OLG Hamm, Urteil vom 09.09.2014 - 19 U 40/14
Fundstelle
openJur 2014, 25624
  • Rkr:

Ergänzende Vertragsauslegung zu einem anlagebedingtem Mangel beim Kauf und Rückkauf eines Pferdes.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 10. Februar 2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist, ebenso wie das vorgenannte Urteil des Landgerichts, vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.

Durch das angefochtene Urteil ist die Klage abgewiesen worden. Dem Kläger stehe gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Rückabwicklung des Pferdekaufvertrages vom Juli 2011 zu, da die Stute bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB aufgewiesen habe und daher nicht mangelhaft im Sinne von § 434 BGB gewesen sei. Anlässlich des Rückkaufs im Juli 2011 sei zwischen den Parteien eine stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend getroffen worden, dass das Tier zumindest die Grundbeschaffenheit aufweisen solle, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Verkaufs durch den Kläger an die Beklagte im Jahr 2007 vorgelegen habe. Hiermit hänge unweigerlich die genetische Disposition des Pferdes zusammen, welche unstreitig letztlich zur Euthanasierung des Tieres Ende des Jahres 2012 geführt habe. Eine Abweichung der Istbeschaffenheit von der Sollbeschaffenheit lasse sich unter diesen Umständen nicht feststellen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. In seiner Berufungsbegründung beanstandet er, das Landgericht habe ihm Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag mit der Beklagten über das streitgegenständliche Pferd rechtsirrig versagt. Die Annahme einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung stelle sich als "reine Fiktion" dar. Da sich die vorliegenden Mangelerscheinungen bei einem Pferd naturgemäß frühestens im Alter von vier Jahren zeigen würden und bis zum Zeitpunkt des zweiten Vertragsschlusses keinerlei Krankheitsanzeichen erkennbar gewesen seien, habe er von der Gesundheit des Pferdes ausgehen dürfen. Für ihn hätte es daher keinen Sinn gemacht, eine stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen. Die Parteien seien, insoweit unstreitig, beim Rückkaufvertrag davon ausgegangen, dass die Beklagte früher das Pferd vom Kläger in mangelfreiem Zustand erhalten habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 10.02.2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Paderborn, Aktenzeichen: 4 O 162/13, zu verurteilen, an ihn 10.155,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz sowie weitere 430,66 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In ihrer Berufungserwiderung verteidigt sie das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sollten die genetischen Eigenschaften des Pferdes überhaupt einen Mangel darstellen, so sei der Kläger hierfür selbst verantwortlich. Denn er habe das Tier im Jahr 2011 mit denselben genetischen Eigenschaften zurückgekauft, welche es bereits bei seiner Erstveräußerung im Jahr 2007 aufgewiesen habe. Überdies sei dem Kläger ein Rücktrittsrecht zumindest nach dem Verbot des "venire contra factum proprium" zu versagen, da er die Beklagte von einem etwaigen Mangel nicht bereits im November 2011 informiert, sondern vielmehr zunächst eigenmächtig Mangelbeseitigungsversuche unternommen habe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis hat das Landgericht die Voraussetzungen nach §§ 437 Z. 2, 434 Abs. 1, 440, 323, 90 a S. 3 BGB für einen wirksamen Rücktritt des Klägers vom Vertrag zu Recht verneint.

1. Ein Mangel an sich lag bei der streitgegenständlichen Stute im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Z. 1 BGB zwar vor. Unstreitig litt sie an einer Veränderung ihres Kiefers, welche nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. T in seiner Stellungnahme vom 22.12.2013 und seinen ergänzenden Erläuterungen vom 10.01.2014 auf einer genetisch bedingten Wachstumsstörung beruhte. Als Folge dieser genetischen, von vornherein angelegten, Disposition waren die Abstände zwischen ihren Zähnen zu groß geworden. Das Futter hatte sich in den Interdentalräumen festgesetzt, wodurch es zu einer hochgradigen Form der Parodontose gekommen war. Es hatten sich Zahnfleischtaschen gebildet, welche zu schmerzhaften Entzündungsprozessen und in der Folge zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme geführt hatten. Nach den Angaben von Dr. T war diese Kieferveränderung - wenn auch noch nicht offensichtlich - bereits im Juli 2011 vorhanden.

2. Dass die Parteien bei Abschluss des Kaufvertrages im Juli 2011 eine Beschaffenheitsvereinbarung gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB getroffen hätten, wonach das Pferd exakt mit derjenigen Grundbeschaffenheit einschließlich seiner genetischen Disposition rückveräußert werden sollte, welche bereits bei Erwerb des Tieres durch die Beklagte im Jahr 2007 vorgelegen habe, kann entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht angenommen werden. Weder haben die Parteien eine diesbezügliche ausdrückliche Regelung getroffen, noch kann von einer stillschweigenden Vereinbarung ausgegangen werden. Denn mangels Kenntnis der Parteien von etwaigen gesundheitlichen Beschwerden des Tieres im Juli 2011 haben sie sich unstreitig auch keinerlei Gedanken über einen, also von Anfang an, genetisch angelegten Mangel gemacht. Von einem solchen sind sie unstreitig gerade nicht ausgegangen.

3. Infolgedessen haben die Parteien bei Abschluss des streitgegenständlichen Rückkaufvertrages im Juli 2011 ihren Regelungsplan zur Sachmängelgewährleistung nur unvollständig vereinbart. Insoweit ist eine "planwidrige Unvollständigkeit" im Sinne einer "Regelungslücke" verblieben (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.1994, Az: XII ZR 77/93, NJW 1994, 3287, juris, Rn. 8; Palandt-Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Auflage, § 157, Rn. 3), welche im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu schließen ist.

a) Zum Regelwerk eines Kaufvertrages gehören Vereinbarungen über die Sachmängelgewährleistung. Mangelt es an einer diesbezüglichen Individualvereinbarung, greifen grundsätzlich die gesetzlichen Regelungen ein, welche vorliegend gemäß §§ 434 ff. BGB zu einer einseitigen Haftung der Beklagten als Verkäuferin für sämtliche Mängel führen würden, die bei Gefahrübergang auf den Kläger im Juli 2011 bzw. November 2011 vorgelegen haben.

Da die Parteien aber übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass das Tier im Jahr 2007 mangelfrei vom Kläger an die Beklagte veräußert worden war, haben sie jedoch die Möglichkeit einer von vornherein bestehenden anlagebedingten Mangelhaftigkeit des Pferdes nicht bedacht und geregelt. In der vorliegenden Konstellation, in der das Tier zunächst vom Kläger an die Beklagte veräußert und einige Jahre später von der Beklagten an den Kläger rückveräußert worden ist, erschiene es indes weder angemessen noch interessengerecht, wenn sich die Mängelgewährleistung der Beklagen gegenüber dem Kläger einschränkungslos nach den §§ 434 ff. BGB richten würde. Denn angesichts der fortschreitenden Auswirkungen der genetischen Disposition des Pferdes auf das Wachstum seines Kiefers hing es mehr oder weniger vom Zufall ab, ob der Rückkauf im Jahr 2011 noch zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Folgen der Wachstumsstörung für die Zahnstellung im Kiefer des Pferdes noch nicht erkennbar waren. Unter Anwendung der gesetzlichen Mängelgewährleistungsregeln, die ihrem Sinn und Zweck nach für ein einmaliges Austauschverhältnis konzipiert sind, würde die Mängelhaftung hierdurch ausschließlich auf die Beklagte verlagert, obwohl der Sachmangel ursprünglich aus der Sphäre des Klägers stammte, so dass dieser dafür Gewähr zu leisten gehabt hätte. Angesichts einer derartigen, auch vom Gesetzgeber nicht intendierten Umkehrung der Verantwortlichkeit für einen schon derart vorhanden gewesenen Sachmangel würde die gesetzliche Mängelgewährleistungsregelung die besondere Konstellation zwischen den Parteien in Form von zwei zeitlich nacheinander abgeschlossenen wechselseitigen Kaufverträgen nicht hinreichend berücksichtigen und die Gewährleistungspflicht praktisch "auf den Kopf stellen!" Für ein interessengerechtes Ergebnis bedarf es hier mithin einer ergänzenden Vertragsauslegung !

b) Dazu ist vom mutmaßlichen Parteiwillen auszugehen. Hätten die Parteien bei Abschluss des Rückkaufvertrages im Juli 2011 die Möglichkeit eines schon anlagebedingten Mangels bedacht, hätten sie bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2004, Az: II ZR 261/01, NJW 2004, 2449, juris, Rn. 9) einen Ausschluss der Sachmängelgewährleistung der Beklagten für solche Mängel vereinbart, mit denen die streitgegenständliche Stute bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs anlässlich ihrer ersten Veräußerung vom Kläger an die Beklagte im Jahr 2007 behaftet gewesen ist. Einer solchen Regelung hätte sich auch der Kläger redlicherweise nicht verschließen können. Es wird nicht übersehen, dass etwaige Sachmängelgewährleistungsansprüche der Beklagten gegen den Kläger aus dem Erstverkauf im Jahr 2007 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rückkaufvertrages im Juli 2011 bereits verjährt erscheinen. Durch einen teilweisen Ausschluss der Sachmängelgewährleistung im Wege der ergänzenden Auslegung des Rückkaufvertrages wären indes nicht etwaige Gewährleistungsansprüche der Beklagten gegen den Kläger aus dem Erstverkauf aus dem Jahr 2007 wieder aufgelebt, sondern es wird lediglich die Sachmängelhaftung der Beklagten gegenüber dem Kläger anlässlich des Rückkaufvertrages aus dem Jahr 2011 zur Wahrung der Interessen in der besonderen Konstellation zwischen den Parteien eingeschränkt.

III.

Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs.1, 709 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat hat die höchstrichterlich entwickelten Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung auf diesen Einzelfall angewandt. Hierdurch gewinnt die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

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