollstreckung der Gesamtgeldstrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Dezember 2005 lässt sich nicht in eine vollständige Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 14. Oktober 2004 und eine teilweise Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 9. Juni 2005 aufteilen.

3. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob es der Aufrechterhaltung von Maßregeln aus dem Urteil vom 9. Juni 2005 bedarf. Den Urteilsgründen ist schon nicht sicher zu entnehmen, ob der Angeklagte überhaupt eine Fahrerlaubnis besessen hat oder ob gegebenenfalls nur eine isolierte Sperrfrist verhängt wurde. Die Sperrfrist war nach den Urteilsgründen zum Zeit-

punkt der Hauptverhandlung jedenfalls verstrichen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. u. a. BGH NJW 2002, 1813 f.; NStZ 1996, 433) ist, wenn sich die Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt hat, diese nicht aufrechtzuerhalten.

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