SG Gießen, Beschluss vom 28.11.2014 - S 25 AS 859/14 ER
Fundstelle
openJur 2014, 25437
  • Rkr:

1. Ein Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft ist unschlüssig, wenn es eine zufällige Verteilung der verschiedenen Wohnungsstandards in der Stichprobe voraussetzt, aber wesentlich auf Datenbestände des Jobcenters zurückgreift.

2. Wenn eine Ermittlung der tatsächlichen Angemessenheitsgrenzen im Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, besteht für einen vorübergehenden Zeitraum auch dann ein Anspruch auf den tatsächlichen Bedarf der Unterkunft, wenn dieser ersichtlich unangemessen ist.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27. Oktober 2014gegen den Bescheid vom 27. Mai 2014 in der Fassung des Bescheids vom 26. Juni 2014, des Bescheids vom 4. August 2014 und des Bescheids vom 19. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2014 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Der Antragsgegner trägt ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Rahmen des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) gegen eine Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners für den Zeitraum Juli bis September 2014.

Die Antragstellerin lebt mit ihrer 17jährigen Tochter in einer 90 m2 großen Wohnung, für die eine Miete von 779 €mit Nebenkosten zu zahlen ist. Bis zum 1. Juli 2013 lebte noch ein weiteres Kind der Antragstellerin in der Wohnung.

Die behinderte Tochter der Antragstellerin besucht eine Förderschule in A-Stadt.

Die Antragstellerin hat Privatinsolvenz angemeldet. Sie leidet unter Bluthochdruck und Diabetes.

Mit Bewilligungsbescheid vom 13. März 2013 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin Leistungen für April bis September 2013 in Höhe von monatlich 976,85 €.

Mit Schreiben vom 27. September 2013 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin darüber, dass ihre Kosten für Unterkunft und Heizung unangemessen seien.

Mit Änderungsbescheid vom 27. Mai 2014 senkte der Antragsgegner die Bedarfe der Antragstellerin für Unterkunft und Heizung von bisher 698,76 € auf 505,54 € monatlich für den Zeitraum Juli bis September 2014 ab.

Der Widerspruch der Antragstellerin gegen diesen Bescheid blieb nach Erteilung eines Änderungsbescheides vom 19. September 2014erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. September 2014).

Mit Bescheid vom 10. September 2014 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin Leistungen für den Zeitraum Oktober 2014 bis März 2015 unter Berücksichtigung der abgesenkten Kosten der Unterkunft. Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin keinen Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin wendet sich mit dem am 27. Oktober 2014eingegangenen Antrag gegen die Absenkung der Kosten der Unterkunft.Die Hauptsache ist unter dem Aktenzeichen S 25 AS 858/14 ebenfalls seit dem 27. Oktober 2014 hier anhängig.

Die Antragstellerin behauptet, sich zur Wohnungssuche bei der Genossenschaft 1, bei der Genossenschaft 2, bei der Genossenschaft 3, bei der Genossenschaft 4 und der Genossenschaft 5 gemeldet zu haben. Sie habe bei der Hausverwaltung B vorgesprochen. Online suche sie über Internet 1, Internet 2, Internet 3 und Internet 4.Außerdem schaue sie in die Tageszeitungen. Eine den Anforderungen des Antragsgegners entsprechende Wohnung habe sie bisher nicht gefunden.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4. Juni 2014gegen den Bescheid vom 27. Mai 2014 in der Fassung des Bescheids vom 26. Juni 2014, des Bescheids vom 4. August 2014 und des Bescheids vom 19. September 2014 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig für sechs Monate ab dem 1. Oktober 2014 höchstens bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu zahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die angemessene Bruttokaltmiete für einen Zwei-Personen-Haushalt in A-Stadt ab dem 1. Oktober 2014 höchstens 400,54 € und davor höchstens 319,54€ betrage. Dazu verweist er auf sein Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen.

Im Erörterungstermin vom 25. November 2014 hat das Gericht der Antragstellerin eine anonymisierte Fassung des Beschlusses in der Sache S 25 AS 757/14 ER ausgehändigt. In diesem Verfahren hat eine Beweisaufnahme stattgefunden, auf die Bezug genommen wird.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag der Antragstellerin ist hinsichtlich der beantragten aufschiebenden Wirkung begründet, ihm übrigen aber unbegründet.

Gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners hat gemäß § 39 Nr. 1 SGBII zunächst keine aufschiebende Wirkung. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mit zu berücksichtigen sind.

Hier überwiegt das Interesse der Antragstellerin, da der Änderungsbescheid vom 27. Mai 2014 in der Fassung des Bescheids vom 26. Juni 2014, des Bescheids vom 4. August 2014 und des Bescheids vom 19. September 2014 rechtswidrig ist und sie deshalb in einer Hauptsache obsiegen würde.

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Es kann dahinstehen, ob der Antragsgegner die Antragstellerin vor dem Bescheid vom 27. Mai 2014 hätte anhören müssen, oder ob eine Anhörung nach § 24 Abs. 2 SGB X oder wegen der vorherigen Absenkungsaufforderung unnötig war, jedenfalls fehlt es an einer Änderung der Verhältnisse, da die Antragstellerin und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter einen Anspruch auf die ungekürzten tatsächlichen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 S.3 SGB II haben.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Der Bedarf der Antragstellerin ist mit 779 €ersichtlich nicht angemessen. Er überschreitet alle denkbaren Grenzwerte für einen Zwei-Personen-Haushalt, u.a. auch den der Wohngeldtabelle plus 10 %, erheblich.

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind unangemessene Kosten aber so lange als Bedarf anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Die Antragstellerin musste ihre Kosten nicht auf das von dem Antragsgegner für angemessen gehaltene Niveau absenken. Das Konzept des Antragsgegners zur Ermittlung der angemessenen Kosten für Unterkunft ist nicht schlüssig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein schlüssiges Konzept zu Grunde liegen, um die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit des Ergebnisses zu ermöglichen.

Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum.Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt:

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten Vergleichsraum und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, (z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete <Vergleichbarkeit>, Differenzierung nach Wohnungsgröße),

- Angaben über den Beobachtungszeitraum,

- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),

- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,

- Validität der Datenerhebung,

- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und

- Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)

(vgl. z.B. BSG vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R– Juris-Rn. 19 = BSGE 104, 192).

Das Konzept des Antragsgegners genügt diesen Vorgaben nicht (a.A. Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L4 SO 166/13 B ER – Juris-Rn. 40 ff).

Das Konzept des Antragsgegners teilt den Landkreis A-Stadt in vier als Wohnungsmarkttypen (Wohnungsmarkttyp I: C-Stadt, D-Stadt,E-Stadt, F-Stadt, G-Stadt, H-Stadt, I-Stadt, J-Stadt,Wohnungsmarkttyp II: K-Stadt, L-Stadt, M-Stadt, N-Stadt,O-Stadt, P-Stadt, Wohnungsmarkttyp III: A-Stadt,Wohnungsmarkttyp IV: Q-Stadt, R-Stadt, S-Stadt) bezeichnete räumliche Einheiten im Wege einer Clusteranalyse. Die Wohnungsmarkttypen bilden nach der schlüssigen Darstellung der Mietwerterhebung Vergleichsräume mit einem weitgehend homogenen Mietpreisniveau. Als Indikatoren wurden die Bevölkerungsentwicklung, die Bevölkerungsdichte, die Siedlungsstruktur, die Neubautätigkeit in einer Kommune, das Pro-Kopf-Einkommen, der Bodenpreis und die Zentralität sowie die jeweilige Mietstufe nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigt. Die Stadt A-Stadt bildet allein den Wohnungsmarkttyp III, als charakteristisch beschrieben werden insoweit deutlich überdurchschnittliche Bodenpreise, die klar überdurchschnittliche Bevölkerungsentwicklung, die Siedlungsstruktur mit dem höchsten Anteil an Mehrfamilienhäusern sowie – bedingt durch einen hohen Bevölkerungsanteil an Studenten – das unterdurchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen. Diese Einteilung begegnet – jedenfalls für das hier relevante Gebiet der Stadt A-Stadt (Wohnungsmarkttyp III) – keinen durchgreifenden Bedenken. Das Stadtgebiet von A-Stadt bildet einen den Anforderungen des Bundessozialgerichts entsprechenden Vergleichsraum (vgl. dazu BSG vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS27/09 R – Juris-Rn. 18.). Es handelt sich um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung, der auf Grund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (so auch Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L 4 SO 166/13 B ER– Juris-Rn. 40 ff).

Die Datengrundlage bilden die Bestandsmieten. Dabei wurden, wie vom Bundessozialgericht gefordert (BSG vom 10. September 2013– B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 21 = SozR 4-4200 § 22 Nr.70 m.w.N.), sogenannte Substandardwohnungen (ohne Bad oder Sammelheizung), aber auch Wohnungen des Luxussegments,unberücksichtigt gelassen. Dass Wohnungen unter 35 m² oder in Wohn-und Pflegeheimen, gewerblich oder teilgewerblich genutzte Wohnungen, mietpreisreduzierte Werkswohnungen und Wohnungen mit sog. Freundschaftsmieten ebenfalls nicht einbezogen wurden,begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar mag die Untergrenze von 35 m² dazu führen, dass Wohnungen mit einem hohen Preis pro Quadratmeter nicht in die Berechnung einfließen, doch ist es nachvollziehbar, dass eine Untergrenze angesetzt werden muss, damit keine Wohnungen berücksichtigt werden, die wegen der zu geringen Größe nicht mehr zumutbar sind. Die Festlegung einer bestimmten Grenze ist dabei zwangsläufig beliebig. Verstärkt wird der Eindruck der Beliebigkeit dadurch, dass in anderen - insbesondere ostdeutschen Städten – mit einem hohen Anteil sehr kleiner Wohnungen üblicherweise eine Untergrenze von nur 30 m² angesetzt wird. Allerdings darf aber nicht übersehen werden, dass für die Frage der Zumutbarkeit einer bestimmten Wohnungsgröße das regional Übliche und damit die Vorgaben des regionalen Wohnungsmarktes durchaus eine Rolle spielen können.

Die Erhebung der Daten durch Befragung von Großvermietern und –verwaltern und zufällig ermittelten Kleinvermietern und die Aufnahme der Daten des Antragsgegners sind ebenfalls nicht zu bestanden.

Die Berechnung der Angemessenheitsgrenzen ist aber fehlerbehaftet. Dabei gilt das weder für den Umfang der herangezogenen Daten noch für das Konzept der Berechnung selbst.Der Gesamtumfang der erhobenen Wohnungsmieten umfasste 14.806Mieten, wovon 14.123 Mieten – nach Abzug unvollständig ausgefüllter Fragebögen, Filterfragen bzw. unplausibler Werte – als tabellenrelevant erkannt wurden. Die Angaben wurden den Wohnungsgrößen, wie sie bei der Förderung im sozialen Wohnungsbau relevant sind, zugeordnet, Extremwerte wurden auf der Basis eines 95 % Konfidenzintervalls entfernt und die Angaben über die verbleibenden 13.374 Wohnungen ausgewertet. Bei einem Gesamtwohnungsstand (nicht nur Mietwohnungen) von 123.317 Wohnungen im Landkreis hat das Gericht an der Repräsentativität des Datenumfangs keine Zweifel. Auch die Berechnungsmethode selbst ist frei von Fehlern. Das Konzept ermittelt die Angemessenheitsgrenzen nicht am Standard der Wohnungen, sondern daran, wie viele Wohnungen benötigt werden, um den Bedarf bei Leistungsempfängern und Niedriglohnempfängern decken zu können. Dabei wurde anhand der Bestandsmieten geprüft, welches Perzentil erforderlich ist, um bei den Neuvertragsmieten (Abschluss in den letzten neun Monaten nach dem Stichtag 1. Februar 2012 bei den Groß- und Kleinvermietern) ein Perzentil zwischen 10 und 20 zu erreichen. Für das Gebiet der Stadt A-Stadt ergab sich daraus ein Perzentil von 65 für Ein-Personen-Haushalte und von 50 für Mehr-Personen-Haushalte. Den Zielwert von einem Perzentil von 10 bis 20 bei den Neuvertragsmieten vermag das Gericht allerdings nicht nachzuvollziehen. Es handelt sich um einen definierten Wert ohne empirische Grundlage. Es ist nicht ersichtlich, warum bei den Neuvertragsmieten gerade dieser Anteil ausreichen soll. Warum sollte der Anteil der Niedriglohn- und Leistungsempfänger bei den Bestandsmieten ein Perzentil von 50 und bei den Neuvertragsmieten nur von 10 bis 20 erfordern? Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Niedriglohn- und Leistungsempfänger weniger häufiger umziehen. Allerdings sind an dem Ergebnis trotzdem keine Zweifel angebracht, da es mit einem Perzentil von 50 die Hälfte aller Wohnungen mit Bestandsmieten für Leistungsempfänger zur Verfügung stellt. Das Bundessozialgericht hält hingegen sogar einen pauschalen Anteil von 20 % für möglich (BSG vom 10. September 2013– B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 37 = SozR 4-4200 § 22 Nr.70). Ob der Anteil bei den Neuvertragsmieten ausreichend ist, ist im Übrigen eine Frage der konkreten Angemessenheit.

Dass die sogenannten Angebotsmieten nicht in die Berechnung eingeflossen sind, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Das Konzept stellt nachvollziehbar dar, dass die Angebotsmieten lediglich ca.60 % des tatsächlichen Angebotsvolumens ausmachten, weil ca. 40 %des Angebots direkt vermarktet würden. Dabei handele es sich jedoch nicht nur um Mieten, die unter der Hand bzw. unter Freunden angeboten würden. Es handele sich auch um Wohnungen von Wohnungsunternehmen mit Interessentenlisten. Darüber hinaus würden von den Wohnungsunternehmen häufig nur ausgesuchte Wohnungen öffentlich angeboten, was statistisch in aller Regel zu einer Übergewichtung der teureren Wohnungen führe. Darüber hinaus zeige der Vergleich von Angebots- und Vertragsmieten, dass die durchschnittlichen Neuvertragsmieten in der Regel deutlich unterhalb der durchschnittlichen Angebotsmieten lägen, so dass tatsächlich ein wesentlich größeres Wohnungsangebot unterhalb der Richtwerte zur Verfügung stehe, als dies in den ermittelten Angebotsmieten zum Ausdruck komme (ebenso Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L 4 SO 166/13 B ER– Juris-Rn. 45).

Die Zusammensetzung des Datenbestandes ist aber fehlerhaft.Während die Bestandsmieten, die aus der Befragung der Groß- und Kleinvermieter ermittelt wurden, nach dem Zufallsprinzip die gesamte Bandbreite des Wohnungsstandards von einfachem bis gehobenem Standard abbilden sollten, ist dies bei den Daten aus dem Bestand des Antragsgegners nicht der Fall. Auch wenn selbstverständlich nicht alle Leistungsempfänger nach dem SGB IIdie bisherigen Angemessenheitsgrenzen des Antragsgegners eingehalten haben, weil sie entweder die tatsächlichen unangemessenen Kosten erhalten oder aus dem Regelsatz die Differenz zugezahlt haben, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass die Verteilung sich hier im Gegensatz zu den beiden anderen Datenbeständen zugunsten des einfachen Standards verschiebt.Angesichts eines Anteils von ca. 4.000 Mieten ist zu erwarten, dass diese Verschiebung ausreichende Auswirkungen auf die Höhe der Bruttokaltmiete zum Perzentil 50 hat, um die Angemessenheitsgrenzen wesentlich zu erhöhen. Nach Aussage des Zeugen T. vom Ersteller des Konzepts im Verfahren S 25 AS 757/14 ER wäre eine Neuberechnung ohne Berücksichtigung der Daten des Antragsgegners innerhalb von zwei bis drei Monaten möglich. Damit wären die Angemessenheitsgrenzen schlüssig ermittelt. Die Einholung eines solchen Gutachtens kam in dem vorliegenden Eilverfahren aber nicht in Betracht.

Die vorgelegten fünf Wohnungsangebote in einem Zeitraum von zehn Monaten für den Bereich der Stadt A-Stadt reduzieren sich bei genauerer Betrachtung auf nur zwei der Antragstellerin zumutbare Angebote. Die Angebote in Q-Stadt und R-Stadt kommen offensichtlich für die Tochter der Antragstellerin wegen ihrer Behinderung nicht in Betracht. Sie müsste dann die Schule wechseln. Dasselbe dürfte für das Angebot in I-Stadt gelten. Die geringe Anzahl von Angeboten bei einem relativ großen Vergleichsraum wie der Stadt A-Stadt und einem langen Suchzeitraum von zehn Monaten verdeutlichen, dass die Ermittlung der angemessenen Kosten mit dem vorliegenden Konzept nicht gelungen ist, zumal dem Gericht eine Vielzahl solcher Verfahren mit ähnlich wenigen Angeboten bekannt ist.

Die Antragstellerin ist auch nicht gehalten gewesen, ihre Kosten bis zu einer anderen Angemessenheitsgrenze (z.B. der Wohngeldtabelle plus 10 %) abzusenken. Nachdem das Konzept des Antragsgegners als nicht schlüssig eingestuft wird, wäre es grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, die tatsächlichen Angemessenheitsgrenzen zu ermitteln. Dies kann in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes aber nicht erfolgen. Für diese Sondersituation, dass die tatsächlichen Grenzen nicht feststehen und kurzfristig auch nicht feststellbar sind, ist der Antragstellerin eine Reduzierung generell nicht möglich, da sie nicht weiß, welche Obergrenze sie einzuhalten hat. Dabei ist dem Gericht bewusst, dass Wohnungsangebote mit geringeren Kosten als die der Wohnung der Antragstellerin auf dem Wohnungsmarkt vorhanden sind. Der Antragstellerin ist es aber nicht zuzumuten, jede günstigere Wohnung zu nehmen, da sie dann nicht sicher sein kann,ob sie nach einigen Monaten, nach Ermittlung der angemessenen Kosten, wieder umziehen muss. Zudem ist ihr ein Umzug in eine günstigere Wohnung auch nicht möglich, da sie nur dann einen Anspruch auf die Übernahme der Umzugskosten und der Kaution nach §22 Abs. 6 S. 2 SGB II hat, wenn der Umzug notwendig ist. Dieser Anspruch setzt aber voraus, dass die neue Wohnung angemessen ist.Diese Frage lässt sich allerdings im Moment – wenn auch mit hoher Sicherheit nur vorübergehend – nicht beantworten.Angesichts der körperlichen Konstitution der Antragstellerin kann sie einen Umzug nicht ohne Hilfe durchführen und für die Bezahlung von Hilfskräften oder gar eines Unternehmens fehlen ihr die finanziellen Mittel.

Soweit die Antragstellerin auch aktuell die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung begehrt, fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Zwar hat die Antragstellerin grundsätzlich auch für diesen Zeitraum einen Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft, diesem Anspruch steht aber die Bestandskraft des Bewilligungsbescheids vom 10. September 2014 für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis März 2015 entgegen. Gegen diesen Bescheid ist kein Widerspruch eingelegt worden. Der mögliche Überprüfungsantrag fehlt bisher ebenfalls.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Beschwerde ist für den Antragsgegner nicht zulässig, da er in einer Hauptsache nicht mit mehr als 750 € beschwert wäre, §§ 143, 144, 172 SGG. Für die Antragstellerin ist die Beschwerde zulässig.

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